„Smart City Stuttgart - was wird hier geplant?“

Vortrag in Stuttgart: Wie können Worst-Case Szenarien gestoppt werden?
Trotz Gluthitze von 35 Grad im Stuttgarter Kessel kamen 75 Besucherinnen und Besucher am 10.07. ins Stuttgarter Forum 3 zum Vortrag von Peter Hensinger und Stadtrat Hannes Rockenbauch „Smart City Stuttgart - was wird hier geplant?“ Anlass war die Gründung eines „Amtes für Digitalisierung“ mit 400 Stellen, und nirgendwo fand eine öffentliche Diskussion darüber statt, welche Aufgaben dieses Amt hat. Die „Smart City“ soll damit verwirklich werden, und offensichtlich finden dies fast alle Fraktionen im Gemeinderat gut.
Ulrich Morgenthaler (Forum 3), Hannes Rockenbauch (Stadtrat) und Peter Hensinger (diagnose:funk) diskutierten mit den Anwesenden über die digitale Transformation.Bild:diagnose:funk

Peter Hensinger führte zu Beginn seines Vortrages aus, dass die Stadt Stuttgart an der Erarbeitung der „Smart City Charta“ der Bundesregierung beteiligt war und für die Verwirklichung mit Millionen gefördert wird, wie viele andere Städte auch. Doch in der „Smart City Charta“ werden ein Worst-Case Szenario und ein Best-Case Szenario beschrieben. Das wird nicht zur Kenntnis genommen. Eine Technikfolgenabschätzung findet nicht statt. Digitalisierung gilt unhinterfragt als Fortschritt.

Das Worst-Case Szenario ist zum einen eine überwachte Stadt, in der jeder Bürger als Datensatz geführt wird.

  • Smart City ist die mit Big Data-vernetzte Stadt, in der die Datenerfassung die Grundlage der Organisationsstruktur und politischen Steuerung ist.
  • Von jedem Bürger immer zu wissen, wo er sich befindet und was er tut, ist die DNA der Smart City.

Der gläserne Bürger ist ihre Voraussetzung. Privatsphäre ade! Dafür bekamen die Smart City-Pläne im Jahr 2018 den Big Brother Award!

Zum zweiten werden durch das Internet der Dinge und die Vernetzung aller Dienstleistungen in Handel, Verwaltung und Versorgung das Datenvolumen und der Energie- und Ressourcenverbrauch explodieren. Die Digitalisierung und Smart City sollen das Wachstum, das unseren Planenten zerstört, weiter forcieren. Die Digitalisierung wird so zum Brandbeschleuniger der Klimakatastrophe. Hensinger wies darauf hin, dass der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltver­ände­rungen der Bundesregierung (WBGU) gerade davor warnt und eine öffentliche Diskussion fordert:

  • „In so mancher Hinsicht ist zu hoffen, dass die entworfene Dystopie nie Realität wird. Doch muss sie gerade deshalb jetzt erzählt werden, um ihre Verwirklichung rechtzeitig zu verhindern und eine konstruk­tive Nutzung der Digitalisierung für eine nachhaltige Zukunft möglich zu machen."

Und zum dritten, so Hensinger, wird sich dadurch die Mobilfunkstrahlenbelastung enorm erhöhen, durch hunderte neue Sendeanlage, v.a. 4G- und 5G-Kleinzellen für die Vernetzung aller Dienstleistungen, des Internets der Dinge und das autonome Fahren.

Auf den Einwand, man könne den Fortschritt nicht aufhalten, antwortete Hensinger:

  • "Wenn man den Flugverkehr und das Auto kritisiert, ihre Auswirkungen auf die Umwelt, ist man nicht gegen Flugzeuge oder Autos an sich. Man kritisiert, dass sie als Geschäftsmodelle der Industrie große Schäden anrichten und fordert Alternativen. Man muss auch Entwicklungen ablehnen, z.B. den Bau von SUVs oder Inlandsflüge. So ist es auch bei Digitalisierung und Mobilfunk: Wir von diagnose:funk sind nicht Gegner, sondern Kritiker. „Technik sinnvoll nutzen“ ist unser Claim."

