Smartphones reduzieren Aufmerksamkeit und Leistung – selbst wenn sie nicht da sind

Meta-Studie untersucht den Brain-Drain-Effekt - SWR Video dokumentiert die Tricks
Universität Augsburg, Pressemitteilung 68/23 - 19.09.2023. Wie stark Smartphones die Aufmerksamkeit als auch die Gedächtnisleistung reduzieren, ist seit 2017 als Brain-Drain-Effekt bekannt. Ein Forschungsteam der Universität Augsburg um den Schulpädagogen Prof. Dr. Klaus Zierer hat in einer Meta-Analyse, die in der Fachzeitschrift Behavioral Sciences kürzlich veröffentlicht wurde, 22 Studien verglichen und bestätigt den Effekt. Gerade Kinder und Jugendliche verwenden ihre Smartphones sehr intensiv. Dass dies Aufmerksamkeit und Leistung reduzieren kann, zeigt eine aktuelle Meta-Studie der Universität Augsburg. Für die Medienerziehung von Kindern und Jugendlichen folgt daraus eine besondere Herausforderung. Ein neues SWR-Wissen Video dokumentiert, mit welchen Tricks Social Media fesselt und ablenkt.
Prof. Klaus Zierer

Ein Blick in die Parlamente zeigt: viele Abgeordnete hören nicht zu, sondern wischen, was das Zeug hält. Selbst auf der Regierungsbank ist diese Haltung weit verbreitet, was Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Herbst 2022 dazu bewogen hat, eine „Handy-Enthaltsamkeit“ im Deutschen Bundestag anzumahnen. Solch ein Verhalten schade der Außenwirkung der Demokratie, so Bas.

Viel schwerwiegender als der unkontrollierte Gebrauch ist jedoch ein Effekt, der in der Forschung als Brain-Drain-Effekt bezeichnet wird. Klaus Zierer, Lehrstuhlinhaber für Schulpädagogik, erläutert: „Der Brain-Drain-Effekt geht zurück auf die gleichnamige Studie von Ward und Kollegen aus dem Jahr 2017, die als erstes belegten, dass alleine die Anwesenheit des Smartphones sowohl die Aufmerksamkeit als auch die Gedächtnisleistung reduziert.“

Wie so oft in der psychologischen Forschung konnten diese Ergebnisse nicht Eins zu Eins repliziert werden, sodass sich die Frage stellt, ob es den Brain-Drain-Effekt nun wirklich gibt oder nicht. Dieser Forschungsfrage geht deshalb eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Zierer in einer kürzlich veröffentlichten Meta-Analyse „Does the Brain Drain Effect Really Exist?“ nach.

Hierfür suchten sie internationale Studien, die sich mit diesem Effekt befassten. Sie fanden 22 solcher Studien, die im Ergebnis bestätigen, was Ward und Kollegen bereits 2017 festgestellt hatten: Die bloße physische Präsenz des Smartphones beeinflusst die kognitive Leistungsfähigkeit ihrer Besitzerinnen und Besitzer, wenn auch unterschiedlich: Gedächtnisleistungen und Aufmerksamkeit sind stärker betroffen als das Erledigen einfacher Leistungstests, beispielsweise Buchstabieren. Interessant ist auch, dass kulturelle Unterschiede in den Studien festzustellen sind. In Asien beispielsweise sind die negativen Effekte noch stärker ausgeprägt als in Nordamerika und Europa. Ein Grund für divergierende Ergebnisse sieht Zierer in sich immer mehr anbahnenden und ausbreitenden Abhängigkeitsmechanismen:

  • „Menschen, die bereits viel Zeit mit ihrem Smartphone verbringen, sind von der Abwesenheit des Smartphones mittlerweile sogar mehr gestresst als von der Anwesenheit.“

