Mobilfunk: die erste Entscheidung des EGMR

Artikel in 'Newsletter Menschenrechte 2006/2'
Dr. Eduard Christian Schöpfer berichtet uns, dass sich in der Ausgabe des "Newsletter Menschenrechte 2006/2" (Herausgeber ist das Österreichische Institut für Menschenrechte in Salzburg) die nunmehr erste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Thema behauptete Gesundheitsgefährdung durch Handymasten befindet.

Artikel vom 20. Juni 2006

Der EGMR hat die Beschwerde mehrheitlich für unzulässig erklärt und damit seine restriktive Rechtsprechung in Fragen der Umwelt und Gesundheit fortgeführt.

Eine Schweizerin hatte bei den Gerichten erfolglos Beschwerde gegen den Ausbau einer Mobilfunkanlage erhoben. Vor dem EGMR machte sie Verletzungen ihres Rechts auf ein faires Verfahren, auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit geltend.

Zur Nichtabhaltung einer öffentlichen Verhandlung stellte der EGMR fest, dass angesichts der Beurteilung hochtechnischer Fragen es nicht erwiesen sei, dass ein „Hören der Sache“ in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und von Zeugen und Experten die Meinungsbildung der Gerichte in entscheidender Weise hätte beeinflussen können. Zur Behauptung von Frau Luginbühl, das Mobilfunkantennenprojekt sei geeignet, sie in ihrer Eigenschaft als elektrosensible Person in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen, meinte der EGMR, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung durch Mobilfunkanlagen bislang nicht nachgewiesen werden konnte und mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit zum Großteil spekulativer Natur (!) seien. Unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Staaten in Umweltfragen sowie des Interesses der modernen Gesellschaft an einem vollständig ausgebauten Mobilfunknetz bestehe daher keine Verpflichtung zur Setzung weiterer Maßnahmen durch die nationalen Behörden.

Diese Entscheidung ist verfehlt, geht von einer undifferenzierten Betrachtungsweise aus und gibt in mehrerlei Hinsicht Anlass zur Kritik:

1. Der EGMR hat in seiner Entscheidung neueste wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich des Wirkungszusammenhangs zwischen Mobilfunk und Gesundheit nicht in Betracht gezogen, sondern sich mit dem Hinweis auf eine vom schweizerischen Bundesumweltamt veröffentlichte wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2003 (!) begnügt. Bereits ein Jahr später zeigte etwa die deutsche „Naila-Studie“ einen Anstieg von Krebsfällen im Umfeld von Mobilfunksendern.

2. Im vorliegenden Fall hätten sich die Gerichte ein persönliches Bild über die „Sattelfestigkeit“ der pro- und kontra Argumentation der Parteien machen sollen. Es wurde weder ein medizinischer Sachverständiger für Mobilfunk noch Zeugen zu Rate gezogen, darüber hinaus wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgelehnt, einen Messtechniker zwecks Vorstellung einer neuen Methode zum Nachweis gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch elektromagnetische Strahlung vorzuladen. Zwar mag ein durchgehend schriftliches Verfahren unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein, im vorliegenden Fall ging es aber um behauptete Eingriffe in eminent wichtige Schutzgüter wie Gesundheit, Leben und körperliches Wohlbefinden. Die Gerichte wären daher zu besonderer Sorgfalt und Umsicht verpflichtet gewesen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte ihnen Gelegenheit gegeben, die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zu überprüfen und ihren Fall einer fundierten (!) Überprüfung zu unterziehen.

3. Die Hinweise mehren sich, dass Mobilfunk eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt. Der Grad der vorliegenden Evidenz für eine gesundheitsschädigende Wirkung hochfrequenter Strahlung ist schon derzeit ausreichend, um weitergehende Reduktionen der Strahlenbelastung zu rechtfertigen. Bei dem derzeitigen Kenntnisstand zu warten ist unverantwortlich und steht auch im Widerspruch mit dem völkerrechtlichen Vorsorgeprinzip. Danach sind die Staaten zur frühzeitigen Untersuchung und vorausschauenden Bekämpfung möglicher Gefahren für die Umwelt auch dann verpflichtet, wenn die strengen Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Fundierung der Gefahr noch nicht erfüllt sind.

4. Leben und Gesundheit sollten absoluten Vorrang vor dem „wirtschaftlichen Wohl des Landes“ genießen, im Bereich der Umwelt und Gesundheit sollte der Ermessensspielraum der Staaten daher nicht ein weiter, sondern vielmehr ein begrenzter sein. Übrigens: Wenn der EGMR schon von einer modernen Gesellschaft spricht, sollte auch der Umwelt- und Gesundheitsschutz diese Eigenschaft besitzen, nämlich einen optimalen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt gewährleisten. Derzeit ist dies leider weder in Österreich noch sonst wo in Europa der Fall.

*)
Oesterreichisches Institut für Menschenrechte
Mönchsberg 2
A-5020 Salzburg
e-mail: oim.menschenrechteATsbg.ac.at
www.uni-salzburg.at/oim

Katharina Luginbühl gg. die Schweiz

Zulässigkeitsentscheidung vom 17.1.2006 s. weiterführende Links
Kammer IV
Bsw. Nr. 42.756/02
Behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung durch Mobilfunk

Artikel veröffentlicht:
25.07.2006
Autor:
diagnose:funk
Quelle:
Newsletter für Menschenrechte

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