Warum ist die Welt so geworden wie sie ist?
Wir sind konfrontiert mit einer Umwelt- und Gesellschaftsentwicklung, die viele Menschen beängstigt. Umweltkatastrophen, Klimawandel, Elektrosmogverseuchung, Artensterben, Pandemien, Millionen Flüchtende. Warum ist das so? Menschen versuchen sich das Unfassbare zu erklären. Sind hier "Mächte des Bösen" am Werk, eine Elite, die alles zerstört, um eine neue Weltordnung aufzubauen, ist es Bill Gates, der die Fäden zieht? Wurde die Pandemie "erfunden", um uns zu dezimieren? Oder ist gar der Klimawandel eine Erfindung und alles gar nicht so schlimm? Auf YouTube-Kanälen findet man für jede Theorie ein Video. In einem Interview bei Heise sagt der Autor Fabian Scheidler:
- "Wir befinden uns in einer sich zuspitzenden Krise einer ganzen Zivilisation. Das bedeutet, dass alle ihre Fundamente brüchig werden: die ökonomischen, politischen und auch die geistig-ideologischen. Diese Situation kann beängstigend sein, und manche Menschen suchen Zuflucht in vereinfachten Weltbildern, zu religiösem Fundamentalismus, zu Nationalismus, zu esoterischen Lehren oder zu politischen Verschwörungsideologien."
Dem setzt Scheidler nüchterne, brilliante historische und gesellschaftspolitische Analysen in zwei Büchern gegenüber:
- "Für all die Smartphones, Flachbildschirme und Einbauküchen, die wir in immer schnellerem Rhythmus durch neue ersetzen, für all die Autos, Flugzeuge und Serverparks und nicht zuletzt für den wachsenden Fleischkonsum, müssen Wälder und andere Naturräume in Minen und Abraumhalden verwandelt werden. Auf diese Weise haben wir bereits das größte Artensterben seit 66 Millionen Jahren in Gang gesetzt und das Klimasystem in die Nähe extrem gefährlicher Kipppunkte gebracht. Corona ist nur ein kleiner Teil dieser viel umfassenderen Krise. Im Herzen dieser Krise steht die technokratische Illusion, wir könnten mit der Natur nach Belieben verfahren, sie abbaggern, zerlegen, neu zusammensetzen und kontrollieren."
Scheidler analysiert im Buch "Megamaschine", wie der Kapitalismus scheinbar ein Fortschritt war, aber gleichzeitig durch seinen Zwang zu ungebremsten Wachstum, durch die Ausbeutung der Natur und den Hyperkonsum zu der Zerstörung und Chaos führt, mit dem wir heute konfrontiert sind.
Im zweiten, ganz aktuellen Buch "Der Stoff aus dem wir sind" zeigt er, wie die Rechtfertigung dieser Zerstörung zum beherrschenden Gedankensystem wurde und wie wir Gefahr laufen, durch die Digitalisierung alles auf die Spitze zu treiben. Er zeigt aber auch, dass das Potential für Alternativen da ist. Sie durchzusetzen, liege in unserer Hand. Beide Bücher sind ein großer Wurf, eine Pflichtlektüre zum Verständnis unserer Zeit.
Fabian Scheidler: Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen, Piper-Verlag, 2021
Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia, 2016
Bezug über den Buchhandel.
Interview mit Fabian Scheidler: https://www.heise.de/tp/features/Manche-suchen-Zuflucht-in-vereinfachten-Weltbildern-6012107.html?seite=all
Über den Autor: https://fabian-scheidler.de/ueber-den-autor/
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Willkommen in der Matrix: der Mensch als Algorithmus
(Auszug aus dem Buch "Der Stoff aus dem wir sind")
"Obwohl die moderne Physik und Biologie längst die Vorstellung aufgeben mussten, dass die Weit eine Maschine ist, schreitet die Maschinisierung unserer Lebenswelten immer weiter voran. Es scheint fast so, als sei das Leitbild der Maschine so tief in den genetischen Code dieser Zivilisation eingeschrieben, dass sie allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz nicht ruhen wird, ehe sie den gesamten Planeten in eine gigantische Apparatur verwandelt und noch den letzten Rest selbstorganisierten Lebens zum Verschwinden gebracht hat. Die Digitalisierung ist auf diesem Weg nur die jüngste Etappe. Menschliche Beziehungen werden Schritt für Schritt in Apparate hinein verlagert, an die Stelle direkter sinnlicher Wahrnehmung und Kommunikation treten digitale Schnittstellen. Auf diese Weise werden sowohl die Außenwelt als auch der eigene Körper immer weiter ausgeblendet.
- Die Digitalisierung führt damit die Große Trennung zur äußersten Konsequenz. Das geistig-seelisch-körperliche Kontinuum des Menschen wird an der Wurzel zertrennt, sodass nur noch ein körperloses Beobachtergespenst im Cyberspace übrig bleibt. An die Stelle einer verbundenen Mitwelt tritt eine programmierte Weltersatzmaschine. Alles, was Menschen darin noch erleben können, ist für sie von anderen präfiguriert worden.
In der Logik eines Systems, dessen einziger Zweck die endlose Akkumulation von Kapital ist, ist diese Entwicklung absolut folgerichtig. Zum einen lassen sich auf diesem Wege immer neue Geräte verkaufen, und zwar nicht nur Computer, Virtual-Reality-Brillen, Spielkonsolen und dergleichen, sondern auch ganze Infrastrukturen mit neuen Funkmasten, 5G-Netzen, Serverparks und Kraftwerken, welche die enormen Mengen von Energie (und Treibhausgasen) für all das produzieren. Eine Bedarfssättigung darf nie eintreten, sonst bricht das System zusammen, denn es kann nur existieren, wenn es immer weiter wächst.
Die Ausblendung der Wirklichkeit ist dabei ein ausgesprochen nützlicher Effekt. Im totalen Abtauchen in die virtuelle Welt - im Fachjargon »Immersion« genannt - können Menschen die Verwüstung der Welt um sie herum vergessen. Statt sich damit zu beschäftigen, wie sie aus der tödlichen Matrix aussteigen können, konsumieren die Bürger eine Ersatzwelt, die ihnen von genau den Konzernen bereitgestellt wird, die für die planetare Zerstörung verantwortlich sind. Eine perfektere Versklavung ist kaum vorstellbar: Die Bürger kaufen sich freiwillig eine Technik, die sie davon, abhält, ihre reale Situation zu erkennen und zu verändern ...
Der Versuch, Menschen in einen Datensatz zu verwandeln, ist Teil einer Kultur des Todes, die alles, was Leben ausmacht, Spontaneität, fühlendes Erleben, Selbstorganisation und Kreativität -, durch Abstraktion und Berechnung ersetzt. Ihr Fluchtpunkt ist ein wüstenartiger Planet, auf dem einsam im dunklen Weltall ein blinkender Riesenrechner steht, der anzeigt, wie viel Geld er gerade verdient" (S. 167 ff).