Vor 30 Jahren: Als noch sachlich über Elektrosmog debattiert wurde

Wissenschaftssendung 1995 in 3Sat und Interview von 2001 mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz
Zurück in die Zukunft: Wir brauchen wieder eine industrieunabhängige Debatte zu den gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks!
Natel A - Mobiles Telefon in den 1990ernBild:Wikipedia

1990er Jahre: Die ersten Handys kamen auf den Markt und noch niemand ahnte, dass die mobile Kommunikation eine gesellschaftsverändernde Schlüsseltechnologie mit weltweit Milliarden Euros Umsätzen würde. Die Industrielobby hatte noch nicht die Deutungshoheit über mögliche Risiken. Also ging man "normal" mit den Risiken um, thematisierte sie und befragte Wissenschaftler.

 

 

 

  • Bereits 1991 wies die Strahlenschutzkommission (SSK ) noch ohne Schere im Kopf in ihrer Empfehlung „Schutz vor elektromagnetischer Strahlung beim Mobilfunk“ darauf hin: „So können unter Sonderbedingungen, wie über amplitudenmodulierte HF-Felder, auch direkte Wirkungen auf Makromoleküle, Zellmembranen oder Zellorganellen induziert werden."[1]
  • Das Wissenschaftsmagazin von 3Sat lud 1995 den Bienenforscher Dr. Ulrich Warnke und die Redakteurin des ElektrosmogReport, die Biologin Isabel Wilke ein, um sachlich die Forschungslage zu besprechen. 3Sat dokumentierte die Forschungsergebnisse über Auswirkungen auf das Gehirn von Prof. Lebrecht von Klitzing an der Uniklinik Lübeck.
  • Der damalige Präsident des Bundesamtes (BfS) für Strahlenschutz, Wolfram König, gab 2001 in der Berliner Zeitung ein Interview, mahnte zur Vorsicht im Umgang mit Handys und Sendemasten und forderte mehr Forschung (s.u).
  • Juni 2003: Die Bundestagsdrucksache 15/1403 „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekommunikation und Sendeanlagen - wissenschaftlicher Diskurs, regulatorische Erfordernisse und öffentliche Debatte“, vom 8.7.2003, enthält einen 100-seitigen Forschungsüberblick mit dem Kapitel „Gefahrenabwehr“, das auf potenzielle Risiken hinweist und vor allem für Schutzzonen um Kindergärten herum plädiert. Dort wird zu Auswirkungen der Strahlung u.a. festgestellt: „Von den Studien an menschlichen Probanden erbrachten 79 % positive Befunde. Die meisten Effekte betreffen das Nervensystem oder das Gehirn (86 %), es folgen Effekte im Zusammenhang mit Krebs (64 %)“ (S.27).
  • Sachbearbeiter des BfS reagierten auf die Studienlage und erarbeiteten 2005 die „Leitlinien Strahlenschutz“, die u.a. auch auf das Krebspotenzial hinwiesen, mit der Forderung nach gesetzlichen Schutzregelungen.
  • Im Oktober 2008 erscheint das Positionspapier Nr. 46 des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) „Für zukunftsfähige Funktechnologien“ mit dem Appell: „Die Gesundheit der Menschen nimmt Schaden durch flächendeckende, unnatürliche Strahlung mit einer bisher nicht aufgetretenen Leistungsdichte. Kurz und langfristige Schädigungen sind absehbar und werden sich vor allem in der nächsten Generation manifestieren, falls nicht politisch verantwortlich und unverzüglich gehandelt wird.“
  • Noch 2014 wurde in Österreich der „Leitfaden Senderbau“ herausgegeben mit der Forderung nach einer Expositionsbeschränkung in der Summe auf 1000 µWatt/m2. Herausgeber waren die Wiener Arbeiterkammer, AUVA – Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wirtschaftskammer, Bundesinnung der Elektro-, Gebäude-, Alarm-, u. Kommunikationstechniker, Wiener Umweltanwaltschaft, Österreichische Ärztekammer, Wissenschaftler der MedUni Wien, Institut für Umwelthygiene und Institut für Krebsforschung.

  • Die Europäische Umweltagentur gab noch 2016 den Band 2 der Dokumentation "Späte Lehren aus frühen Warnungen heraus" mit einem Artikel (S. 509-529) zum Krebsrisiko heraus.

