"Beschreibung des Krankheits-bildes ist unwiderlegbar" ...

Behindertenrente infolge Elektrosensibilität

Gericht gewährt Französin Unterstützung
Einer 39-jährigen Französin wurde der Anspruch auf eine Behindertenrente infolge Elektrosensibilität aus medizinischen Gründen anerkannt. Laut Urteil ist "die Beschreibung des Krankheitsbildes unwiderlegbar“. Mit dem Urteil verweist das Gericht für Streitfälle bei Erwerbsunfähigkeit in Toulouse (TCI) in erster Instanz am 8. Juli 2015 auf das „Syndrom der Hypersensibilität gegenüber elektromagnetischer Strahlung“.

Die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin Marine Richard wurde vom Gericht auf 85% festgesetzt. Die entsprechende staatliche „Unterstützung für behinderte Erwachsene“ wurde ihr zunächst für zwei Jahre gewährt, mit Verlängerungsmöglichkeit je nach Entwicklung ihrer medizinischen Situation.

Korrekte Diagnose des medizinischen Gerichtsexperten

Die Diagnose des Gerichtsexperten Dr. Pierre Biboulet enthält die Feststellung, dass die Behinderung von Frau Richard unmittelbar von der elektromagnetischen Belastung abhängt: „Die Symptome verschwinden, sobald die Ursachen beseitigt sind; aber diese Beseitigung auferlegt eine Lebensweise und verlangt Opfer, die nicht den geringsten Verdacht einer Simulation erlauben. In geschützter Umgebung ist die Behinderung null, in widriger Umgebung kann sie 100% erreichen.“

Diese Aussage räumt mit dem immer noch vorherrschenden Irrtum auf, Elektrosensibilität sei eine psychologisch oder psychiatrisch zu behandelnde Erscheinung. Solches steht leider im Faktenblatt Nr. 296 (2005) der Weltgesundheitsorganisation WHO – einem Ergebnis des damaligen WHO-Forschungsprojekts für elektromagnetische Strahlung. Der Leiter des Projekts war Michael Repacholi, international bekannter wissenschaftlicher Vertreter der Elektrizitäts- und Mobilfunkindustrie.

Dementsprechend werden die Symptome Elektrosensibler häufig dem „Nocebo-Effekt“ – dem Gegenteil des Placebo-Effekts – zugeschrieben. Es wird behauptet, diese Symptome seien nicht physiologische Reaktionen des Körpers, sondern die Antwort auf eine entsprechende Erwartung.

Gewiss gibt es in der Medizin den Nocebo-Effekt. Doch die millionenfachen Erfahrungen aller von Elektrosmog Betroffenen, die zuerst die Symptome wahrnehmen und erst dann die Ursache entdecken, verbieten hier die pauschale Anwendung des Nocebo-Effekts. Wissenschaftliche Tests an Versuchspersonen, die die Nocebo-Theorie zu stützen scheinen, haben gravierende Mängel.

Marine Richard: „Das ist ein Durchbruch“

Die Klägerin Marine Richard, ehemals Dramaturgin und Regisseurin von Radio-Dokumentarsendungen in Marseille, leidet seit 2010 unter den Symptomen der Elektrosensibilität. Seit 2012 lebt sie zurückgezogen, ohne Strahlung, in einer für sie hergerichteten alten Scheune in den Pyrenäen der Ariège (Südwestfrankreich), ohne Strom und Straßenanschluss, mit Quellwasser und im Winter zwei Meter Schnee. Sie bezeichnet sich als Umweltflüchtling. Das Gerichtsurteil sieht sie als Durchbruch.

Vor ihrer Flucht aus der elektrifizierten Zivilisation schrieb sie ihr erstes Buch „Sous l'ondée – survivre en étant électrohypersensible“ (Éditions Inadvertance, 2012). Darin beschreibt sie lebendig und in berührender Weise ihren damaligen Überlebenskampf im strahlungsüberfluteten Alltag. Ihr zweites, nach dem erzwungenen Rückzug in die Berge entstandenes, bei Le Square éditeur (2015) erschienenes Buch „Sans mobile“ (Ohne Handy) ist die fiktive, abenteuerliche Geschichte eines elektrosensiblen Paares, das zu jeglicher Flucht bereit ist, um sein werdendes Kind zu schützen. Ihr Hauptsymptom unter Strahlung beschreibt Marine Richard als „extrem heftige Kopfschmerzen; diese können bis zu der Empfindung einer Bohrmaschine gehen, die sich das Gehirn durchbohrt, oder derjenigen eines Schraubstocks, der den Schädel zermalmt. Es sind unerträgliche Schmerzen, die sich dann auch dem Rückgrat entlang ausbreiten. Man hat den Eindruck, dass der Kopf gleich explodieren wird. Dazu kommen Herzprobleme und neurologische Symptome, die die Konzentration beeinträchtigen. Diese Symptome verschwinden, sobald man vor Strahlung geschützt ist.“

