Interview mit Dr. Francesco Imbesi von der Verbraucherzentrale Südtirol.
diagnose:funk: Wir lesen in der Zeitung Quotidiano Canavese, dass ein Tal im Piemont den 5G Ausbau ablehnt!
Francesco Imbesi: Ja, die Bürgermeister:innen von acht Gemeinden im Valchiusella-Tal lehnen in einem gemeinsamen Brief 5G ab und fordern stattdessen den Glasfaserausbau. Sie begründen das mit der fehlenden Technikfolgenabschätzung zu den Risiken von 5G.
diagnose:funk: Woher haben die Bürgermeister:innen ihre Informationen?
Francesco Imbesi: Viele Bürger:innen haben in den letzten Wochen ihre Verwaltungen und politischen Vertreter:innen angeschrieben und diese mit den Stellungnahmen der unabhängigen Wissenschaft konfrontiert. Die italienweite Bewegung gegen 5G (www.alleanzaitalianastop5G.it) hat dazu als Koordinationsstelle gearbeitet und die Formulierung von ‘Standard-Beschlüssen’ bereitgestellt. Eine Informationsoffensive haben außerdem die Ärzte/-innen der Vereinigung ISDE gestartet (Doctors for the Environment – isde.org), indem der italienische Vorsitzende Dr. Di Ciaula einen Offenen Brief an Ministerpräsident Conte verfasste und daraufhin die Stellungnahme des Obersten Sanitätsrats in mehreren Positionen widerlegte. Ärzte dieser Vereinigung waren sehr oft bei Vorträgen für die Bevölkerung und konnten somit vor Ort die Argumente der unabhängigen Wissenschaft aus ärztlicher Sicht verteidigen und bekannt machen. Auch in Südtirol war dies der Fall, in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale. Hier entsteht übrigens gerade eine Anlaufstelle der Umweltmedizin.
diagnose:funk: Ist der Widerstand in Valchiusella ein Einzelfall?
Francesco Imbesi: Nein, in Italien haben bisher insgesamt 594 Gemeinden ihren Widerstand gegen 5G-Installationen per Beschluss des Gemeinderates besiegelt, davon 15 in Südtirol; 391 Bürgermeister:innen haben Notverordnungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erlassen.
diagnose:funk: Das ist ja enorm! Wie reagiert die italienische Regierung darauf?
Francesco Imbesi: Das alles war für Ministerpräsident Giuseppe Conte ein Anlass, um in dem jüngsten Dekret zur Krisenregelung nach Corona (“Decreto Semplificazioni”) den Bürgermeister:innen die Zuständigkeit bei gesundheitlichen Fragen abzuerkennen. Dieser Schritt hat für viele wie eine Ohrfeige gewirkt. Aber: einige der betroffenen Bürgermeister haben dennoch mit Erleichterung reagiert. Vor allem in der Region Venetien hatten nämlich in letzter Zeit verschiedene Mobilfunkanbieter die Bürgermeister:innen wegen der getroffenen Verordnungen auf dem Zivilwege persönlich verklagt. So sind die Bürgermeister:innen einerseits jetzt aus der Schusslinie.
Anders als bei Verwaltungsangelegenheiten, dauert in Italien ein Zivilprozess durchschnittlich um die 5 Jahre. Die verklagten Bürgermeister:innen hätten demnach eine Garantiezahlung leisten müssen, i.d.R. ging es jeweils um 200.000 Euro. Viele Notverordnungen werden nun deswegen rückgängig gemacht, aber aus Jurist:innenkreisen wird allerdings die Frage der Verfassungsmässigkeit einer Kompetenz-Aberkennung bei den Bürgermeister:innen untersucht. Andererseits übernimmt der Staat selber diese Kompetenz zu gesundheitlichen Fragen nicht – steht zumindest im Dekret. Elektrosensible Menschen und Mobilfunkgeschädigte verlieren somit ihre Ansprechpartner – juristisch ist das unvorstellbar!
diagnose:funk: Sehen wir das richtig: auch in Italien erfüllt der Staat die Wünsche der Mobilfunkindustrie ohne eine Vorsorgepolitik.
Francesco Imbesi: Leider ja, auch in Südtirol erleben wir, wie die Behörden die Risiken verharmlosen.
diagnose:funk: Wie reagiert die Bevölkerung auf diese Politik?
Francesco Imbesi: Das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber dem staatlich geregelten Strahlenschutz ist gerade beim tiefsten Stand seit Jahren, vor allem, nachdem drei Ministerien (Gesundheits-, Bildungs- sowie Umweltministerium) voriges Jahr vom Verwaltungsgericht Latium und danach vom Staatsrat praktisch für schuldig erklärt wurden, über die Gefährlichkeit des Mobilfunks und seiner Anwendungen keine Information für die Allgemeinheit und speziell für die Jugend bereitzustellen und dazu verurteilt werden, das zu tun. Sie tun es immer noch nicht. Das Ergebnis: der Widerstand wächst, 594 Gemeinden, die 5G nicht akzeptieren, sind ein Ausrufezeichen!
diagnose:funk: Francesco, danke für das Interview!
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