Die Bedenken der Kritiker:innen zu gesundheitlichen Risiken und zu den Folgen der Digitalisierung seien unbegründet, wird den Bürgermeister:innen und Landrät:innen mitgeteilt. Die Kommunen werden angewiesen:"Sie müssen bei der Standortsuche für neue Mobilfunkanlagen mitwirken und letztendlich die geplanten Sendeanlagen vor Ort aktiv unterstützen." Deutschland müsse sich zum Leitmarkt für 5G entwickeln. Im Schatten der Corona-Krise, wo die Arbeit von Gemeinderät:innen, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden lahmgelegt ist, forcieren die Netzbetreiber den LTE- und 5G-Ausbau.[1] Das dürfen sich die Kommunen nicht gefallen lassen. Um die Kommunen auf die neuen Geschäftsmodelle der IT-Branche einzuschwören, wird von der Bundesregierung ein Frage-Antwort-Papier mitgeliefert, das die Unterwerfung unter die Industrieinteressen dokumentiert. Wir gehen ausführlich auf die Kernpunkte dieser Schulze-Scheuer-Papiere ein.
An die Bürgermeister:innen gerichtet heißt es im Anschreiben:
- „Die beispiellose Corona-Krise, zu deren Bewältigung Sie vor Ort hervorragende Arbeit leisten, macht noch einmal deutlich, wie wichtig hochleistungsfähige digitale Infrastrukturen und eine durchgehende Erreichbarkeit gerade in Krisenzeiten sind."
diagnose:funk fordert seit 2009 den lückenlosen Ausbau von Glasfaser als Hauptschlagader digitaler Kommunikation: Breitband in kommunaler Hand! Die Bürgermeister:innen können ein Lied davon singen, wie dies behindert und lange Zeit nur sogenannte wirtschaftliche Gebiete ausgebaut wurden. Die Lücken und Schwächen bei der Versorgung mit schnellem Internet in der Fläche sind auf die Netzpolitik bisheriger Regierungen zurückzuführen. Die Minister Schulze und Scheuer schreiben weiter:"Perspektivisch werden die Vorzüge der vernetzten Gesellschaft nur mit einem flächendeckenden Ausbau des Mobilfunks und des Mobilfunkstandards 5G zu realisieren sein.“ Vorzüge bringt Glasfaser, aber nicht die krankmachende Verstrahlung durch eine Technologie, die als möglicherweise krebserregend eingestuft ist.
Frage der Bundesregierung: "Warum brauchen wir überhaupt 5G und neue Mobilfunkmasten?"
Die Antwort der Minister Schulze und Scheuer, Deutschland brauche 5G ...
- Zur Effektivität und Zuverlässigkeit des ÖPNV und für das autonome Fahren.
- In der Landwirtschaft zur Steuerung und Dosierung von Pflanzenschutzmitteln und den Düngereinsatz, die Schädlingsbefallüberwachung mithilfe von Drohnen, oder die Waldflächenüberwachung z.B. zur Brandfrüherkennung.
- Im Gesundheitssektor für telemedizinische 5G-Anwendungen und zur häuslichen Pflege.
Unser Kommentar: Wollen das die Kommunen und ihre Einwohner:innen? Sie wollen einen besseren ÖPNV, weniger Autos, eine ortsnahe medizinische Versorgung, eine intakte Natur und gesunde Nahrung. Mit der Digitalisierung wird das Gegenteil eingeleitet.
ÖPNV: Für einen effektiven und zuverlässigen ÖPNV braucht es mehr Züge, Busse und Bahnen mit moderner Antriebs- und Steuerungstechnik, eine bessere Taktung, vor allem des Nahverkehrs, mehr Personal, mehr Güter auf die Schiene, die regelmäßige Wartung der Infrastruktur und ein Ende des Kaputtsparens vor allem der Infrastruktur der Deutschen Bahn. Dann braucht es keine App mehr, die pünktlich die Verspätungen anzeigt. Nicht notwendig sind geplante autonome, 5G-gesteuerte fahrerlose Züge, wie sie bereits erprobt werden. Abgesehen davon gibt es schon lange rechnergesteuert fahrende Züge - auch ohne 5G.
Autonomes Fahren: Wer will eigentlich autonomes Fahren? Es braucht radikal weniger Autos. Sie sind eine Hauptursache der Umweltzerstörung, des klimakillenden Ressourcen- und Energieverbrauchs. Mit der Infrastruktur für das autonome Fahren soll der Vorrang des Autoverkehrs zementiert werden: "Die digitale Optimierung des Verkehrs soll .. nicht der Reduktion des Verkehrsaufkommens dienen, sondern die Voraussetzung für sein weiteres Anwachsen schaffen" (Lange, S / Santarius,T 2018:65).[2] Die Autoindustrie plant mit dem autonomen Fahren einen Angriff auf den ÖPNV. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte hat untersucht, wie es bereits im Jahr 2035 aussehen könnte: "Erstens: Jede dritte Strecke wird dann mithilfe autonomer Fahrdienste zurückgelegt. Zweitens: Diese selbstfahrenden Dienste werden nur noch halb so viel kosten wie der öffentliche Personennahverkehr ... Punkt drei: Das Verkehrsaufkommen dürfte wegen der vielen Robotaxis um bis zu 40 Prozent steigen" (Süddeutsche Zeitung, 10.09.2019).[3] Dafür sollen jetzt die Weichen gestellt werden.
