Mobilfunkausbau im Bundesrat: Unterhaltung oder Umweltschutz? Gaming oder Gesundheit?

Pressemitteilung von diagnose:funk, 26.9.2024
Bundesrat muss FDP-Gesetz ablehnen: Natur- und Gesundheitsschutz wichtiger als flächendeckender Mobilfunk! / Verstoß gegen Grundgesetz?

Stuttgart, 26.9.2024: Die Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose:funk appelliert an die Mitglieder des Bundesrats sowie an die Umweltministerinnen und Umweltminister der Länder, am 27.9.2024 in der Bundesratssitzung unter TOP 53 abzulehnen, dass der Mobilfunkausbau zukünftig „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen soll. Dieses Vorhaben des FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums will den Mobilfunkausbau generell vor den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt stellen. Ein „überragendes öffentliches Interesse“ am Mobilfunkausbau würde bedeuten, dass z.B. der Naturschutz grundsätzlich gegenüber den Zielen des Mobilfunkausbaus als nachrangig zu werten wäre. Verstößt dieser Gesetzentwurf sogar gegen das Grundgesetz? In Art. 20a ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere als Staatsziel definiert. Auch ein Verstoß gegen Art. 2 GG (körperliche Unversehrtheit), Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 28 GG (Gemeindeautonomie) kommt in Betracht.

„Mobilfunkstrahlung ist umwelt- und gesundheitsschädlich“, sagt Jörn Gutbier, Vorsitzender von diagnose:funk. „Das sagen uns die neuesten Studien zu Mobilfunk und Insekten, das sagen uns seit Jahren die großen und sehr gut gemachten Tierversuche zu Mobilfunk, Krebs und Fruchtbarkeit. Und das sagt uns ganz aktuell eine Studie zu langfristigen Auswirkungen von Mobilfunkmasten auf das menschliche Erbgut. Selbst der Technikfolgenbericht des Deutschen Bundestags sieht Mobilfunkstrahlung als problematisch an und schlägt mobilfunkfreie Schutzzonen vor. Unsere Umwelt und unsere Gesundheit sind hohe Schutzgüter – auf Unterhaltung und Gaming auf dem Smartphone trifft das jedoch nicht zu. Daher muss der Bundesrat jetzt konsequent sein und diese Formulierung des ‚überragenden öffentlichen Interesses‘ beim Mobilfunkausbau ablehnen!“

Mobilfunkstrahlung ist eine Risikotechnologie, deswegen muss sie mit dem Ziel der Strahlenminimierung reguliert werden. Dies sieht auch der Technikfolgenbericht des Deutschen Bundestags vom Februar 2023 so: Als Vorsorgemaßnahme regt er auf Seite 17 die Errichtung von Schutzzonen an, „in denen die Verwendung von Mobiltelefonen oder die Errichtung von Sendeanlagen verboten oder stark eingeschränkt wird.“ Dies muss für die von Schleswig-Holstein vorgeschlagenen Nationalparke (Bundesrat Drucksache 391/2/24) ebenso gelten wie für Naturschutzgebiete, für Flora-Fauna-Habitate und für die Kernzonen von Biosphärenreservaten. Jörn Gutbier: „Die Insekten brauchen keine Bestrahlung, sondern Erholung.“

Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist zudem eine Reduzierung der Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung nötig. Dies zeigt u.a. die aktuelle ATHEM-3-Studie, in der durch Mobilfunkmasten ausgelöste Langzeitschäden im menschlichen Erbgut (statistisch signifikant) gefunden wurden – und das bereits bei 1% des Grenzwerts! Der Technikfolgenbericht des Bundestags empfiehlt ebenfalls eine „Anpassung der Grenzwerte.“ Die bisher angenommene Schutzfunktion der Grenzwerte wird außerdem durch ein neues Gerichtsurteil und durch ein juristisches Gutachten in Frage gestellt. Jörn Gutbier fordert: „Vorsorge first, Videostreaming second – so muss die Maxime beim Mobilfunk lauten!“

 

Hintergrund zur Mobilfunk-Studienlage:

Die meisten wissenschaftlichen Studien zeigen, dass Mobilfunkstrahlung schädlich für Gesundheit und Umwelt ist – auch wenn die Mobilfunkindustrie dies aus wirtschaftlichen Gründen anders darstellt.

Zu Krebs und geschädigter Fruchtbarkeit trifft z.B. der Technikfolgenbericht des Europäischen Parlaments (STOA-Studie) klare Aussagen:

  • Beim Menschen liegen „begrenzte Nachweise“ und bei Versuchstieren „ausreichende Nachweise“ für Karzinogenität vor. Mobilfunkstrahlung ist „wahrscheinlich krebserregend“.
  • Beim Menschen und bei Versuchstieren liegen „ausreichende Nachweise“ auf die Schädigung der männlichen Fruchtbarkeit vor. Mobilfunkstrahlung ist „fruchtbarkeitsschädigend bei Männern“.

Die Studienlage zur Schädigung von Insekten ist inzwischen eindeutig. Die Strahlung hat vielfältige negative Auswirkungen u.a. auf Fortpflanzung und Orientierung, siehe auch insekten-schuetzen.info. Das weisen die Studien von Treder et al. (2023, Uni Hohenheim), Molina-Montenegro et al. (2023), Nyirenda et al. (2022), Adelaja et al. (2022), die BEEFI-Studie zu Insekten von Thill et al. (2023) und der Review von Mulot et al. (2022) im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Umwelt (BAFU) nach. Dort heißt es:

  • „Anthropogene NIS [nicht-ionisierende Strahlung, also z.B. Mobilfunkstrahlung, Anm. diagnose:funk] stellen eine potenzielle Bedrohung für Arthropodenpopulationen dar, da sie den Selektionswert (Fitness), die Fortpflanzung und das Verhalten von Individuen beeinträchtigen.“
  • „NIS wirken eindeutig subletal auf Arthropoden, sowohl auf der Ebene der Zellen als auch des Organismus.“

Bereits Anfang 2024 kritisierte der NABU Deutschland, dass mit der Formulierung „überragendes öffentliches Interesse“ und sogenannten Beschleunigungsgesetzen wichtige Naturschutzstandards ausgehebelt werden sollen.

Artikel veröffentlicht:
26.09.2024
Autor:
Matthias von Herrmann
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