Die Kontroverse um Mobilfunkstrahlung und Krebs wird nicht mehr so sein, wie sie war.
Es wird erwartet, dass das US-amerikanische National Toxicology Program (NTP) eine öffentliche Erklärung herausgibt, dass Mobilfunkstrahlung ein Krebsrisiko für Menschen darstellt. Der Schritt folgt kurz nach einer jüngst abgeschlossenen Studie, bei der eine statistisch bedeutsame Zunahme von Krebs bei Ratten festgestellt wurde, die zwei Jahre lang Mobilfunkstrahlung mit GSM oder CDMA-Pulsung ausgesetzt waren.
Gegenwärtig wird unter US-amerikanischen Bundesbehörden darüber diskutiert, wie sie die Öffentlichkeit über die neuen Forschungsergebnisse informieren sollen. Hochrangige Manager des NTP meinen, dass diese Ergebnisse so bald wie möglich veröffentlicht werden sollten, da beinahe jeder ständig der Strahlung kabelloser Geräte ausgesetzt ist und deshalb bei jedem ein potenzielles Risiko besteht.
Die neuen Ergebnisse widersprechen der gängigen Meinung von Ärzten, Biologen, Physikern, Epidemiologen, Technikern, Journalisten und Regierungsbeamten sowie anderen Fachleuten, dass solche Wirkungen nicht möglich seien. Diese Auffassung begründet sich teilweise damit, dass noch kein Mechanismus nachgewiesen wurde, durch den Hochfrequenzstrahlung von Handys Krebs auslöst. Anfang dieser Woche (am 22. Mai) schrieb beispielsweise ein Arzt aus Michigan eine Stellungname für das Wall Street Journal, in der er erklärte: „Es ist kein Mechanismus bekannt, durch den Handys Hirntumore auslösen könnten.“ Er fuhr fort, indem er argumentierte, dass keine Notwendigkeit bestehe, die Öffentlichkeit vor Gesundheitsrisiken zu warnen.
Die Forschungsergebnisse des NTP zeigen, dass in dem Maß, wie die Strahlung zunahm, auch das Auftreten von Krebs unter den Ratten zunahm. „Es gab ein deutliches Verhältnis zwischen Dosis und Wirkung“, erklärte eine zuverlässige Quelle, die über die Ergebnisse unterrichtet wurde, der Microwave News. Unter Mäusen wurde keine Wirkung festgestellt. Die Quelle bat darum, dass ihr Name nicht verwendet wird, da das NTP noch keine offizielle Verlautbarung herausgegeben hat (Eine Erklärung ist inzwischen erschienen, Anm. DF). Die Ratten wurden drei unterschiedlichen Strahlenintensitäten ausgesetzt (1,5 W/kg, 3 W/kg und 6 W/kg bei Ganzkörperexposition) sowie zwei unterschiedlichen Arten von Mobilfunkstrahlung, nämlich GSM und CDMA.
Ein erstaunlicher Zufall?
Bedeutsamerweise wurden bei den bestrahlten Ratten höhere Raten bei zwei Krebsarten festgestellt: Gliom, ein Tumor der Gliazellen im Gehirn sowie Schwannom im Herzen, ein sehr seltener Tumor. Keine der nicht bestrahlten Ratten der Kontrollgruppe entwickelte einen dieser beiden Tumore. In einer Reihe epidemiologischer Studien wurde ein Zusammenhang zwischen Handys und sowohl Gliomen als auch Schwannzellentumoren festgestellt. Bei der Interphone-Studie beispielsweise wurde ein Zusammenhang zwischen der Handynutzung und Gliomen festgestellt. Die Umhüllung, die die Gehirnnerven umgibt, wie beispielsweise diejenige, welche das Innenohr mit dem Gehirn verbindet, bestehen aus Schwannzellen. Tumore dieser Zellen werden als Akustikusneurinome bezeichnet. Das bedeutet, ein Akustikusneurinom ist eine Art von Schwannom. Mindestens vier verschiedene epidemiologische Studien haben einen Zusammenhang zwischen der Handynutzung und Akustikusneurinomen festgestellt.
