Kommentar der Woche von Kern & Hauser

Dezember 2024
Kommentar der Woche, verfasst von Prof. a. D. Helmuth Kern und dem Journalisten Bert Hauser, ehem. Leiter der Redaktion Landespolitik des Süddeutschen Rundfunks. Sie verfassen diese Kommentare schon seit 20 Jahren für das örtliche Amtsblatt. Jede Bürgerinitiative kann sich dieser Kommentare von Kern & Hauser frei bedienen.
Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

04.12.2024

Wir informieren: Vom Spielen in der realen Lebenswelt und in der virtuellen Bildschirmwelt (Teil 1)

Im Vortrag von Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt am 14.11. 2024 in Neckartenzlingen ist sehr deutlich geworden, dass die reale Erfahrung, das reale Spielen im Kindes- und Jugendalter für die Reifung des Gehirns unabdingbar ist. Erfahrungen mit allen Sinnen braucht es dazu. Sehen, Sprechen, Tasten, Riechen, Bewegen. Das Spiel der Kinder ist Erfahrungsspiel, da klebt der Ton an den Händen, er ist feucht, kalt. Ganz anders als das Bienenwachs, das schnell in den warmen Händen modellierfähig wird und sich dann ganz dünn ausziehen lässt, bis es fast durchsichtig wird und beim Warmwerden wunderbar duftet. Beim Klettern, beim Rutschen, beim Balancieren sind es immer neue Erfahrungen, die im Gehirn verschaltet werden. Deswegen sind vielsinnliche Erfahrungen im aktiven Erkunden der Umwelt wichtig für die kognitive, emotionale und motorische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.

Die Reduzierung der Erfahrungswelt auf digitale Endgeräte stellt hier deshalb eine Mangelsituation dar.

Vor 30 Jahren, am 3. Dezember 1994, kam die erste Playstation in Japan und noch im gleichen Jahr in Europa auf den Markt. Der Erfolg der Simulation der neuen 3D Erlebnisse war riesig.

Was junge Erwachsene und Erwachsene am digitalen Spielen mit Simulationsspielen fasziniert, ist u. a. auch die Möglichkeit der realen Wirklichkeit mit ihren An- und Überforderungen, ihren Ängsten und Bedrohungen, ihren Problemen zu entkommen. Damit ist jedoch ein Verlust des Kontakts mit der Lebenswelt verbunden.

Die virtuelle Bildschirmrealität ist eine Scheinwelt, die immer beherrschbar ist, auch wenn unvorhergesehene Probleme auftreten, das gibt zumindest im Spiel das Gefühl der Sicherheit, der Planbarkeit. In dieser Scheinwelt braucht es gar nicht mehr alle Sinne, nicht das Riechen, nicht das Schmecken, nicht das Tasten, nicht den Bewegungssinn, nicht den Raumsinn. Eine Welt, die nur auf der Oberfläche des PC existiert und die mit den Pfeiltasten der Tastatur gelenkt wird. Sie ist mit komplizierten Rechenleistungen und einem ausgeklügelten Softwareprogramm verbunden. Ein digitales Gehirn sozusagen, ein fremdes allerdings, dass dann die Spielhandlungen, die Pläne und Entscheidungen des Spielenden steuert.

Warum Erwachsene vom PC-Spiel "Landwirtschaftssimulator 25" so begeistert sind, davon berichtet Henrik Rampe in seinem Artikel „Womit keiner rechnet – immer weniger Menschen wollen Landwirte werden. Zugleich pflügen enorm viele Deutsche virtuelle Felder, bauen am Bildschirm Gerste an und halten Vieh. Was steckt dahinter?“ (DIE ZEIT vom 21. November 2024).

Darüber informieren wir in Teil 2.


