Fabian Scheidler beschreibt in „Der Stoff, aus dem wir sind“ die Historie der Entwicklung der gegenwärtigen Krisen, die eine Ursache in der Ausbeutung der Natur durch den Menschen haben. Das wurde seit Descartes Dualismus philosophisch gerechtfertigt. Natur bestand seither „aus vom Menschen getrennten Objekten, die sich beliebig zerlegen, analysieren, neu zusammensetzen und kontrollieren ließen“. Die Digitalisierung ist die Fortsetzung: „Inzwischen bewegen wir uns die meiste wache Zeit in einer digitalen Technosphäre, in der die menschengemachte Welt nur noch als Bild, als Datensatz vorkommt“, schreibt Scheidler. In seiner Reise durch die Geschichte der Wissenschaften zeigt er, dass diese Auffassung von Natur, die Eroberungen, zerstörerisches Wachstum und schrankenlosen Konsum legitimierte, ein tödlicher Irrtum ist. „Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“, das beantwortet Scheidler.
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"Die Ideologie der Digitalisierung. Auf dem Weg ins Digi -tal: der Hype der digitalen Selbstentmündigung und einige Auswirkungen auf die Psyche"
von Peter Hensinger, erschienen in umwelt-medizin-gesellschaft.
Textauszug
Die neue Religion Dataismus
Betrachten wir diese Veränderungen aus einer historischen Perspektive. Jahrhundertelang bestimmte ein Gott, der alles sieht und hört, verkörpert durch dogmatische Kirchenlehren, was der Mensch zu tun hat, weil er unvollkommen, ja sündig sei. Das durfte nicht hinterfragt werden. Die wissenschaftlich-technische Revolution erforderte eine neue Ideologie, den Humanismus. Der Mensch und seine Erkenntnisse, sein freier Wille, auch Bedürfnisse und Gefühle standen nun im Mittelpunkt. Das wird nun durch eine Dehumanisierung abgelöst.
Die Googlification und Digitalisierung aller Lebensbereiche wird von einer neuen Fortschrittsideologie begleitet, einer neuen Religion, dem Dataismus und Transhumanismus. Die Silikon-Valley Digitalisten postulieren, wie einst die Kirche: der Mensch ist unvollkommen, fehlerbehaftet. Sie streben Vollkommenheit durch künstliche Intelligenz an. Die künstliche Intelligenz basiere auf objektiven Daten und Algorithmen und müsse deshalb Grundlage der Steuerung aller gesellschaftlichen Prozesse werden. Der allwissende Gott wird durch BigData und unfehlbare Algorithmen ersetzt.
Der digitale Schutzengel weist den Weg
Diese Silicon-Valley Ideologie als Überbau rechtfertigt die Digitalisierung: menschliche Arbeit soll von Robotern übernommen werden, der Autofahrer wird ersetzt durch das autonome Auto, die SmartCity übernimmt die Organisierung des Alltages, im SmartHome übernimmt das die Stimme von Alexa und GoogleHome. Die Lernfabrik 4.0, die SmartSchool, macht den "unvollkommenen" Lehrer überflüssig. BigData macht den Nutzer gläsern. Die Algorithmen, die die Konzerne programmieren, um gesellschaftliche Prozesse zu steuern, sind jedoch ein Geschäftsgeheimnis. Das Daten-Ich wird zum Avatar, zum lebenslangen Über-Ich. Der Schweizer Think Tank Gottlieb-Duttweiler Institut (GDI) sieht die Entwicklung so:
- "Algorithmen nehmen uns immer öfter das Suchen, Denken und Entscheiden ab. Sie analysieren die Datenspuren, die wir erzeugen, entschlüsseln Verhaltensmuster, messen Stimmungen und leiten daraus ab, was gut für uns ist und was nicht. Algorithmen werden eine Art digitaler Schutzengel, der uns durch den Alltag leitet und aufpasst, dass wir nicht vom guten Weg abkommen" (GDI 2014:38).
Das GDI benutzt religiöse Analogien. Das Smartphone ersetzt die Bibel und überbringt Botschaften für "gutes" Verhalten. Das ist das Gesellschaftsmodell, das der Behaviorist B.F. Skinner in seinem Roman "Futurum II" vorschlägt. Weil die bürgerliche Demokratie eine Fehlentwicklung sei, die im letzten Jahrhundert ins Chaos führte, soll eine technokratische Managerelite die Menschen zu ihrem Glück konditionieren und die Gesellschaft steuern. Dies wird gegenwärtig Zug um Zug Realität, mit Smart City und Smart Home, Digitaler Bildung und Smart School. Smarte Lautsprecher wie Alexa, millionenfach verkauft, übernehmen in jeder Wohnung die Dauerüberwachung und Beeinflussung. Die Erfassung wird immer niederschwelliger und massentauglicher.
- "Eigentlich ist es digital betreutes Wünschen mit einer Konsumfee, die jeden Tag selbstverständlicher, klüger, machtvoller wird ... Die Plattformkonzerne, die heute für so viele das Netz sind, erobern die älteste Kommunikationsform der Menschheit: das Gespräch. Und alle machen mit. Alexa regiert Deutschland," schreibt der Blogger Sascha Lobo (LOBO 2018).