Widerstand gegen 5G – warum eigentlich?

Mindestens 5 Gründe. Artikel und Video-Vortrag
Einwürfe eines Juristen
Verwaltungsrichter a.D. Bernd Irmfried Budzinski auf einer Tagung in Würzburg 2014Quelle: kompetenzinitiative.com

Entgegen weit verbreiteter Annahme findet beim Mobilfunk überhaupt keine Vorsorge statt: In der Antwort vom 4. Januar 2002 auf eine Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU bestätigte die Bundesregierung ausdrücklich, dass „bei der Ableitung der geltenden Grenzwerte, die die Grundlage der Standortbescheinigung bilden, das Vorsorgeprinzip keine Berücksichtigung gefunden hat" (Bundestagsdrucksache 14/7958).[1]

1. Allein schon diese Tatsache, nämlich der Verzicht auf die nach der Verfassung und Europarecht gebotene Vorsorge, die mit Art. 20a GG nochmals betont worden ist, erscheint fragwürdig. Umso mehr, als er nie Gegenstand parlamentarischer Diskussion gewesen war. Ganz im Gegenteil wurde ein Gesetz "durchgewunken" (Wie konnte es sonst dazu kommen?), das ausdrücklich nicht "vor" elektromagnetischen Feldern, sondern nur "in" diesen schützen soll! (so § 12 FTEG a.F.; ebenso § 32 FuAG (n.F.) = mit irreführender Überschrift!)[2]. Will man so künftig etwa auch nur "in" den Autoabgasen schützen? Dies widerspricht geradezu provokant und langfristig angelegt dem Gedanken der Vorsorge, welcher impliziert, 'möglichst' überhaupt keinem elektro-magnetischen Feld ausgesetzt zu werden (vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.09.2010 - 7 A 7.10 – ) [3]

Eine solche fundamentale Abkehr von verfassungsrechtlichen Schutzprinzipien müsste schon seit Langem politisch problematisiert werden - gerade jetzt, wo eine weitere Stufe der Belastung mit einer Vervielfachung der Strahlung durch 5G und neuen Gefahren[4] sowie unzähligen neuen Sendeanlagen bevorsteht. Bisher wurden noch nicht einmal Rechtsgutachten bei Universitäten eingeholt.

2. Abgesehen davon ist die Situation, in welcher bloße Vorsorge ausreicht, inzwischen längst überschritten - und zwar schon ohne 5G. Es besteht nicht nur eine Besorgnis, sondern eine echte Gefahrenlage, weil nach­teilige Auswirkungen des Mobilfunks auf das Nervensystem ebenso wie auf die Genetik (Krebs) gesichert erscheinen. Selbst wenn die Gefahren nur ‚wahrscheinlich’ wären, würde dies rechtlich gebieten, speziell darauf zugeschnittene Schutz­rege­lungen vorzusehen, sowie Abwehr- und erst recht Vorsorgemaßnahmen[5] zu ergreifen.

a) Die Gefahr für das Nervensystem, hier die Kognition, ist zuletzt in einer großen Wiederholungsstudie mit 700 Schülern in der Schweiz - zusätzlich zu schon bisher bestehenden Studien – klar belegt worden: Die nach Daten der Betreiber am meisten mobil telefonierenden Schüler sanken binnen eines Jahres in ihrer Leistungs­fähigkeit deutlich ab, etwa "um die Hälfte des Unterschieds von einem guten zu einem durchschnittlichen Sekundarschüler" (also beispielhaft etwa von Note 2 zu 2/3), wie der Studienleiter der NZZ verriet;  https://www.nzz.ch/wissenschaft/handystrahlen-koennen-aufs-gehirn-schlagen-ld.1404643.

