Handys strahlen immer stärker

Schweiz. Konsumentenzeitschrift Saldo vergleicht
Trotz gesundheitlicher Risiken: Auf dem Markt gibt es weniger strahlungsarme Handys als vor fünf Jahren. Das zeigt ein 'Saldo'-Vergleich.

Wie schädlich ist Handystrahlung?

Klare Antworten gibt es nicht, aber laut einer Studie des schwedischen Karolinska-Instituts gibt es Hinweise, dass der langjährige Gebrauch von Mobiltelefonen das Risiko eines Gehirntumors deutlich erhöht, besonders das einer Akustikgeschwulst. Die grüne Nationalrätin Yvonne Gilli von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz spricht zudem von Mobilfunkstrahlen, die bei Zellen Erbgutveränderungen erzeugen: «Dies ist besorgniserregend. Es ist denkbar, dass so Tumore entstehen.»

Angesichts dieser Unsicherheit dürften Handynutzer annehmen, dass sich die Hersteller bemühen, die Strahlung möglichst gering zu halten. Doch ein Blick auf die in SAR-Werten gemessene Mobilfunkstrahlung der zehn zurzeit beliebtesten Modelle zeigt: Nur zwei Modelle erreichen einen Wert unter 0,6 W/kg (Watt pro Kilogramm Körpergewicht). Dieser Wert entspricht den Vorgaben des deutschen Umweltzeichens Blauer Engel für strahlungsarme Handys. Drei der beliebtesten Handys weisen einen Sar-Wert von über 1 W/kg auf.

SAR-Wert: Keine Spur von einer Reduktion

saldo untersuchte bereits im Jahr 2003 die SAR-Werte der zehn damals beliebtesten Handys. Vor fünf Jahren erreichten drei Modelle die Vorgaben des Blauen Engels. Der Schnitt der Werte betrug damals 0,7 W/kg, heute 0,9 W/kg.

Also keine Spur einer Reduktion. Eine Erhebung des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz bestätigt, dass der Anteil jener Handys, die das Kriterium des Blauen Engels erfüllen, ab 2007 zurückging. Im Klartext: Es gibt immer weniger statt mehr strahlungsarme Handys. Dies gilt auch für die Schweiz: Laut Martin Meier vom Bundesamt für Gesundheit finden sich hier dieselben Modelle in den Läden wie in den Nachbarländern.

Hersteller Samsung erreicht insgesamt die besten Werte

Auch Peter Niessen vom EMF-Fachinstitut für Elektromagnetische Verträglichkeit zur Umwelt in Köln stellt fest, dass die Sar-Werte für Hersteller kein grosses Thema sind. «Sie ignorieren das Label Blauer Engel. Nur ein Hersteller beantragte das Umweltzeichen bisher.»

Für den Anstieg der SAR-Werte verantwortlich ist die Tendenz zu kleineren, leichteren Handys: «Ein Mobiltelefon mit geringem SAR-Wert und guter Funkverbindung braucht eine sinnvoll platzierte Antenne.» Zudem müssten die Sendeendstufe sowie die dem Kopf zugewandte Geräteseite metallisch abgeschirmt werden. Dies erhöht das Gewicht, kostet Geld und reduziert teilweise die Qualität der Funkverbindung.

Entsprechend argumentieren die Hersteller: «Bei einem kleinen, schmalen Handy ist es schwieriger, den SAR-Wert tief zu halten», erklärt Kwang Min Joo, Ingenieur bei Samsung.

Dabei ist Samsung ein Hersteller, der sich um vernünftige SAR-Werte zu bemühen scheint: «Der SAR-Wert ist bei uns einesder wichtigsten Kriterien bei der Entwicklung neuer Mobiltelefone», sagt Kwang Min Joo. Sechs der zehn strahlungsärmsten Handys auf der Site www.handywerte.de stammen von Samsung. Und mit den Qbowl-Modellen erreicht Samsung gar Werte unter 0,1 W/kg. Technisch wären also tiefere SAR-Werte möglich. «Mit heute üblichen Handys halten wir 0,2 W/kg für machbar, aber die Hersteller müssen einen gewissen technischen Aufwand betreiben», sagt Niessen.