Dieses Ergebnis ist vor allem für Bildung und Erziehung hochrelevant, da Kinder und Jugendliche Smartphones besonders intensiv nutzen. Die Augsburger Forscher der Meta-Analyse, Tobias Böttger, Michael Poschik und Klaus Zierer, kommen in dieser Frage zu einer klaren Empfehlung: Der Gebrauch digitaler Medien muss aus pädagogischen Gründen reguliert, kontrolliert und begleitet werden. Medienerziehung müsse deshalb zwei Perspektiven umfassen:

  • „Zum einen müssen insbesondere Kinder vor einer inhaltlich und zeitlich unkontrollierten Nutzung von Smartphones geschützt werden.“

Dafür seien auch generelle Verbote insbesondere in Schulen hilfreich, wie es zuletzt die UNESCO in ihrem Global Education Monitoring Report (2023) angesprochen habe. Hierbei sei vor allem an die Grundschule, aber auch an die Unterstufen der weiterführenden Schulen zu denken.

  • „Zum anderen müssen schulische Konzepte entwickelt werden“, argumentiert die Augsburger Forschergruppe in ihrem Artikel, „die Jugendliche an die Nutzung von Smartphones mit Augenmaß heranführen und dabei ein hohes Maß an Selbstreflexion und Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellen.“

Dies erfordere auch seitens der Lehrpersonen nicht nur technische Kenntnisse, sondern vor allem auch Wissen über das Ablenkungspotenzial von Smartphones und deren Einfluss auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit und allgemeine kognitive Leistungen. „Es wäre unverantwortlich, die naive Nutzung digitaler Medien unreflektiert in pädagogische Kontexte zu übertragen“, betont Zierer.

Originalpublikation / Open Access:
Böttger, T.; Poschik, M.; Zierer, K. Does the Brain Drain Effect Really Exist? A Meta-Analysis. Behav. Sci. 2023, 13, 751. https://doi.org/10.3390/bs13090751

Quelle: https://www.uni-augsburg.de/de/campusleben/neuigkeiten/2023/09/19/brain-drain-effekt-von-smartphones/

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SWR-Wissen: Wie Algorithmen uns manipulieren. Die Psychotricks von Social Media

 

Autor: Manuel Gerber

Mit diesen Tricks kann uns Social Media süchtig machen und manipulieren. So können wir uns dagegen wehren.

Aufmerksamkeitsökonomie

Social Media Apps sind so programmiert, dass wir möglichst viel Zeit darauf verbringen. Denn je länger wir den Apps unsere Aufmerksamkeit schenken, desto besser lernen sie uns kennen und können uns personalisierte Werbung zeigen. Genauer gesagt, verkaufen sie Verhaltensvorhersagen ihrer Nutzenden. Sie versteigern passgenaue Werbeflächen an Höchstbietende. Zum Beispiel an Firmen, die Kleidung verkaufen wollen. Es können aber auch politische Organisationen sein.

Die Apps wissen genau, wann der richtige Zeitpunkt für eine bestimmte Werbebotschaft ist. Eine australische Zeitung berichtete 2017 von einem internen Dokument. Darin beschreibt Facebook, dass es in der Lage ist, emotionale Zustände von Jugendlichen genau zu analysieren und in schwachen Momenten zielgerichtete Werbung zeigen zu können. Facebook räumte danach ein, über die Technik zu verfügen, bestritt aber, sie bei Jugendlichen einzusetzen.

Damit wir möglichst viel Zeit mit den Apps verbringen, versuchen die Programmierer, in uns eine Gewohnheit aufzubauen, die Programme möglichst oft und möglichst lange zu nutzen. Mit welchen Psychotricks die Unternehmen genau arbeiten, verraten sie nicht. Die Grundlagen dieser Techniken hat die Forschung aber durchschaut.