Die Schweizer Regierung hatte schon zuvor festgestellt, dass die Veränderung der Hirnwellen nunmehr "wissenschaftlich ausreichend nachgewiesen" ist (2015)[6]. Häufige Kopfschmerzen durch den Einfluss von Funkstrahlung – an denen gerade auch Schüler leiden - werden in einer den Stand der Forschung „rigoros auswertenden" Übersichtsarbeit als "wahrscheinlich" bezeichnet (Wang, 2017).[7] Das Gleiche gilt für Schlaf­störungen,[8] die inzwischen bei 80% der Bevölkerung auftreten (DAK).

b) Und bezüglich der Krebsgefahr ist heute wissenschaftlich von "clear evidence" die Rede.[9] Die Krebs­inzidenz ist dazu seit Jahren steigend;[10] der Präsident des Deutschen Krebsforschungsinstituts erwartet wörtlich sogar einen "Tsunami an Krebs"[11] und die WHO 70% Steigerung binnen weniger Jahre. Woher weiß man das, wenn nicht durch Ableitung aus einer nachteiligen Veränderung der Umwelt?[12] Und welche flächen­deckend seit Jahren die Umwelt verändernde „Hochrisikotechnologie“ (so die Versicherungswirtschaft zum Mobilfunk) könnte hierbei eher in Betracht kommen als eben der Mobilfunk, dessen krebsförderliche Eignung nun sogar min­destens „wahrscheinlich“ ist? Um so mehr, als die Schadstoffbelastung der Luft seit Jahren rückläufig ist?

Den grundlegenden Wandel erbrachten die Großstudien NTP und Ramazzini - neben REFLEX, Interphone, CERENAT und AUVA - sowie hunderte (!) kleinere Studien, darunter 2015 (2017) auch eine Wieder­holungs­studie des Bundesamts für Strahlenschutz selbst ("Die Krebspromotion ist nun gesichert"!)[13]. Die eigens zur Bewertung von NTP und Ramazzini ins Leben gerufene schweizerische Wissenschaftskommission der Regierung, BERENIS 2018, ließ daran wie schon zuvor die ebenfalls eigens einberufene Kommission in den USA zu NTP keinen Zweifel:

  • "Die Resultate dieser zwei Tierexperimente sind von großer wissenschaftlicher Relevanz und gesundheits­politischer Bedeutung, weil gemäß der Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) positive Ergebnisse aus Tierversuchen mit lebenslanger Exposition bei der Einstufung des Krebsrisikos eines Wirkstoffes bzw. einer Umweltnoxe ein sehr großes Gewicht haben, nebst Daten aus epidemiologischen und mechanistischen Studien.“..... 

Die ‚American Cancer Society’ spricht deshalb von einem „Paradigmenwechsel“, der (allein schon!) durch die Großstudie NTP eingetreten sei. Zahlreiche Forscher fordern nun auch die formelle Höherstufung der Mobil­funk­strahlung im Schädlichkeitsregister der WHO von "möglicherweise kanzerogen" auf "wahrscheinlich-" oder auf "sicher kanze­rogen".[14]  

Die WHO (IARC) hat nun kürzlich beschlossen, diese Höherstufung zu prüfen;  https://www.iarc.fr/news-events/advisory-group-recommendations-on-priorities-for-the-iarc-monographs-programme-during-2020-2024/.

3. Es ist unannehmbar und unverantwortlich, den Roll-Out von 5G mit einer Hektik voranzutreiben, als ob die Existenz jedweder Kommunikation davon abhinge, ohne das Ergebnis dieser Prüfung der WHO und ohne die ebenfalls dringliche Technikfolgenabschätzung des Bundestags zu 5G abzuwarten.

Für ein allent­halben als so­ziale und technische „Revolution“ bewertetes 'Programm' wie 5G, das nunmehr end­gültig an 20a GG zu messen ist, dürfte außerdem ein (sog. Strate­gisches) Umwelt­verträglichkeitsprü­fungs­ver­fahren notwendig sein (§ 35 Abs. 2 UVPG).[15]

Erst recht, da weiterhin niemand die "Hochrisikotechnologie Mobilfunk" gegen Gesundheitsschäden zu ver­sichern bereit ist, nicht anders als die eben­so bezeichneten "Hochrisiken" NANO-, GEN- und Atom-Technik (Lloyds, Swiss Re, Münchner Rück u.a.).

Will und würde man dann nach der Überprüfung ggf. noch den Betrieb einstellen oder einschränken? Wer entschädigt Betroffene oder die blindlings von der Politik geradezu getriebene und "vorwärts verteidigte" Industrie?

4. Deshalb muss jetzt für 5G ein Moratorium oder in Gemeinden eine ‚Veränderungs­sperre’ beschlossen werden. Grundsätzlich dürfen Gemeinden mit einem Beschluss über die Aufstellung einer Bauleitplanung mit ‚Mobil­funkkonzept’, welches nach der Rechtsprechung geschützte Wohngebiete vorsehen darf, den Bau von Sendeanlagen aufhalten und sie ggf. aus diesen bestimmten Gebieten verbannen.

