Deutsche Übersetzung:
Prof. Jacqueline McGlades (JMG) Erklärung zu Mobiltelefonen anlässlich der Konferenz “Mobiltelefone und Gesundheit: Wissenschaft und Fragen der Rechtsordnung” in Washington D.C. am 15. September 2009
Einführung
Ich bin dankbar für diese Gelegenheit, einige Anmerkungen zu der sehr aktuellen Konferenz zu machen. Dieses Ereignis und die dazu gehörenden Anhörungen im Senat[1] gestern wurden teilweise angeregt durch den BioInitiative Report[2], der half, die öffentliche Wahrnehmung der möglichen Gefahren elektromagnetischer Felder, nicht zuletzt von Mobiltelefonen, zu verstärken.
Das Europäische Parlament[3] reagierte auf diese Debatte vor einigen Monaten mit seiner Resolution, die u.a. die Reduzierung der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern und neue Grenzwerte, die die Bevölkerung besser schützen, verlangte. Wir tragen diese Empfehlungen vollständig mit.
Heute möchte ich kurz
- die Rolle und das Mandat der European Environment Agency (EEA) beschreiben,
- unsere Ansichten zu einigen der Vorteile von Mobiltelefonen und den eventuellen Gesundheitskosten zusammenfassen,
- und abschließen mit dem, was wir als wichtigste praktische Konsequenz der gegenwärtigen Beweislage zu Krebsrisiken bei Verwendung von Mobiltelefonen, besonders durch Kinder und Heranwachsende, ansehen.
Die Rolle der EEA und ihre bisherige Arbeit an dem Vorsorgeprinzip
Die EEA liefert Daten, Informationen und Erkenntnisse zur Umwelt, einschließlich der Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, an EU-Institutionen (Europäisches Parlament, Europäische Kommission und Europäischer Ministerrat), an die 32 Mitgliedsländer der EEA und an die Allgemeinheit.
Die EEA führt routinemäßig keine spezifischen Risikobewertungen einzelner, gefährlicher Wirkstoffe durch, wie die Hochfrequenzen von Mobiltelefonen. Jedoch besitzt die EEA das relevante Wissen und die Fachkenntnisse wie die gesamte wissenschaftliche Beweislage zu Gefahren und Risiken zu bewerten ist.
Einiges von diesem Wissen findet sich in dem EEA-Bericht Late Lessons from Early Warnings: the Precautionary Principle 1896–2000 (Späte Lektionen von frühen Warnungen: Das Vorsorgeprinzip 1896-2000), herausgegeben 2001. Dieser Bericht begutachtet die Geschichte ausgewählter öffentlicher Gefahren und Umweltgefahren, wie Asbest, Benzol, saurer Regen und Polychlorierte Biphenyle (PCB). Diese Geschichten erstrecken sich von den ersten wissenschaftlich-basierten Frühwarnungen vor möglichen Schäden bis hin zu einem folgenden Nichtstun oder bis hin zu Vorsorge- und Präventivmaßnahmen.
Die EEA betrachtet das Vorsorgeprinzip als wesentlich beim Erstellen einer Rechtsordnung, dort wo es wissenschaftliche Unsicherheit and hohe Einsätze gibt – genau die Situation, die elektromagnetische Felder (EMF) an diesem Punkt ihrer Geschichte kennzeichnen. Das Warten auf ein hohes Maß an Beweisen bevor man handelt, um gut bekannte Risiken zu vermeiden, kann zu sehr hohen Gesundheitsausgaben und wirtschaftlichen Kosten führen, wie es bei Asbest, bleihaltigem Benzin und Rauchen geschah.
Zum Beispiel hätten uns effiziente Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung der annehmbaren Gefahren des Rauchens in den späten 50er oder frühen 60er Jahren vor zahlreichen Körperschäden, Behandlungskosten und Einbußen bei der Produktivität durch das Rauchen bewahrt. Das Abwarten, den bekannten Risiken des Rauchens erst in den 90er Jahren vorzubeugen, führte zu diesen Gesundheits- und wirtschaftlichen Kosten. Beides, das Vorsorge- und das Vorbeugungsprinzip, zusammen mit dem Verursacherprinzip und der Reduzierung der Gefahren bereits an der Quelle sind Teil des EU-Vertrages: alle sind anwendbar auf Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltfragen.
Vorteile der Mobiltelefone und mögliche Gefahren der EMF
Die EEA schätzt die Vorteile der mobilen Telefonkommunikation außerordentlich. In der Tat unterstützt sie aktiv die Verwendung dieses Mittels, um Umwelt- und verwandte Informationen in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Wir haben z.B. ehrgeizige Pläne, so genannte Bürger-Wissenschaftler zum Sammeln von Daten zu Umweltparametern, wie Vogelflug, Fischgründe, Wasserqualität und Blütezeiten, zu ermuntern und diese Information auf ihrem Mobiltelefon zu speichern.
Die Absicht der EEA, die Verwendung der Mobiltelefonie auf diese Weise zu fördern, steigert ihre Verantwortung, Informationen zu liefern, die die Sicherheit der Bevölkerung bei der Verwendung von Mobiltelefonen gewährleisten, insbesondere bei anfälligen Gruppen wie Kindern, Älteren und Abwehrgeschwächten. Dies ist der Grund, warum die EEA am 17. September 2007 eine Frühwarnung über die möglichen Gefahren von EMF herausgab.
