„Von allen wurde die Erkrankung Elektrohypersensibilität ernst genommen“

Interview mit Christina Wilkens, Polizistin
Christina Wilkens, Kriminaloberkommissarin, 53, ist seit über dreißig Jahren bei der Polizei tätig. Aufgrund ihrer Elektrohypersensibilität wurde ihr vom Integrationsamt die Einrichtung eines abgeschirmten Büros am Wohnort finanziert. Frau Wilkens gab darüber für unser diagnose:funk Mitgliedermagazin kompakt 3-2023 ein Interview.
Christina Wilkens, Polizistin, Bild privat

KOMPAKT: Frau Wilkens, wir bitten Sie, sich hier kurz vorzustellen.

CHRISTINA WILKENS: Mit meiner Familie lebe ich in Norddeutschland im eigenen Haus. Ich bin Polizistin mit Leib und Seele. Zuletzt war ich Stationsbeamtin und für einige Jahre Aufklärerin in der 53. Einzeldiensthundertschaft. Als Jugendsachbearbeiterin hatte ich gute Kontakte zu anderen Institutionen und war auch im Gesundheitsmanagement der Polizei aktiv.

 

KOMPAKT: Wie erging es Ihnen gesundheitlich?

CHRISTINA WILKENS: Seit 2012 litt ich zunehmend an Erschöpfung, was mein Arzt und ich zunächst auf einen Eisenmangel zurückführten. Die verordneten Infusionen halfen aber nur kurzfristig. Ich litt an Schlafproblemen (Stressträumen), so dass ich mich selten morgens erholt fühlte. Ein helles Summen in einer Kopfhälfte wurde immer lauter. Urlaube brachten mir keine anhaltende Erholung, mit dem ersten Arbeitstag setzte wieder eine bleierne Müdigkeit ein. Dazu kamen Rückenverspannungen, Sehstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Herzstolpern. Im Dezember 2019 erlitt ich einen Burnout. Darauf folgte die Suche nach den Ursachen. Weder hatte ich Probleme im persönlichen Umfeld, noch brachte mich das Arbeitsaufkommen im Dienst an meine Grenzen. Klar war nur, dass meine Leistungsfähigkeit stark abgenommen hatte. Aus einer „kurzen Krankschreibung“, um mich zu erholen, wurden dann acht Monate bis zur beantragten psychosomatischen Reha. Ich konnte mich in der Reha erholen und ärgerte mich gleichzeitig, dass ich kaum Funkempfang für mein Handy hatte.

Ich bin nebenberuflich Heilpraktikerin, in diesem Rahmen lernte ich, dass elektromagnetische Felder krankheitsauslösend sein können. Was das genauer bedeutet, verstand ich nach und nach. Zunächst schalteten wir zu Hause nachts das WLAN aus, die Stressträume waren damit vorbei. Ganz ohne hochfrequente Strahlung ging es mir gut, aber der Dienst bei der Polizei brachte unvermeidbar Funk mit sich. Die Dienststelle ist mit einem DECT-Telefon ausgestattet, wir haben Diensthandys und im Außendienst Handfunkgeräte. Im Streifenwagen ist ein Funkgerät fest installiert und auf Polizeigebäuden steht der TETRA-Sender.

KOMPAKT: Sie erhielten viel Unterstützung für die weitere Berufstätigkeit. Wie konnten Sie das erreichen?

CHRISTINA WILKENS: Aufgrund meiner langen Krankheitsphase wurde ich aufgefordert, die Polizeiärztin aufzusuchen und diese verlangte ein psychiatrisches Gutachten, weil sie meinen Angaben über die potenzielle Schädlichkeit von Mobilfunk nicht glauben konnte. Der Psychiater konnte bei mir keine psychische Einschränkung erkennen. Die Polizeiärztin attestierte mir deshalb, voll dienstfähig zu sein, Krankmeldungen wurden nur noch vom medizinischen Dienst der Polizei akzeptiert. Ich schaffte es, zwei Stunden täglich mehr oder weniger effektiv zu arbeiten, vier Stunden waren aber nur schwer durchzustehen. Dem Personaldezernat meldete ich, dass es nicht geht und wendete mich an die Gewerkschaft. Das Landessozialamt anerkannte mir auf meinen Antrag erst eine 20%ige, dann eine 30%ige Behinderung. Durch einen Antrag bei der Agentur für Arbeit erreichte ich eine Gleichstellung mit einer 50% Schwerbehinderung. Zu meinem Hausarzt bestätigten zwei weitere Ärzte meine Elektrohypersensibilität. Im Sommer 2021 startete ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Mit mir am Tisch saßen ein Schwerbehindertenvertreter, Personalvertreter, eine Person des Integrationsfachdiensts, eine Sachbearbeiterin des Gesundheitsmanagements und die Chefin der Personalabteilung. Von allen wurde die Erkrankung Elektrohypersensibilität ernst genommen. Der Beschluss war, dass ich zukünftig im Homeoffice arbeiten darf und vom Integrationsfachdienst die Kosten für das Einrichten eines strahlungsarmen Büros im eigenen Haus übernommen werden. Ein Maler tapezierte die Wände mit abschirmender Tapete und strich die Decke mit abschirmender Farbe. Das Fenster bekam eine Spezialfolie und die Tür wurde mit einem Abschirmstoff versehen. Das Büro wurde mit einem strahlungsarmen Monitor und abgeschirmten Kabeln ausgestattet. Die Arbeiten wurden von einem Baubiologen begleitet.