5. Ein Aufschub dient auch der Vermeidung eines ungeheuren Energieverbrauchs. Die umfassende Digitalisie­rung – gerade auch mit 5G - ist ohne Nachhaltigkeitstransformation der "Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen" (wird insbesondere zu einer Übernutzung natürlicher Ressourcen führen), warnte wörtlich der Wis­sen­schaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU), was die Umweltmini­sterin aufgriff.[16] Damit hängt zweifellos auch der Klimawandel zusammen.

Und die hektisch umgesetzte Digitalisierung kann zugleich der endgültige Schritt in den Überwachungsstaat sein.

Aus all diesen Gründen ist inne zu halten und erst nach Ermittlung und Vorstellung aller Erkenntnisse und ausführlicher Diskussion mit förmlichen Beschlüssen des Parlaments fortzufahren.

Quellen:

[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/079/1407958.pdf  - Die bloße Sicherheitsmarge zwischen Gefahrenschwelle und messtechnischer Festsetzung des ‘Grenzwerts’, hier mit dem Faktor 50, um Mess- und Bewertungsunsicherheiten Rechnung zu tragen, enthält schon prinzipiell keinerlei Vorsorgewert. Der Faktor 50 für den Mobilfunk (für Berufe 20!) bleibt außerdem schon rein technisch weit hinter den für toxische Stoffe üblichen Sicherheitsfaktoren von 1000, mindestens aber 100, zurück, wie 3 Wissenschaftler bei ihrer Anhörung 2013 im Deutschen Bundestag bemängelten und eine Höher­stufung forderten. 

[2] Ist es Zufall, dass dem neuen § 32 FuAG eine seinem Inhalt widersprechende Überschrift gegeben wurde, nämlich “vor” den elektromagnetischen Feldern zu schützen, weswegen der wahre Inhalt dem rasch die Vorschrift überfliegenden Leser (Abgeordneten) durchaus entgehen könnte? Um so mehr, als die Bestimmung auch schon im Gesetzentwurf die irre­führende Überschrift trug: “§ 32 - Schutz von Personen vor elektromagnetischen Feldern” (BT-Drucks. 18/11625 vom 22.03.2017).

[3] Wortlaut der Entscheidung des Gerichts: Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Nutzen einer Exposition und deren Zumutbarkeit ist auch das „Interesse an jeglicher Verschonung vor elektro-magnetischen Feldern, auch wenn diese die Grenzwerte unter­schreiten“, zu berücksichtigen.

[4] Vgl. etwa Diagnose-Funk, kompakt, Heft 2/2019, S. 17-19; https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1421

[5] Dies hielt die Strahlenschutzkommission 2008 schon nach damaligem Erkenntnisstand – auch nach dem DMF - für “unabdingbar”; Weiss, Bundesamt für Strahlenschutz – www.emf-forschungsprogramm.de/abschlussphase/DMF_ FinalConference_June2008 Weiss.pdf – S. 8. –; als “unabweisbar” bezeichnete dies auch schon die Positionsbestimmung des BfS zu Fragen des Strahlenschutzes „Leitlinien Strahlenschutz“ vom 1. 6. 2005, S. 42 ff., in: – www.bfs.de –

[6] Schweiz. Bundesrat v. 25. 2. 2015, S. 2; http://www.bakom.admin.ch/dokumentation/gesetzgebung/00512/ 04869/index.html?lang=de.

[7] https://www.nature.com/articles/s41598-017-12802-9: “The results of our meta-analysis and lots of previous studies herein supported current clinical opinion that MP use may cause increased risk for headache. Therefore, it is advisable to admit that the use of MP is a risk factor for headache.”

