Fehlauskünfte zur Pflicht digitalen Stromzählens

Keine Wahlfreiheit und Strahlenschutz
Der Theologieprofessor Dr. Werner Thiede kritisiert das „Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“, mit dem die Einführung von Smart Metern – sog. intelligenten Stromzählern – geregelt werden soll. In der „schwer und missverständlich formulierten“ Gesetzesvorlage werden Rechtsgrundlagen für die Überwachung der Haushalte durch das "Internet der Dinge" und "Smart Home" geschaffen. Es ist jedoch ein trojanisches Pferd. Prof. Thiede bezeichnet es als gesetzesgestützte Durchsetzung der digitalen Revolution, die in erster Linie den Interessen der Industrie und Wirtschaft nutzt, aber dabei die Rechte und den Schutz der Verbraucher zunehmend einschränkt. Da die Konsequenzen solch umfassender Gesetze für die meisten Abgeordneten nicht wirklich durchschaubar sind, hat diagnose:funk diesen Artikel an alle Abgeordneten versendet.
Smart Meter als GatewayGrafik: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Technische Richtlinie BSI TR-03109-1, 18.03.2013, S.14

Abkürzungen
WAN: Weitverkehrsnetz (Wide Area Network)
HAN: Heimnetz (Home Area Network)
LMN: Lokales messtechnisches Netzwerk / Lokales Messnetz (Lokal Metrological Network)

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Gesetzesvorlage zur Digitalisierung der Energiewende sorgt für Irritationen

Über Fehlauskünfte zur geplanten Pflicht digitalen Stromzählens

Eine Zusammenfassung von Prof. Dr. Werner Thiede

Das grenzt an einen Skandal: Die Vorlage eines folgenreichen Gesetzes ist so schwer verständlich und so missverständlich formuliert, dass sich die Frage aufdrängt, ob die Abgeordneten des deutschen Bundestages hinreichend genug wissen, worüber sie da demnächst, wahrscheinlich noch vor der Sommerpause abzustimmen haben. Im Deutschen Bundestag ist die erste Lesung des neuen „Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende“ bereits im Februar erfolgt, später auch eine Expertenanhörung. Merkwürdig bleibt indessen nicht nur, dass Einsprüche des Bundesrates mit rascher Entschiedenheit zurückgewiesen wurden und die Kritik von Sachverständigen bislang auf wenig Resonanz stieß. Vielmehr fällt auch angesichts erfolgter Rückfragen zu diesem Gesetz auf: Mitunter gaben Abgeordnete und Experten verkürzende und unzutreffende Darstellungen von Sachverhalten zum Besten. Ist man sich denn allenthalben hinreichend klar, worüber hier angeblich in guter demokratischer Weise beschlossen werden soll? Oder besteht ein nur zu verständliches Interesse an Vertuschungen darüber, worum es eigentlich geht? Sieben Unklarheiten seien im Folgenden aufgezählt.

Keine Wahlfreiheit mehr

Irritation Nr. 1: Die neuen Vorschriften über „intelligente“ Stromzähler und Messsysteme finden sich in einer umfangreichen Vorlage zum Gesetz über die „Digitalisierung der Energiewende“. Damit aber sind sie in einem Kontext platziert, der noch viel weiter greift, als die Überschrift besagt. Der Gesetzentwurf schafft nämlich zusätzlich Rechtsgrundlagen zu Gunsten der Errichtung einer Technik-Plattform fürs „Internet der Dinge“ – und so auch für allerlei Mehrwertdienste etwa im Bereich „Smart Home“, „Betreutes Wohnen“ oder „Komfort“. Das hat teilweise wenig oder gar nichts mit der „Energiewende“ als solcher zu tun. Es geht hier in Wahrheit um die gesetzes-gestützte Durchsetzung der digitalen Revolution (auch eine „Wende“!) insbesondere im Interesse von Industrie und Wirtschaft. Und zwar gegen alle bekannte Kritik an der „smarten Diktatur“ (Harald Welzer)!

