Mit Koalitionsmehrheit wurde er am 23. Juni nicht nur gegen die Stimmen der Opposition, sondern auch gegen Änderungsvorschläge des Bundesrates durchgesetzt. Verbraucherschutzverbände protestierten dagegen. Überhaupt widerspricht der Entwurf dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung, wie Umfragen zeigen. Das konnte gelingen, weil die Formulierungen der folgenreichen Gesetzesvorlage so schwer verständlich waren, dass sich die Frage aufdrängt, wie viel List auch hier am Werk war. Wussten die Abgeordneten, worüber sie da abstimmten?
Keine Wahlfreiheit mehr
Die List des Kontextes: Zwar finden sich die neuen Vorschriften über „intelligente“ Stromzähler und Messsysteme im Gesetz über die „Digitalisierung der Energiewende“. Der Zusammenhang greift aber viel weiter als diese Überschrift. Denn der Gesetzentwurf bereitet indirekt den Weg für das „Internet der Dinge“ – und so für allerlei Mehrwertdienste etwa im Bereich „Betreutes Wohnen“ oder „Komfort“. Das hat wenig bis gar nichts mit der „Energiewende“ zu tun. Es geht hier in Wahrheit um die gesetzesgestützte Durchsetzung der digitalen Revolution (auch eine „Wende“!) insbesondere im Interesse von Industrie und Wirtschaft. Und zwar gegen alle bekannte Kritik an der „smarten Diktatur“ (Harald Welzer).
Die List des bestrittenen Zwangs: Das neue Gesetz soll dazu dienen, dass in allen Haushalten ohne deren Zustimmung intelligente Messsysteme eingebaut werden können. Vornehmlich geht es ums Stromzählen. Dagegen war von Abgeordnetenseite im Vorfeld zu hören, ein entsprechender Zwang betreffe nur Verbraucher mit einem Jahresverbrauch ab 6000 Kilowattstunden. Wahr ist hingegen: Messstellenbetreibern soll es ab 2020 erlaubt sein, auch Kunden mit einem Verbrauch von unter 6000 Kilowattstunden mit intelligenten Systemen auszustatten – und zwar unabhängig von deren Einverständnis. Auch Kleinstanlagen zur Stromerzeugung werden ab 2018 betroffen sein. Einschränkungen beziehen sich lediglich auf wirtschaftliche Vertretbarkeit und technische Realisierbarkeit. „Optional“ klingt gut, gilt jedoch nur für den Einbauwunsch auf Seiten der Firmen. Ein „Opt-out“ auf Seiten der Kundschaft besteht ab den genannten Jahren dagegen nicht. Ganz schön schlau!
Die List der bestrittenen Häufigkeit: Gern wurde im Vorfeld der Abstimmung behauptet, es gebe keinen Grund zur Aufregung, da bei Letztverbrauchern unter 6000 Kilowattstunden doch nur einmal im Jahr Daten übermittelt würden. Wahr ist hingegen: Die einmal pro Jahr vorgesehene Übertragung betrifft lediglich den Standardtarif, nicht die variablen Tarife, die die eigentlichen Vorteile zur Energieeinsparung bringen könnten. Smart Meter Gateways können in mehreren Bereichen mit mehreren Stellen kommunizieren – etwa zu externen Marktteilnehmern, zu häuslich anderweitig installierten Zählern und auf Wunsch zu einem Display des Verbrauchers. All dies dürfte per häufigem, womöglich alle paar Sekunden erfolgendem Funk vonstatten gehen. Problematisch könnte dies gerade in Mehrfamilienhäusern werden.
Strahlenschutz ade?
Die List der Behauptung freier Wahl: Dem neuen Gesetz zufolge ist der für die Zähler zuständige Messstellenbetreiber unter bestimmten Aspekten frei wählbar. Doch Listen von wettbewerblichen Messstellenbetreibern sind nirgends zu haben. Man geht davon aus, dass sich Betreiber direkt in Form von Werbeschreiben oder dergleichen an mögliche Kunden wenden und sich Angebote entwickeln werden, von denen die interessierte Öffentlichkeit Informationen erhält. Fraglich bleibt zudem, ob tatsächlich emissionsarme, insbesondere funkfreie Alternativen mittel- und langfristig zur Wahl stehen werden, auf die doch bekanntlich manche Kunden bestehen. Das neue Gesetz setzt hier listig auf den freien Markt statt auf die Freiheit des Individuums. Doch dass der Markt von technologisch-industriellen Interessen geprägt wird, wissen alle Schlauen.