Die fünf Psychotricks von Social Media

1.) Endless Scroll

Aufgaben abzuschließen, fühlt sich gut an. Wer zum Beispiel ein Buch zu Ende gelesen hat, bekommt ein Gefühl der Belohnung. Ohne natürliches Ende fällt es uns schwerer, aufzuhören. Das machen sich Apps zunutze: Am Ende einer Seite wird immer schnell automatisch nachgeladen. Es gibt also kein natürliches Ende mehr. Auf der Suche nach Belohnung scrollen wir immer weiter. Oftmals länger, als wir eigentlich wollen.

2.) Fear Of Missing Out (FOMO)

FOMO, die Angst, etwas zu verpassen, beschreibt die Sorge, von wichtigen Ereignissen, zum Beispiel im Freundeskreis, ausgeschlossen zu werden. Wir gehen auf Social Media Apps, um keine Neuigkeit zu verpassen. Durch zeitliche Verknappung mancher Inhalte sorgen Apps zusätzlich dafür, dass wir noch öfter auf die Plattformen gehen. So sind zum Beispiel Instagram Stories mit den üblichen Voreinstellungen nur für 24 Stunden online.

3.) Belohnung durch Likes

Likes bekommen und auch Likes geben aktiviert ein Hirnareal, das wichtig für die Belohnungsverarbeitung ist. Wir möchten das gute Gefühl der Belohnung immer wieder haben. Deshalb posten wir Beiträge in der Hoffnung auf Likes und verteilen Likes an andere.

4.) Die Lesebestätigung

Viele Messenger-Dienste haben eine Lesebestätigung voreingestellt. Wer eine Nachricht gesendet hat, kann sehen, ob sie auch gelesen worden ist. Das erzeugt Druck, schneller zu antworten. Dadurch schreiben wir insgesamt schneller hin und her, benutzen die entsprechende App also öfter.

5.) Besitztumseffekt

Der Begriff "Besitztumseffekt" stammt aus der Verhaltensökonomik und besagt, dass wir dazu neigen, den Wert von unserem Besitz zu hoch zu bewerten. Das liegt daran, dass wir eine emotionale Bindung zu unseren Besitztümern aufbauen, besonders, wenn wir Zeit und Energie darin investiert haben und sie als Teil unserer Identität betrachten. Der Verlust eines Besitzes wird als schmerzhaft empfunden, während der Besitz selbst ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermittelt.

So können wir uns dagegen wehren

1.) Die einfachste Art, sich gegen die Psychotricks von Social Media zu wehren, ist: Benachrichtigungen ausschalten. Denn durch Benachrichtigungen wie Töne und Mitteilungsbanner wird einerseits unsere Konzentration ständig unterbrochen und andererseits bauen wir die Gewohnheit auf, andauernd nach Neuigkeiten auf Social Media zu suchen.

2.) Innere Trigger erkennen
Die Gründe, warum wir auf Social Media gehen, sind oft unangenehme Gefühle, denen wir entfliehen wollen. Zum Beispiel Langeweile, Einsamkeit, Unsicherheit, Müdigkeit, Stress. Damit wir nicht bei jedem unangenehmen Gefühl das Smartphone aus der Tasche ziehen, brauchen wir Methoden, ähnlich wie Raucher, die mit dem Rauchen aufhören wollen. Zunächst einmal müssen wir uns der Gefühle gewahr werden, die uns auf Social Media Plattformen treiben und sie beobachten. Meist verschwinden sie wieder von selbst. Wenn nicht, helfen manchmal auch Ersatzbefriedigungen.

3.) Einen Zeitplan erstellen mit Dingen, die uns wichtig sind. Dazu kann auch Social Media gehören, aber nur in einem festgelegten Zeitfenster. So verhindern wir, dass wir nur kurz die Uhrzeit auf dem Smartphone ablesen wollen und erst eine halbe Stunde später merken, dass wir die ganze Zeit auf Instagram sind

Quelle: https://www.swr.de/wissen/artikel-psychotricks-socialmedia-104.html, 22.6.2023

 

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