Strahlungsfreie Reservate sind unumgänglich

Eigentlich ist Marine Richard eine Gegnerin von Reservaten für Elektrosensible, weil damit bestätigt werde, dass man diese Leute wegschließen müsse. Aber sie seien ja schon Ausgeschlossene, in sozialer Hinsicht und durch ihr physisches Leiden. Allein in Frankreich gebe es Tausende, die wegen ihrer Sensibilität aus dem sozialen Gefüge herausfallen und aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Sie wüssten in der heutigen verstrahlten Umgebung nicht mehr wo hingehen. Daher sei es kurzfristig unumgänglich, sagt Marine Richard, dass der Staat vor elektromagnetischen Feldern und Strahlungen geschützte Gebiete schaffe, in denen die darunter leidenden Menschen überleben können, bis sich die Gesellschaft weiter entwickelt habe und die Mobilfunkbetreiber gezwungen würden, die Strahlenverschmutzung zu senken. „Doch das hängt vom politischen Willen ab, nicht von Leuten wie mir...“

Betroffene können kaum vor Gericht gehen

Alice Terrasse, Rechtsanwältin von Marine Richard, bestätigt, dass das Urteil von Toulouse eine französische Première sei. Es könnte zum Präzedenzfall werden, denn Tausende seien betroffen, hätten aber bisher kein Gericht angerufen. „Sie sind sehr isoliert, haben kaum Kontakte mit der Welt, und deshalb sind Gerichtssachen für sie extrem komplizierte Unternehmungen.“

„Elektrosensibilität – eine Behinderung, die nicht abgeleugnet werden kann“

Dr. Pierre Biboulet, vom Gericht für Streitfälle bei Erwerbsunfähigkeit in Toulouse (TCI) beigezogener medizinischer Experte, über seine Aufgabe:

„Ich habe mich einfach wie ein Arzt verhalten (...). Ich habe Marine Richard in ihren Bergen in der Zone Blanche aufgesucht, und ich habe ihr lange zugehört. Wir blieben drei Stunden zusammen, und sie hat mich überzeugt, dass sie krank ist. Es ist unmöglich, ihr Krankheitsbild zu negieren. Und ebenso offensichtlich ist, dass sie in der aktuellen sozialen Umgebung nicht leben kann. Als Experte versuchte ich objektiv, realistisch und menschlich zu sein.

Ich bin mir bewusst, dass es in dieser Frage keinen wissenschaftlichen Konsens gibt. Ich wollte darüber kein Urteil fällen, weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Denn zur Zeit gibt es keine gesicherten Daten. Aber die Behinderung, unter der Marine Richard leidet, kann nicht abgeleugnet werden. Und selbst wenn sie psychiatrisch wäre – was ich nicht glaube – so handelt es sich doch um eine Behinderung, derer man sich annehmen muss. Persönlich denke ich, es wird heute immer schwieriger zu sagen, es gebe die Elektrohypersensibilität nicht. Deshalb habe ich das „Syndrom der Hypersensibilität gegenüber elektromagnetischer Strahlung“ erwähnt. Was auch immer die dazu gehörende klinische Realität sein mag, es ist die Ursache der Behinderung von Frau Richard.“

Publikation zum Thema

Format: A 4Seitenanzahl: 20 Veröffentlicht am: 01.02.2012 Bestellnr.: 215Sprache: Deutsch

Elektrohypersensibilität - Tatsache oder Einbildung?

Ein Forschungsüberblick von Genuis/Lipp
Inhalt:
Ein Forschungsüberblick der kanadischen Umweltmediziner Genuis/Lipp über die Ursachen von Elektrohypersensibilität. Als Download finden Sie den Brennpunkt mit einem Vorwort zur Studie. Der komplette Brennpunkt mit der dt. Übersetzung des Forschungsüberblicks ist beim diagnose:funk - Versand bestellbar.
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