Landwirtschaft 4.0: Für die Digitalisierung landwirtschaftlicher Prozesse braucht niemand das echtzeitfähige 5G-Netz. Damit sollen die Weichen weiter in Richtung digitalisierter, industrieller Hochleistungslandwirtschaft gestellt. Sie ist die Ursache für die Auslaugung und Zerstörung unserer Böden, pestizidverseuchten Monokulturen, den Schädlingsbefall, mit verheerenden Folgen für die Nahrung, Flora und Fauna und die Gesundheit der Bevölkerung. Mit noch mehr Pestiziden und Düngern soll die industrielle Ausbeutung der Natur digital gesteuert fortgesetzt werden. Was wir brauchen, ist ein radikaler Schnitt für ein Umsteuern zu einer ökologischen Landwirtschaft in Symbiose mit Mensch und Natur. [4]
Telemedizinische Anwendungen: Telemedizin, Fernbehandlungen, Patientenbetreuung auch in strukturschwachen Gebiete brauchen kein 5G, sondern erfolgen heute schon aus technischen und aus Sicherheitsgründen über Glasfaserkabel (Breitband). Die Nutzung der Luftschnittstellen bleibt die Ausnahme, z.B. für Rettungswagen über den bisherigen Mobilfunk. Es ist widersinnig, z.B. Krebspatienten über Mobilfunkanwendungen häuslich zu pflegen, nachdem vom Bundesamt für Strahlenschutz selbst nachgewiesen wurde, dass diese Strahlung Krebs beschleunigend wirkt. Für eine bessere medizinische Versorgung muss das Kaputtsparen unseres Gesundheitswesens zur Bedienung von Renditeansprüchen aufhören. Der Gesundheits-Notstand wird nicht durch Digitalisierung und mehr WLAN behoben werden. Statt einer weiteren Dehumanisierung brauchen wir mehr und besser bezahltes Personal auf Grundlage eines renditefreien, solidarischen Gesundheitsversicherungssystems.
Frage der Bundesregierung: Wie wird die Einhaltung der Grenzwerte bei Mobilfunk-Sendeanlagen sichergestellt?
Die Antwort der Minister Schulze und Scheuer:
- "Selbst wenn man direkt in der Abstrahlrichtung eines Sendemastes lebt, ist der Grenzwert in der Regel immer noch sehr deutlich unterschritten. Die Grenzwerte schützen auch besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen wie kranke Menschen oder Kinder."
Unser Kommentar: Die Grenzwerte sind von vorneherein so hoch angesetzt, dass der Mobilfunk-Ausbau stattfinden kann. Und es ist einfach falsch. Die Grenzwerte berücksichtigen nicht Kinder, nicht Schwangere, nicht alte Menschen und nicht Kranke, erfassen nur eine Exposition von 6 Minuten und keine Langzeitwirkungen.[5] Die Grenzwerte enthalten nach Auskunft der Bundesregierung keine Vorsorgekomponente und schützen nur vor akuter Erwärmung.[6] Die Erklärung, dass bei Einhaltung der Grenzwerte die Menschen geschützt seien, entbehrt jeder Grundlage.
Die neuen Grenzwertrichtlinien der ICNIRP von 2020, die die Bundesregierung wiederum als Grundlage ihrer Verordnungen akzeptiert, sind abzulehnen. Prof. Dr. Hans-Peter Hutter (Wien) begründet dies:
- „Seit langem bestimmt eine sehr kleine Anzahl von Personen eines Vereins, der seine Mitglieder selbst bestimmt, die internationale Grenzwertsetzung. Indem die Beobachtungen von Effekten im Niedrigdosisbereich als nicht gesundheitlich relevant bezeichnet beziehungsweise abgetan werden und nur thermische Effekte als einzig relevant dargestellt werden, werden automatisch höhere Grenzwerte abgeleitet als in irgendeinem anderen Gebiet der Umweltmedizin. Diese werden, durch die Mobilfunklobby gestützt, der Politik als ausreichend vermittelt, die das auch zufrieden zur Kenntnis nimmt, weil sie selbst davon durch den Verkauf der Frequenzen und die hohe Steuerleistung der Mobilfunkindustrie profitiert ... Die vorliegende Arbeit sollte bestenfalls ignoriert, aber keinesfalls für internationale Grenzwert-Festlegungen herangezogen werden."[7]