Redebeitrag von Jörn Gutbier, Vorsitzender von diagnose:funk
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Frau Präsidentin Arendt,
sehr geehrter Herr Premier Bettel,
sehr geehrte Ministerinnen und Minister,
sehr geehrte Abgeordnete,
Frau Valvason hat Ihnen bereits den Kontext der Petition erläutert und einen Hinweis auf die Debatte um Mobilfunk und 5G gegeben.
Ich spreche hier als Vertreter der Verbraucherschutzorganisation Diagnose-Funk e.V. aus Deutschland und möchte auf zwei Aspekte der Auseinandersetzung im Bereich Mobilfunk hinweisen. Das ICNIRP-Kartell und die Umsetzung von Vorsorge im Rahmen der vorhandenen Mobilfunk-Technologien.
Die internationale Studienlage ist Besorgnis erregend und erfordert eine Vorsorgepolitik. Das fordern u.a. wissenschaftliche Dienste des europäischen Parlaments, Verbände der Umweltärzte in Deutschland, der Schweiz, Italien und Österreich. Auch Städte und Kommunen nehmen auf Grund der Studienlage ihre Verantwortung für die Gesundheit ihrer Einwohner wahr und fordern einen 5G-Ausbaustopp, z.B. 600 Kommunen in Italien, die Millionenmetropolen Marseille und Lyon neben weiteren 9 Städten in Frankreich. Weltweit findet diese Debatte statt und wird unterstützt von den 252 Wissenschaftlern aus 43 Staaten, die bis heute den International EMF-Scientist-Appeal von 2016 unterschrieben haben und die nach eigenen Aussagen ca. 2/3 der weltweiten Forschung zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern und deren Auswirkungen repräsentieren.
Ganz anders die ICNIRP, die "Internationale Kommission zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung". Sie erklärt, es gäbe weder Beweise noch Hinweise für Gesundheitsrisiken. Eine Vorsorgepolitik sei deshalb nicht notwendig. Die Meinung der ICNIRP dominiert in den meisten europäischen Länder deren Grundhaltung zur Mobilfunktechnologie.
Die ICNIRP ist eine Lobbyorganisation der Industrie. Ihre Position zu übernehmen heißt, die Bevölkerung schutzlos den Risiken der Strahlung auszuliefern.
- Dass die ICNIRP eine Lobbyorganisation der Industrie ist, weisen die Europaabgeordneten Michele Rivasi und Klaus Buchner in ihrem 100-seitigen Gutachten vom Juni 2020 detailliert nach.
- Auf welch tönernen Füßen die ICNIRP argumentiert, analysieren aktuell die Wissenschaftler Hardell und Carlberg in ihrem Kommentar in den Oncology Letters.
- Und wie die ICNIRP als Kartell fungiert, welches in den wichtigsten Schutzgremien in Europa fest verankert ist und deren Meinungsfindung maßgeblich beeinflusst, beschrieb das Journalistennetzwerk vom Investigate Europe bereits Anfang 2019.
Dem industriell verankerten ICNIRP-Kartell geht nicht um eine ernsthafte, sachliche wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern es geht schlicht um Produktschutz.
Die Bürger zu verwirren und im Unklaren zu lassen ist das eine. Aber der eigentliche Adressat dieses organisierten Anzweifelns der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist die Politik.
Ziel ist es, Politik handlungsunfähig zu machen – eine Mobilfunkvorsorgepolitik, einem aktiven Gesundheitsschutz sowie grundlegende Veränderung der regulatorischen Rahmenbedingungen mit allen Mitteln zu verhindern.
Technik sinnvoll nutzen! Eine Vorsorgepolitik ist möglich – und sofort umsetzbar
Der Treiber des Mobilfunkausbaus ist der Bedarf von immer mehr Datenvolumen für den mobilen Zugriff auf das Internet. Mobile Telefonie und SMS stagnieren nahezu.