Er warnte vor den Folgen einer dehumanisierten Stadt:

  • "Die digitale Transformation für den Hyperkonsum setzt die Zerstörung der ersten industriellen Revolution fort. Es dürfen sich nicht die Fehler des Autohypes mit den Stadtautobahnen der 60er Jahre wiederholen, diesmal als Digitalisierungshype für Datenautobahnen."

Seine drei Thesen belegte Hensinger mit vielen Fakten (>>> Vortrag mit Quellen zum Download). Am Schluss stellte er die Frage: Wie können wir diese Worst Case Szenarien verhindern?

Smart-City-total vernetzt und total überwachtmonicado-stoke.adobe.com

Hannes Rockenbauch: Es braucht Bürgerbeteiligung!

Darauf ging der Stadtrat Hannes Rockenbauch von SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) und Fraktionsvorsitzender der FrAKTION (drittstärkste Fraktion) ein. Zum einen, so Rockenbauch, müssen Nutzen und Risiken der Digitalisierung endlich im Gemeinderat diskutiert werden, dazu braucht es eine Bürgerbeteiligung, wie sie z.B. in Barcelona stattfand. Auf Kongressen werde deutlich, dass die Industrie in den Startlöchern stehe, um die Smart City zu einem Geschäftsmodell zu machen, so wie es die Stadtplaner Bauriedl / Strüver prophezeien:

  • "Entsprechend kann die vermeintliche Bürgerorientierung der Smart City lediglich als Tarnung von „Kauf-Mehr“ Strategien entlarvt werden.“

In der Smart City kann keiner mehr ohne Smartphone und die Preisgabe seiner Daten am öffentlichen Leben teilnehmen. China und Orwell lassen grüßen:

  • „Wenn Menschen digitale Prothesen benötigen, um BürgerInnen der Smart City zu werden, was passiert mit solchen, die diese nicht haben?“, fragen die Stadtplaner.

Wenn wir die digitale Transformation ohne staatliche Regelungen und Bürgerbeteiligung zulassen, werden die Worst Case Szenarien eintreten, so wie es jetzt beim Klimawandel geschieht. Es liege noch in unserer Hand, das zu verhindern. Dafür wird er sich im Gemeinderat einsetzen, so Rockenbauch.

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Die Smart City Charta hat Stuttgart mit verfasstBundesregierung

„Niemand soll zur Nutzung digitaler Strukturen gezwungen werden. Kommunen müssen ihren Einwohner:innen zusätzlich analoge Strukturen anbieten .... Es ist darauf zu achten, dass keine neuen Machtstrukturen entstehen, die eine Gefahr für die Grundrechte, die Sicherheit und Privatsphäre jedes Einzelnen darstellen. Algorithmen dürfen weder demokratisch gewählte Gremien noch die Verantwortlichkeit natürlicher oder juristischer Personen ablösen.“ (Smart City Charta S. 12/13)

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Fragen an die Fraktionen und die Verwaltung zur geplanten Smart City

Peter Hensinger regte die Gründung eines AK Digitalisierung bei SÖS an, der folgende Fragen bearbeitet:

  • Gibt es eine Bürgerbeteiligung zu den Aufgaben des neuen Amtes für Digitalisierung? Was sind überhaupt seine Aufgaben?
  • Wie sollen unsere Daten und die Privatsphäre geschützt werden?
  • Wird ein Bericht über den Energie- und Ressourcenverbrauch der geplanten Smart City erstellt?
  • Werden das Recht auf ein analoges Leben ohne Smartphone und der analoge Bürgerservice für StuttgarterInnen weiter garantiert?

Eine engagierte Diskussion schloss sich an, insbesondere auch um die Aussage in der "Smart City Charta" der Bundesregierung:

  • „Post-voting society. Da wir genau wissen, was Leute tun und möchten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen“ (S.43).