In dieser Warnung machten wir auf den BioInitiative Report und andere für diese Debatte wichtigen Referenzen (von der EU, WHO und dem britischen National Radiological Protection Board) aufmerksam, die zusammengenommen die Basis unserer Frühwarnung zu EMF lieferten.
Insbesondere stellten wir fest:
„Es gibt zahlreiche Beispiele hinsichtlich der Nichtanwendung des Vorsorgeprinzips in der Vergangenheit, die zu ernsthaften und oft unwiderruflichen Schäden der Gesundheit und in der Umwelt führten. Angemessenes, vorsorgendes und im richtigen Verhältnis stehendes Handeln heute, um annehmbare und mögliche ernsthafte Gesundheitsgefahren durch EMF zu vermeiden, werden wahrscheinlich aus zukünftiger Sicht als klug und weise angesehen.“
Die Washingtoner Konferenz zu Mobiltelefonen hat gerade das aktuelle Beweismaterial zu den möglichen Gefahren im Zusammenhang mit Mobiltelefonen, insbesondere das mögliche Hirntumorrisiko, ausgewertet. Ein Großteil dieses Beweismaterials wurde in einer EMF-Sonderausgabe der Fachzeitschrift der International Society for Pathophysiology[4] zusammengefasst. Die Beweislage für ein Hirntumorrisiko ausgehend von Mobiltelefonen, obwohl immer noch sehr begrenzt und stark bezweifelt, ist unglücklicherweise stärker als vor zwei Jahren, als wir erstmalig unsere Frühwarnung herausgaben.
Empfehlungen basierend auf der gegenwärtigen Beweislage
Die Beweislage ist jetzt stark genug, um unter Verwendung des Vorsorgeprinzips die folgenden Schritte zu rechtfertigen:
1. Für Regierungen, Mobilfunkindustrie und die Bevölkerung heißt das, alle vernünftigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Exposition gegenüber EMF zu reduzieren, besonders gegenüber der Hochfrequenz der Mobiltelefone, und besonders die Exposition von Kindern und Heranwachsenden, die am meisten durch Hirntumore gefährdet scheinen. Solche Maßnahmen würden auch den Stopp der Verwendung des Mobiltelefons direkt am Hirn einschließen. Dies kann durch SMS, Freisprechanlagen und Verwendung von Mobiltelefonen mit verbessertem Design, die weniger Strahlung erzeugen und passend für Freisprechanlagen sein könnten, erreicht werden.
2. Die wissenschaftliche Basis der gültigen EMF-Grenzwerte zu überprüfen, die schwerwiegenden Einschränkungen wie z.B. das Vertrauen in das angefochtene Paradigma des Wärmeeffekts haben, sowie die stark vereinfachenden Annahmen zur Vielschichtigkeit der Hochfrequenz-Exposition.
3. Wirkungsvolle Aufkleber und Warnungen zu den möglichen Risiken für Verwender von Mobiltelefonen liefern[5].
4. Die Mittel zu generieren, die notwendig sind, die dringend benötigte Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Mobiltelefonen und den dazugehörigen Sendeanlagen zu finanzieren und zu organisieren. Diese Mittel könnten Zuschüsse von der Industrie und möglicherweise eine kleine Abgabe beim Kauf oder bei der Verwendung von Mobiltelefonen einschließen. Die Idee einer Forschungsabgabe wurde, wie wir glauben, erstmalig in den 70er Jahren in den USA in der Gummi-Industrie mit einer Forschungsabgabe für die Aktivitäten dieser Industrie angewandt, als Lungen- und Magenkrebs ein wachsendes Problem in dieser Industrie wurden. Die Forschungsgelder würden von unabhängigen Einrichtungen verwendet werden.
Außerdem haben wir in früheren Darstellungen zur Gesundheitsgefährdung wie z.B. bei Blei im Benzin und Methylquecksilber bemerkt, dass „Frühwarn“-Wissenschaftler oft unter Diskriminierung, Verlust von Forschungsgeldern und unangebrachten persönlichen Attacken auf ihre wissenschaftliche Integrität leiden. Es würde überraschen, wenn dies nicht jetzt schon ein Merkmal der gegenwärtigen EMF-Kontroverse ist, es also immer noch, wie kürzlich in Nature berichtet, die übliche Praxis zu sein scheint.
Wissenschaftliche Verbände, Rechtsanwälte und Politiker sollten deshalb über Wege nachdenken, wie die Gesellschaft einen größeren Schutz für Frühwarn-Wissenschaftler gewährleisten könnte. Ein interessanter Präzedenzfall spielte in Deutschland, wo die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler[6] den Beitrag erkannte, den „whistleblowing“ Wissenschaftler und andere leisten können in einer robusten und transparenten Demokratie.
Abschließend hoffen wir, dass es kein Krebsrisiko gibt, oder tatsächlich überhaupt kein Risiko bei der Verwendung von Mobiltelefonen, und dass unsere Frühwarnungen (von denen manche sagen könnten, sie kommen sowieso schon etwa zehn Jahre zu spät) sich als unnötig erweisen. Aber wir würden lieber irrtümlich eine unnötige Warnung herausgeben als zu versäumen, die Bevölkerung rechtzeitig vor möglichen ernsthaften und unwiderruflichen Schäden zu warnen, um diese Schäden zu vermeiden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit,
Professor Jacqueline McGlade, Executive Director der European Environment Agency
Kopenhagen, 15. September 2009