Bericht und Kommentierung des Ablaufs der Einwohner:innenversammlung (Druckversion_PDF)
1.000 Personen (ca. 100 davon bekamen wegen Überfüllung keinen Einlass) fanden sich am 13.11.2019 zu einer Einwohner:innenversammlung der Stadt Freiburg zum Thema „Mobilfunk der 5. Generation – 5G“ ein. Mit 4.000 Unterschriften – unterstützt von weiteren 7.700 im Internet – konnte das „Aktionsbündnis Freiburg 5G-frei“ nach § 20 a Gemeindeordnung diese Versammlung durchsetzen. Es war in Freiburg die erste von Bürger:innen durchgesetzte Einwohner:innen-versammlung nach Whyl (https://www.badische-zeitung.de/die-letzte-einwohnerversammlung). In Whyl ging es im Jahr 1983 um die Verhinderung eines Atomkraftwerkes und im Grunde genommen um dieselbe Frage: Ist das, was technisch machbar ist, auch sinnvoll?
Das „Aktionsbündnis Freiburg 5G-frei“ fordert die Stadt auf, selbst aktiv an einer gesundheitsverträglichen Gestaltung der Mobilfunkversorgung mitzuwirken und die überstürzte Einführung des bislang nicht geprüften neuen Mobilfunkstandards 5G aufzuschieben, statt blindlings immer neuen Geschäftsmodellen der Mobilfunkindustrie zu folgen. Das Aktionsbündnis hatte dazu schon in der Vorbesprechung eine Zusammenstellung der Rechtsprechung, die dies ermöglichen könnte, der Stadt überreicht.
Das Video der Einwohner:innenversammlung dokumentiert eindrucksvoll alle Facetten der gegenwärtigen Diskussion zu 5G. Von den Antragsstellern der Initiative Freiburg 5G-frei sprachen auf der Bühne: Dr. Wolf Bergmann, Tjark Voigts (ISES e.V.) und Bernd I. Budzinski und Jörn Gutbier (diagnose:funk), die Stadt Freiburg legte die Messlatte hoch, als Protagonisten redeten Prof. Dr. Karsten Buse (Fraunhofer IPM), Prof. Dr. Frederik Wenz (Uniklinikum Freiburg), Frau Dr. Gunde Ziegelberger (Bundesamt für Strahlenschutz, Wiss. Sekretärin der ICNIRP) und Bernd Mutter, Digitalisierungsbeauftragter und Leiter des Fachamtes Digitales und IT der Stadt Freiburg. Oberbürgermeister Martin Horn war anwesend, sprach zur Begrüßung und das Schlusswort, beteiligte sich aber nicht am Disput. Die von dem Moderator Dr. Alexander Bode sehr gut geführte Veranstaltung behandelte drei Bereiche: die Gesundheitsrisiken, Datenschutz und die Umweltproblematik. Die vier Redner des Aktionsbündnisses wiesen in zusammen nur 35 Minuten Redezeit auf den alarmierenden Stand heutiger Forschung, die prinzipielle Empfänglichkeit aller Lebensformen, auch von Flora und Fauna, gegenüber der in Regelkreise eingreifenden Funkstrahlung und die Risiken überstürzter Digitalisierung mit Funk hin (Redebeiträge stehen im Kasten rechts zum Download).
Gesundheitsrisiken von 5G und der Mobilfunkstrahlung
Die Auseinandersetzungen um Gesundheitsrisiken standen im Focus. Die Freiburger Initiative fordert aus zwei Gründen ein Moratorium für den 5G Ausbau: zum einen weist die Studienlage zu den bisherigen Frequenzen (GSM, UMTS, LTE und WLAN) bereits große Risiken nach, zum zweiten liegen zu den Frequenzen von 5G im 3,5 GHz-Bereich (wie auch zu LTE) noch keine Forschungen vor. Nach dem Vorsorgeprinzip darf die Technologie erst nach einer Technikfolgenabschätzung eingeführt werden. Dr. Wolf Bergmann und Jörn Gutbier stellten den Stand der Forschung zu den Gesundheitsrisiken dar, Jörn Gutbier ging auch auf die Verfälschungen der Studienlage ein. Er warf dem Bundesamt für Strahlenschutz und der ICNIRP vor, seit Jahren die Studienlage zu ignorieren.