Irritation Nr. 2: Das neue Gesetz soll dazu dienen, dass in allen Haushalten ohne deren Zustimmung vornehmlich zwecks Stromzählens intelligente Messsysteme eingebaut werden können. Immer noch ist in manchen Debatten zu hören, ein entsprechender Zwang betreffe nur Verbraucher mit einem Jahresverbrauch ab 6.000 Kilowatt pro Stunde. Wahr ist hingegen: Messstellenbetreibern soll es ab 2020 erlaubt sein, auch Kundschaft mit einem Verbrauch von unter 6.000 mit intelligenten Mess-Systemen auszustatten – unabhängig von deren Einverständnis. Der Messstellenbetreiber bestimmt allein die Art der Übertragungstechnik. Einschränkungen beziehen sich nur auf wirtschaftliche Vertretbarkeit und technische Realisierbarkeit.

Irritation Nr. 3: Gern wird behauptet, es gebe es keinen Grund zur Aufregung, da bei Letztverbrauchern unter 6.000 Kilowatt pro Stunde doch nur einmal im Jahr Daten übermittelt würden. Wahr ist hingegen: Die einmal pro Jahr vorgesehene Übertragung betrifft lediglich den Standardtarif, nicht die variablen Tarife, die eigentlich Vorteile zur Energieeinsparung bringen könnten. Das verpflichtend vorgesehene Smart Meter Gateway kann in drei Bereichen mit mehreren Stellen kommunizieren: zu externen Marktteilnehmern (im WAN), zu einem Display des Verbrauchers und zum Servicetechniker (im HAN) sowie zu häuslich anderweitig installierten Zählern (im LMN). All dies kann per häufigem, womöglich alle paar Sekunden erfolgendem Funk vonstatten gehen. Problematisch dürfte dies gerade in Mehrfamilienhäusern werden: Mieter hätten keinen Einfluss auf die Zähler-Technik; Eigentümer in Mehrfamilienhäusern müssten sich Mehrheitsentscheidungen beugen, wenn es um die Frage ginge, ob intelligente Messsysteme eingebaut werden sollen.

Strahlenschutz ade?

Irritation Nr. 4: Oft wird betont, dass ja laut Gesetzesvorlage der für die Zähler als solche zuständige Messstellenbetreiber frei wählbar sei. Wahr ist: Das gilt zum einen nur für Anschlussnehmer; bloße Anschlussnutzer (Mieter) haben überhaupt keinen Einfluss. Zum andern bleibt es fraglich, ob diese „freie Wahl“ tatsächlich emissionsarme, insbesondere funkfreie Alternativen mittel- und langfristig bietet, wie sie der Kunde möglicherweise wünscht. Das neue Gesetz setzt hier einfach auf den freien Markt statt auf die Freiheit des Individuums. Und wo finden sich bitteschön allgemein zugängliche Listen der angeblich so frei wählbaren Messstellenbetreiber? Auf einschlägige Anfragen kamen keine Antworten!

Irritation Nr. 5: Beschwichtigend wird oft behauptet, Funk-Technologie, wie sie im Zuge der Digitalisierung vielfach zum Einsatz komme, sei gesundheitlich unbedenklich. Wahr ist dagegen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Teil elektromagnetischer Felder und namentlich auch den mit Hochfrequenz arbeitenden Funk als möglicherweise krebserregend eingestuft. Einer der größten Rückversicherer der Welt, die Swiss Re, hat 2013 Mobilfunk in die höchste Risikostufe eingruppiert. 2015 hat der internationale Versicherungsmakler Lloyds of London eine Haftung für Schäden durch elektromagnetische Strahlung ausgeschlossen! Nicht von ungefähr warnten schon vor einigen Jahren der Internationale Ärzte-Appell und der Ständige Ausschuss des Europarates. Ungeachtet gebotener Vorsorgepolitik wurden Fragen des Gesundheitsschutzes in der Gesetzesvorlage völlig außen vor gelassen.

