Kontrolle oder Kollaboration?

Agro-Gentechnik und die Rolle der Behörden
Erstaunlich und spannend, wie "perfekt" Lobbyismus im Detail organisiert ist. Diese Analyse ist direkt übertragbar auf andere Industriezweige - insbesondere auch auf die Thematik mobiler Kommunikationstechniken. Eine Analyse zur Staatsbürgerkunde.

Ein Bericht von Antje Lorch und Christoph Then
im Auftrag von Ulrike Höfken, MdB

Ausschnitte aus dem Papier:

"Mit diesem Bericht wird gezeigt, wie engmaschig – und für Außenstehende undurchsichtig - das Netz zwischen Experten in den Zulassungsbehörden, nachgeordneten Forschungsinstituten, Agro- Gentechnik-Lobbyorganisationen und Wirtschaftsunternehmen ist.
Wenn sich jedoch die Interessen der Vertreter, die Antragsunterlagen für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen prüfen und bewerten, weitgehend mit denen decken, die die Anträge stellen, so ist die Gefahr sehr groß, dass nicht das Vorsorge-Prinzip, sondern weit stärker, der Wille eine Rolle spielt, die Agro-Gentechnik durchzusetzen."(S.3)

"Es entsteht ein Netzwerk aus Industrieverbänden wie der deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) und EuropaBio, von Lobbyverbänden wie dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde6 (BLL) und dem EFB7 (dem europäischen Biotechnologie-Verband, in dem verschiedene Wissenschaftler, Gentechnikfirmen und Lobbyorganisationen Mitglied sind), von Arbeitskreisen und Consulting-Firmen. In diesem Netzwerk finden sich auch schon früh Vertreter von Behörden und Wissenschaftler von öffentlichen und staatlichen Forschungsinstituten." (S.8)

"5. Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
Der Bericht über die Netzwerkstrukturen in der Agro-Gentechnik ergibt ein auch für die AutorInnen überraschend klares Bild: Demnach können die Politiker und die Öffentlichkeit tatsächlich nicht darauf vertrauen, dass ihre Behörden (bzw deren Experten) einen ausreichend großen Abstand zu den Interessen der Industrie haben. Im Gegenteil finden sich deutliche Hinweise darauf, dass von verschiedenen Akteuren, zum Teil über lange Zeiträume, die notwendige Unabhängigkeit missachtet, ausreichende Transparenz verhindert und die aktive Wahrnehmung von Kontrollaufgaben vernachlässigt wurde.

Während PolitikerInnen in Parlamenten und Regierungen kamen und gingen, herrschte in den Behörden, die für die Überwachung der Agro-Gentechnik zuständig waren und sind, über Jahrzehnte hinweg eine weitgehende personelle Kontinuität. Sogar in den Fällen, in denen Ämter wie das Bundesgesundheitsamt (BGA) und später das Robert-Koch-Institut (RKI) umstrukturiert wurden, blieb diese Kontinuität weitgehend gewahrt. Die so über die Jahre gewachsenen Seilschaften und Netzwerke sind der Politik oft nicht nur einen Schritt voraus, sondern die betreffenden Experten versuchen in einigen Fällen sogar, politische Entscheidungen aktiv zu unterlaufen bzw. vorwegzunehmen. Es entsteht der Eindruck, dass hier eine Art Parallel-Struktur entstanden ist, die der politischen Kontrolle zunehmend zu entgleiten droht. Unter diesen Rahmenbedingungen haben die Akteure an den Behörden über Jahrzehnte hinweg eine Agenda verfolgt, die eher an einer Zusammenarbeit mit der Industrie ausgerichtet zu sein scheint als an deren unabhängiger und kritischer Kontrolle.

Der Politik scheint die Kontrolle ihrer Behörden und Experten zu großen Teilen entglitten zu sein. Längst bestimmen Experten wie Schiemann, Bartsch und Buhk den Kurs. Die Politik ist oft dazu verurteilt, den Ereignissen nur hinterherzulaufen. Wenn sich jetzt die Politik – wie u.a. von Landwirtschaftsminister Horst Seehofer im Zusammenhang einer Veränderung des EU-Zulassungsverfahrens für gv-Pflanzen geäußert - aus der Verantwortung für die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen noch stärker zurückziehen will, überlässt sie Entscheidungen, die für Umwelt und Verbraucher existentiell sind, dem freien Spiel organisierter wirtschaftlicher Interessen.

So wird die Politik zum Opfer ihrer eigenen Fehler: Sie ist umschlungen von einem fast undurchdringbaren Geflecht von Experten, Consulting-Firmen, Spezialagenturen, Arbeitsgruppen, Initiativen und den vielfältigen Aktivitäten ihrer Beamten, die gemeinsam mit der Industrie sowohl die Risikobewertung als auch die Risikokommunikation organisieren und dabei Politik und Öffentlichkeit zu ihrem Spielball machen.

Im Zentrum des Geflechts findet man dabei selten die großen Firmen selbst, sondern eher „Spezialagenturen“ mit exzellenten Kontakten zu Behörden, Politik, Medien und Konzernen. Sie arbeiten als Tarnkappenstrategen der Industrie, finanziert sowohl durch die öffentliche Hand als auch durch die Wirtschaft, sie haben Netzwerke, Seilschaften und Klüngelrunden auf allen relevanten Ebenen organisiert, die Institutionen der EU-Mitgliedsstaaten infiltriert und eine weitgehende Definitionsmacht errungen.

In Zeiten aber, in denen immer weiter umstrittene Produkte auf den Markt drängen und nach dem Willen der Industrie so rasch wie möglich zugelassen werden sollen, wäre die Politik auf einen Apparat angewiesen, der eine neutrale und kritische Prüfung wirkungsvoll und zuverlässig organisiert. Die moderne, wissensbasierte „Risikogesellschaft“ muss in der Lage sein, sich gegen die Übermacht der Wirtschaftslobby und ihrer Experten zur Wehr setzen und gesellschaftliche Interessen wahren zu können, egal ob es sich um Impfstoffe, Arzneimittel, Chemie, Energie oder Gentechnik handelt." (S. 37)

Lesen Sie den ganzen Bericht. Er ist nebenstehend als PDF zum Download verfügbar!

Artikel veröffentlicht:
02.03.2009
Autor:
diagnose:funk

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