  • Bis 2017 publizierte das EMF-Portal an der RWTH-Aachen objektive Zusammenfassungen (Summaries) von Studienergebnissen. Bürger konnten sich Studienauswertungen wünschen. Das EMF-Portal wurde zur weltweit führenden Datenbank. 2017 stellte die Bundesregierung die Finanzierung ein. Ein klares Signal, dass man an der Studienauswertung kein Interesse mehr hat. diagnose:funk protestierte bei der damaligen Umweltministerin Hendricks, das Bundesamt für Strahlenschutz schwieg. Seit 2017 gibt es keine staatliche Auswertung der Studienlage und keine Expertise mehr. Dies übernahmen der ElektrosmogReport, er erscheint seit 1995, seit 2019 herausgegeben von diagnose:funk, und die Datenbank www.EMFData.org.

Ein Kipppunkt in der Debatte in Deutschland

Der Staat kassierte im Jahr 2001 für die UMTS-Lizenzgebühren 50 Milliarden Euro und verpflichtete sich zur Förderung des Mobilfunkausbaus. Nachdem 2004 völlig unerwartet zwei Studien erschienen, die ein Krebsrisiko nachwiesen, die EU-REFLEX-Studie an Zellkulturen und die Naila-Studie durch Sendemasten, schreckte die Industrie auf. Der Unternehmerverband Bitkom forderte die Rücknahme der „Leitlinien Strahlenschutz“ (2005). Die Industrie lehnte die Forderung von BfS-Präsident Wolfram König nach Studien, die die Naila-Studie überprüfen sollten, ab. Das kritisierte König in einer >>>Rede.[2]

Die Industrie gründete das IZMF (Informationszentrum Mobilfunk) als Propagandazentrale zur Verharmlosung von Risiken mit der Taktik, unliebsame Studienergebnisse anzuzweifeln, und das BfS knickte auf ganzer Linie ein. Bedenken wurden nicht mehr geäußert. Im Gegenteil: Mit dem Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm (DMF), gemeinsam von Bundesregierung und Industrie finanziert, wurde ein Alibiprogramm zur Entwarnung aufgelegt. Das Technikportal golem titelte zum DMF-Ergebnis: „Deutsche Mobilfunkstudie: Kein Geld für kritische Forscher? Was Probleme mit Netzbetreibern bringt, wurde nicht berücksichtigt“. Langzeitstudien und Studien zu Kindern wurden nicht durchgeführt, bis heute.[3]

Die Fraktionen der GRÜNEN und LINKEN kritisierten das Ergebnis des DMF und forderten seine Fortsetzung. Die LINKE schrieb:

  • „Mobilfunk ist und bleibt gesundheitsgefährdend …  „Die Forschung zu den Gesundheitsgefahren der Mobilfunkstrahlung muss weiter gehen und die Grenzwerte müssen gesenkt werden“, so Lutz Heilmann anlässlich des heute vorgestellten Abschlussberichtes des Deutschen Mobilfunkforschungsprogrammes (DMF). Die Beteiligung der Mobilfunkindustrie am Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm ist ein Fehler. Hier wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Unabhängige Forschungen belegen seit Jahren, dass große Gefahren von der Funktechnik ausgehen.“

Die GRÜNEN forderten in der Bundestagsdrucksache 16/4762 die Fortsetzung des DMF zur Klärung der offenen Fragen. Die Ablehnung dieses Antrags bestätigte den Alibicharakter des DMF. Im Brennpunkt zum 4. Mobilfunkbericht der Bundesregierung (2008) legte diagnose:funk eine Analyse des DMF vor (Download s.u.).

Wir dokumentieren die 3Sat-Sendung und das Interview mit dem damaligen Präsidenten des BfS. Wie heißt es doch richtig: Aus der Geschichte lernen! Zurück in die Zukunft! Wir brauchen wieder eine industrieunabhängige Debatte zu den gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks!

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Ein historisches Video von 1995: 3Sat - Wissenschaft im Kreuzverhör-Elektrosmog.

Die Biologin Isabel Wilke vom Katalyse Institut und Dr. Ulrich Warnke (Univ. Saarbrücken) diskutieren mit dem Moderator über die Risiken (ab Min. 22:15). Ab Min.17:30 werden die WLAN-Versuche von Prof. Lebrecht von Klitzing zu den Einwirkungen der Strahlung auf das Gehirn dokumentiert.

