Unterschiedliche Ansichten
Diagnose:Funk, eine deutsch-schweizerische Umweltschutzorganisation, wurde schnell auf die Arbeit aufmerksam. Sie veröffentlichte einen Nachrichtenbeitrag mit einem kurzen Interview mit Mosgöller. "Die Ergebnisse sind besorgniserregend", sagte mir Peter Hensinger, Mitglied des D:F-Vorstands, per E-Mail, "sie müssen Konsequenzen für den Strahlenschutz haben."
Wilma Miles, eine EMF-Beraterin mit Sitz in Kapstadt, Südafrika, war die erste, die die Nachricht auf X/Twitter veröffentlichte. Sie stellte einen Link zu dem Papier zur Verfügung, gab aber keinen weiteren Kommentar ab.
Die Schweizer Forschungsstiftung für Elektrizität und Mobilkommunikation (FSM) in Zürich schaltete sich schnell ein und retweetete, was Miles gepostet hatte, mit dem Zusatz des ersten Satzes der Schlussfolgerungen der Studie: "In dieser Studie haben wir keine statistisch signifikanten DNA-Schäden und/oder oxidativen Stress gefunden, die auf den Aufenthalt in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen zurückzuführen sind."[3]
Frank de Vocht, ein neues Mitglied der ICNIRP, postete den Tweet von FSM erneut. Dies erregte die Aufmerksamkeit von Colin Legg, einem in Perth, Australien, ansässigen Fotografen, und veranlasste ihn, sich die Studie anzusehen. Er sah die "Highlights"-Box auf der Website der Zeitschrift und twitterte eine Antwort an die FSM:
Ich fragte Jürg Eberhard, den Geschäftsführer von FSM, warum er den signifikanten Unterschied bei den Chromosomenaberrationen in seinem Beitrag über X nicht erwähnt habe. "Aus Platzgründen haben wir nur den ersten Satz in unserem Tweet erwähnt", antwortete er. "Dieser Satz steht in direktem Zusammenhang mit dem Titel der Arbeit."[4]
Eine der Hauptaufgaben der FSM ist es, "Forschungsergebnisse der Gesellschaft zu vermitteln". Die Stiftung, die auch Gesundheitsstudien finanziert, hat derzeit fünf Hauptsponsoren, die den Großteil des Jahresbudgets bereitstellen: Cellnex, Ericsson, Sunrise, Swisscom - alles Telekommunikationsunternehmen - und Swissgrid, die die Stromübertragungsleitungen des Landes verwaltet.
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Wir danken Louis Slesin von Microwave News für die Publikationsgenehmigung.
Fußnoten ergänzt von diagnose:funk:
[1] Die REFLEX-Studie (2004), finanziert von der EU, wies DNA-Strangbrüche nach. Mit einer Desinformationskampagne versuchte die Industrie zu beweisen, dass die Ergebnisse gefälscht sind, dazu wurden alle Register gezogen. Die Autoren wehrten sich in zermürbenden juristischen Auseinandersetzungen, die sich bis 2022 hinzogen. Das Bremer Landgericht urteilte abschließend, dass die Behauptung der Fälschung nicht wiederholt werden darf. diagnose:funk dokumentierte diesen Wissenschaftsskandal kontinuierlich. Prof. Adlkofer, Koordinator der REFLEX-Studie, gab kurz vor seinem Tod für diagnose:funk dazu noch ein Interview.
>>> Interview mit Prof. Franz Adlkofer zu den Ergebnissen und Angriffen auf die REFLEX-Studie
>>> Bremer Urteil zur REFLEX-Studie
[2] Die Publikation der ICBE-EMF ist als diagnose:funk Brennpunkt erschienen: Die Zeit ist reif für neue Grenzwerte. Die neu gegründete Grenzwertkommission weist die Unwissenschaftlichkeit der geltenden ICNIRP-Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung nach (s.u. Publikationen).
[3 Diese Glättung einer Aussage wird in Unternehmen von abhängig Beschäftigten nicht selten im "Management Summary" gemacht. Damit evtl. unerwünschte Erkenntnisse nicht unter den Tisch fallen, lässt man sie in der Zusammenfassung beim Vortrag vor Vorgesetzten weg, um in Ruhe weiterarbeiten zu können, im Studientext bleiben sie erhalten. Oder man hat schon die Schere im Kopf und weiß, was nicht gut ankommt. Hierarchiestrukturen, ökonomische- und Karriereinteressen bedingen solche Praktiken. Im Dieselskandal in der Autoindustrie würden sich sicher viele Belege dafür finden. Manchmal ist es auch kluge Diplomatie. Deshalb ist auch das Abstract einer Studie nicht immer identisch mit den Studienergebnissen.
Zum zweiten scheinbaren Widerspruch der Einordnung von Oxidativem Stress in der Studie und im Abstract, der uns gleich auffiel, erklärte Prof. W. Mosgöller gegenüber >>> diagnose:funk:
"Die Rolle von oxidativen Schädigungen und Einzelstrangbrüchen bei Chromosomenschäden ist ja hinlänglich bekannt, und somit nicht neu. Wir haben Themen wie oxidativem Stress und DNA-Einzelstrangbrüchen nicht ausführlich und breit ausgeführt, weil:
- Der primäre Befund "Exposition mit schwachen HF-EMF über Jahre kann zu vermehrten Chromosomenschäden führen" steht für sich.
- Die Fach-Publikation richtet sich primär an Personen mit Fachwissen im Bereich Toxikologie. Diesem Leserkreis sind die Mechanismen für das Auftreten von Chromosomenschäden bekannt. Chronischer oxidativer Stress und chronische DNA-Brüche können zu Chromosomenschäden führen. Neu hingegen ist der Befund, dass beim Menschen unter jahrelanger Exposition mit HF-EMF über 1 mW/m² sich Chromosomenschäden bilden und - unter der Annahme einer geringen Entstehungsrate - sich diese über die Jahre ansammeln können.
- Die parallel beobachteten oxidativen Veränderungen und DNA-Strangbrüche passen stimmig ins Bild. Beides, oxidative Veränderungen und DNA-Schäden, sind Vorstufen von Chromosomenschäden. Sie wurden unter HF-EMF-Exposition in vitro manchmal, aber nicht immer zuverlässig, beobachtet, eine Befundlage, die auf eine niedrige akute Schadwirkung hinweist. Unsere Studie untersuchte allerdings nicht akute Kurzzeitwirkungen in vitro, sondern untersuchte Menschen und die Folgen von Langzeit-Exposition. Dabei zeigte sich, dass Chromosomen-Schäden - selbst bei angenommen geringer Entstehungsrate - nach Jahren der Exposition gehäuft auftreten können." (10.06.2024)
[4] Offensichtlich verfügen die FSM-Leute nicht über das Fachwissen, das Prof. Mosgöller für das Verständnis der Studie voraussetzt (s. Anm.3). Wenn sie allerdings darüber verfügen, wäre diese Interpretation durch das Herauspicken einer Aussage auf Twitter eine vorsätzliche Verfälschung des Studienergebnisses. Offensichtlich wird hinter den Kulissen an einer Sprachregelung zur Entschärfung dieser für die Industrie schwer verdaulichen Studienergebnisse gebastelt, so wie das 2011 gemacht wurde, um die Eingruppierung der nicht-ionisierenden Strahlung als möglicherweise krebserregend (Stufe 2B) lächerlich zu machen. Wir haben diese Taktik in mehreren Artikeln analysiert (hier und hier).