Unsere Meinung: Arbeitskreise kritischer Bürgerinnen und Bürger sollten sich in allen Städten gründen, um ein Bewusstsein darüber zu schaffen, welche Risiken der Digitalisierung verhindert werden müssen, und wo sie als Hilfsmittel sinnvoll eingesetzt werden kann.

Literatur zur Smart City warnt vor den Folgen

Die einschlägige Literatur zur Digitalisierung und Smart City warnt übereinstimmend vor den Folgen für die Demokratie, das Klima und die Gesundheit und den naiven Forderungen nach dem Einsatz von mehr Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, ohne Technikfolgenabschätzung.

Dagegen fordert der Leiter des Technikfolgenausschusses des Deutschen Bundestages (TAB) Armin Grunwald „die Abwehr einer technokratischen Herrschaft der Experten und das Beharren auf einem demokratischen Gestaltungsanspruch im Umgang mit dem wissenschaftlich technischen Fortschritt und in der Nutzung seiner Produkte.“ Diese Experten seien verantwortlich für ein „Zurückdrängen des Denkens in Alternativen zugunsten technischer Optimierung“, gerade bei der Digitalisierung.[1] Besonders lesenswert ist das Buch von Armin Grunwald "Der unterlegene Mensch". In einem Interview sagte er zur Digitalisierung der Städte:

  • "Aus dieser Infrastruktur, die um uns herum entstanden ist, noch einmal rauszukommen, noch umzusteuern, das wird schwer. Und noch eins: Zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte hat es derart gute Bedingungen für eine totalitäre Diktatur gegeben wie heute. Was Hitler an Propaganda-Möglichkeiten, was die Stasi an Überwachungsapparat hatte, ist Kinderkram gegen das, was heute möglich ist.“ [2]

Die Aussagen der Literatur werden zusammengefasst in zwei Broschüren der diagnose:funk Vorstände Jörn Gutbier und Peter Hensinger und können über unseren Shop bestellt werden (s.u. Publikationen).

[1]  Grunwald A (2022): Technikfolgenabschätzung, 3. Auflage, S. 56/57

[2]  BAUCHMÜLLER, M / BRAUN, S: Die Leute merken nicht mehr, wie fragil das System ist; Interview mit dem Leiter des TAB des Bundestages Armin Grunwald; Süddeutsche Zeitung, 29.01.2018

Ausgewählte kritische Literatur zu den Folgen der Digitalisierung und der Smart City

Buchtitel:Verlage

 

Vortrag von Prof. Wilfried Kühling: Digitalisierung - Klimakiller oder Klimaretter?

 

Publikation zum Thema

Format: A5Seitenanzahl: 88 Veröffentlicht am: 03.05.2019 Sprache: DeutschHerausgeber: Pad Verlag

Smart City- und 5G-Hype

Kommunalpolitik zwischen Konzerninteressen, Technologiegläubigkeit und ökologischer Verantwortung
Autor:
Peter Hensinger / Jürgen Merks / Werner Meixner
Inhalt:
Mit "innovativen Technologien" sollen unsere Städte nachhaltiger, effizienter und liebenswerter gemacht werden und der 5G-Mobilfunkstandard soll auch "an jeder Milchkanne" verfügbar werden. Die Beiträge der vorliegenden Broschüre entlarven, wie Technik zum neuen Heilsbringer verklärt und gesundheitliche und entdemokratisierende Folgen dieser totalen Digitalisierung nur Konzerninteressen dienen und den Weg in eine digitale Leibeigenschaft ebnen. Die Folgen analysieren Peter Hensinger (diagnose:funk) und Werner Meixner (Informatikdozent). Jürgen Merks (BUND Stuttgart) weist nach, dass der Ressourcen- und Energieverbrauch für ihren Betrieb die Klimakatastrophe beschleunigen wird. Millionen neue 5G-Sendeanlagen werden jeden Winkel mit Elektrosmog belasten. INHALT: Der Smart City und 5 G-Hype. Kommunalpolitik zwischen Konzerninteressen, Technologiegläubigkeit und ökologischer Verantwortung (Peter Hensinger) / Digital first – Klima Second. Energieschleuder Smart City (Jürgen Merks) / Die Ideologie der Digitalisierung. Auf dem Weg ins Digital: der Hype der digitalen Selbstentmündigung und einige Auswirkungen auf die Psyche (Peter Hensinger) / Wollt Ihr die totale Digitalisierung? (Interview mit Werner Meixner)
Format: A5 Seitenanzahl: 92, Preis 6,00 Euro Veröffentlicht am: 19.10.2020 Bestellnr.: 788ISBN-10: 978-3-88515-321-4Sprache: DeutschHerausgeber: pad-Verlag 59192 Bergkamen, Am Schlehdorn 6

Fortschritt 5G? Mythen für den Profit.