Laut Medizinern ist der Grenzwert viel zu hoch angesetzt

Diesen Aufwand scheuen einige Produzenten. «Wir entwickeln und produzieren nur Mobiltelefone, die den internationalen Standards entsprechen und den Benutzer somit keiner Gefahr aussetzen», sagt Marketingchef Rolf Weiss von Sony Ericsson. Nokia nimmt keine Stellung zu den steigenden SAR-Werten: Die Werte aller Modelle würden unter dem gesetzlichen Höchstwert von 2,0 W/kg liegen, heisst es lediglich.

Mediziner halten vom gesetzlichen Höchstwert wenig: «Die empfohlenen Grenzwerte bieten keinen ausreichenden Schutz. Man sollte sich von Beschwichtigungen der Industrie nicht irritieren lassen», betont Erik Huber von der Wiener Ärztekammer.
Ein Medikament mit einer ähnlich unsicheren Datenlage wie die Mobilfunkstrahlung würde «nie im Leben zugelassen». Yvonne Gilli ergänzt: «Es läuft immer ähnlich ab. Die Industrie produziert ein gesundheitsgefährdendes Produkt und behauptet lange Zeit und wider besseres Wissen, dass die beobachteten Krankheiten keinen Zusammenhang haben.» Als Beispiele führt Gilli Asbest und Nikotin an. Leider gelinge es in der Regel erst, «die Menschen genügend zu informieren und zu schützen, wenn der volkswirtschaftliche Schaden grösser sei als der Nutzen».

Sunrise-Shops: Infos über SAR-Werte nur beim Personal erhältlich

Beim Kauf eines Mobiltelefons auf einen tiefen Sar-Wert zu achten, ist nicht einfach. Im Internet lassen sich die Werte zwar abrufen (www.handywerte. de oder auf den Hersteller-Websites). Doch wer im Laden steht, wird nicht immer fündig. Eine Stichprobe bei Verkaufsstellen hat gezeigt, dass die Sar-Werte lange nicht überall klar ersichtlich sind (siehe Kasten). Sunrise etwa schreibt im Shop keine SAR-Werte an. «Unsere Mitarbeiter beantworten gerne Fragen zum Thema», sagt Mediensprecher Konrad Stokar. Auch bei Mobilezone sucht man die Angaben vergeblich: Der Platz auf der Etikette sei limitiert, erklärt Martin Lehmann von Mobilezone. Das Interesse der Kunden an den Sar-Werten halte sich in Grenzen.

Wenn immer möglich SMS versenden statt telefonieren

Das Gleiche behauptet Orange-Sprecherin Therese Wenger: «Beim Handykauf sind die SAR-Werte in der Regel kein Auswahlkriterium. Deshalb stehen sie in den Orange-Centers nicht im Vordergrund.» Die Swisscom bemüht sich immerhin, den Kunden einige strahlungsarme Modelle zur Verfügung zu stellen. Auf www.umwelt.swisscom.ch, Stichwort Umweltprodukte, werden speziell strahlungsarme Handys vorgestellt.
Fachleute raten, besser ein Headset zu nutzen oder nach Möglichkeit SMS zu versenden, statt zu telefonieren. Zudem sollte der Nutzer das Handy beim Versenden von SMS vom Körper fernhalten. Bei schlechtem Empfang wie im Zug oder Bus sollte man ganz auf das Handy verzichten; die Strahlenbelastung ist dann deutlich höher.

Kommentar diagnose:funk

Welcher Mobiltelefon-Nutzer ist über Empfehlungen der Hersteller informiert? Wer weiss schon, dass Handys keinen direkten Körperkontakt haben sollen?
Wenn diese Technik derart kritisch ist, darf und muss man von den Herstellern doch erwarten können, dass sie in der Lage wären sichere Standards umzusetzen.

Der SAR-Wert definiert die Masseinheit für die Absorption von Strahlungsleistung in biologischem Gewebe (W/kg).
Mit 2.0 W/kg (Watt pro Kilogramm) wird dieser fälschlicherweise immer wieder als "Grenzwert", manchmal sogar als "gesetzlicher Grenzwert" definiert. Es handelt sich dabei lediglich um einen internationalen Richtwert. Zudem kann der SAR-Wert keinen Gesundheitsschutz garantieren, da mit diesem nur der thermische Effekt berücksichtigt wird, es aber bekanntermassen biologische Effekte gibt, die in den Betrachtungen keine Berücksichtigung finden.

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Artikel veröffentlicht:
09.10.2008
Autor:
Mirjam Fonti | Konsumentenzeitschrift Saldo
Quelle:
Saldo Nr. 16 | 8.10.2008 Veröffentlicht auf diagnose:funk mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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