Strahlen drücken auf Preise der Wohnhäuser

Wertminderung von Liegenschaften
Mobilfunkantennen und Stromleitungen lösen nicht nur gesundheitliche Sorgen aus. Berner Immobilienfirmen bestätigen: Der Marktwert eines Hauses sinkt, wenn in der Nähe solche Anlagen montiert werden.

Morgens um zwei Uhr wacht Ernst Brönnimann auf – jede Nacht. Das Brummen der Hochspannungsleitung, die wenige Meter neben seinem Hof bei Oberbalm vorbeiführt, sei dann klar zu hören. Für die nächsten ein bis zwei Stunden könne er an Schlaf nicht mehr denken. Der frühere Berner Großrat ist überzeugt, dass seine Schlaflosigkeit mit der Stromleitung zu tun hat. «In meiner Ferienwohnung in Spanien schlafe ich nämlich hervorragend.»

Die Leistung der Stromleitung soll in nächster Zeit massiv erhöht werden. Brönnimann sorgt sich nicht nur um seinen Schlaf. Er will auch wissen, was dies finanziell für ihn bedeuten könnte. Er hat ein Immobilienunternehmen damit beauftragt, zu schätzen, mit welchem Wertverlust seiner Liegenschaft er rechnen muss – «auch, wenn das Resultat ernüchternd sein könnte». Für rund eine Million Franken hat Brönnimann zwei Mietwohnungen in seinen Hof eingebaut. Wenn die Leitung aufgerüstet und nicht verlegt wird, werde die Lage prekär, so Brönnimann. «Dann muss ich die Mieten wohl tiefer ansetzen», sagt er, «vielleicht will auch gar niemand mehr hier wohnen.»

Preise sinken über Nacht

Nicht nur wegen Stromleitungen, auch wegen Natelantennen kann der Marktwert umliegender Häuser in den Keller fallen: «Ich lachte früher über dieses Argument von Mobilfunkgegnern», sagt Jean-Pierre Weyermann von der Berner Immobilienfirma Schneller AG. Doch in letzter Zeit sei er eines Besseren belehrt worden. Sogar «massiv», das heißt «30 bis 50 Prozent», könne der Marktwert einer Liegenschaft sinken, wenn eine Antenne oder eine Stromleitung in der Nähe eingerichtet werde.

Auch Paul Brand, Inhaber der Aare Immobilien-Treuhand AG in Muri, stellt fest, dass sich Anfragen für Hausschätzungen wegen Strahlen häufen. «Es ist eine neue Form von äußerem Einfluss.» Mit einer abstrahlenden Anlage in der Nachbarschaft werde es schwieriger, ein Haus zu vermieten. Der Ertragswert sinke, und es komme zu einer Wertverminderung.

30 Prozent Mietreduktion

Im Jahr 2000 entschied das Genfer Mietamt, dass Mietern in einem Quartier eine Mietzinsreduktion von 30 Prozent zustehe. Der Grund: Auf dem Dach einer nahen Liegenschaft befand sich eine Mobilfunkanlage der Firma Sunrise, gegen welche sich die Anwohner gewehrt hatten. Obwohl der Besitzer der Liegenschaft für die Antenne Miete kassiert, verlangte er, dass Sunrise die drei Antennen abbaut – die Mietverluste waren enorm geworden.

Es sei nicht grundsätzlich zu schätzen, welchen Wert eine Liegenschaft durch eine nahe Antenne verliere, sagt Francesco Canonica. Er ist Mitglied des Kreises 6 (Region Bern) der Eidgenössischen Schätzungskommission. «Es gibt viele Daten über Strahlen», sagt er. Darauf stütze sich auch das Recht, wenn es darum gehe, eine Antenne oder Leitung zu bauen. «Aber Tabellen und Richtwerte, was das finanziell bedeuten kann, gibt es nicht», so Canonica, «denn jeder Fall ist ein Einzelfall, ähnlich wie beim Lärm.»

Die Studie des Buwal

In Zukunft könnten die Strahlen noch stärker auf den Preis betroffener Häuser drücken. Denn immer öfter sprechen laut Immobilienhändler Wymann nicht nur Kunden, die sensibel auf Strahlen reagieren, das Thema an. Auch Leute, die keine Angst vor Elektrosmog hätten, verlangten Preissenkungen. «Sie befürchten, das Haus später nicht mehr zum selben Preis verkaufen zu können.» Dass Häuser in der Nähe einer Stromleitung an Wert verlieren, hat 2003 auch das Bundesgericht bestätigt (Kasten).

Ein Thema ist der neue Preisfaktor auch beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal). Seit 2004 ist dort eine Studie zu den Auswirkungen von Immissionen auf den Marktwert von Liegenschaften in Arbeit. Neben Fluglärm untersucht das Buwal auch Mobilfunkantennen als möglichen Einfluss. Das Buwal will die Ergebnisse nächstes Jahr veröffentlichen.

Keiner wills auf dem Dach

Dächer von Mehrfamilienhäusern sind begehrte Antennenstandorte. Die Mobilfunkanbieter dürfen aber nur dann eine Antenne installieren, wenn der Besitzer einwilligt. Offenbar ist das immer seltener: «Neun von zehn Hausbesitzern lehnen entsprechende Anfragen ab», sagt Rolf Kuhn, Inhaber der Liegenschaftsverwaltung Kuhn Immobilien in Worb. Erstaunlich ist Kuhns Bilanz, weil die Telefongesellschaften den Hausbesitzern Mieten für die Antennen zahlen. Kuhn weiß von einem Fall, in dem ein Unternehmen für die Jahresmiete 4000 Franken zahlte.

Eine mögliche Erklärung für diese Ablehnung hat Martin Frei, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Immobilienschätzerverbands. «Mein subjektiver Eindruck ist, dass die Leute dann viel empfindlicher reagieren, wenn Antennen oder die Strommasten gut sichtbar sind.»

Wohnbauten in der Nähe einer Stromleitung können auch einen Wertverlust erleiden, wenn die Überbaubarkeit nicht behindert wird und keine Immissionen zu befürchten sind. Viele Käufer würden sich nämlich aus psychologischen Gründen nicht mehr für solche Liegenschaften interessieren. Dies hielt das Bundesgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2003 fest. Ein Landwirt aus dem Glarnerland klagte, seine Liegenschaft werde um 70 Prozent entwertet, weil die Stromleitung über seinem Grundstück aufgerüstet wird – wie in Oberbalm (siehe Haupttext). Der Kläger erhielt allerdings nur die in einem solchen Fall übliche Entschädigung. wrs

Artikel veröffentlicht:
21.04.2005
Autor:
Mischa Aebi, Wolf Röcken | Berner Zeitung
Quelle:
BERNER ZEITUNG, 21.04.2005
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