Impulsvortrag: Zum Stand der Forschung zur nicht-ionisierenden Strahlung des Mobilfunks
Wie kann man möglichst kurz als Impulsvortrag den Stand der Forschung vortragen? Wir dokumentieren hier einen Redebeitrag, den ein diagnose:funk Vorstand bei einem Behördentermin vorgetragen hat. Die Teilnehmer bekamen das Papier nach dem Vortrag ausgehändigt.
Ist Mobilfunkstrahlung wirklich ein Gesundheitsrisiko?
Ich gebe ihnen ein Blitzlicht zum Stand der Studienlage. Die Mobilfunkstrahlung (=nichtionisierende Strahlung) wurde von der WHO schon 2011 als "möglicherweise Krebs erregend" (2B) eingestuft.[1] Die Ergebnisse neuester Studien, der US-amerikanischen NTP-, der italienischen Ramazzini- und den umfangreichen österreichischen AUVA-Studien sind eindeutig: Mobilfunkstrahlung kann Krebs auslösen.[2] Deshalb fordert der weltweit renommierte Experte und ehemaliges ICNIRP-Mitglied Prof. James C. Lin, stellvertretend für das aus 14 Wissenschaftlern bestehende Peer-Review-Panel der NTP-Studie, in dem Artikel „Clear evidence of cell-phone RF radiation cancer risk“ eine Revision der Grenzwerte und die Höherstufung der Strahlung in „wahrscheinlich Krebs erregend“.[3] Andere Wissenschaftler gehen noch weiter, sie fordern die Eingruppierung in die höchste Stufe „Krebs erregend“. [4]
Die Arbeitsgruppe BERENIS, die "Beratende Expertengruppe nicht-ionisierende Strahlung" der Schweizer Regierung, hat im November 2018 eine Analyse beider Studien - NTP und Ramazzini- vorgelegt, darin heißt es im Fazit:
- "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die BERENIS aufgrund der Ergebnisse und deren Bewertung das Vorsorgeprinzip zur Regulierung von HF-EMF unterstützt."[5]
Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz stellt nach zwei eigenen Studien fest: die Strahlung ist Krebs promovierend.[6] Auf Grund dieser Studienlage empfiehlt der beratende Ausschuss der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO, mit hoher Priorität zu prüfen, ob nicht auf Grund neuer Studien eine Einstufung der mit der Hochfrequenz-Strahlung verbundenen Krebsrisiken in eine höhere Gefahrenkategorie als "möglicherweise krebserregend" notwendig sei.[7]
Die neueste Metaanalyse von Choi et al. (2020) bestätigt, dass für Vielnutzer -17 Minuten tägliche Handynutzung über 10 Jahre - signifikante Beweise für eine erhöhtes Tumorrisiko vorliegen.[8]
Schwangere und Kinder sind besonders gefährdet
Es gibt mehr als 130 Studien, die Schädigungen von Embryos und Spermien nachweisen.[9] Zu den Auswirkungen der Smartphone-Nutzung von Schwangeren haben die Wiener Professoren Kundi und Hutter (Umweltmedizin, Med.Uni Wien) den Artikel "Die Gefahrenbeurteilung der Exposition von Kindern gegenüber elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern" veröffentlicht. Sie schreiben, dass "nachteilige gesundheitliche Auswirkungen nicht nur nicht ausgeschlossen werden können, sondern die Evidenz für solche Auswirkungen zunimmt" (umwelt-medizin-gesellschaft, 3/2019).
Mehr als 100 Studien liegen vor, die schädliche Auswirkungen von WLAN, u.a. auf den Schlaf, die Konzentration und das Lernen nachweisen.[10] Braucht es mehr Hinweise, um eine Vorsorgepolitik mit Schutzmaßnahmen und Aufklärung der Bevölkerung einzuleiten? Schon ein Besorgnispotential kann Anlass zur Vorsorge sein.[11] Wir sind hier aber bereits im Stadium von Beweisen, also der Gefahrenabwehr.
Die Verharmlosungen der Studienlage sind unverantwortlich
Seit 15 Jahren analysiert diagnose:funk die Studienlage, dokumentiert auf unserer Datenbank www.EMFData.org. Ich finde es unerträglich, wie durch staatliche Stellen die Studienlage verharmlost wird. Es ist ein Skandal, dass nun der Deutsche Städte- und Gemeindebund im September 2020 ein Papier für alle Kommunen herausgibt, verfasst vom IZMF, der Propagandazentrale der vier Mobilfunkbetreiber, in dem Risiken geleugnet und die Kritiker in die Verschwörungs-Ecke gestellt werden. Intension des Papieres: wie stelle ich Kritiker ruhig.[12] Staatssekretär Flasbarth vom Umweltministerium (StZ, 21.10.2020) sagte letzte Woche im Interview mit der STZ: "Lobbyisten vertreten wirtschaftliche Interessen und nicht das Gemeinwohl. Das ist legitim". Ob dies legitim ist, darüber kann man diskutieren, dass aber Behörden dies flankieren und sich ihre Papiere von der Industrie schreiben lassen, ist nicht legitim, sondern skandalös.
