Mobilfunk-Beschleunigungsgesetz: Anhörung zur Hessischen Bauordnung im Landtag

Drei Bürgerinitiativen tragen Kritik und Alternativen vor
Am 15. März 2023 fand im Hessischen Landtag eine Anhörung statt. Anlass war eine geplante Novelle der Hessischen Bauordnung (HBO) zur Beschleunigung des Mobilfunkausbaus. Geladen waren Vertreter der Industrie, die allesamt die Erleichterung für das Aufstellen von Sendeanalgen bedenkenlos begrüßten. Drei Bürgerinitiativen konnten ihre Bedenken und Kritik vortragen.
Sie trugen die Kritiken und Alternativen der Bürgerinitiativen vordiagnose:funk

Bericht über die mündlichen Stellungnahmen in der Anhörung im Hessischen Landtag zu den Gesetzentwürfen der Fraktionen CDU/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD für ein Mobilfunk-Beschleunigungsgesetz

Am 15. März 2023 waren drei hessische Bürgerinitiativen zu einer Anhörung im Hessischen Landtag geladen. Anlass war eine geplante Novelle der Hessischen Bauordnung zur Beschleunigung des Mobilfunkausbaus. Geladen waren auch Vertreter der Industrie, die allesamt die Erleichterung für das Aufstellen von Sendeanlagen bedenkenlos und fleißig begrüßten.

Darin soll beschlossen werden:

  1. den bisherigen Mindestabstand von 20 m der Sendeanlagen vom Fahrbahnrand einer Landstraße aufzuheben.
  2. den Abstand von Sendeanlagen zu Grundstücksgrenzen auf 3 m zu verringern, bzw. zu Wohnanlagen auf 0,4 (40%) der Masthöhe.
  3. die Aufstellung von temporären Anlagen während Stadtortsuchen zu erleichtern.

Bereits durch eine Novelle der HBO vom 06. Juni 2020 war die genehmigungsfreie Aufstellung von Sendeanlagen wesentlich erleichtert worden.

Die geplante Novelle geht davon aus, dass Mobilfunkempfang zur Daseinsvorsorge gehört und betrachtet das Thema nur aus diesem Blickwinkel. Dass Gesundheit von Mensch und Natur ebenfalls zur Daseinsvorsorge gehört, scheint unwesentlich zu sein. Dass der Lebensraum und die Lebensqualität von Elektrohypersensiblen durch die Funkverdichtung immer weiter eingeschränkt wird, hatte in der ersten Lesung am 25.01.2023 niemand berücksichtigt. Laut Gesetzesvorlagen habe diese Novelle keinen Einfluss auf Minderheiten – die Minderheit der EHS-Betroffenen wurde einfach ausgeblendet. Darauf haben wir in unseren Stellungnahmen eindrücklich aufmerksam gemacht.

Einzig ein Diplom Biophysiker und wir drei Bürgerinitiativen schlugen sehr kritische Töne an. Die Redezeit pro Person war auf fünf Minuten begrenzt.

  • Der unabhängig von uns geladene Biophysiker Dr. Dietmar Hildebrand untermauerte seine umfassende Kritik am vorsorgelosen Mobilfunkausbau mit vielen wissenschaftlichen Nachweisen, die in seiner Stellungnahme nachzulesen sind (>>> zu seinem Beitrag).
  • Eine Vertreterin der BI „Frei von 5G im Taunus“ sprach über die Missachtung wichtiger Informationen von aktueller Wissenschaft und Technikfolgenausschüssen sowie von der Unwissenschaftlichkeit der Grenzwerte. Biologische Zellschäden seien nachgewiesen und das thermische Dogma sei widerlegt. Doch die Gesetzesnovelle beruhe immer noch auf diesem Dogma. Seit 2020 haben sich die wissenschaftlichen Risiko-Hinweise so verdichtet, dass eine Erleichterung des Mobilfunkausbaus ohne Berücksichtigung des Schutzes der Bevölkerung nicht mehr rechtens sein kann ( >>> Stellungnahme der BI Taunus). 
  • Eindrucksvoll und authentisch demonstrierte Frau Vetter als EHS-Betroffene von der BI Darmstadt, wie ihr Leben durch Mikrowellenstrahlung eingeschränkt wird. Sie könne nicht mehr ins Kino oder ins Theater gehen, weil alle dort ihre Handys angeschaltet haben und überdies WLAN fast in allen öffentlichen Räumen installiert sei. Auch Bahnfahrten seien deshalb für sie nicht möglich. Sie sagte, dass die hier diskutierten Ausbauerleichterungen massive Auswirkungen haben könnten, wenn auch noch das letzte Funkloch geschlossen werde und der Strahlungspegel überall weiter steige (>>> Stellungnahme der BI Darmstadt).
  • Herr Gutbier, der für die BI Frankfurt sprach, konzentrierte sich auf den Werdegang der kommunalen Entrechtung in Sachen Mitsprache beim Mobilfunkausbau durch die gezielten Veränderungen des Baurechts seit dem Jahr 2000. Erst ab 2012 konnten und mussten sich kleine Kommunen in Deutschland diese Mitsprache wieder höchstrichterlich erstreiten. Er erläuterte, warum diese Beschlussvorlagen erneut den Weg dafür ebnen werde, kommunale Mitsprache zu beschränken und den Betreibern quasi freie Bahn für den weiteren Wildwuchs geben wird. Hier wiederholt sich gerade Geschichte. Wenn die Abgeordneten wirklich das Ziel hätten Mobilfunk für den Bürger zu verbessern, bräuchte es in erster Linie eine Neuaufstellung der Mobilfunkpolitik, die Immissionsschutz und Versorgung unter einen Hut bringt. Dass das sofort ginge, wurde erläutert an dem Konzept „Ein Netz für Alle“, „Trennen der Innen- und Außenversorgung“ bei der Netzplanung und „neue Technologien“ wie die Kommunikation über Infrarot anstelle der Mikrowelle, die für die Innenanwendung vor der Markreife steht. Bei einem Netz für Alle könnte wahrscheinlich 50% der Mobilfunkinfrastruktur abgeschaltet werden und alle hätten über Nacht ein besseres Netz, weil dort, wo der eine Betreiber sein Funkloch oder eine schlechte Abdeckung hat, lieferte der nächste Betreiber bereits heute seine Dienste ( >>> Stellungnahme der BI Frankfurt/Main). 