Wolfram König, Bild: BASE, 2024

2001: BfS-Präsident König über Gesundheitsrisiken des Mobilfunks und die Aufklärung durch die Industrie

Wolfram König (Grüne) war von 1999 bis 2017 Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Vor seiner Ernennung zum Behördenchef durch Bundesumweltminister Jürgen Trittin war König von 1994 bis 1998 Staatssekretär im grün-geführten Umweltministerium Sachsen-Anhalts. Von 2017 bis 2024 war er Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).

 

In einem Interview in der Berliner Zeitung warnte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz Wolfram König im Jahr 2001 die Handynutzer vor möglichen gesundheitlichen Risiken durch Mobiltelefone und Elektro-Smog. "Eltern sollten ihre Kinder möglichst von dieser Technologie fernhalten", empfiehlt König. Auch Autofahrern, deren Wagen über keine Außenantenne verfügten, riet König "dringend", im Fahrzeug "ganz aufs Telefonieren" zu verzichten. Als Vorsichtsmaßnahme empfahl der BfS-Präsident, "generell Telefonate mit dem Handy möglichst kurz zu halten".

Zwar gebe es "derzeit keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass mobiles Telefonieren Gesundheitsgefahren in sich birgt", so König, bekannt seien aber thermische und biologische Effekte, die Vorsorge angeraten erscheinen ließen. So seien "veränderte Hirnströme beobachtet" worden. "Dringend beantwortet werden" müsse auch die Frage, ob Handytelefonieren zu Augen-, Lymphdrüsen- oder Blutkrebs oder anderen Erkrankungen führen könne. Zwar seien die geltenden Grenzwerte für die hochfrequente elektromagnetische Strahlung der Mobiltelefone ausreichend, um "nachgewiesene Gefahren zu vermeiden". Dennoch sei es "richtig, sich über Risiken möglichst frühzeitig Gedanken zu machen", riet König. Der BfS-Präsident kritisierte die Mobilfunkbranche. Die Industrie hätte bei Standortfestlegungen für neue Sendeanlagen "viel früher" die Kommunen einbinden müssen. In Zukunft müsse bei der Errichtung von Mobilfunkmasten "mehr Transparenz für die Menschen" herrschen. Die Umgebung von Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser sollte nach Königs Ansicht für Sendeanlagen Tabu sein: "Die beste Vorsorge ist immer noch der Widerspruch gegen eine solche Anlage ... Ich halte es für notwendig, Standorte zu vermeiden, die bei Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern zu erhöhten Feldern führen," so König im Interview.

Das Interview im Wortlaut

Eltern sollten ihre Kinder möglichst von dieser Technologie fernhalten

BfS-Präsident König über Gesundheitsrisiken des Mobilfunks und die Aufklärung durch die Industrie

 

Herr König, lassen Sie ihr Handy beim Autofahren eingeschaltet?

Wenn möglich, schalte ich es ab. Zum Glück hat mein Dienstwagen eine Außenantenne. Die Karosserie eines Autos wirkt nämlich wie eine Barriere für Funkverbindungen. Damit sie überwunden wird, steigern Handys automatisch ihre Sendeleistung. Gerade dieser erhöhten Strahlenbelastung sollte man sich möglichst nicht aussetzen.

Haben Sie Angst, Mobilfunkstrahlung könnte Krebs auslösen?

Nein. Wenn ich aber längere Zeit in einem Auto ohne Außenantenne telefoniere, fühle ich mich unwohl.

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Antennenwildwuchs braucht RegelungBild:diagnose:funk

"Die beste Vorsorge ist immer noch der Widerspruch gegen eine solche Anlage ... Deswegen ist es ja auch für die Netzbetreiber so wichtig, mit den Kommunen vorab über den besten Standort zu diskutieren. Standortentscheidungen dürfen sich künftig nicht mehr allein an den ökonomischen Interessen der Industrie ausrichten ... Ich halte es für notwendig, Standorte zu vermeiden, die bei Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern zu erhöhten Feldern führen."

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Es ist also keine Panikmache, wenn Bürgerinitiativen vor möglichen gesundheitlichen Schäden durch Handystrahlung warnen?