Wie können wir diesen Bedarf decken, ohne die Strahlenbelastung zu steigern? Mehr Daten mit weniger Strahlung – wie geht das?
- Knapp 80% des Datenverkehrs auf den Mobilfunknetzen ist Videostreaming
- 80% der mobilen Datenverkehre wird von Personen abgerufen, die sich indoor aufhalten.
- In den europäischen Staaten kämpfen i.d.R. je drei Mobilfunkanbieter um Markanteile. Faktisch betreibt jeder dieser Diensteanbieter bis zu vier Mobilfunknetze parallel (GSM, LTE 800, LTE 2600, (UMTS)5G). Dazu kommen der Behördenorganisationsfunk (TETRA/TERAPOL), der Bahn-Mobilfunk (GSM900/LTE900), halböffentliche und öffentliche WLAN-Netze u.a..
Im Problem liegt die Lösung. Wir brauchen:
- die weitestgehende Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung in der Kapazitätsversorgung mit mobilen Diensten,
- dazu ist der lückenlosen Ausbau der Glasfasernetze möglichst in der Hand des Staates und der Kommunen ein wichtiger Schritt,
- und es braucht nur ein leistungsfähiges Mobilfunk-Netz für alle – so wie es beim Straßenbau auch nur eine Autobahn zwischen Luxemburg und Trier gibt, und nicht für jeden Autobauer eine eigene. Ein Dutzend parallel betriebener Mobilfunknetze braucht eine vielfache Infrastruktur, mit der damit einhergehenden Landschafts- und Stadtbildverschandelung, dem exorbitanten Stromverbrauch und der Vervielfachung der Strahlenbelastung durch eine massiv erhöhte Grundlast, wie es jetzt der Fall ist.
- Zudem brauchen wir neue, medizinisch begründete Grenz- und Vorsorgewerte, die tatsächlich schützen.
Mit diesen vier regulatorischen Maßnahmen ließe sich eine Vorsorgepolitik mit der bereits vorhandenen Technik sofort umsetzen.
Die Anwendung der neuen Mobilfunktechnologien auf Licht- und Infrarotbasis – 7G – sind hierbei noch gar nicht erwähnt.
Die geltenden Grenzwerte in Luxemburg von 3 V/m – die extrem hohe Kurzzeitbelastungen nicht ausschließen - ließen sich damit weit noch unterschreiten. Wir können, und sollten – nein, wir müssen uns zukünftig in unserer Mobilfunkpolitik an den Vorsorgewerten der Kommission für Technikfolgenabschätzung der EU aus dem Jahr 2000 orientieren.
0,2 V/m ist der Wert, den auch die Europäischen Umweltmediziner und unabhängige Wissenschaftler weltweit schon seit langem fordern. Weitergehend muss und kann auf dieser Grundlage jede Wohnung wieder zu einem echten Schutzraum werden – einer weißen Zone – ohne Zwangsbestrahlung von außen und nebenan.
Sehr geehrtes Gremium,
wer die Risiken nicht diskutiert, kann sie nicht ausschließen, im Gegenteil. Er akzeptiert sie und gibt der Industrie freie Hand, unsere Länder zum Marktplatz für solche digitalen Produkte und Anwendungen zu machen, die die Zerstörung unserer Umwelt und die Klimakatastrophe beschleunigen, sowie unseren Äther mit noch mehr gesundheitsschädlicher Mikrowellenstrahlung überfrachten.
Die Fortschritts-Klischees und Mythen, mit denen 5G verkauft wird, sind Verpackungen von Geschäftsmodellen. Erst eine umfassende Technikfolgenabschätzung gibt uns das Wissen, was wir mit der Digitalisierung im Allgemeinen, der Mobilfunktechnologie und 5G im Speziellen tun, aber vor allem auch, was wir unterlassen müssen.
Der widerstreitende Diskurs ist vollständig durchdrungen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch.
