Kinder, Jugend und digitale Medien
Ohne Berücksichtigung der Erkenntnisse der Gehirnforschung gelingt kein Ausweg aus der Smartphone-Epidemie!
Gertraud Teuchert-Noodt, Peter Hensinger
Im Jahr 2007 kam das Smartphone auf den Markt. Eine Zeitenwende, die sich bis heute gravierend auf Familien, ihre Kinder, Kitas und Schulen auswirkt. Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt definiert in seinem Buch „Generation Angst“ diese Zeitenwende als „die vollständige Umstellung von einer spielerischen Kindheit, die wir seit Millionen von Jahren hatten, auf eine telefonbasierte Kindheit.“ Er beschreibt die gravierenden Auswirkungen auf die psycho-soziale Verfassung der Kinder und Jugendlichen: „Um das Jahr 2012 stürzte die geistige Gesundheit junger Menschen eine Klippe hinunter“. Dieser Artikel geht von der phänomenologischen Beschreibung der negativen Symptome der Digitalisierung zu den tieferen Ursachen. Die Neurowissenschaft und Humanbiologie erklären, warum uns die Digitalisierung unmerklich in eine Sackgasse führt. Die Digitalisierung ist eine Cyberattacke auf das Gehirn.
In dem Artikel der Neurobiologin Prof. Teuchert-Noodt und des Pädagogen Peter Hensinger werden die Wechselwirkungen zwischen der Hebbschen Lernsynapse, der Wolffschen Kompensationstheorie und der Rolle digitaler Medien im Kontext der Neuroplastizität ausführlich beleuchtet. Die Hebbsche Lernsynapse, die für die neuronale Sensitivierung und Langzeitpotenzierung verantwortlich ist, wird als grundlegender Mechanismus für das Lernen und die Gedächtnisbildung beschrieben. Diese Synapsen sorgen durch die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Glutamat für die dauerhafte Verstärkung neuronaler Schaltkreise, die besonders in frühen Entwicklungsstadien stark ausgeprägt sind
Die Wolffsche Kompensationstheorie hingegen erweitert dieses Verständnis auf die systemische Ebene und betont die Rolle der neuronalen Selbstorganisation und adaptiven Anpassungen. Insbesondere unterstreicht sie die Fähigkeit des Gehirns, durch Umweltbedingungen beeinflusste Anpassungen vorzunehmen, was beispielsweise bei Kindern mit genetischen Einschränkungen zu einer erhöhten kognitiven Leistungsfähigkeit führen kann, sofern günstige Umweltbedingungen herrschen.
In der heutigen Zeit, in der digitale Geräte allgegenwärtig sind, üben jedoch die elektronischen Bildschirmmedien einen erheblichen, oft schädlichen Einfluss auf die natürliche Entwicklung aus. Die digitale Überflutung behindert laut den Autoren die Reifung des Gehirns, insbesondere in Bezug auf Aufmerksamkeit, soziale Interaktionen und die Raum-Zeit-Koordinationen.
Abschließend unterstreicht der Artikel, dass es dringend notwendig ist, die Bildung digitaler Medienkompetenz so zu gestalten, dass sie nicht die natürliche neuronale Entwicklung beeinträchtigt. Dies erfordert ein sorgfältiges Abwägen, wann und in welchem Ausmaß Kinder digitalen Medien ausgesetzt werden, um ihre neuroplastischen Potenziale optimal zu fördern und negative Effekte zu vermeiden.