Es gibt derzeit keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass mobil telefonieren Gesundheitsgefahren in sich birgt. Die gültigen Grenzwerte sind ausreichend, um nachgewiesene Gefahren zu vermeiden. Es ist dennoch richtig, sich über Risiken möglichst frühzeitig Gedanken zu machen. Schließlich reagieren manche Menschen auf Strahlungsquellen sehr empfindlich. Zudem haben wir immer noch viel Unsicherheit in der wissenschaftlichen Bewertung, wenn es um mögliche gesundheitliche Gefahren von hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung geht.

Welche Anhaltspunkte gibt es denn dafür, dass Handy-Strahlung gefährlich sein könnte?

Es gibt thermische Wirkungen, die belegt und bekannt sind. Und es gibt weitere biologische Effekte. Zum Beispiel wurden veränderte Hirnströme beobachtet. Auch eine gestiegene Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen einzelne Forscher auf Handys zurück.

Können solche Effekte zu Augen-, Lymphdrüsen- oder Blutkrebs und anderen Krankheiten führen, wie Kritiker befürchten?

Solche Fragen müssen dringend beantwortet werden. Wir haben im Juni ein erweitertes Forschungsprogramm unter anderem zu Wirkungsmechanismen und zur Messung hoch frequenter Strahlung gestartet, an dem Wissenschaft, Umweltverbände sowie die Vertreter von Ländern und Industrie gemeinsam mitwirken sollen. Wir sollten aber aus Gründen der Vorsorge schon jetzt damit anfangen, alle vermeidbaren Strahlenbelastungen auszuschließen. Schließlich möchte ich verhindern, dass uns in zehn Jahren vorgeworfen wird, wir hätten trotz Hinweisen auf mögliche Risiken nur nach den ökonomischen Interessen der Mobilfunkindustrie entschieden.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie denn vorsorgen?

Durch die Festlegung bestimmter technischer Standards sowie einer umfassenden Aufklärung der Bevölkerung. Es wird ja heute meist gegen neue Mobilfunksender protestiert. Dabei trägt zur Strahlenexposition entscheidend das Handy selbst bei. Das sendet zwar mit geringerer Leistung, aber direkt am Ohr.

Masten strahlen aber dauernd!

Deshalb muss es zu mehr Information vor dem Aufstellen von Mobilfunksendern kommen. Die Bevölkerung ist sensibler geworden. Die rund 40 000 Sendestationen, die für die neuen UMTS-Mobilfunknetze hinzukommen, werden nicht mehr widerspruchslos hingenommen. Die Menschen wollen vorher wissen, welche Risiken damit verbunden sein können.

Was schlagen Sie vor?

Es geht vor allem darum, Transparenz herzustellen. Dazu gehört, dass jedes Handy einen Hinweis zur Strahlenbelastung erhält.

Reicht es, diesen Hinweis auf die Verpackung zu drucken?

Mir erscheint es sinnvoller, die Kennzeichnung auch auf den Geräten selber anzugeben. In Sachen Sendeanlagen haben die Netzbetreiber zu spät erkannt, welche Diskussion durch die Installation vieler Masten losgetreten wurde. Die Industrie hätte viel früher - so wie es jetzt endlich vereinbart wurde - die Kommunen in die Standort- Festlegung einbinden müssen.

Das klingt nach institutionalisierten Genehmigungsverfahren wie beim Atomkraftwerksbau.

Nein. Man muss so etwas nicht gesetzlich regeln. Es können auch freiwillige Verfahren sein, die allerdings bei Nichtachtung vorher festgelegter Standards zu Konsequenzen für die Mobilfunkfirmen führen müssen. Auf jeden Fall muss Transparenz für die Menschen geschaffen werden. Das ist versäumt worden und führt nun dazu, dass die Konzerne mit einem riesigen Aufwand entstandenen Ängsten begegnen müssen.

Wenn jetzt neben Ihrem Haus ein Mobilfunksender errichtet werden soll: Was würden Sie tun?

Wie jede Privatperson würde ich alles daran setzen, Informationen über die Sendeleistung vom Betreiber der Anlage zu erhalten. Danach würde ich mir meine Meinung bilden. Dafür müssen vereinfachte Informationszugänge geschaffen werden. Die beste Vorsorge ist immer noch der Widerspruch gegen eine solche Anlage. Viele Betroffene gehen gegen diese Anlagen vor. Deswegen ist es ja auch für die Netzbetreiber so wichtig, mit den Kommunen vorab über den besten Standort zu diskutieren. Standortentscheidungen dürfen sich künftig nicht mehr allein an den ökonomischen Interessen der Industrie ausrichten. Zudem halte ich es unbedingt für erforderlich, dass bestimmte Standorte vermieden werden.

