Bundespolitik

Vorsorgeprinzip verankern

Bundestags-Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der folgende Antrag ist vom zuständigen Arbeitskreis der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen, muss aber noch von der Gesamtfraktion abgestimmt werden, bevor er in den parlamentarischen Geschäftsgang des Bundestages kommt.

Vorsorgeprinzip verankern – Menschen in Innenräumen vor Mobilfunkstrahlung schützen

I. 
Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der fortschreitende Einsatz von Mobilfunk und anderen Technologien, die entsprechende hochfrequente elektromagnetische Felder erzeugen, verursacht eine steigende Belastung der Menschen mit elektromagnetischer Strahlung auch und gerade in ihren Rückzugsräumen.

Das umfangreiche Deutsche Mobilfunk Forschungsprogramm (DMF) ist abgeschlossen und seine Ergebnisse sind vorgestellt. Als Kernaussage lässt sich festhalten: Es wurden keine Hinweise auf gesundheitliche Schädigungen durch die elektromagnetische Strahlung des Mobilfunks gefunden. Es wird allerdings eingeräumt, dass sich der Beweis für die Unschädlichkeit des Mobilfunks wissenschaftlich nicht führen lässt. Das Ziel die Wissensbasis über Wirkungen des Mobilfunks zu erweitern bleibt weiterhin richtig. Vor allem hinsichtlich der Wirkungen bei Kindern und im Hinblick auf mögliche Langzeitwirkungen besteht auch nach Abschluss des DMF weiterer Forschungsbedarf. Zu dieser Bewertung kommt auch die Bundesregierung, so erklärte Bundesumweltminister Gabriel bei der Vorstellung der Ergebnisse des DMF am 18. Juni 2008 in Berlin, dass weiterer Klärungsbedarf vor allem bei der Langzeitwirkung auf Kinder und Erwachsene bestehe.
Die Strahlenschutzkommission kommt in ihrer Stellungnahme von 13. Mai 2008 zum Ergebnis, dass für die Bewertung länger anhaltender bis lebenslanger Expositionen besonders im Hinblick auf potenzielle Langzeiteffekte noch Forschungsbedarf besteht. Auch bezüglich der Exposition bei Föten und Kindern sowie potenziellen Auswirkungen auf Kognition, Befindlichkeit und Schlaf gibt es noch offene Fragen.
Der „BioInitiative Report“, der von einer internationale Arbeitsgruppe renommierter Wissenschaftler, Forscher und Gesundheitspolitik-Experten (The BioInitiative Working Group) im Jahre 2007 veröffentlicht wurde, brachte die Europäische Umweltagentur (EEA) dazu, vor Gesundheitsgefahren durch Handys zu warnen und bei der Risikobewertung Parallelen zu anderen Produkten oder Technologien zu ziehen, bei denen ein mögliches Schadenspotential zu lange Zeit vernachlässigt worden sei.

In einer Zwischenbewertung des EU-Aktionsplans Umwelt und Gesundheit 2004 – 2010 stellte Anfang September das EU-Parlament fest, dass die Grenzwerte für die Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern (0 Hz bis 300 GHz) "nicht mehr aktuell" seien, da sie seit 1999 nicht mehr angepasst wurden. Sie trügen damit weder den Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien noch den von der Europäischen Umweltagentur ausgesprochenen Empfehlungen oder den strengeren Emissionsnormen, die z. B. von Belgien, Italien oder Österreich festgelegt wurden, Rechnung. Auch würden sie dem Problem besonders schutzbedürftiger Gruppen, wie Schwangerer, Neugeborener und Kinder, nicht gerecht.

Das große Deutsche Mobilfunk Forschungsprogramm wurde auch mit dem Ziel aufgelegt, bestehende Unsicherheiten in der Bewertung der Risiken elektromagnetischer Felder zu verringern und die Befürchtungen in der Bevölkerung über gesundheitliche Auswirkungen zu zerstreuen.
Dies ist ganz offensichtlich nicht gelungen. Viele Mobilfunk-kritische Menschen und Initiativen vertrauen auf Studien die zu anderen Ergebnissen kommen: der massiven Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit durch die Strahlung des Mobilfunks.

Hunderte von Studien und Gegenstudien haben bei vielen Menschen letztlich nur zu einem tiefen Misstrauen gegenüber den zuständigen Behörden in Deutschland geführt. Zwischen Vertretern dieser Behörden und Mobilfunk-Initiativen herrscht seit Jahren ein „Gutachter-Streit“ der sich nicht auf eine Lösung zubewegt. Das mag ein Stück weit auch dem Umstand geschuldet sein, dass der wissenschaftliche Erkenntnisstand als Grundlage für Risikobewertung mit der technologischen Entwicklung oft nicht Schritt halten kann.