Frau Dr. Gunde Ziegelberger vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) / ICNIRP ( International Commission on non-ionizing radiation protection) gab auf die brisanten Fragen keine Antwort. Ihre Kernbotschaft: Bei Einhaltung der Grenzwerte sind keine gesundheitlichen Risiken nachgewiesen. Sie suggerierte zudem anhand einer statistischen Meta-Studie, dass die Studien, die Wirkungen zeigten, wissenschaftliche Standards nicht erfüllten.[1] Das ist nicht seriös argumentiert von Frau Dr. Ziegelberger. Der von ihr ins Feld geführte Review ist ein formal statistischer Bericht, der nicht auf die inhaltlichen Ergebnisse von Studien zu genetischen Schäden eingeht, sondern formale, durchaus zutreffende Kriterien diskutiert, aber in den Quellenangaben keine einzige konkrete Einzelstudie nennt und schon gar nicht benennt, welche der Studien, die Krebs-Risiken nachweisen, nicht wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. Mit formaler Statistik und der Methode des Anzweifelns umschiffte Frau Dr. Ziegelberger die Klippe, zur konkreten Studienlage Farbe zu bekennen, die v.a. in der Ramazzini-, NTP-, und AUVA-Studie zu den Krebsrisiken dokumentiert ist, und die auch in aller Kürze von Dr. Bergmann und Jörn Gutbier dargestellt wurde. Sie ging weder auf die eigenen Studien des BfS zur nachgewiesenen krebspromovierenden Wirkung der Mobilfunkstrahlung ein (siehe dazu auch Link 1, Link 2 und Link 3 zu weiteren Informationen dazu), noch auf die fehlenden Studien zum 3,5 GHz-Bereich, noch auf die Warnungen ihrer Chefin, Frau Dr. Paulini, 5G nicht dort zu installieren, wo sich sensible Personen aufhalten, noch auf das Vorsorgeprinzip, nach dem sich auch das BfS richten müsste. Im Grund genommen sagte sie zu 5G nichts. Warum sie eigentlich nichts Neues zu sagen habe, begründete sie in der Diskussion. Nach der letzten Bewertung der Studienlage des BfS im Jahr 2011 habe es keine Erkenntnisse gegeben, die eine Neubewertung der Studienlage erfordert hätten. Sie bestätigte damit die Methode der ICNIRP und des BfS, die Jörn Gutbier in seiner Rede scharf kritisierte: "Studien, die nicht in das Vermarktungskonzept passen, werden in den Gesamtbeurteilungen der ICNIRP einfach weggelassen oder man teilt nur einen genehmen Teil der Studienergebnisse mit." Nach der unvollständigen, veralteten und verfälschenden Dokumentation der Sachlage durch das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm (2008), ignoriert man die letzten 10 Jahre, in denen neue, qualitiativ gute Studien erschienen sind. Auf der diagnose:funk Datenbank www.EMFData.org und im ElektrosmogReport wurde diese Studienlage fortlaufend dokumentiert.