Smart City, Smart Country, Breitband und 5G – die Folgen für Demokratie, Mensch und Umwelt
Autor:
Jörn Gutbier / Peter Hensinger
Inhalt:
Artikel: Fortschritt 5G? Über 5 Mythen! / Mit Akzeptanz-Managern gegen 5G-Proteste / Zellen im Strahlenstress. Zum Stand der Forschung über Sendemasten, Smartphones, Tablets & Co. Diese Broschüre analysiert im Hauptartikel anhand neuestem Material die Ziele des 5G-Ausbaus und seine Folgen, v.a. auch für die Umwelt. Ein zweiter Artikel beschreibt die Taktiken der Bundesregierung, den Widerstand, der sich trotz der Corona-Krise landesweit entwickelt, in den Griff zu bekommen. Und schließlich stellen die Autoren den aktuellen Stand der Forschung zu den gesundheitlichen Risiken der Mobilfunkstrahlung und 5G dar. Mit 175 Fußnoten sind alle Darstellungen ausführlich dokumentiert. Für alle, die die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung hinterfragen und v.a. für die Aktivisten der Bürgerinitiativen ist diese neue Broschüre eine Hilfe, sich zu orientieren und ein Nachschlagewerk für neue Argumente in Diskussionen.
Januar 2020Format: DIN A4Seitenanzahl: 100 Veröffentlicht am: 16.03.2020 Bestellnr.: 787, Preis: 9,50 Euro ISBN-10: ISBN 978-3-9820585-1-1Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Smart City, Digitale Bildung, Elektromagnetische Felder

Informationen zu den Folgen der digitalen Transformation unserer Gesellschaft
Autor:
Dr. Wolfgang Baur, Prof. Karl Hecht, Peter Hensinger M.A., Prof. Wilfried Kühling, Prof. Gertraud Teuchert-Noodt, Dipl. Biol. Isabel Wilke, Dr. Ulrich Warnke
Inhalt:
Sammelband der 100 Argumente - ein Handbuch für Eltern, Erzieher und Pädagogen und die Arbeit von Bürgerinitiativen. Die digitale Transformation der Gesellschaft prägt seit ca. 15 Jahren unsere Epoche.Wir sind Zeitzeugen dieses schnellen Wandels und können ihn noch beeinflussen. Die digitale Transformation hat Folgen für die Demokratie, die Umwelt und die Entwicklung des Individuums, seine Gesundheit und Psyche! Dieser Sammelband enthält 15 Artikel, die v.a. in der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft erschienen sind. Jeder Artikel informiert kompakt, kurzweilig und wissenschaftlich fundiert über ein Fachgebiet: • Smart City-die Auswirkungen des digitalen Umbaus der Städte • Forschungsergebnisse über digitale Medien und die Gehirnentwicklung bei Kindern • Interviews zur geplanten digitalen Bildung und ihren Risiken • WLAN an Schulen-was man über die Auswirkungen auf das Gedächtnis und Lernen weiß • Der Forschungsstand zu den Risiken der elektromagnetischen Felder des Mobilfunks und 5G • Die Bedeutung der elektromagnetischen Felder für die Evolution • Wissenschaftsdebatte: mit welchen Theorien wird heute versucht, Erkenntnisse über Risiken wegzudiskutieren • Die Ideologie der Digitalisierung. Umfangreiche Quellenangaben zu jedem Artikel geben dem Leser die Möglichkeit, selbst weiter zu recherchieren.
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