Ron Melnick, der jetzt pensionierte frühere Leiter des Teams, das die NTP-Studie konzipierte, bestätigte die allgemeine Zusammenfassung der Ergebnisse, die von der vertrauenswürdigen Quelle im Detail mitgeteilt wurden. „Das NTP prüfte die Hypothese, laut der Handystrahlung keine gesundheitlichen Auswirkungen haben könnte. Diese Hypothese ist jetzt widerlegt worden“, sagte er in einem Telefoninterview. „Das Experiment wurde durchgeführt und nach umfangreichen Überprüfungen besteht darin Einigkeit, dass es eine Krebs auslösende Wirkung gab.“
„Diese Daten definieren die Kontroverse um die Handystrahlung neu“, sagte Melnick. Über die Sicherheit von Handys ist seit mehr als 20 Jahren diskutiert worden, insbesondere seit die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) im Jahr 2011 die Hochfrequenzstrahlung als möglicherweise krebserregend für den Menschen einstufte. „Das ist ein erhebliches Problem für die Volksgesundheit. Die Zellen, die sich bei den Ratten zu Krebszellen wandelten, sind dieselben Zellen, aus denen nach epidemiologischen Handystudien Tumore entstehen“, fügte Melnick hinzu. „Es wäre wirklich verwunderlich, wenn dies nur ein reiner Zufall wäre.“ Das Strahlungsprojekt des NTP, das seit über einem Jahrzehnt durchgeführt wird, ist das teuerste, das je durch das Toxikologieprogramm durchgeführt wird. Über 25 Millionen US-Dollar sind bisher ausgegeben worden.
Es gibt einen weiteren interessanter Zufall: Bei der Ramazzini-Studie in Bologna wurden Ratten elektromagnetischen Niederfrequenzfeldern (50 Hz) ausgesetzt. Dabei kam es bei ihnen zu einer deutlichen Zunahme bösartiger Schwannome des Herzens.
NTP steht hinter den Studienergebnissen
Wegen der Bedeutung dieser Ergebnisse für die Volksgesundheit machte das NTP die höchsten Ebenen des US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH, staatliches Forschungsinstitut, das dem US-amerikanischen Gesundheitsministerium untersteht) darauf aufmerksam. Dort wurden aufgrund von Widerständen weitere Überprüfungen veranlasst. Es wurden keine erwähnenswerten Fehler bei den Daten oder der Vorgehensweise der Studien festgestellt.
Hochrangige Führungskräfte, einschließlich Linda Birnbaum, der Leiterin des National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS, Staatliches Institut für umweltmedizinische Forschung, Teil des National Institute of Health, s.o.), die auch Leiterin des NTP ist, sowie John Bucher, der stellvertretende Leiter des NTP, der für die Handystudie verantwortlich ist, stehen hinter den Studienergebnissen. Sie sehen es im Interesse der öffentlichen Gesundheit als unerlässlich an, die Studien zu veröffentlichen, so diese Quelle. Chris Portier, der früher die Stelle von Bucher innehatte, stimmt darin überein, dass das NTP sich richtig verhält. „Ich würde darauf beharren, dass wir die Daten so schnell wie möglich der Öffentlichkeit mitteilen sollten“, sagte er in einem Interview. Die Handystudie wurde in die Wege geleitet, als Portier stellvertretender Leiter des NTP war. Er ist jetzt im Ruhestand, arbeitet aber immer noch als Berater.
Nach umfangreichen Diskussionen wurden die beiden US-amerikanischen Bundesbehörden, die für die Regulierung der Exposition gegenüber Handystrahlung verantwortlich sind, nämlich die Food and Drug Administration (FDA, Behörde für Lebensmittel und Medikamente) sowie die Federal Communications Commission (FCC, Bundesbehörde für Telekommunikation), letzte Woche über die Ergebnisse unterrichtet. Die Reaktion dieser beiden Regulierungsbehörden ist noch nicht abzusehen. Die verschiedenen Behörden sind jetzt dabei, die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse des NTP vorzubereiten. Weder Birnbaum noch Bucher antworteten auf eine Bitte um Stellungnahme, in welcher Weise dies geschehen soll.
