Telekommunikationsnetzausbau-Beschleunigungsgesetz (TkNaBeG) umweltverträglich und glaubwürdig gestalten
Der Entwurf des Telekommunikationsnetzausbau-Beschleunigungsgesetz (TkNaBeG) sieht vor, dass ein „überragendes öffentliches Interesse“ am Mobilfunkausbau festgeschrieben werden soll, mit Ausnahme von Nationalparks (0,6% der Landesfläche).
In dieser Argumentationshilfe zeigt diagnose:funk, dass diese Formulierung
- die Gemeindeautonomie einschränkt,
- den Naturschutz beeinträchtigt,
- den Gesundheitsschutz nicht ausreichend beachtet,
- und geändert werden kann, um Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit sowie internationale Glaubwürdigkeit zu verbessern.
Zu 1.: Gemeindeautonomie
diagnose:funk begrüßt die Empfehlung der Ausschüsse,[1] wonach aus dem Gesetzentwurf in §154 Absatz 1 Satz 2 die Kommunen ausgenommen werden bei der Zurverfügungstellung von Immobilien.
Hintergrund
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte bereits 2012, bei Bestrebungen einer Kommune zur Minimierung von Mobilfunkstrahlung gehe es nicht um lediglich „irrelevante Immissionsbefürchtungen“, es seien auch „die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (§1 Abs.6 Nr.1 BauGB) betroffen (…):" Bestehende Besorgnisse seien daher dem „vorsorgerelevanten Risikoniveau“ zuzuordnen.[2] Daher können Gemeinden beim Bau von Mobilfunkmasten das Dialogverfahren aus §7a 26. BImSchV nutzen, um Bedarf und Standort neuer Mobilfunkmasten immissionsmindernd und damit gesundheits- und umweltverträglich selbst zu steuern. Dieses Recht muss den Kommunen weiterhin zustehen, da sie vor Ort am besten wissen, wie sich Bedarf, Belastung und Ausbaumöglichkeiten darstellen.
Die ursprünglich vorgesehene Regelung, dass Gemeinden ihre Immobilien für Mobilfunkmasten zur Verfügung stellen müssen, würde folglich auch gegen die Gemeindeautonomie (§ 28 GG) und gegen das Recht und die Pflicht der Gemeinden verstoßen, durch Mobilfunkvorsorgekonzepte den Gesundheitsschutz zu gewährleisten.[3] Mit dem Vorschlag der Ausschüsse sind solche rechtlichen Bedenken ausgeräumt.
Zu 2.: Naturschutz
diagnose:funk wertet die Entscheidung des Bundesrats vom 27.9.2024 als ersten positiven Schritt in die richtige Richtung, dass im Entwurf des TkNaBeG in Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe a § 1 Absatz 1 Satz 3 die Nationalparks vom überragenden öffentlichen Interesse ausgenommen werden. Satz 3 sollte aufgrund der wissenschaftlichen Studienlage und aufgrund internationaler Naturschutzzusagen wie folgt zu erweitert werden:
-
Satz 2 findet im Rahmen der naturschutzrechtlichen Prüfung keine Anwendung in Nationalparken, Naturschutzgebieten, Natura-2000-Gebieten, Kernzonen von Biosphärenreservaten.
Hintergrund
In der Europäischen Union wurde 1992 beschlossen, ein Schutzgebietsnetz (Natura 2000) aufzubauen für den Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume.[4] Nach der EU-Biodiversitätsstrategie sollen 30% der Landesfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden (10% unter strengen Schutz).[5] Die Errichtung und der Betrieb von Mobilfunkmasten in diesen Gebieten jedoch steht deren Schutzziel entgegen:
Errichtung von Mobilfunkmasten in Naturschutzgebieten
Beschleunigungsgesetze und die Festschreibung eines Vorhabens als von ‚überragendem öffentlichen Interesse‘ wirken sich negativ auf den Umweltrechtsschutz aus, da unter anderem Beteiligungsmöglichkeiten wegfallen, da keine Prüfung innerhalb der Stellungnahmefristen mehr möglich ist.[6]
Im Rechtsgutachten von Nitsch/Weiss/Frey (2020) heißt es zu Naturschutzgebieten:
- „Da die Errichtung von Sendemasten grundsätzlich einen erheblichen, uU nach § 15 BNatSchG unvermeidbaren Eingriff in Natur und Landschaft darstellt, kommen naturschutzrechtliche Aspekte der §§ 14 ff. BNatSchG vor allem bei der Errichtung von Sendemasten im Außenbereich oder in festgesetzten Schutzgebieten zum Tragen.“ [7]
Diese Regelungen, die eine Überprüfung der Umweltverträglichkeit vorschreiben, würden durch das „überragende öffentliche Interesse“ im TkNaBeG ausgehebelt. Umwelt- und Naturschutz sind im Grundgesetz jedoch als Staatsziel verankert, und sie sind notwendig für die Sicherung unserer Lebensgrundlage.