Es ist an der Politik, aktiv zu werden, um endlich eine konsequente Mobilfunk-Vorsorgepolitik umzusetzen, die den Namen verdient, dem Europarecht entspricht und unserem gemeinsamen Grundverständnis von Verantwortung gerecht wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und die Möglichkeit mit Ihnen zu diskutieren.
Jörn Gutbier
1.Vorsitzender Diagnose-Funk e.V., 06.10.2020
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Schlussrede der Biirgerinitiativ STOP5G Luxemburg in der Debatte in der Abgeordnetenkammer am 6. Oktober 2020 zur Petition 1560 Stop5G
Sehr geehrtes Gremium,
wie wir gerade gehört haben, hat 5G viele komplexe Auswirkungen auf die Bürger.
Sie verdient eine öffentliche und gesellschaftliche Debatte über alle ihre Aspekte wie z.B:
- Gesundheit
- die Umwelt
- rechtliche Aspekte
- Gesellschaft
- Schutz der Privatsphäre (Datenschutz)
- Cybersicherheit und Spionagepotenzial für Bürger, Unternehmen und den Staat.
Diese 5G-Technologie gefährdet die Demokratie. Es tut mir leid, Ihnen zu widersprechen, Herr Premier Bettel, aber eine 40-minütige Debatte und zwei kleine Konferenzen, um über die Zukunft einer Nation zu entscheiden, ist nicht das, was wir eine Demokratie nennen.
Sind Sie sich bewusst, dass dieses berühmte Internet der Dinge eine ständige Überwachung Ihres Privatlebens ermöglichen wird, wie es in China bereits der Fall ist?
Wäre es daher nicht vernünftiger gewesen, das Parlament und die Zivilgesellschaft vor der Umsetzung von 5G einzubeziehen? Das ist es, was wir Demokratie nennen!
Wie können Sie vertreten, dass die Versteigerung der 5G-Frequenzen gestartet wurde, obwohl unsere Petition noch nicht abgeschlossen war?
Herr Bettel sagte dem Europäischen Rat in Brüssel Anfang Oktober (Zitat):
"Bei 5G dürfen wir die Gesundheitsaspekte nicht vergessen. Nicht nur das wirtschaftliche oder digitale Interesse, sondern auch die Gesundheit und die Umwelt sind sehr wichtig".
Wir freuen uns, dass Gesundheit und Umwelt für Sie höchste Priorität haben. Wir appellieren daher an Ihre Ethik, damit Sie auch in Luxemburg konsequent nach Ihren Worten handeln.
Sie haben immer noch Zeit und die Macht, eine weitere Gesundheitskatastrophe zu verhindern, wie z.B. die von Tabak, Asbest, Glyphosat, Dioxine um nur einige zu nennen, bei der die Industrie uns alle, auch die Parlamente belogen und betrogen hat.
Wussten Sie, dass die Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaften die Gesundheitsrisiken durch Strahlung als eines der höchsten Risiken eingestuft haben, denen sie in Zukunft ausgesetzt sein könnten, und dass sie diese nicht mehr versichern wollen, weil sie die Risiken für zu hoch halten, bzw. für „unkalkulierbar“?
Die Versicherungsbranche hat aus ihren Fehlern gelernt, und davon sollte sich die Regierung inspirieren lassen.
Das Fehlen von Daten und Studien zu 5G bedeutet nicht, dass keine Gefahr besteht!
Da noch niemand weiß, welche Auswirkungen 5G auf Mensch und Umwelt haben wird, fordern wir daher die Anwendung des in den europäischen Verträgen verankerten Vorsorgeprinzips und die Erklärung eines Moratoriums.
Wir fordern, dass das 5G-Projekt sofort gestoppt wird, bis seriöse, unabhängige und einvernehmliche Studien gezeigt haben, dass diese Technologie wirklich unschädlich für Mensch und Natur ist.
