Die Tücken im Energiewende-Gesetz

Stromzählen wird künftig digital abgewickelt
Stromzählen soll künftig digital abgewickelt werden. Doch der vom Bundestag beschlossene Gesetzentwurf zum Einbau von Smart Metern ist im Detail sehr problematisch. Verbraucher müssen mit vielen Nachteilen rechnen. Der Begriff smart bedeutet auf deutsch schlau, intelligent, aber auch listig. Gilt all dies nicht auch von dem jetzt im Bundestag beschlossenen Gesetz, das den künftigen Einbau von smarten Messsystemen regeln soll? Steckt im Gesetzesentwurf zur Digitalisierung der Energiewende nicht manch Listiges?
Prof. Dr. Werner ThiedeFoto: privat

Mit Koalitionsmehrheit wurde er am 23. Juni nicht nur gegen die Stim­men der Opposition, sondern auch gegen Änderungsvorschläge des Bundesrates durchge­setzt. Verbraucherschutzverbände protestierten dagegen. Überhaupt widerspricht der Entwurf dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung, wie Umfragen zeigen. Das konnte gelingen, weil die Formulierungen der folgenreichen Gesetzesvorlage so schwer ver­ständlich waren, dass sich die Frage auf­drängt, wie viel List auch hier am Werk war. Wussten die Abge­ord­neten, worüber sie da abstimmten?

Keine Wahlfreiheit mehr

Die List des Kontextes: Zwar finden sich die neuen Vorschriften über „intelligente“ Stromzähler und Mess­sys­te­me im Gesetz über die „Digitalisierung der Energie­wende“. Der Zusam­menhang greift aber viel weiter als diese Überschrift. Denn der Gesetzentwurf bereitet indirekt den Weg für das „Internet der Dinge“ – und so für allerlei Mehr­wertdienste etwa im Bereich „Betreutes Wohnen“ oder „Kom­fort“. Das hat wenig bis gar nichts mit der „Energiewende“ zu tun. Es geht hier in Wahrheit um die ge­setzes­ge­stütz­te Durch­setzung der digita­len Revolution (auch eine „Wende“!) insbesondere im Interesse von Industrie und Wirt­schaft. Und zwar gegen alle bekannte Kritik an der „smarten Dikta­tur“ (Harald Welzer).

Die List des bestrittenen Zwangs: Das neue Gesetz soll dazu dienen, dass in allen Haushalten ohne deren Zu­stimmung intel­ligente Mess­sys­teme einge­baut werden können. Vornehmlich geht es ums Stromzählen. Dagegen war von Abgeordnetenseite im Vorfeld zu hören, ein entspre­chender Zwang betreffe nur Verbraucher mit einem Jahresverbrauch ab 6000 Kilowatt­stun­den. Wahr ist hinge­gen: Mess­stellenbetreibern soll es ab 2020 er­laubt sein, auch Kund­en mit einem Ver­brauch von unter 6000 Kilowattstunden mit intelligenten Systemen auszu­statten – und zwar unab­hängig von deren Einverständnis. Auch Kleinstanlagen zur Stromer­zeugung wer­den ab 2018 betroffen sein. Ein­schränkungen beziehen sich lediglich auf wirt­schaftliche Ver­tretbarkeit und techni­sche Realisierbarkeit. „Optional“ klingt gut, gilt jedoch nur für den Einbauwunsch auf Seiten der Firmen. Ein „Opt-out“ auf Seiten der Kundschaft besteht ab den genannten Jahren dagegen nicht. Ganz schön schlau!

Die List der bestrittenen Häufigkeit: Gern wurde im Vorfeld der Abstimmung behauptet, es gebe keinen Grund zur Auf­regung, da bei Letzt­verbrauchern unter 6000 Kilowattstunden doch nur einmal im Jahr Daten übermittelt würden. Wahr ist hingegen: Die einmal pro Jahr vorgesehene Über­tragung betrifft lediglich den Standardtarif, nicht die variablen Tarife, die die eigentlichen Vorteile zur Energieeinsparung bringen könnten. Smart Meter Gateways können in mehreren Be­rei­chen mit mehreren Stellen kom­munizieren – etwa zu ex­ternen Marktteilnehmern, zu häuslich anderweitig installierten Zählern und auf Wunsch zu einem Display des Verbrauchers. All dies dürfte per häufigem, womöglich alle paar Sekunden er­fol­gendem Fun­k vonstatten gehen. Problematisch könnte dies gerade in Mehr­fami­lien­häusern werden.

Strahlenschutz ade?

Die List der Behauptung freier Wahl: Dem neuen Gesetz zufolge ist der für die Zähler zuständige Messstellenbetreiber unter bestimmten Aspekten frei wählbar. Doch Listen von wett­bewerblichen Messstellenbetreibern sind nirgends zu haben. Man geht davon aus, dass sich Betreiber direkt in Form von Werbeschreiben oder dergleichen an mögliche Kunden wenden und sich Angebote entwickeln werden, von denen die interes­sier­te Öffentlichkeit Informationen erhält. Fraglich bleibt zudem, ob tatsächlich emissions­arme, insbesondere funkfreie Alter­nativen mittel- und langfristig zur Wahl stehen werden, auf die doch bekanntlich manche Kunden bestehen. Das neue Gesetz setzt hier listig auf den freien Markt statt auf die Freiheit des Indivi­duums. Doch dass der Markt von technologisch-indus­triellen Interessen geprägt wird, wissen alle Schlauen.