Wirkung der Mobilfunkstrahlung auf Insekten
In einem gemeinsamen Positionspapier positionieren sich die Naturschutzverbände BUND, Grüne Liga, NaturFreunde und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) in Brandenburg kritisch gegenüber dem TkNaBeG. Sie fordern wissenschaftlich begründet: „Keine Mobilfunkmasten in Naturschutzgebieten!“[8] Zentrales Argument für die Naturschutzverbände ist die Gefährdung von Insekten durch elektromagnetische Felder (EMF).
Zwei aktuelle große wissenschaftliche Studien (Reviews), die die Gesamtstudienlage zu Mobilfunkstrahlung und Insekten untersucht haben, kommen unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass Mobilfunkstrahlung schädlich für Insekten ist.[9] Im Labor, wo keine weiteren Schädigungen wie Pestizide, Nahrungsmangel oder Klimafolgen auftreten, verlieren Insekten ab 3% des Mobilfunk-Grenzwerts (2 V/m) bereits die Orientierung. In neuen Freilandstudien wie der peer-reviewten Studie der renommierten Uni Hohenheim zeigen sich bei Bienen Orientierungsverluste bereits bei knapp 2% (1,1 V/m) des gesetzlichen Mobilfunkgrenzwerts.
Wenn Deutschland international glaubwürdig sein will, müssen diese Forschungsergebnisse im Sinne des Vorsorgeprinzips in die Politikgestaltung erkennbar einfließen. Auch die internationalen Zusagen für Schutzgebiete müssen glaubwürdig umgesetzt und der Naturschutz in diesen Gebieten ernst genommen werden.
Zu 3.: Gesundheitsschutz
diagnose:funk vermisst den Gesundheitsaspekt im Gesetzentwurf komplett. In Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe a § 1 Absatz 1 könnte ein zusätzlicher Satz 4 dieses Versäumnis beheben:
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„Satz 2 findet an Orten mit empfindlicher Nutzung (OMEN)[10] aus gesundheitlichen Erwägungen keine Anwendung.“
Hintergrund
Bereits heute ist praktisch das gesamte Bundesgebiet mit Mobilfunkstrahlung versorgt. Einige wenige Orte wie z.B. im Südschwarzwald oder in der Röhn bleiben als Wohnort für Menschen, die unter Elektrohypersensibilität (EHS) leiden. Diese Mitbürger verdienen Minderheitenschutz und Rücksichtnahme durch die gesamte Gesellschaft. Ein vollständiger, vollflächiger Ausbau des Mobilfunks mit hohen Datenraten, also hohen Strahlungswerten, ist für diese Menschen extrem belastend.
Die Debatte über Mobilfunkstrahlung und Gesundheit (v.a. Krebs und Fruchtbarkeit) geht jedoch über EHS hinaus und erstreckt sich auf die gesamte Bevölkerung: Der Technikfolgenabschätzungsbericht (TA-Bericht) des Deutschen Bundestags[11] sieht Mobilfunkstrahlung als problematisch an[12] und schlägt daher mobilfunkfreie Schutzzonen als eine politische Option vor. Den gleichen Vorschlag formuliert auch die STOA-Studie, die vom Technikfolgenausschuss des EU-Parlaments publiziert wurde.[13]
Zusätzliche Relevanz beim Gesundheitsschutz der gesamten Bevölkerung zeigt die ATHEM-3-Studie (Gulati et al., 2023). Sie ist die neueste Studie zu Sendemasten und weist beim Menschen sichtbare Chromosomenschäden als Langzeitwirkung nach, ausgelöst von einer nahegelegenen Mobilfunkbasisstation.[14] Die Studienlage zu Mobilfunkstrahlung, Krebs und Fruchtbarkeit wurde sowohl in der STOA-Studie als auch im TA-Bericht ausführlich dargestellt. Aufgrund dieser Ergebnisse verbietet sich der Ausbau des Mobilfunks mit der bisherigen Technik und Leistungsstärke komplett. Die im TA-Bericht losgetretene Grenzwertdebatte und eine Diskussion über Alternativen (z.B. Nationales Roaming, Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung) müsste anstelle des TkNaBeG im Bundestag geführt werden. Vermutlich ist diese weitreichende Erkenntnis aber noch nicht mehrheitsfähig.
Zu 4.: Änderungsvorschlag
diagnose:funk schlägt vor, im Entwurf des TkNaBeG den Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe a § 1 Absatz 1 Satz 3 wie folgt zu fassen und um Satz 4 zu ergänzen:
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„Satz 2 findet im Rahmen der naturschutzrechtlichen Prüfung keine Anwendung in Nationalparken, Naturschutzgebieten, Natura-2000-Gebieten, Kernzonen von Biosphärenreservaten. Satz 2 findet an Orten mit empfindlicher Nutzung (OMEN) aus gesundheitlichen Erwägungen keine Anwendung.“