Pascal Sigg / www.infosperber.ch, 21.06.2023. Bildschirme in der Kita: Dies verlangte die schwedische Digitalisierungsstrategie von 2017 der damals sozialdemokratischen Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven. In der Förskola – der Vorschule, welche in Schweden für Einjährige bis zum Beginn des ersten Schuljahres mit etwa sechs Jahren angeboten wird – herrschte gar ein gewisser Nutzungszwang.
Damit war Schweden das einzige Land der Welt, welches Kinder derart früh Tablets vorsetzte. Eine Kolumnistin der Boulevardzeitung Expressen nannte die digitale Bildungsstrategie vor einem Jahr deshalb ein «Experiment mit den Gehirnen von Kleinkindern».
Im letzten Winter erregte der Fall der Orionskola in Visby auf der Insel Gotland Aufsehen. Die Waldorf-Schule liess die Schülerinnen und Schüler bis und mit 3. Klasse (also bis etwa 9-jährig) ohne Tablets arbeiten. Dies, obschon der Lehrplan eigentlich verlangte, dass Kinder bereits ab der ersten Klasse mit digitalen Geräten arbeiten. Die Schule stützte sich auf die Wissenschaft. Diese habe unter anderem gezeigt habe, dass die Handschrift das Erinnerungsvermögen stärke.
- «Wir glauben, dass es wichtiger ist, dass die Kinder in jungen Jahren die Handschrift erlernen. Das Digitale kann später kommen», sagte Kalle Edéus, Rektor der Schule dem privaten Kanal TV 4.
Und der Zeitung Dagens Nyheter sagte er: «Wir sind nicht technologiefeindlich. Aber die Erfahrung dessen, was in einem bestimmten Moment passiert, kann wichtiger sein. Ansonsten gehen wir das Risiko ein, dass wir mit der Anwendung digitaler Werkzeuge mehr verlieren als wir gewinnen.»
Seine Haltung trug ihm einen Rüffel der Schulaufsicht ein. Die Schule musste ihren Lehrplan anpassen. Sie weigert sich aber weiterhin, die Kinder früher mit Tablets arbeiten zu lassen.
Nach dem Regierungswechsel nahm die neue Bildungsministerin Lotta Edholm (Die Liberalen) im letzten November den Entwurf des neuen Digitalisierungsplans für die schwedische Vorschule und Schule der nationalen Schulverwaltung Skolverket entgegen. Der Ministerin fehlten allerdings die wissenschaftlichen Grundlagen. Diese holte sie darauf bei NeurologInnen und KinderärztInnen ein. Und als sie diese erhalten hatte, sei ihr klar gewesen, dass das Konzept überarbeitet werden müsse.
Die Rückmeldungen der WissenschaftlerInnen waren deutlich: Kleinen Kindern sollten gar keine Bildschirme vorgesetzt werden. Und in der Schule sei physisches Spiel dem digitalen Spiel vorzuziehen. Kinder würden so das soziale Zusammenspiel eher lernen. Zudem würde das Sprachvermögen gestärkt und Kindern lernten besser, sich in andere hineinzuversetzen.
Eine Gruppe NeurologInnen kritisierte, dass im Rahmen der Digitalisierungsstrategie wissenschaftliche Forschung ignoriert worden sei, die zeige, dass digitale Werkzeuge den kindlichen Erwerb wichtiger Kompetenzen schwächen könne.
- «Die schwedische Schule hat schon genug Probleme. Wenn man mit der Digitalisierung noch eine weitere Schwächung riskiert, kann das ernsthafte Konsequenzen haben», sagte Torkel Klingberg, Hirnforscher am Karolinska Institutet.
Bildungsministerin Lotta Edholm sagte, sie nähme die Kritik ernst. Der Unterricht an schwedischen Schulen soll auf Wissenschaft und erprobter Erfahrung aufbauen.
Auch die norwegische Regierung hat eine Expertengruppe damit beauftragt, zu untersuchen, wie Kinder digitale Geräte nutzen und welche Auswirkungen dies auf ihren Schlaf, ihre Psyche und Lernvermögen haben kann. Die ExpertInnen sollen entsprechende Massnahmen zur Nutzung digitaler Werkzeuge wie Tablets in Spielgruppen, Kindergärten und Schulen vorschlagen.
Quelle: Nachdruck mit frdl. Genehmigung von www.infosperber.ch