Wir fordern die Möglichkeit weiße Zonen zu definieren, um unsere elektrosensiblen Bürger zu schützen und sie nicht aus der Gesellschaft auszuschließen.
Sind Sie sich bewusst, dass die Verantwortung und der Schutz der Gesundheit bei den Mitgliedstaaten liegt? Sie als Regierung, und nicht die Europäische Kommission, sind für Luxemburg verantwortlich. Man muss verstehen, dass die Gefahren von 5G nicht gesehen, gefühlt oder berührt werden können.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie verantwortungsbewusst handeln.
Warum warten wir immer darauf, dass Katastrophen geschehen, bevor wir handeln?
Warum soll die Industrie immer Profit machen müssen und die Bürger und die Umwelt müssen immer den Preis dafür zahlen und die Konsequenzen tragen?
Wir lehnen es ab, wie Versuchskaninchen behandelt zu werden und Opfer dieser schrecklichen digitalen und technologischen Diktatur zu werden.
Wir weigern uns, Tag und Nacht überwacht zu werden. Artikel 11 und 11 Zugabe unserer Verfassung garantieren dies.
Wir lehnen die Ausbeutung und Verschwendung von Ressourcen, den übermäßigen Energieverbrauch, den Zusammenbruch des Ökosystems und die Klimakrise ab, die sich durch die Einführung von 5G dramatisch verschärfen wird.
Was machen Sie mit all Ihren nationalen und internationalen Verpflichtungen für eine ökologische Wende? Was sind dann Ihre ökologischen Werte?
Wir sind für einen vernünftigen und vertretbaren Fortschritt, den wir auch brauchen. Was wir aber sicher brauchen, ist eine gute Lebensqualität für uns und die Umwelt.
Es scheint jedoch, dass die Lobbyisten das Ruder in der Hand haben und in eine ganz andere Richtung steuern.
Unsere Kinder werden uns und Sie um Erklärungen bitten.
Wir werden ihnen sagen können, dass wir Sie gewarnt haben. Was werden Sie ihnen sagen?
Es ist nicht fünf Minuten vor 12:00, es ist bereits 12:00.
Abschließend möchten wir betonen, dass dies nicht das Ende dieser Debatte ist. Sie kann nur der Ausgangspunkt für eine breitere gesellschaftliche Debatte über die aktuelle Digitalpolitik und ihre Konsequenzen und Auswirkungen sein.
Wir sind nicht allein, wir sind nur Teil einer viel größeren globalen Bewegung von Forschern, Wissenschaftlern, Ärzten und Bürgerbewegungen.
In vielen Städten und Regionen, die viel größer als Luxemburg sind, wurde ein Moratorium ausgerufen, um die Bevölkerung zu schützen.
Dasselbe erwarten wir auch für Luxemburg.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Concetta Valvason
Luxemburg, 06.10.2020
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RTL-Berichterstattung im Nachgang der Debatte vom 15.10.2020
Die Bürgerinitiative ist verärgert über das Verhalten des Premierministers Xavier Bettel während der öffentlichen Debatte über die 5G-Petition in der vergangenen Woche.
In einem offenen Brief unter anderem an den Premierminister bedauern die Verantwortlichen, dass der Premierminister Xavier Bettel während der Debatte keinen Respekt zeigte, weiter auf sein Handy schaute, Spaß mit seinem Geräte hatte und noch nicht so tat, als würde er zuhören. Das Verhalten sei gegenüber den mehr als 7.000 Unterzeichnern einfach nicht zu entschuldigen, wie RTL-Luxemburg berichtet.
Die Bürgerinitiative versteht nicht, dass die Regierung die angekündigte Geschwindigkeit der Implementierung des 5G-Netzes in diesem Land fortsetzen will. Die Regierung handelt unverantwortlich und ignoriert alle Fakten, schreibt die Bürgerinitiative.
Der ganze Brief der Bürgerinitiative an die Regierung im Download >>>
(französisch - Übersetzung folgt)