Irritation Nr. 6: Nur scheinbar wird der politische Grundsatz der Technikneutralität in dem neuen Gesetz gewahrt. Tatsache ist indessen: In keiner Weise wird dafür Sorge getragen, dass der Endverbraucher, wenn er schon Strom unbedingt digital zählen lassen muss, wenigstens Wahlmöglichkeiten innerhalb unterschiedlicher digitaler Techniken behält. Das Bundesamt für Strahlenschutz mahnt: „Dem Grundsatz des Strahlenschutzes entsprechend, Belastungen wenn möglich zu minimieren oder ganz zu vermeiden, sollten intelligente Zähler und Messsysteme bevorzugt werden, die ihre Daten kabelgebunden übertragen.“ Doch nirgends wird in der Gesetzesvorlage ein Recht auf kabelgebundene Zähltechnologie garantiert. Und es findet sich keinerlei Vorsorge-Regelung zu Gunsten von besonders emissionsarmen kabelgebundenen Technologien wie etwa Ethernet-LAN oder Festnetz-DSL bzw. Glasfaser-Lösungen, die einer Übertragung über die Stromleitungen eines Haushalts (PLC) strahlungstechnisch allemal vorzuziehen wären.

Irritation Nr. 7: Das neue Gesetz schützt die Interessen von Industrie und Wirtschaft, aber nicht die der Bevölkerung. Das zeigt sich etwa daran, dass digitales Stromzählen teurer werden dürfte als analoges, und an der unzureichenden Berücksichtigung der Möglichkeit von Hackerangriffen auf die digitalisierte Infrastruktur. Es zeigt sich obendrein im fragwürdigen Umgang mit dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Wohnung: Fehlt es hier nicht an der Verhältnismäßigkeit beim Eingriff in ein auch europäisch betontes Bürgerrecht? Wie kann es sein, dass Nutzer einer elementaren Versorgung das Einbauen von gesundheitlich umstrittenen Techniken dulden und entsprechende Emissionen alternativlos hinnehmen müssen? Warum gibt es hier keine einschlägigen Ausnahmeregelungen?

Die Freiheit der anderen

Angesichts der genannten Irritationen stellt sich die Grundfrage, ob dieses Gesetz in der jetzigen Form wirklich abstimmungsreif ist. Sind die hier kritisch beleuchteten Bestimmungen wirklich so gewollt, verstanden und in ihren Folgen gewissenhaft bedacht? Es geht wahrhaftig nicht um Peanuts, sondern um folgenreiche Entscheidungen fürs ganze Land. Die Freiheit des einen findet bekanntlich ihre Grenzen an der Freiheit des anderen. Dass dieser ethische Grundsatz im Zuge der digitalen Revolution immer mehr erodiert, dafür ist das aktuelle Gesetzesvorhaben ein Exemplum. Aber noch lassen sich Irrtümer korrigieren.

Der Autor ist evangelischer Pfarrer, apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist (www.werner-thiede.de).

Publikation zum Thema

Format: A4Seitenanzahl: 3 Veröffentlicht am: 02.06.2016 Sprache: Deutsch

Über Fehlauskünfte zur geplanten Pflicht digitalen Stromzählens

Gesetzesvorlage zur Digitalisierung der Energiewende sorgt für Irritationen
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
Das grenzt an einen Skandal: Die Vorlage eines folgenreichen Gesetzes ist so schwer verständlich und so missverständlich formuliert, dass sich die Frage aufdrängt, ob die Abgeordneten des deutschen Bundestages hinreichend genug wissen, worüber sie da demnächst, wahrscheinlich noch vor der Sommerpause abzustimmen haben. Im Deutschen Bundestag ist die erste Lesung des neuen „Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende“ bereits im Februar erfolgt, später auch eine Expertenanhörung. Merkwürdig bleibt indessen nicht nur, dass Einsprüche des Bundesrates mit rascher Entschiedenheit zurückgewiesen wurden und die Kritik von Sachverständigen bislang auf wenig Resonanz stieß.
Artikel veröffentlicht:
02.06.2016
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
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