Entgegen weit verbreiteter Annahme findet beim Mobilfunk überhaupt keine Vorsorge statt: In der Antwort vom 4. Januar 2002 auf eine Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU bestätigte die Bundesregierung ausdrücklich, dass „bei der Ableitung der geltenden Grenzwerte, die die Grundlage der Standortbescheinigung bilden, das Vorsorgeprinzip keine Berücksichtigung gefunden hat" (Bundestagsdrucksache 14/7958).[1]
1. Allein schon diese Tatsache, nämlich der Verzicht auf die nach der Verfassung und Europarecht gebotene Vorsorge, die mit Art. 20a GG nochmals betont worden ist, erscheint fragwürdig. Umso mehr, als er nie Gegenstand parlamentarischer Diskussion gewesen war. Ganz im Gegenteil wurde ein Gesetz "durchgewunken" (Wie konnte es sonst dazu kommen?), das ausdrücklich nicht "vor" elektromagnetischen Feldern, sondern nur "in" diesen schützen soll! (so § 12 FTEG a.F.; ebenso § 32 FuAG (n.F.) = mit irreführender Überschrift!)[2]. Will man so künftig etwa auch nur "in" den Autoabgasen schützen? Dies widerspricht geradezu provokant und langfristig angelegt dem Gedanken der Vorsorge, welcher impliziert, 'möglichst' überhaupt keinem elektro-magnetischen Feld ausgesetzt zu werden (vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.09.2010 - 7 A 7.10 – ) [3].
Eine solche fundamentale Abkehr von verfassungsrechtlichen Schutzprinzipien müsste schon seit Langem politisch problematisiert werden - gerade jetzt, wo eine weitere Stufe der Belastung mit einer Vervielfachung der Strahlung durch 5G und neuen Gefahren[4] sowie unzähligen neuen Sendeanlagen bevorsteht. Bisher wurden noch nicht einmal Rechtsgutachten bei Universitäten eingeholt.
2. Abgesehen davon ist die Situation, in welcher bloße Vorsorge ausreicht, inzwischen längst überschritten - und zwar schon ohne 5G. Es besteht nicht nur eine Besorgnis, sondern eine echte Gefahrenlage, weil nachteilige Auswirkungen des Mobilfunks auf das Nervensystem ebenso wie auf die Genetik (Krebs) gesichert erscheinen. Selbst wenn die Gefahren nur ‚wahrscheinlich’ wären, würde dies rechtlich gebieten, speziell darauf zugeschnittene Schutzregelungen vorzusehen, sowie Abwehr- und erst recht Vorsorgemaßnahmen[5] zu ergreifen.
a) Die Gefahr für das Nervensystem, hier die Kognition, ist zuletzt in einer großen Wiederholungsstudie mit 700 Schülern in der Schweiz - zusätzlich zu schon bisher bestehenden Studien – klar belegt worden: Die nach Daten der Betreiber am meisten mobil telefonierenden Schüler sanken binnen eines Jahres in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich ab, etwa "um die Hälfte des Unterschieds von einem guten zu einem durchschnittlichen Sekundarschüler" (also beispielhaft etwa von Note 2 zu 2/3), wie der Studienleiter der NZZ verriet; https://www.nzz.ch/wissenschaft/handystrahlen-koennen-aufs-gehirn-schlagen-ld.1404643.
Die Schweizer Regierung hatte schon zuvor festgestellt, dass die Veränderung der Hirnwellen nunmehr "wissenschaftlich ausreichend nachgewiesen" ist (2015)[6]. Häufige Kopfschmerzen durch den Einfluss von Funkstrahlung – an denen gerade auch Schüler leiden - werden in einer den Stand der Forschung „rigoros auswertenden" Übersichtsarbeit als "wahrscheinlich" bezeichnet (Wang, 2017).[7] Das Gleiche gilt für Schlafstörungen,[8] die inzwischen bei 80% der Bevölkerung auftreten (DAK).
b) Und bezüglich der Krebsgefahr ist heute wissenschaftlich von "clear evidence" die Rede.[9] Die Krebsinzidenz ist dazu seit Jahren steigend;[10] der Präsident des Deutschen Krebsforschungsinstituts erwartet wörtlich sogar einen "Tsunami an Krebs"[11] und die WHO 70% Steigerung binnen weniger Jahre. Woher weiß man das, wenn nicht durch Ableitung aus einer nachteiligen Veränderung der Umwelt?[12] Und welche flächendeckend seit Jahren die Umwelt verändernde „Hochrisikotechnologie“ (so die Versicherungswirtschaft zum Mobilfunk) könnte hierbei eher in Betracht kommen als eben der Mobilfunk, dessen krebsförderliche Eignung nun sogar mindestens „wahrscheinlich“ ist? Um so mehr, als die Schadstoffbelastung der Luft seit Jahren rückläufig ist?
