Neues Buch von Wilfried Kühling: Bewertungsdilemma Mobilfunk

Wie wir das Unvermögen staatlicher Risikobewertung endlich überwinden
Seit Beginn der Umweltdiskussion in den 1970er Jahren widmet sich Prof. Wilfried Kühling in Forschung und Lehre den Fragen einer fachlich und gesellschaftlich verlässlichen Bewertung von Risiken und Gefahren verschiedener Umwelteinflüsse (Schadstoffe, Strahlung, Lärm etc.) und bringt dies in verschiedene offizielle und zivilgesellschaftliche Institutionen und Organisationen ein. In einer knappen historischen Analyse macht er eingangs ein bereits jahrzehntealtes ›Dilemma‹ der oft mangelhaften Risikobewertung bei generell auf Menschen, Tiere und Pflanzen einwirkenden Schadwirkungen aus. Er stellt fest, dass eine verbindliche Antwort zum Umgang damit, insbesondere die Regulierung von Risiken unterhalb einer sichtbaren Schadensschwelle, bis heute auf sich warten lässt.
Prof. Wilfried Kühlingdiagnose:funk

Gesetz zur Risikobewertung verschwand in der Schublade

Am Beispiel der elektromagnetischen Strahlung des Mobilfunks will Prof. Wilfried Kühling daher die Frage beantworten: »Wie können wir umgehen mit möglichen Risiken und Gefahren, damit Menschen und Umwelt ausreichend geschützt werden?« Aufbauend auf der Methodik einer ›Umweltbewertung‹ sowie den rechtlichen Vorgaben zum Gefahrenschutz und zur Vorsorge, werden Hintergründe aufgezeigt sowie vielfältige Vorschläge und Lösungen zur transparenten und die gesellschaftlichen Gruppen einbeziehenden Vorgehensweise vorgestellt. Dazu setzt sich Kühling in einem ersten Teil mit der Bewertungsmethodik auseinander, konkretisiert dies in einem zweiten Teil intensiv am Beispiel der gesundheitlichen und Umweltfolgen nichtionisierender Strahlung, um in einem dritten Teil Beispiele für Handlungs- und Umsetzungsmöglichkeiten zu geben.

Als fatal stellt sich die Tatsache heraus, dass bereits vor 20 Jahren im Rahmen einer regierungsseitigen ›Risikokommission‹ ein ausdifferenziertes und transparentes Verfahren zur Risikobewertung samt Gesetzesvorschlag entwickelt wurde, offensichtlich aber in der Schublade verschwand. Dieses ›staatliche Unvermögen‹, zu einer transparenten, die gesellschaftlichen Gruppen einbeziehende Risikobewertung und zum Risikomanagement zu kommen, durchzieht im Grunde das ganze Buch.

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Metropolis Verlag

Wilfried Kühling: Bewertungsdilemma Mobilfunk. Wie wir das Unvermögen staatlicher Risikobewertung endlich überwinden

305 Seiten, 34 Abbildungen, 270 Quellen, ISBN 978-3-7316-1544-6, Bezug über den Buchhandel. >>> Inhaltsverzeichnis als PDF

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Die Studienlage zur Mobilfunkstrahlung, technische Alternativen und Handlungsoptionen

Besonders gelungen ist Kühling die kompakte Zusammenfassung der Studienlage zur nicht-ionisierenden Strahlung. Kühling vermittelt sowohl Grundlagen als auch den aktuellen Stand der Studienlage. Er kritisiert ihre verzerrte Darstellung durch das Bundesamt für Strahlenschutz und die ICNIRP, auch in Bezug auf die Festsetzung der Grenzwerte. Ganz aktuell geht er auf den Bericht zur Technikfolgenabschätzung für den Deutschen Bundestag (TAB) über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder ein. Einerseits konstatiert er, dass in diesem Bericht erstmals die ganze Brisanz der Studienlage dokumentiert wird, kritisiert aber die unzulässigen Relativierungen durch die Autoren des TAB.