Die List purer Ignoranz gegenüber der Strahlenschutzfrage: Beschwichtigend wird oft behauptet, Funk-Technologie, wie sie im Zuge der Digitalisierung vielfach zum Einsatz komme, sei gesundheitlich unbedenklich. Wahr ist dagegen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Teil elektromagnetischer Felder und namentlich auch den mit Hochfrequenz arbeitenden Funk als möglicherweise krebserregend eingestuft. Kürzlich bekannt gewordene Forschungsergebnisse aus den USA untermauern entsprechende Besorgnisse. Einer der größten Rückversicherer der Welt, die Swiss Re, hat bereits 2013 Mobilfunk in die höchste Risikostufe eingruppiert. Voriges Jahr hat der internationale Versicherungsmakler Lloyds of London eine Haftung für Schäden durch elektromagnetische Strahlung ausgeschlossen. Nicht von ungefähr warnten schon vor einigen Jahren der Internationale Ärzte-Appell und der Ständige Ausschuss des Europarates. Ungeachtet gebotener Vorsorgepolitik wurden jedoch Fragen des Gesundheitsschutzes im neuen Gesetz völlig außen vor gelassen.
Digitales Stromzählen dürfte teurer werden
Die List der fehlenden Garantie auf freie Technikwahl: Nur scheinbar wird der politische Grundsatz der Technikneutralität in dem neuen Gesetz gewahrt. Tatsache ist indessen: Es wird nicht konsequent dafür Sorge getragen, dass Endverbraucher, wenn sie schon Strom unbedingt digital zählen lassen müssen, wenigstens Wahlmöglichkeiten innerhalb unterschiedlicher digitaler Techniken behalten. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat gemahnt: „Dem Grundsatz des Strahlenschutzes entsprechend, Belastungen wenn möglich zu minimieren oder ganz zu vermeiden, sollten intelligente Zähler und Messsysteme bevorzugt werden, die ihre Daten kabelgebunden übertragen.“ Doch nirgends wird im neuen Gesetz ein Recht auf kabelgebundene Zähltechnologie garantiert. Und es findet sich keine Vorsorgeregelung zu Gunsten von besonders emissionsarmen kabelgebundenen Technologien wie etwa Ethernet-LAN, Festnetz-DSL oder Glasfaser-Lösungen, die aus baubiologischer Sicht einer Übertragung über die Stromleitungen eines Haushalts (PLC) allemal vorzuziehen wären. Warum wird so viel Freiheit eigentlich nicht mehr gewährleistet?
Die List der verschwiegenen Hacker-Problematik: Das neue Gesetz schützt primär die Interessen von Industrie und Wirtschaft, aber kaum die der Bevölkerung. Das zeigt sich nicht nur daran, dass digitales Stromzählen teurer werden dürfte als analoges, sondern auch an der unzureichenden Berücksichtigung der Möglichkeit von Hackerangriffen auf die total digitalisierte Infrastruktur. Diese können katastrophale Auswirkungen haben. Heute dagegen gilt die Sicherheit der Stromversorgung laut Bundesnetzagentur noch als so hoch wie nie zuvor.
Digitale Revolution auf dem Vormarsch
Die Freiheit des einen findet bekanntlich ihre Grenzen bei der Freiheit des anderen. Dass dieser ethische Grundsatz im Zuge der digitalen Revolution immer mehr erodiert, dafür sind die zum Teil listig formulierten Regelungen zum digitalen Stromzählen im neuen Gesetz ein trauriges Beispiel. Theoretisch ließen sich die genannten Irritationen noch dadurch einer bürgerfreundlichen Klärung näherbringen, dass der Bundesrat Einspruch erheben würde und der Vermittlungsausschuss angerufen werden müsste. Das brächte in der Folge Zeit für verstärkte Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung, eventuell sogar für eine einschlägige Petition.
Auch könnte der Bundespräsident zu dem Ergebnis kommen, dass gegen dieses neue Gesetz so durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken (z.B. mit Blick auf den grundgesetzlichen Schutz der eigenen Wohnung) bestehen, dass er an einer Ausfertigung gehindert ist. Aber wahrscheinlich wird sich die digitale Revolution auch auf diesem Sektor nicht aufhalten lassen.