Die Diskussion ist ein Lehrbeispiel: lesen Sie den Redebeitrag von Dr. W. Bergmann und insbesondere den von Jörn Gutbier, mit Quellen in seinem Manuskript, und hören Sie sich dann den Redebeitrag von Frau Dr. Ziegelberger an. Jörn Gutbiers Kritik am BfS und der ICNIRP wird in vollem Umfang bestätigt.[2]
Datenübertragung und Datenschutz
In den Beiträgen über die Notwendigkeit von 5G für gesellschaftliche Vorgänge erläuterte Prof. Dr. Frederik Wenz (Uniklinikum Freiburg), warum für die Medizin Daten und ihre schnelle Übertragung von großer Bedeutung sind. Warum dazu 5G notwendig ist und welcher Anteil der vom Ihm genannten Datenmengen dabei unabdingbar über Funknetze abgewickelt werden müssen, blieb in seiner Rede offen. Die Grundlage aller Datentransfers sind die Glasfaserleitungen. Die Übertragung von Daten begründete er u.a. mit Patienten, die weit draußen im Schwarzwald wohnen, und jetzt über das Smartphone und digitale Fragebögen betreut werden könnten. Die mühsame Krankenfahrt werde ihnen erspart, wo dann eh´ der/die Klinikarzt/-ärztin nur wenige Minuten Zeit habe, sich mit dem Patienten / der Patientin zu beschäftigen. Das ist vordergründig logisch. Aber: Warum haben heute Ärzte/-innen nur noch 5 Minuten Zeit, ein Patientengespräch zu führen? Was bedeutet es, wenn der Patient nur noch anhand seiner fernübertragenen Daten behandelt wird? Im Worst Case sitzt der Patient ohne menschlichen Kontakt zu Hause. Das Gespräch als Teil der Therapie wird auf eine Bildschirmzeit reduziert. Und: Wie sicher sind diese Daten? Ist diese Digitalisierung nicht eine Dehumanisierung der Medizin? Und wie widersinnig ist es, einen Tumorpatienten über ein strahlendes Tablet / Smartphone aus der Ferne zu behandeln, wo gerade die krebspromovierende Wirkung dieser dann körpernahen Exposition vom Bundesamt für Strahlenschutz als gesicherte Erkenntnis bezeichnet wird? Und, dies ginge auch alles über einen Festnetzanschluss.
Umwelt- und Ressourcenverbrauch
Tjark Voigts von ISES (Initiative zum Schutz vor Elektrosmog Südbaden) analysierte in seiner Rede sowohl die Risiken der Digitalisierung für Kinder und v.a. die Auswirkungen der geplanten digitalen Infrastruktur auf die Umwelt- und Klimakatastrophe. Die Digitalisierung als Geschäftsmodell der Industrie löse in in keiner Weise die Probleme der Menschheit, schon gar nicht die Probleme des Klimawandels, sondern sei Teil des Problems.
- "Umweltministerin Svenja Schulze bezeichnete kürzlich die Digitalisierung als einen „Brandbeschleuniger“ für die Probleme des Energie- und Ressourcenverbrauchs sowie der weltweiten CO2 –Emissionen! Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) ergänzt im April 2019, Zitat: "Eine Ausrichtung der globalen digitalen Revolution an den Nachhaltigkeitszielen . . . ist kaum zu beobachten, auch wenn viele Akteure betonen, sie handelten zum Wohle der Menschen,“" so Voigts in seiner Rede.
Die ganze Argumentation der vortragenden IT-Fachleute und der Stadt ging unausgesprochen von der Notwendigkeit dieser Technologie für weiteres Wachstum aus. Diese Wachstumsideologie, die uns die Klimakatastrophe beschert hat, scheint die Köpfe, auch der Stadtverwaltung, zu beherrschen.
Bernd Mutter, zuständiger Beamter in Freiburg, betonte, dass die Stadt die Nachhaltigkeit berücksichtige, die Risiken kenne und auf der Grundlage der Dokumente des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung) plane. Daran muss die weitere Politik der Stadt gemessen werden. Ein ökologischer Fußabdruck muss eingefordert werden. Nicht widerlegen konnte er, dass durch die Geschäftsmodelle autonomes Fahren und das Internet der Dinge ein Rebound-Effekt eintritt, ob man will oder nicht, und mit 5G die Struktur für mehr Energie- und Ressourcenverbrauch und ein zerstörerisches Wachstum installiert wird.