[8] So spricht die umfangreiche Studie zum Radiosender Schwarzenburg von einem „statistisch signifikanten Zusammenhang“ (http://www.bafu.admin.ch/elektrosmog/01095/01096/index.html?lang=de) und weiter: „Die Durchschlafstörungen standen in einer direkten Beziehung zur elektromagnetischen Feldstärke des Senders“; http://elmar.swisstph.ch/get/report.php?id=1003. Leider wurden diese Links inzwischen auf den offiziellen Seiten gelöscht, die gesamte Studie mit diesen Aussagen kann noch hier heruntergeladen werden: https://mail.avaate.org/IMG/pdf/altpeter06.pdf

Zur Schlafproblematik siehe auch: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=744

[9] https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1304

[10] http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/krebs-zahl-derkrebskranken-steigt-rasant-a-950754.html  und http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/news/welt-krebs-bericht-2014-anzahl-der-krebs-erkrankungen-steigt-weltweit-rasant-an_id_3587653.html  und https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=532 .

[11] https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/krebs/id_85199626/reaktion-auf-spahn-aussage-krebsforscher-warnt-vor-tsunami-von-erkrankungen.html

[12] Krebsanstieg auch bei Jugendlichen: „Die Autoren … diskutieren unter anderem die Rolle von Umwelteinflüssen“; http://news.doccheck.com/de/168558/mehrkrebserkrankungen-bei-jugendlichen/.

[13] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Umweltministerin-Digitalisierung-Brandbeschleuniger-gegenwaertiger-Krisen-4419394.html

[14] https://microwavenews.com/short-takesarchive/iarc-urged-reassess-rf;  Miller, A.B.: Cancer epidemiology update, following the 2011 IARC evaluation of radiofrequency electromagnetic fields (Monograph 102), Environmental Research (2018), https://doi.org/10.1016/j.envres.2018.06.043 .

[15] Immerhin hielt früher einmal das seinerzeit zuständige Ministerium – durchaus in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Kalkar - eigentlich den Erlass eines umfassenden „Mobil­funk­gesetzes“ nach Art. 20 Abs. 3 GG für erforderlich – möglichst sogar wie beim Atomrecht mit einer Verankerung im Grundgesetz!

[16] https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1416

Anm.: Die nebenstehenden Fachartikel zum Download sind mit Genehmigung der Autoren eingestellt.

Publikation zum Thema

Bild: diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 27.11.2011 Sprache: DeutschHerausgeber: 'Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ -', Heft 19, 2011, S. 1165, Verlag C. H. Beck

Von der Versorgung ohne Auftrag zur Bestrahlung ohne Gesetz

Warten auf die "lex Mobilfunk"
Autor:
Bernd Irmfrid Budzinski, Richter am VG a. D.
Inhalt:
Das Menschenrecht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 I EMRK) gilt auch gegenüber den Immissionen des Mobilfunks - entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2007. Die planmäßige und durchdringende Bestrahlung der Innenräume aller Wohnungen bedarf deshalb der gesetzlichen Rechtfertigung (Art. 8 I EMRK). Doch kein Gesetz erlaubt sie. Denn die sogenannte Indoor-Versorgung ins Innere von Wohnungen, um auch dort Mobilfunkempfang zu ermöglichen, war nicht geplant, berichten die Pioniere des Mobilfunks. Diese stillschweigende Ausweitung des Versorgungskonzepts eröffnete abweichend von der ursprünglich nur im Freien erwarteten Strahlenbelastung nun pausenlos - so auch zu Hause und des Nachts - die „unkontrollierte Exposition der Bevölkerung“. Dafür fehle die „allgemeine Rechtsgrundlage“ bzw. der gesetzliche „Entscheidungsrahmen der Legislative“, meinten das Bundesamt für Strahlenschutz und die Strahlenschutzkommission 2006. Ungeachtet dessen und der hinzukommenden Mahnung des Leiters des Ausschusses für nicht-ionisierende Strahlung der Strahlenschutzkommission 2007, wenigstens nicht ohne Tests zu den biologischen Auswirkungen ständig neue Funktechnologien einzuführen, wird das neue LTE-Netz nunmehr sofort flächendeckend und ohne diese Prüfung mit einer noch stärkeren Durchdringung der Häuser "bis in den Keller" aufgebaut; kommen neue Anwendungen (z.B. das funkgestützte Smart Meter) hinzu, die diese Intensität voraussetzen. Die überfällige rechtliche Prüfung zeigt, dass der Mobilfunkbetrieb insoweit tatsächlich ohne ausreichende rechtliche Grundlage stattfindet.
Artikel veröffentlicht:
16.07.2019
Artikel aktualisiert:
05.12.2019
Autor:
Bernd I. Budzinski

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