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Elektrohypersensitivität und Kanzerogenität

Studienrecherche 2016-3 veröffentlicht
ATHEM - Report 2 der AUVA-Versicherung bestätigt Kanzerogenität / EHS-Leitlinien und Fallbeispiele / Hypothesen zu Wirkmechanismen

Kanzerogenität: Im letzten halben Jahr wurden zwei bedeutende Studien zur Kanzerogenität der nicht-ionisierenden Strahlung publiziert. In den USA wurden im Mai 2016 die ersten Teilergebnisse der Studie des National Toxicology Program (NTP), der bisher umfassendsten Tierstudie (Ratten) zu nicht-ionisierender Strahlung und Krebs, vorgestellt. Das Ergebnis der NTP-Studie: Mobilfunkstrahlung kann zu Tumoren führen (s. Studienrecherche 2016-2).

Im August 2016 veröffentlichte die österreichische Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) den ATHEM-Report II "Untersuchung athermischer Wirkungen elektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereich", durchgeführt an der Medizinischen Universität Wien. Beim ATHEM-Projekt lag ein Schwerpunkt auf Labor-Untersuchungen zum zellulären Mechanismus möglicher gentoxischer Wirkungen. Die Ergebnisse: Mobilfunkstrahlung schädigt das Erbgut (DNA), der Schädigungsmechanismus ist oxidativer Zellstress, die Schädigungen sind athermische Wirkungen, vor denen die geltenden Grenzwerte nicht schützen. Die Ergebnisse im Detail werden in dieser Ausgabe besprochen.

Neben diesen Groß-Studien gibt es inzwischen mehr als 50 Einzelstudien in-vivo und in-vitro, die DNA-Strangbrüche nachweisen. In dieser Ausgabe besprechen wir die Studie von Banerjee et al. (2016), die einen signifikanten Anstieg der Mikrokernzahl in den Wangenschleimhäuten nachweist. Mikrokerne werden durch DNA-Schäden oder verkehrte Anordnung von Chromosomen gebildet, sind eng verbunden mit Krebs-Entstehung.

Diese Studienrecherche hat zwei weitere Schwerpunkte: Elektrohypersensitivität (EHS) und neue Hypothesen zu Wirkmechanismen der nicht-ionisierenden Strahlung.

Elektrohypersensitivität: Die Europäische Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM-European Academy for Environmental Medicine) hat die"EUROPAEM EMF‐Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF‐bedingter Beschwerden und Krankheiten" auf Englisch und Deutsch veröffentlicht. Die Leitlinie stellt den aktuellen Stand der Forschung zu den Risiken der niederfrequenten und hochfrequenten elektromagnetischen Felder (EMF) und zur Elektrohypersensitivität  dar und gibt Empfehlungen, wie Ärzte EHS diagnostizieren und behandeln können.

Wir berichten weiter über zwei EHS-Fallbeispiele. Johansson/Redmayne (2015) untersuchten den Fall einer Patientin, die eine selektive Empfindlichkeit auf bestimmte Frequenzen im 2,4-GHz-Bereich hat. Black et al. (2016) untersuchten, wie verletzte Nerven auf elektromagnetische Felder reagieren. Anlass war der kriegsversehrte US-Major David Underwood. Wenn bei Autofahrten die Netzsuche des Handys einsetzte, fühlte sich der Schmerz beinahe so an, als würde sein Arm erneut weggerissen. Nach Gesprächen mit Underwood entschloss sich Prof. Romero-Ortega (Dallas), das beschriebene Phänomen zu erforschen. Tierexperimente unterstützen die Berichte, dass Mikrowellenstrahlung ein Auslöser für Schmerzen nach Durchtrennung des Nervs sein kann. Der Review von Rea (2016) ist eine Zusammenschau und Erfahrungsbericht in der Behandlung umweltbedingter Krankheiten.

Einen interessanten Einzelaspekt untersuchten Scholkmann et al. (2016) in der Studie "Der Tag-Nacht-Rhythmus von Nabelschnur-Blutparametern korreliert mit der Geomagnetischen Aktivität – eine Analyse von Langzeitmessungen (1999–2011)", also den Zusammenhang zwischen Magnetfeld und Organismus. 