Die List purer Ignoranz gegenüber der Strahlenschutzfrage: Beschwichtigend wird oft behaup­tet, Funk-Technologie, wie sie im Zuge der Digitalisierung vielfach zum Einsatz komme, sei gesundheitlich unbe­denk­lich. Wahr ist dage­gen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Teil elek­tromagnetischer Felder und namentlich auch den mit Hoch­frequenz arbei­tenden Funk als möglicherweise krebser­regend ein­ge­stuft. Kürzlich bekannt gewordene Forschungsergebnisse aus den USA untermauern entsprechende Besorgnisse. Einer der größten Rückversi­che­rer der Welt, die Swiss Re, hat bereits 2013 Mobil­funk in die höchste Risikostufe ein­grup­piert. Voriges Jahr hat der internationale Versiche­rungsmakler Lloyds of London eine Haf­tung für Schäden durch elektro­magnetische Strahlung ausge­schlos­sen. Nicht von unge­fähr warnten schon vor einigen Jahren der Internationale Ärzte-Appell und der Ständige Ausschuss des Euro­parates. Ungeachtet gebotener Vor­sorgepolitik wurden jedoch Fragen des Ge­sundheitsschutzes im neuen Gesetz völlig außen vor gelassen.

Digitales Stromzählen dürfte teurer werden

Die List der fehlenden Garantie auf freie Technikwahl: Nur scheinbar wird der politische Grundsatz der Technikneutralität in dem neuen Gesetz gewahrt. Tatsache ist indessen: Es wird nicht konsequent dafür Sorge getragen, dass Endverbraucher, wenn sie schon Strom unbedingt digital zäh­len lassen müssen, wenig­stens Wahl­mög­lichkeiten innerhalb unterschied­licher digitaler Techniken behalten. Das Bun­desamt für Strahlenschutz hat gemahnt: „Dem Grund­satz des Strahlenschutzes entsprechend, Belastungen wenn möglich zu mini­mie­ren oder ganz zu vermeiden, sollten intelligente Zähler und Messsysteme bevorzugt wer­den, die ihre Daten kabelge­bunden übertragen.“ Doch nirgends wird im neuen Ge­setz ein Recht auf kabelgebundene Zähl­technologie garantiert. Und es findet sich kei­ne Vorsorgerege­lung zu Guns­ten von besonders emissionsarmen kabel­ge­bun­de­nen Technologien wie etwa Ether­net-LAN, Festnetz-DSL oder Glasfaser-Lösun­gen, die aus baubiolo­gischer Sicht einer Über­tragung über die Stromleitungen eines Haushalts (PLC) allemal vorzuziehen wären. Warum wird so viel Freiheit eigentlich nicht mehr gewährleistet?

Die List der verschwiegenen Hacker-Problematik: Das neue Gesetz schützt primär die Interessen von Industrie und Wirtschaft, aber kaum die der Bevölkerung. Das zeigt sich nicht nur daran, dass digitales Strom­zählen teurer wer­den dürfte als analoges, sondern auch an der unzureichenden Berücksichtigung der Möglichkeit von Hackerangriffen auf die total digitali­sierte Infrastruktur. Diese können katastrophale Auswirkungen haben. Heute dagegen gilt die Sicherheit der Stromversorgung laut Bundesnetzagentur noch als so hoch wie nie zuvor.

Digitale Revolution auf dem Vormarsch

Die Freiheit des einen findet bekanntlich ihre Grenzen bei der Freiheit des anderen. Dass dieser ethische Grundsatz im Zuge der digitalen Revolution immer mehr erodiert, dafür sind die zum Teil listig formulierten Regelungen zum digitalen Stromzählen im neuen Gesetz ein trauriges Beispiel. Theoretisch ließen sich die genannten Irritationen noch dadurch einer bürgerfreundlichen Klärung näherbringen, dass der Bundesrat Einspruch erheben würde und der Vermittlungsausschuss angerufen werden müsste. Das brächte in der Folge Zeit für verstärkte Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung, eventuell sogar für eine ein­schlägige Petition.

Auch könnte der Bundespräsident zu dem Ergebnis kommen, dass gegen dieses neue Gesetz so durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken (z.B. mit Blick auf den grundgesetzlichen Schutz der eigenen Wohnung) bestehen, dass er an einer Aus­fertigung gehindert ist. Aber wahrscheinlich wird sich die digitale Revolution auch auf diesem Sektor nicht aufhalten lassen.

Der Artikel von Prof. Thiede wurde am 29.06.2016 auf der Webseite von 'Cicero' veröffentlicht.

Publikation zum Thema

12. Februar 2015Format: 14,9 x 1,7 x 21,1Seitenanzahl: 238 Veröffentlicht am: 12.02.2015 ISBN-10: 3865817270ISBN-13: 978-3865817273

Digitaler Turmbau zu Babel

Der Technikwahn und seine Folgen
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
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