Deutlich wird, dass die langfristigen Wirkungen zurzeit nicht ermittelbar sind. Wir benötigen deshalb einen anderen Ansatz für den Umgang mit dem Vorsorgeprinzip. Wir müssen Elektrosensiblen Schutz bieten und auf nicht weg zu argumentierende Befürchtungen von Menschen eingehen. Das Prinzip der Unverletzbarkeit der Wohnung sollte auch die freie Entscheidung jedes Menschen gewährleisten sich in seiner Wohnung Strahlung auszusetzen oder nicht. Schnurlose DECT-Telefone oder Handys zu benutzen liegt in der Entscheidungsmacht der/s Einzelnen. Der Strahlung von Sendemasten dagegen sind Menschen auch in ihrer Wohnung ungefragt ausgeliefert. Die „Indoorversorgung“ wird von den Mobilfunk-Betreibern automatisch so weit wie möglich hergestellt. Ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich nach repräsentativen Umfragen, die im Rahmen des DMF erhoben wurden, als „besorgt“, elektrosensibel reagiert eine Minderheit die sich statistisch kaum erfassen lässt. Allerdings ist die Abschirmung der eigenen Wohnung – der „faradaysche Käfig“ – extrem aufwändig und teuer im Vergleich zur Vorrichtung sich bei nicht vorhandener Indoorversorgung den Mobilfunk-Empfang ins Haus zu holen.

Die automatische Indoorversorgung aufzugeben ist ein Lösungsansatz der Elektrosensiblen die eigene Wohnung als Schutzraum gewährt. Wer die Indoorversorung wünscht, kann das mobile Telefonieren in Innenräumen über die Installation einer entsprechenden Antenne oder Mikrosender sicherstellen. Die Strahlungsintensität der Sendemasten müsste auf ein Niveau geregelt werden, das die Indoorversorgung grundsätzlich ausschließt. So wäre gewährleistet, dass die BewohnerInnen selbstbestimmt über ihren Wohnbereich entscheiden können.

Da Bayrische Landesamt für Umweltschutz hatte 2004 in einer Studie die Möglichkeiten und Grenzen der Minimierung von Mobilfunkemissionen untersuchen lassen. Es wird dargelegt, welche Konzepte der Strahlungsminimierung praktikabel und Erfolg versprechend sind. Drei Handlungsweisen wurden identifiziert und damit deutlich gemacht, dass Strahlungsminimierung grundsätzlich möglich ist. In den letzten Jahren häufen sich die Bestrebungen von Kommunen, bei der Beurteilung von Mobilfunkstandorten strengere Maßstäbe anzuwenden als sie von der 26. BImSchV vorgesehen sind und damit eine strahlungsminimierende Planung für ihr Einflussgebiet vorzunehmen. Unterstützt wird dies auch durch die Minimierungsempfehlungen des SSK vom 14.09.2001 „Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern“. Jedoch ist es für die einzelne Kommune, einen Landkreis oder ein Bundesland nicht möglich, verbindliche verschärfte Immissionsrichtlinien für den Mobilfunk vorzugeben, da dies ausschließlich in der Kompetenz des Bundes liegt. Neueste Gerichtsurteile geben den Gemeinden grundsätzlich die Möglichkeit, durch einen Bebauungsplan Standorte für die Errichtung von Mobilfunkanlagen auszuweisen. Eine Veränderungssperre zur Sicherung der Bauleitplanung ist dann wirksam, wenn im Zeitpunkt ihres Erlasses ein hinreichend konkretes umsetzbares Planungskonzept vorliegt. Zu diesen Ergebnissen kommt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) in einem Urteil vom 2. August 2007. Der Bund sollte seiner Verantwortung nachkommen und diese Bestrebungen vereinheitlichen und vereinfachen. Wir brauchen ein Strahlungsminimierungskonzept der Bundesregierung.

II.  Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

- ein strahlungsminimiertes Mobilfunkkonzept vorzulegen, welches die Schutzbedürfnisse elektrosensibler Menschen berücksichtigt und dabei die Bestrebungen in den Ländern und Kommunen aufgreift.
Berlin, den (Druckdatum)

 

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Nebenstehend finden Sie den Antrag als PDF unter den Downloads!

 

Artikel veröffentlicht:
19.09.2008
Autor:
diagnose:funk

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