Quelle: InfoMobilFunk Neckartenzlingen

11.12.2024

Wir informieren: Vom Spielen in der realen Lebenswelt und in der virtuellen Bildschirmwelt (Teil 2 und Schluss)

Das PC-Computerspiel: Landwirtschafts-Simulator 25

2008 hat ein Schweizer Student und ein Softwareingenieur mit einem Startkapital von 25.000 Franken dieses Simulationsspiel entwickelt. Vor kurzem hat es Giants Software, die Firma der Gründer, in der 26. Version auf den Markt gebracht hat. „Allein innerhalb der ersten sieben Tage wurde sie zwei Millionen Mal verkauft“ schreibt Henrik Rampe, der Autor des Artikels, in der Serie „Womit keiner rechnet“ in der ZEIT am 25.11. 2024.

2023 sei es das meistverkaufte Computerspiel in Deutschland gewesen, der Hype würde anhalten. Auf der Streaming-Plattform Twitch filmten sich die ambitioniertesten Spieler sogar dabei, wie sie mit Traktoren über die Äcker fahren. Auch Sophie Klein, besser bekannt unter ihrem Gamer-Namen „sophiexelisabeth“ sei mit 12 Stunden Livestream dabei, mehr als 2.000 Fans schauten ihr zu und fragten im Chat, ob gewalzte Böden ertragreicher seien und mit welchem Traktor sie am liebsten unterwegs sei.

Dieses Verhalten steht in krassem Gegensatz zur realen Welt. Dort stänke die Gülle, die Feldarbeit mache die Hände schmutzig und immer weniger Menschen bewirtschafteten einen Hof.

In den letzten 30 Jahren habe sich der Bestand der Höfe in Deutschland mehr als halbiert. Immer weniger Landwirte fänden einen Nachfolger für ihren Hof.

„Der Reiz solcher Spiele besteht darin, dass Hindernisse authentisch sind und herausfordern ohne zu überfordern, zitiert der Autor den Kulturwissenschaftler Claudius Clüver von der Universität Siegen, der unter anderem zu Spielen forscht.

Neu sei das Phänomen nicht. 1992 habe Microsoft einen Flugsimulator präsentiert, in den 2002er Jahren kamen auch  die Sims-Videospiele  auf den Markt. Die Spieler steuerten dort nun Familien. Einen Kehrmaschinen-Simulator, einen Weinbau- und einen Steinbruch-Simulator gebe es heute. Doch so erfolgreich wie der Landwirtschafts-Simulator,  weltweit 30 Millionen Mal verkauft, seien diese Spiele, nicht.

(Quelle: DIE ZEIT vom 25. November 2024)

Vielleicht ist das auch ein Zeichen der Krise, in der wir heute stecken. „Die neue Unübersichtlichkeit“ hatte das der Philosoph Jürgen Habermas in den frühen 1980ern formuliert, Zeichen eines Rückzugs auf die eigene Person. Habermas empfahl zu überprüfen, ob man sich nicht von Illusionen leiten ließe. Emanzipation davon war damals eine Forderung, und heute?


Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

17.12.2024

Wir informieren: Smartphoneverbot in Deutschland wird zum Thema in der Tagesschau

Wer am 13. Dezember die Tagesschau um 20 Uhr im 1. Deutschen Fernsehen gesehen hat, der wurde dort mit einem Thema überrascht, das zwar in anderen Ländern schon lange diskutiert wird und dort bereits zu Konsequenzen geführt hat, bei uns jedoch bis jetzt Sache der einzelnen Schulen und deren Entscheidung war: Verbot des Smartphones an Schulen bis 16 Jahren.

Jens Riewa, der Chefnachrichtensprecher umriss einleitend das Problem mit den Smartphones in den Schulen: „Neue Kommentare bei Instagram, Direktnachrichten oder Videos auf der Social-Media-Plattform TikTok, damit verbringen viele Schüler und Schülerinnen ihre Unterrichtspausen.“ Dann nannte er die möglichen Auswirkungen übermäßiger Nutzung, vor denen Experten schon länger warnten: Ängste, depressive Verstimmungen und Essstörungen. Daher gebe es Schulen, die Smartphones generell verbieten. Die Bildungsminister der Länder diskutierten über ein bundesweites Handyverbot an Schulen. Die Meinungen über ein solches Verbot seien unterschiedlich.