KOMPAKT: Durch diese Hilfen können Sie weiterhin Polizistin sein und sich Ihren Lebensunterhalt verdienen. Dem Land Niedersachsen bleibt Ihre Arbeitskraft erhalten.

CHRISTINA WILKENS: Ich bin sehr froh über die Unterstützung, die ich erhielt, auch wenn ich meiner früher bevorzugten Arbeit als Freund und Helfer im direkten Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen leider nicht mehr nachkommen kann. Arbeitskollegen und Kolleginnen begegnen mir mit Wohlwollen. Besprechungen finden telefonisch statt, selten auch mal in der Polizeidienststelle. Es zeigte sich, dass bei Bereitschaft auf beiden Seiten viel möglich ist.

KOMPAKT: Liebe Frau Wilkens, vielen Dank für das Interview, das vielen Betroffenen Mut machen wird.

Renate Haidlauf, Bild:diagnose:funk

Das Interview führte Renate Haidlauf für das diagnose:funk Mitgliedermagazin kompakt 3-2023. Renate Haidlauf ist die Verfasserin des Buches "Die unerlaubte Krankheit" und hat bei diagnose:funk die Projektstelle Elektrohypersensibilität. Sie beantwortet Mailanfragen zum Themenbereich EHS und betreut Mittwochs von 10 – 12 Uhr das Beratungstelefon unter 0711 – 250 869 8.

>>> Spezielle Homepage zu Elektrohypersensibilität www.diagnose-ehs.org

Publikation zum Thema

Buch Titelbild diagnose:funk
Preis: 16,90 EuroFormat: A5Seitenanzahl: 368 Veröffentlicht am: 01.11.2022 Bestellnr.: 905ISBN-13: 978-3982058528Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die unerlaubte Krankheit.

Wenn Funk das Leben beeinträchtigt.
Autor:
Renate Haidlauf
Inhalt:
Mindestens zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind elektrohypersensibel – durch Funk erkrankt. Das entspricht über 1,2 Millionen Erwachsenen. In diesem Buch berichten 50 Betroffene, wie sie auf Funk reagieren und welche Konsequenzen das hat für ihre Familien, ihr Wohnumfeld, den Beruf und ihr ganzes Leben. „Unerlaubte Krankheiten“ ziehen sich durch die Geschichte des Industriezeitalters. Menschen erkrankten durch Asbest, fast hundert Jahre lang verschloss man die Augen davor. Es durfte nicht sein, weil es ein lukratives Produkt infrage stellen würde. So ging es im Bergbau mit PCB-verseuchten Ölen, mit giftigen Stäuben und Dämpfen im Druckgewerbe, mit der Strahlung von militärischen Radaranlagen, die bei Soldaten Krebs verursachte. Man erkannte die Zusammenhänge mit den gefährlichen Stoffen nicht an, in jahrzehntelangen Gerichtsverfahren wurden die Betroffenen zermürbt, in den wenigsten Fällen erhielten sie eine Abfindung. In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Menschen mit Kopfschmerzen und Schlafschwierigkeiten enorm erhöht. Sie suchen ärztlichen Rat, doch man findet keine Ursachen. Parallel dazu stieg auch die Funkbelastung durch WLAN, Sendemasten, Bluetooth etc. Solange Schmerzgeplagte und Schlaflose noch keinen Zusammenhang mit Funk erkennen, ist ihr Kranksein „erlaubt“. Stellen sie jedoch fest, dass ihre Beschwerden nachlassen, wenn sie WLAN und Co. vermeiden, dann wird ihr Urteilsvermögen schnell angezweifelt.
diagnose:funk
Oktober 2023Format: DIN LangSeitenanzahl: 8 Veröffentlicht am: 06.11.2023 Bestellnr.: 320Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Diagnose Elektrohypersensibilität


Inhalt:
Dieser Flyer weist Menschen darauf hin, dass man durch die Belastung durch elektromagnetische Felder (EMF) erkranken kann. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen durch EMF erkrankt sind, ohne es zu wissen. Unser neuer Flyer ermöglicht es Menschen, die z.B. von Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Erschöpfung geplagt sind, einen möglichen Zusammenhang mit Mobilfunk zu erkennen und zu überprüfen. Der Flyer erklärt leicht verständlich das Entstehen von Elektrohypersensibilität. Damit gibt der Flyer erste Hilfestellung zum Umgang mit EHS und verweist auf Infos, in denen zusätzliche Informationen erhältlich sind. Mit dem Flyer wird aber nicht nur auf ein Problem hingewiesen, sondern es werden auch Lösungswege aufgezeigt.
Artikel veröffentlicht:
06.11.2023
Autor:
diagnose:funk / Renate Haidlauf
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