Unerwartete Forschungsergebnisse
Nur wenige Außenstehende sind bereits über die Ergebnisse des NTP unterrichtet worden. Als Microwave News einige der Personen, die die Studien jahrelang nachverfolgt hatten, über die Studienergebnisse informierte, brachten alle ihre Überraschung zum Ausdruck. In einem Interview, das vor Jahren veröffentlicht wurde, sagte Bucher vom NTP, dass er erwarte, dass die Ergebnisse keinen Zusammenhang zwischen Hochfrequenzstrahlung und Krebs zeigen werden. „Jeder erwartete, dass dieses Studienergebnis negativ sein werde“, sagte ein hochrangiger staatlicher Strahlenschutzbeamter, der darum bat, dass sein Name nicht veröffentlicht werde. „Gehen wir also davon aus, dass die Expositionen in einer solchen Weise stattfanden, dass eine Wirkung durch Erwärmung ausgeschlossen werden kann. Dann haben sich diejenigen geirrt, die behaupten, dass solche Ergebnisse nicht möglich seien“, sagte der Beamte. (Die Studie wurde so konzipiert, dass sichergestellt wurde, dass die Körpertemperatur der bestrahlten Ratten um weniger als 1º C anstieg.)
„Dies verändert die Sachlage. Das steht außer Frage“, sagte David Carpenter, der Direktor des Institute for Health and the Environment (Institut für Gesundheit und Umwelt) an der University of Albany. „Das bestätigt, was wir seit vielen Jahren beobachtet haben. Jetzt haben wir jedoch Hinweise sowohl bei Tieren als auch beim Menschen.“ Carpenter fügte weiter hinzu: „Das NTP besitzt die Glaubwürdigkeit der US-Bundesregierung. Für Leugner wird es jetzt sehr schwer sein, den Zusammenhang weiterhin zu bestreiten." Das Institut von Carpenter ist ein Kooperationszentrum der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
John Boice, der Präsident des National Council on Radiation Protection and Measurements (NCRP, US-amerikanische, staatliche Strahlenschutzkommission) ist einer der führenden Skeptiker. „Für die meisten von uns ist die Frage von Hirntumoren und Handys geklärt. Es besteht kein Risiko. Es gibt keinen biologischen Mechanismus und keine Tierstudie oder Zellstudie, bei der reproduzierbare Hinweise auf eine Wirkung ermittelt wurden“, teilte Boice einem Berichterstatter für Medscape Medical News früher in diesem Monat mit. Diese Überzeugung sitzt so tief, dass im Sommer 2014 das NCRP auf die Centers for Disease Control (CDC, Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention; US-amerikanische Behörde für Gesundheitspflege) Druck ausübte, aus einem Informationsblatt zu Handys Ratschläge zu Vorsorgemaßnahmen zu streichen. Boice berücksichtigte den Bericht von Alex. Lerchl aus Deutschland vom letzten Jahr nicht. In ihm wurde eine frühere Tierstudie bestätigt, die zeigte, dass Handystrahlung in Mäusen Tumore fördern kann, die durch toxische Chemikalien ausgelöst wurden. Bei den Experimenten des NTP wurden keine weiteren Wirkstoffe verwendet, um die Entstehung von Krebszellen in den Tieren auszulösen. Im Hinblick auf Mechanismen verkündeten vor nur ein paar Monaten Frank Barnes und Ben Greenebaum, zwei führende Angehörige des Hochfrequenz-Forschungsbereichs, dass sie erklären könnten, wie niedrige Intensitäten von Hochfrequenzstrahlung die Wachstumsraten von Krebszellen verändern können.