Danach waren Szenen aus der Pause in einer integrierten Gesamtschule in Mainz zu sehen. Bilder von älteren Schülerinnen und Schülern, die mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Dazu die Stimme des Berichterstatters Jury Sonnenholzner: “Doch oft gehen mit den sozialen Netzwerken auch Mobbing, Falschmeldungen oder Hass einher“. Brächte ein Handyverbot an Schulen Abhilfe, fragt er; uneins sei sich die Schülerschaft darüber. Zwei Schülerinnen und eine Lehrerin äußern sich dann. Die erste Schülerin findet ein Smartphoneverbot gut, denn es gäbe sehr schwerwiegende  Auswirkungen von social media auf Kinder unter 16. Sie selbst sei unter 16 und für sie wäre das gut, meinte sie, denn dann ginge es ihr besser, wenn es verboten wäre. Die gegenteilige Meinung vertritt eine andere Schülerin: „..., denn Menschen etwas zu verbieten, sorgt für große Unzufriedenheit“ sagt sie.

Zwei exemplarische Meinungen werden damit gegenübergestellt: eine subjektbezogene und eine gesellschaftsbezogene. Sonnenholzner spricht dann den aktuellen Stand an: „Zur Zeit können Schulen selbst entscheiden, ob sie Handys verbieten. Einige Bundesländer möchten sie aber generell verbannen. Dafür sprechen wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen aus anderen Ländern wie in Frankreich.“ Dort würden die Lehrkräfte von mehr Konzentration, besserem Schulklima und mehr Interaktion in der Schülerschaft berichten. Doch in Deutschland würden viele Lehrerinnen statt eines Verbots pädagogische Arbeit für notwendig erachten.

Danach kommt eine Lehrerin der Gesamtschule zu Wort, deren Meinung dies unterstreicht: Es sei ganz klar die Aufgabe, als Schule in Zusammenarbeit mit den Eltern für die Kinder den besten Weg herauszufinden, wie viel Handyzeit in Abhängigkeit von der Altersstufe sinnvoll sei. Und: Es sei wichtig, die Folgen der Digitalisierung in den Griff zu bekommen.

Abschließend weist Sonnenholzner darauf hin, dass im März die Bildungsminister in ihrer Konferenz über ein Handyverbot an Schulen entscheiden werden. (Quelle: Tagesschau24 vom 13.12.2024
20 Uhr, Videozeit zwischen Minuten 12.31 und 14.33)

Das ist eine Chance für Eltern, Elternbeiräte und den Gesamtelternbeirat, im Sinne ihrer Kinder auf ihre politischen Mandatsträger einzuwirken. Material dazu ist zu finden unter: „Smartphone-Verbot an Schulen: Sinnvoll, vor allem mit pädagogischer Begleitung - Pressemitteilung des Lehrstuhls für Pädagogik der Universität Augsburg“ vom 28. April 2024 in: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=2118

Am Donnerstag, 30. Januar 2025, wird der nachgeholte Vortrag von Prof. Dr. Christian Montag, Universität Ulm, zum Thema "Wie sozial sind soziale Medien?" stattfinden. Beginn 20 Uhr, Aula Auwiesenschule Neckartenzlingen, Auwiesenstraße 1. Herzliche Einladung. Der Eintritt ist frei, über Spenden freuen wir uns.

Und wenn Sie sich überlegen, was Sie Ihren Kindern, Enkeln und jungen Verwandten zu Weihnachten schenken könnten, dann ist etwas zum analogen Lesen, zum Spielen, zum Basteln, zum Experimentieren in jedem Fall einem Smartphone weit überlegen.

Wir wünschen allen „strahlungsarme“, gesunde und frohe Weihnachtstage und ein Neues Jahr 2025 in Frieden!


Wir freuen uns über neue Mitglieder im InfoMobilFunk Neckartenzlingen und Umgebung, Ortsgruppe im Mobilfunk Bürgerforum e. V. www.mobilfunk-buergerforum.de

Die Vorsitzenden: Prof. a. D. Helmuth Kern, Bert Hauser (Telefon: 07127/35655 bzw. 07127/35949)


Alle Kommentare finden Sie hier: diagnose-funk.org/kommentar

Artikel veröffentlicht:
04.12.2024
Artikel aktualisiert:
17.12.2024
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