Welche?

Ich halte es für notwendig, Standorte zu vermeiden, die bei Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern zu erhöhten Feldern führen.

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Bild: pexels-tima-miroshnichenko

"Kinder befinden sich noch in der Wachstumsphase und reagieren deshalb gesundheitlich empfindlicher. Wir haben hier eine besondere Verpflichtung zur Vorsorge ... Kinder unter 16 Jahren sollten möglichst wenig mit Handys telefonieren sollten ... Zudem sollten Eltern ihre Kinder möglichst von dieser Technologie fernhalten."

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Sind denn Kinder besonders gefährdet?

Kinder befinden sich noch in der Wachstumsphase und reagieren deshalb gesundheitlich empfindlicher. Wir haben hier eine besondere Verpflichtung zur Vorsorge. Ich halte es deshalb auch für dringend erforderlich, dass die Mobilfunknetzbetreiber ihre Marketingstrategien überprüfen, mit denen sie gerade Kinder als Kunden gewinnen wollen. Ich glaube, die Unternehmen könnten dauerhaft mehr Kunden binden, wenn sie etwa die Empfehlung aussprächen, dass Kinder unter 16 Jahren möglichst wenig mit Handys telefonieren sollten.

Solchen Empfehlungen wird die Industrie kaum folgen!

Die Glaubwürdigkeit der Mobilfunkindustrie wird maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen und die Kritiker stärker einzubinden. Dazu ist es wichtig, dass die Industrie Mittel für unabhängige Forschung bereitstellt und die Information über potenzielle Risiken unabhängigen Stellen überträgt.

Moralische Appelle sind ja immer schön anzuhören. Aber welche Druckmittel haben Sie?

Druckmittel muss die Politik bereitstellen. Die Bundesregierung diskutiert ja bereits über eine Novellierung der Bundesimmissionsschutz-Verordnung. Im Übrigen werden die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen ständig mit diesen Problemen konfrontiert.

Ihr Amt ist dem Bundesumweltministerium unterstellt. Hat Minister Jürgen Trittin nicht schon einen Anruf von seinem Kabinettskollegen Hans Eichel erhalten? Schließlich hat der Bundesfinanzminister 100 Milliarden Mark für die UMTS- Mobilfunk-Lizenzen kassiert. Dass die Netzbetreiber nun neue Auflagen akzeptieren, ist da kaum vorstellbar!

Mit dem Verkauf der Lizenzen sind die Netzbetreiber nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, eine risikoarme Technologie zu verwirklichen.

Welche Schutzmaßnahmen empfehlen Sie Handynutzern?

Generell Telefonate mit dem Handy möglichst kurzhalten. Autofahrern würde ich dringend raten, in Wagen ohne Außenantenne ganz aufs Telefonieren zu verzichten. Zudem sollten Eltern ihre Kinder möglichst von dieser Technologie fernhalten.

Nichtraucher werden immer vor den Gefahren des Passivrauchens gewarnt. Gibt es das bei Handys auch? Sollten etwa Restaurants Handy-freie Zonen einrichten?

Allein aus Gründen der Lebensqualität und des Genusses würde ich das dringend empfehlen.

Das Gespräch führten Hendrik Munsberg und Thomas H. Wendel.

Abdruck mit Genehmigung der Berliner Zeitung. Original:

https://www.berliner-zeitung.de/archiv/bfs-praesident-koenig-ueber-gesundheitsrisiken-des-mobilfunks-und-die-aufklaerung-durch-die-industrie-eltern-sollten-ihre-kinder-von-handys-fern-halten-li.932394

Quellen

[1] SSK: Schutz vor elektromagnetischer Strahlung beim Mobilfunk. Empfehlung der Strahlenschutzkommission, Verabschiedet in der 107. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 12. Dezember 1991, Bundesanzeiger Nr. 43 vom 03. März 1992, Download auf der Seite der SSK