Die Grenzwerte haben keine reale Schutzfunktion
Die reflexhafte Reaktion des Bundesamtes für Strahlenschutz, jede Studie, die Risiken zeigt, zu verharmlosen, ist eine Diskreditierung von dutzenden Wissenschaftlern und Instituten, die Risiken nachweisen. Die ICNIRP und ihre Grenzwerte, auf die sich das BfS meistens beruft, ist eine lupenreine Lobbyorganisation der Industrie, das wurde nun durch drei Untersuchungen detailliert nachgewiesen. [13] Und damit auch die Untauglichkeit der Grenzwerte. Sie haben keine medizinische Schutzfunktion. Auf der Seite des Schweizer Bundesamtes für Umwelt heißt es zu den Grenzwerten:
- "Die Anlagegrenzwerte stützen sich nicht auf medizinische oder biologische Erkenntnisse, sondern sind anhand technischer, betrieblicher und wirtschaftlicher Kriterien festgelegt worden." [14]
Das bestätigte vor Jahren bereits die Bundesregierung.[15] Trotzdem wird weiter in Berufung auf die Grenzwerte Entwarnung gegeben. Diese Verharmlosung der Risiken setzt sich bei 5G fort. Das Briefing für die EU-Abgeordneten, in dem auf Grund der Studienlage und vieler offener Fragen vor der 5G-Einführung gewarnt wird, wird von den deutschen Behörden nicht zur Kenntnis genommen.[16] Und es wurde offiziell vom Technikfolgenausschuss des Bundestages mitgeteilt, dass der angekündigte Bericht zur Technikfolgenabschätzung zu 5G doch nicht erstellt wird. Das widerspricht jeglichem Vorsorgegedanken und einer Schutzpolitik. Ich hoffe, dass wir uns auf Grund der Studienlage auf Maßnahmen verständigen können, die wir ihnen zum Schutz der Bevölkerung in unserem Papier vorschlagen.
Quellen
[1] diagnose:funk Homepage: Funkstrahlung möglicherweise krebserregend. WHO-Interphone Studie abgeschlossen, https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=929
[2] NTP (2018a): NTP Technical Report on the toxicology an carcinogenesis in Hsd: Sprague Dawley SD Rats exposed to whole-body radio frequency radiation at a Frequency (900 MHz) an modulations (GSM an CDMA) used by cellphones, https://ntp.niehs.nih.gov/ntp/about_ntp/trpanel/2018/march/tr595peerdraft.pdf
NTP (2018b): NTP Technical Report on the toxicology an carcinogenesis in B6C3F1/N MICE exposed to whole-body radio frequency radiation at a Frequency (1,900 MHz) and modulations (GSM AND CDMA) used by cellphones, https://ntp.niehs.nih.gov/ntp/about_ntp/trpanel/2018/march/tr596peerdraft.pdf
Falcioni L et al.(2018): Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission. Environ Res 2018; 165: 496-503
ATHEM-2 (2016): Untersuchung athermischer Wirkungen elektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereich, AUVA Report-Nr.70; Hrsg. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Österreich
[3] Lin JC (2018): Clear Evidence of Cell-Phone RF Radiation Cancer Risk, IEEE Microwave Magazine, September/October 2018, Digital Object Identifier 10.1109/MMM.2018.2844058
https://www.diagnose-funk.org/1508, Artikel vom 17.01.2020
[4] Carlberg M, Hardell L (2017): Evaluation of Mobile Phone and Cordless Phone Use and Glioma Risk Using the Bradford Hill Viewpoints from 1965 on Association or Causation, Review Article BioMed Research International, Volume 2017, Article ID 9218486, https://doi.org/10.1155/2017/9218486
In deutscher Übersetzung als diagnose:funk Brennpunkt erschienen.