Kühling macht aber über seine Analysen hinaus sehr konkrete Schritte nach vorn: Bereits in seinem Beitrag in der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft aus dem vergangenen Jahr ist in der Denkschrift zur ›Funkwende‹ aufgezeigt, dass der kaum länger tragfähige Energieverbrauch zur Durchdringung von Gebäudehüllen bei herkömmlicher Mobilfunkversorgung (so das Umweltbundesamt) nach einer deutlichen Veränderung unserer Kommunikations-Infrastruktur verlangt. Eine Begrenzung der von außen einwirkenden Leistungsflussdichte in Höhe von etwa 100 Mikrowatt pro Quadratmeter erlaubt dann im Innenbereich Werte in Höhe von etwa einem Mikrowatt pro Quadratmeter, was im individuellen Fall auch weitergehende Schutzmaßnahmen erleichtert.

Die weltweit vorliegenden Erkenntnisse zu verschiedenen Risiken oder Schadwirkungen, verbunden mit den heute einsetzbaren, unschädlichen und noch deutlich leistungsfähigeren Lichtfrequenzen zur mobilen Kommunikation (vor allem im Innenbereich) spielen diesem Ansatz in die Hände. Solche notwendigen Änderungen kennen wir ja ähnlich auch als ›Energiewende‹ oder ›Mobilitätswende‹. Der Vorteil einer intelligent veränderten Kommunikations-Infrastruktur läge darin, dass im Grunde auf allen Seiten Gewinner stehen könnten. Dies wird insbesondere deutlich am Beispiel des Energieverbrauchs und den damit einhergehenden Klimaveränderungen, aber auch an der drastisch verringerten Strahlenbelastung.

Forderung nach einem Mobilfunkgesetz

In einem vierten Teil werden das Unvermögen bzw. die Hemmnisse der gesellschaftlichen Akteure beim Umgang mit der Mobilfunkstrahlung diskutiert und zum Teil auch angeprangert. Hier kann der Autor neben seiner wissenschaftlichen Arbeit zur Bewertung verschiedener Umweltrisiken insgesamt wohl auch auf seine langjährigen Erfahrungen zum Thema Mobilfunk u. a. aus seiner Teilnahme an Gesetzgebungsverfahren oder auf seine umweltpolitische und ehrenamtliche Arbeit auf der Bundesebene als langjähriger Vorsitzendes des wissenschaftlichen Beirates  des BUND (Bund für Umwelt-und Naturschutz Deutschland) zurückgreifen. Klar kommt heraus, dass das Verhältnis und die fachlichen Anforderungen der zuständigen Bundesoberbehörde zur Vorbereitung der Gesetzgebung geklärt werden müssen. Die Grundlagen unzureichender Risikobewertung durch das Bundesamt für Strahlenschutz hatte der Autor bereits in seinem Beitrag ›Wissenschaft verkehrt‹  vor drei Jahren herausgearbeitet. Die großen gesetzgeberischen Defizite zum Thema regen ihn aber an, umfangreiche Ziele und Inhalte für ein grundlegendes Mobilfunkgesetz zu skizzieren oder auch konkrete Schritte für Bürgerinnen und Bürger bei kommunalen Auseinandersetzungen vor Ort aufzuzeigen. Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren geht der Autor auch auf die Medien ein und nimmt genüsslich die WDR-Sendung ›Quarks‹ auseinander, die den 5G-Himmel aufspannen will und – neben allerlei ›Ungereimtheiten‹ in fachlicher Hinsicht – dabei die gegenüber Strahlung empfindlichen Menschen verunglimpft. Insgesamt zeigt sich also ein weit gespannter Bogen von der grundlegenden Bewertungsproblematik umweltschädlicher Einflussfaktoren über die rechtliche und gesundheitlich notwendige Einschätzung der Gefahren und Risiken des Mobilfunks (auch im Hinblick auf die an zuständige Stellen zu richtende Forderungen) bis hin zu Fragen der Ausgestaltung örtlicher Mobilfunkkonzepte und deren planerisch konkrete Einführung.

Inhalt Kühling 2023
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