[2] Rede des BfS-Präsidenten Wolfram König zum 3. BfS-Fachgespräch Mobilfunk. Eine Zwischenbilanz, 2005, https://www.emf-forschungsprogramm.de/home/veranstaltungen/p_rede_3fg.html/printversion.html

Naila-Studie: Zu Frage eines Zusammenhangs zwischen dem Einfluss von Mobilfunkbasisstationen und Krebs wurde 2004 die Naila-Studie veröffentlicht, die im Nahbereich einer GSM-Mobilfunkanlage (0-400 m) gegenüber dem Fernbereich (>400 m) nach 5 Jahren Exposition eine signifikante Zunahme der Malignominzidenz um das Dreifache, sowie ein um 8,5 Jahre jüngeres Erkrankungsalter zeigt. Sie beruhte auf der Auswertung der Krankenakten von 5 Ärzten und deckte den Ort Naila ab:

  • "320 der 967 Bewohner von Naila lebten im Innenbereich weniger als 400 m von einer Mobilfunkbasisstation entfernt. Die Ergebnisse zeigten, dass der Anteil von neuaufgetretenen Tumoren bei Patienten, die weniger als 400 m von einer Mobilfunksendeanlage entfernt wohnten, signifikant erhöht ist im Vergleich zu entfernter wohnenden Patienten. In den Jahren 1999 - 2004 verdreifachte sich das Krebsrisiko für Patienten im Nahbereich einer Mobilfunksendeanlage." (emf-portal)

[3] Siehe dazu die Kritik am DMF auf golem (2008): Deutsche Mobilfunkstudie: Kein Geld für kritische Forscher? Was Probleme mit Netzbetreibern bringt, wurde nicht berücksichtigt. https://www.golem.de/0807/60697.html

Selbst die Bundesregierung konstatierte in diversen Dokumenten, dass entscheidende Fragen vom DMF nicht geklärt wurden:

  • „Ebenfalls nicht abschließend zu klären ist die Frage nach Langzeitwirkungen am Menschen, v. a. über einen Zeithorizont von 10 Jahren hinaus, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.“ (DMF-Abschluss­bericht 2008, S.41). Die Strahlenschutzkommission erklärte gegenüber dem Bundestag: „Offene Fragen ergeben sich auch bezüglich der Exposition von Föten und Kindern sowie potenzieller Auswirkun­gen auf Kognition, Befindlichkeit und Schlaf.“ (Drucksache 16/11557, S. 11).

Wiederum wird dies im Vierten Mobilfunkbericht bestätigt:

  • „Wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen dagegen bezüglich der Frage zu möglichen Langzeitrisiken für Handynutzungszeiten von mehr als 10 Jahren, und ob Kinder stärker durch hochfrequente elektromagnetische Felder exponiert sind oder empfindlicher reagieren als Erwachsene.“ (Vierter Mobilfunkbericht der Bundesregierung, Drucksache 17/4408)

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
Version Dezember 2023Format: DIN A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 06.09.2023 Bestellnr.: 245Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Mobilfunk-Chronologie

Politische und wissenschaftliche Dokumente 1996 - 2023
Autor:
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Mit dieser Chronologie dokumentiert diagnose:funk eine Vielzahl behördlicher und wissenschaftlicher Warnungen und Nachweise zu Risiken der Mobilfunktechnologie. Sie ist ein Recherchetool, eine Argumentationshilfe und dokumentiert die kontinuierliche Analysetätigkeit von diagnose:funk. Die Chronologie dokumentiert ca. 200 Ereignisse aus 27 Jahren.
Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
Format: A4Seitenanzahl: 8 Veröffentlicht am: 12.04.2011 Bestellnr.: 209Sprache: Deutsch

4. Mobilfunkbericht der Bundesregierung

Wahrheitsgehalt des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Das Kernargument der Industrie und aller Behörden zur Abwehr jeglicher Kritik an der Mobilfunktechnologie sind - neben der Grenzwertfrage - die Ergebnisse des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms (DMF). Auf den Ergebnissen des DMF von 2008 fußt der „Vierte Bericht der Bundesregierung über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen vom 12. Januar 2011 (Drucksache 17/4408)“. Mit diesem Bericht der Bundesregierung wird wieder einmal begründet, warum an der bisherigen Mobilfunkpolitik festgehalten werden kann. Diagnose-Funk e.V. kritisiert diesen Bericht als ein Dokument staatlich organisierter Unverantwortlichkeit.
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