Den grundlegenden Wandel erbrachten die Großstudien NTP und Ramazzini - neben REFLEX, Interphone, CERENAT und AUVA - sowie hunderte (!) kleinere Studien, darunter 2015 (2017) auch eine Wiederholungsstudie des Bundesamts für Strahlenschutz selbst ("Die Krebspromotion ist nun gesichert"!)[13]. Die eigens zur Bewertung von NTP und Ramazzini ins Leben gerufene schweizerische Wissenschaftskommission der Regierung, BERENIS 2018, ließ daran wie schon zuvor die ebenfalls eigens einberufene Kommission in den USA zu NTP keinen Zweifel:
- "Die Resultate dieser zwei Tierexperimente sind von großer wissenschaftlicher Relevanz und gesundheitspolitischer Bedeutung, weil gemäß der Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) positive Ergebnisse aus Tierversuchen mit lebenslanger Exposition bei der Einstufung des Krebsrisikos eines Wirkstoffes bzw. einer Umweltnoxe ein sehr großes Gewicht haben, nebst Daten aus epidemiologischen und mechanistischen Studien.“.....
Die ‚American Cancer Society’ spricht deshalb von einem „Paradigmenwechsel“, der (allein schon!) durch die Großstudie NTP eingetreten sei. Zahlreiche Forscher fordern nun auch die formelle Höherstufung der Mobilfunkstrahlung im Schädlichkeitsregister der WHO von "möglicherweise kanzerogen" auf "wahrscheinlich-" oder auf "sicher kanzerogen".[14]
Die WHO (IARC) hat nun kürzlich beschlossen, diese Höherstufung zu prüfen; https://www.iarc.fr/news-events/advisory-group-recommendations-on-priorities-for-the-iarc-monographs-programme-during-2020-2024/.
3. Es ist unannehmbar und unverantwortlich, den Roll-Out von 5G mit einer Hektik voranzutreiben, als ob die Existenz jedweder Kommunikation davon abhinge, ohne das Ergebnis dieser Prüfung der WHO und ohne die ebenfalls dringliche Technikfolgenabschätzung des Bundestags zu 5G abzuwarten.
Für ein allenthalben als soziale und technische „Revolution“ bewertetes 'Programm' wie 5G, das nunmehr endgültig an 20a GG zu messen ist, dürfte außerdem ein (sog. Strategisches) Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren notwendig sein (§ 35 Abs. 2 UVPG).[15]
Erst recht, da weiterhin niemand die "Hochrisikotechnologie Mobilfunk" gegen Gesundheitsschäden zu versichern bereit ist, nicht anders als die ebenso bezeichneten "Hochrisiken" NANO-, GEN- und Atom-Technik (Lloyds, Swiss Re, Münchner Rück u.a.).
Will und würde man dann nach der Überprüfung ggf. noch den Betrieb einstellen oder einschränken? Wer entschädigt Betroffene oder die blindlings von der Politik geradezu getriebene und "vorwärts verteidigte" Industrie?
4. Deshalb muss jetzt für 5G ein Moratorium oder in Gemeinden eine ‚Veränderungssperre’ beschlossen werden. Grundsätzlich dürfen Gemeinden mit einem Beschluss über die Aufstellung einer Bauleitplanung mit ‚Mobilfunkkonzept’, welches nach der Rechtsprechung geschützte Wohngebiete vorsehen darf, den Bau von Sendeanlagen aufhalten und sie ggf. aus diesen bestimmten Gebieten verbannen.
5. Ein Aufschub dient auch der Vermeidung eines ungeheuren Energieverbrauchs. Die umfassende Digitalisierung – gerade auch mit 5G - ist ohne Nachhaltigkeitstransformation der "Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen" (wird insbesondere zu einer Übernutzung natürlicher Ressourcen führen), warnte wörtlich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU), was die Umweltministerin aufgriff.[16] Damit hängt zweifellos auch der Klimawandel zusammen.
Und die hektisch umgesetzte Digitalisierung kann zugleich der endgültige Schritt in den Überwachungsstaat sein.
Aus all diesen Gründen ist inne zu halten und erst nach Ermittlung und Vorstellung aller Erkenntnisse und ausführlicher Diskussion mit förmlichen Beschlüssen des Parlaments fortzufahren.