Wirkmechanismen: Eine zentrale Frage ist, welchen Einfluss schwache Mikrowellen auf die endogenen elektrischen Ströme und Felder in den Zellen haben. Yakymenko et al. (2015) haben mit ihrem Review überzeugend geklärt, dass ein Hauptwirkmechanismus oxidativer Zellstress ist (s. Studienrecherche 2015-3). Der Erkenntnisprozess zu Wirkmechanismen schreitet weiter voran. Neue Hypothesen und Erkenntnisse von Scholkmann (2016), Fels (2016), Hinrikus et al. (2015) und  Barnes/Greenebaum (2016) stellen wir in dieser Recherche vor. Scholkmann (2016) zeigt, dass es innerhalb der Zelle elektrische "Leitungen" gibt. Die Mitochondrien können Netzwerke bilden, die in der Lage sind, elektrische Ströme zu leiten. Auch zwischen den Zellen gibt es elektrische Verbindungen in Form von regelrechten "Kabeln" („membrane nanotubes“), die sogar Mitochondrien enthalten können. Diese Verbindungen zwischen Zellen (Cell-to-Cell-Communication) dienen vermutlich der elektrischen Signalübermittlung. Es ist nicht auszuschließen, dass technisch erzeugte EMF diese feinen zellulären Kommunikationswege stören können.

Kommunikationswege zwischen den Zellen untersuchte Fels (2016). In der Natur werden Informationen bei Lebewesen über chemische oder über elektrische Signale übertragen. Diese Experimente erfolgten, um die bereits in der Vergangenheit (erstmals vor 100 Jahren) durchgeführten Kommunikations-Experimente an Bakterien, Zwiebelwurzel-Zellen, Seeigel- und Frosch-Eiern mit moderner Technik zu überprüfen.

Hinrikus et al. (2015) konnten aufzeigen, dass ein weiterer Wirkmechanismus für nicht-thermische EMF-Effekte der Einfluss auf die Diffusion sein kann. Mikrowellenstrahlung führt zu einer Polarisierung des Wassermoleküls und hat damit einen Effekt auf die Wasserstoff-Brückenbindungen. Dies führt dazu, dass sich die Wasser-Viskosität erniedrigt. Diffusionsprozesse in Zellen und im Gewebe sind essentiell für das Funktionieren biologischer Prozesse. Einflüsse auf diesen fundamentalen Aspekt könnten auch weitreichende Konsequenzen haben.

Im Jahr 2012 publizierte Dr. H.-Peter Neitzke vom ECOLOG - Institut den Artikel "Einfluss schwacher Magnetfelder auf Biologische Systeme: Biophysikalische und biochemische Wirkungsmechanismen" (EMF Monitor 4/2012), in dem er die Wirkung der Strahlung auf der Ebene der Elektronen zeigt.  In dieser Arbeit werden die Induktion elektrischer Ströme, die Einkopplung über Magnetit-Kristalle und der Radikal-Paar-Mechanismus als biophysikalische Ansätze zur Erklärung des Einflusses von Magnetfeldern auf physiologische Prozesse vorgestellt. Diesen Wirkmechanismus beschreiben und bestätigen aktuell die US-Hochfrequenz Forscher Barnes/Greenebaum (2016) in ihrem Artikel "Einige Wirkungen von schwachen Magnetfeldern auf biologische Systeme: HF-Felder können die Konzentration von Radikalen und Krebszell-Wachstumsraten verändern."

Ein weiterer Wirkmechanismus wird in der 12-seitigen Sonderbeilage der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft 3/2016 dargestellt. Der Physiker Dr. Klaus Scheler interpretiert dort die in den Scientific Reports (Hrsg. Nature-Gruppe) am 12.10.2015 veröffentlichte Studie von Panagopoulos et al. (2015) "Polarisation: ein wesentlicher Unterschied zwischen künstlich erzeugten und natürlichen elektromagnetischen Feldern in Bezug auf biologische Aktivität".

Die Zeitschrift enthält auch den Artikel von Peter Hensinger / Isabel Wilke: "Mobilfunk: Neue Studienergebnisse bestätigen Risiken der nicht-ionisierenden Strahlung", ein 11-seitiger umfassender Forschungsüberblick. Weitere Informationen siehe rechts.

Lesen Sie die 16-seitige Studienrecherche, unten folgend als PDF.

Hinweise

Die Studienrubriken sind nach Endpunkten angeordnet, nicht nach Frequenzen.

Fachbegriffe können im Glossar des EMF-Portals - www.emf-portal.de - nachgeschlagen werden.

Tierversuche:  Wie besprechen in der Studienrecherche die objektiven Ergebnisse von Studien, die oft an Tieren durchgeführt werden und deshalb ethisch in Frage gestellt werden müssen.

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Publikation zum Thema

Artikel veröffentlicht:
11.10.2016
Autor:
diagnose:funk
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