[5] BERENIS – Beratende Expertengruppe nicht-ionisierende Strahlung Newsletter-Sonderausgabe November 2018, https://tinyurl.com/y33m3fxn ; siehe dazu auch: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1359, Artikel vom 21.03.2019
[6] Lerchl A et al. (2015): Tumor promotion by exposure to radiofrequency electromagnetic fields below exposure limits for humans. Biochem Biophys Res Commun 2015; 459 (4): 585-590
[7] diagnose:funk (2019): Einstufung: "Wahrscheinlich krebserregend" oder höher? IARC soll Hochfrequenz-Krebsrisiko überprüfen; https://www.diagnose-funk.org/1397, Artikel 23.04.2019
[8] Choi et al. (2020): Cellular Phone use und Risk of Tumor: Systematic Review and Meta-Analysis, International Journal of Environmental Research and Public Health, 2020, 17, 8079:
"In sum, the updated comprehensive meta-analysis of case-control studies found significant evidence linking cellular phone use to increased tumor risk, especially among cell phone users with cumulative cell phone use of 1000 or more hours in their lifetime (which corresponds to about 17 min per day over 10 years), and especially among studies that employed high quality methods."
[9] Mutter J / Hensinger P (2019): Rückgang der Spermienqualität: Umweltmedizinische Ursachen, zkm 2019;1:48-55
[10] Wilke I (2018): Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Kognition und Verhalten. umwelt · medizin · gesellschaft 1/2018
Naziroglu M, Akman H (2014): Effects of Cellular Phone - and Wi-Fi - Induced Electromagnetic Radiation on Oxidative Stress and Molecular Pathways in Brain, in: I. Laher (ed): Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants, Springer Berlin Heidelberg, 106, S. 2431-2449
Hensinger P (2020): WLAN an Kindertagesstätten und Schulen: Ein Hype verdeckt die Risiken, umwelt-medizin-gesellschaft 1/2020
[11] "Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es, dem Staat insbesondere, Situationen der Ungewissheit rechtlich zu bewältigen, und stellt sicher, dass der Staat auch in diesen Situationen handlungsfähig ist. Es kann umweltschützendes staatliches Handeln legitimieren oder sogar gebieten. In Situationen der Ungewissheit können die Folgen eines Tuns für die Umwelt wegen unsicherer oder unvollständiger wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht endgültig eingeschätzt werden, die vorliegenden Erkenntnisse geben aber Anlass zur Besorgnis. In diesen Fällen muss der Staat nicht abwarten, bis Gewissheit besteht, sondern er kann unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Besorgnisanlass reagieren." Umweltbundesamt: Vorsorgeprinzip: https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/umweltverfassungsrecht/vorsorgeprinzip
[12] IZMF&DStGB (2020): Infobaukasten Mobilfunk 1/4. Dialog und Kommunikation
[13] Papier der Abgeordneten MdEuP Buchner / Rivasi zur ICNIRP: https://www.diagnose-funk.org/1580, Artikel vom 19.06.2020;
Recherche im Berliner Tagesspiegel: https://www.diagnose-funk.org/1335
Hardell / Carlberg (2020): Gesundheitsrisiken durch hochfrequente Strahlung, einschließlich 5G, sollten von Experten ohne Interessenkonflikte bewertet werden, ONCOLOGY LETTERS 20: 15, 2020
[14] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/fachinformationen/massnahmen-elektrosmog/elektrosmog--die-grenzwerte-im-ueberblick.html
[15] Bundestagsdrucksache 14/7958, Große Anfrage der CDU, 04.01.2002 S. 14, S. 18:
"Frage 22 „Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die bisherigen und auch fortlaufenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den zahlreichen nationalen und internationalen Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen der elektromagnetischen Felder zeitnah und aktuell ausgewertet und bewertet werden?“
Antwort: „Die Bundesregierung unterstützt ebenfalls die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) bei ihrer Bewertung der neuen wissenschaftlichen Befunde. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden in den letzten Jahren 6 Workshops zu unterschiedlichen Fragen aus dem Bereich der nichtionisierenden Strahlung veranstaltet. Die Ergebnisse sind in Form von Tagungsbänden oder als wissenschaftlich zugängliche Publikationen veröffentlicht. Die internationalen Gremien haben allerdings bisher darauf verzichtet, Vorsorgeaspekte in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.“
Frage 34 „Berücksichtigen die derzeit gesetzlich festgelegten Strahlenschutzgrenzwerte und das bestehende Verfahren zur Erteilung einer Standortbescheinigung in ausreichender Weise das Vorsorgeprinzip? Auf welche wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Gefährdungen stützt die Bundesregierung diese Haltung?“
Antwort: „Die o. g. Bewertungen der SSK stimmen mit den Einschätzungen internationaler wissenschaftlicher Expertengremien überein. Bei der Ableitung der geltenden Grenzwerte, die die Grundlage der Standortbescheinigung bilden, hat das Vorsorgeprinzip keine Berücksichtigung gefunden.“
Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/079/1407958.pdf
[16] EU-Briefing: "Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen könnte!", https://www.diagnose-funk.org/1530, Artikel vom 10.03.2020
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