Auf der Besuchertribüne saßen einige Vertreterinnen der Bürgerinitiativen aus Darmstadt und Wiesbaden, die uns durch Ihre Anwesenheit unterstützten. Sie klatschten uns Beifall, obwohl dies in Parlamenten nicht gestattet ist. Sie wurden dann auch darauf hingewiesen – aber es tat trotzdem gut in dieser Runde einer Mehrheit von Mobilfunkausbau-Befürwortern.

Wenn  man  die  jüngsten  Ergebnisse   der  Technikfolgenausschüsse  (STOA; EWSA; TA Bundestag), Metastudien (BERENIS) und Wissenschaftler-Appelle (Nordischer Appell, ICBE-EMF) berücksichtigt, brauchen  wir  kein  Mobilfunk- Beschleunigungsgesetz, sondern eher ein Mobilfunk- Entschleunigungsgesetz. Es ist Zeit für eine verantwortungsvolle Funkwende in Hessen.

Hier ein Auszug aus einer unserer mündlichen Stellungnahmen:

  • Seit 25 Jahren nun folgt die Öffentlichkeit und die Politik den unwissenschaftlichen Behauptungen und Verharmlosungen des privaten, industrienahen Vereins ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) und des BfS über die gesundheitlichen Auswirkungen von Funktechnik.
  • Die Grenzwertempfehlungen der ICNIRP und das Dogma, dass es nur thermische Wirkungen und keine Schadwirkungen unterhalb unserer Grenzwerte gäbe, basieren ursprünglich auf einem Verhaltens-Experiment mit sage und schreibe 5 Affen und 8 Ratten in den 90er Jahren. Sie wurden 60 Minuten lang der Mobilfunkstrahlung ausgesetzt. Dass dies keiner seriösen Wissenschaft standhält, ist Ihnen sicher allen klar. Schon im Jahr 2000 wurde die Unwissenschaftlichkeit der ICNIRP-Empfehlungen von dem Umweltwissenschaftler Neil Cherry nachgewiesen. Trotzdem beruhen unsere heutigen Grenzwerte noch immer darauf.
  • Seit 25 Jahren wird uns das thermische Dogma mantraartig verkündet. Weltweite Studienergebnisse über biologische Zellschäden werden dafür systematisch ausgeblendet.
  • Das thermische Dogma wird als Alibi benutzt, um ungeachtet der Gesundheit der Bevölkerung, unserer Kinder und der Umwelt die Funkbelastung nahezu rücksichtslos auszubauen.
  • Seit 25 Jahren haben wir extrem hohe Grenzwerte, die nur auf dem thermischen Dogma beruhen. Wir haben keine Grenzwerte, die vor biologischen Zellschäden und zum Beispiel Fruchtbarkeitsschäden schützen.
  • Seit 25 Jahren werden Menschen mit Elektrohypersensibilität von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben immer weiter ausgegrenzt.

Ein einziger Abgeordneter stellte uns eine Frage und gab uns damit die Gelegenheit, weitere Punkte anzusprechen. So konnten wir klar sagen, dass 5G in der Fläche unnötig ist und nur für spezielle Anwendungen in lokalen Netzen Sinn macht. Unverständlicherweise gehen die meisten Parteien und der Ausschuss davon aus, dass der Ausbau von 5G auch in ländlichen Räumen so wichtig sei. Was das mit Daseinsvorsorge zu tun hat, erschließt sich nicht. (M.K.)

Die Gesetzesentwürfe und alle schriftlichen Stellungnahmen vor der mündlichen Anhörung findet man hier: https://hessischer-landtag.de/termine/ausschuss-f%C3%BCr-digitales-und-datenschutz-anh%C3%B6rung-zum-mobilfunk-37-sitzung        

Die Plenarsitzungen zum Mobilfunkausbaubeschleunigungsgesetz am 25.01.2023 kann man sich hier ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=jWvOeyO4EbY 
https://www.youtube.com/watch?v=Sj2p5Gu8WY4

>>>  Redebeiträge der Inititiativen zum Herunterladen s. rechte Spalte.

           

Artikel veröffentlicht:
26.03.2023
Autor:
M.K. / Bürgerinitiativen Taunus / Darmstadt / Frankfurt
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