Bildungskatastrophe (V): Smartphone reduziert Wortschatz!

IFS-Studie belegt: Bildungssystem in tiefer Krise.
Die neue Lesestudie des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS, 2022) bringt es auf den Punkt: „Häufiges Lesen an digitalen Geräten weist dabei einen negativen Zusammenhang mit dem Wortschatz der Kinder auf. Der Wortschatz ist am kleinsten, wenn Kinder oft an digitalen Geräten lesen und gleichzeitig selten bis nie ein Buch.“
IFS-Studie

Die Lesestudie des Instituts für Schulentwicklungsforschung "Sonderauswertung: Zum Stand von Wortschatz und Leseverhalten bei Viertklässler:innen in Deutschland" geht auf Ursachen des reduzierten Wortschatzes bei Viertklässlern ein:

 

 


 

 

  • "In der Studie haben ein Viertel der Viertklässler*innen angegeben, (fast) täglich an digitalen Geräten zu lesen. Häufiges Lesen an digitalen Geräten weist dabei einen negativen Zusammenhang mit dem Wortschatz der Kinder auf. Ulrich Ludewig führt aus: „Der Wortschatz ist am kleinsten, wenn Kinder oft an digitalen Geräten lesen und gleichzeitig selten bis nie ein Buch.“ Dies hängt möglicherweise mit der Art der Texte zusammen: Häufig werden digital eher Chatnachrichten, Anweisungen in Apps, kurze Teasertexte und ähnliches gelesen, die keine längeren, aufeinander aufbauenden Textpassagen und weniger vielfältigen Wortschatz beinhalten. Dieses trägt kaum zu einem Ausbau des Wortschatzes bei und gleichzeitig fehlt die Zeit für sprachförderlichere Aktivitäten."

Die Statistik der JIM-Studie 2022 zeigt, dass nur noch 32% der Jugendlichen Bücher lesen, 2012 waren es noch 42%. Wortschatz, Lesefähigkeit, Textverständnis und die damit verbundene Sprachkompetenz sind grundlegend für das Lernen in allen Fächern. Die Analysen zu den Ursachen, die man derzeit in der Presse liest, umschiffen alle den Zusammenhang mit der Digitalisierung. Die Digitalisierung der Schulen als Geschäftsmodell der Industrie ist Teil des Problems. Mit noch mehr Digitalisierung soll es, wenn es nach der Bundesregierung geht, gelöst werden! Man dreht weiter an der Abwärtsspirale. Die neoliberale Bildungsideologie, die Jochen Krautz bereits 2007 in seinem Buch "Ware Bildung", Manfred Spitzer in "Digitale Demenz" (2012), Leipner/Lembke in "Die Lüge der digitalen Bildung" (2018) und Richard Münch in "Der bildungsindustrielle Komplex" (2018) beschreiben, korrumpiert nach wie vor die taktangebende empirische Pädagogik. Die von diesen Autoren vorausgesagten Folgen, die nun empirisch belegt sind, müssen die Kinder ausbaden.

Die IFS-Studie ist nun die vierte Studie in kurzer Zeit, die die Folgen des Versagens der Bildungspolitik dokumentiert. Und alle vier Studien stellen einen Zusammenhang mit der Digitalisierung her, außerhalb und innerhalb des Erziehungswesens. diagnose:funk hat in Artikeln diese vier Studien dokumentiert:

  • Bildungskatastrophe (I): Prof. Lankau zur KKH-Untersuchung: Immer mehr Kinder und Jugendliche entwickeln Sprachdefizite.
  • Bildungskatastrophe (II): IQB-Bildungstrend: Die Untersuchung hat ergeben, dass ein hoher Prozentsatz der Viertklässler nicht mehr die Regelstandards in Zuhören, Lesen, Rechnen und Schreiben erfüllen kann.
  • Bildungskatastrophe (III): Tablet-Computer machen das Spiel von Vorschulkindern weniger kreativ. Eine Studie von Forschern der Universität Uppsala und dem Institute of Education am University College London im Vereinigten Königreich kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit Tablets spielen, weniger kreativ und fantasievoll sind als Kinder, die mit physischem Spielzeug spielen. Wie verantwortungslos sind angesichts solcher Ergebnisse die Pläne, nun auch die KiTas zu digitalisieren?
  • Bildungskatastrophe (IV): Prof. Spitzer: Digitalisierung in Kindergarten und Grundschule schadet der Entwicklung, Gesundheit und Bildung von Kindern. Prof. Spitzer dokumentiert in zwei beeindruckenden Artikeln den Forschungsstand zu den psycho-sozialen und neurobiologischen Auswirkungen der Digitalisierung auf Kinder und Jugendliche.

Tabuthema WLAN

Für die „Digitale Bildung“ werden alle Schulen mit WLAN ausgerüstet. Dass es inzwischen mehr als 100 Studien und mehrere Reviews gibt, die gesundheitliche Risiken der 2450-GHz Frequenz von WLAN nachweisen, u.a. für Kopfschmerzen, Lernen und Verhalten, die Fertilität und oxidativen Zellstress, das wird komplett ignoriert. Und dass diese biologischen Wirkungen natürlich in Wechselwirkung mit den sonstigen neurobiologischen Wirkungen stehen. Der WLAN-Review von Isabel Wilke (s.u) hat bereits 2018 die Studienlage dokumentiert, Peter Hensinger hat sie in dem Artikel „WLAN an Kindertagesstätten und Schulen: Ein Hype verdeckt die Risiken“ (2020) (s.u.) zusammengefasst. Inzwischen sind neue WLAN-Studien erschienen, die auf EMFData.org und im ElektrosmogReport rezensiert sind, u.a.: Almasiova et al. (2021), Andraskova et al. (2022), Ding et al. (2018), Gupta et al. (2018), Hasan et al. (2022), Othman et al. (2021), Karimi et al. (2018), Öszobaci et al. (2019), Said-Salman et al. (2021), Saygin et al. (2016). .

Eine Warnung steht auch in der Gebrauchsanweisung zum Telekom-Router Speed Port:

  • "Funksignale: Die integrierten Antennen Ihres Speedport senden und empfangen Funksignale bspw. für die Bereitstellung Ihres WLAN. Vermeiden Sie das Aufstellen Ihres Speedport in unmittelbarer Nähe zu Schlaf-, Kinder- und Aufenthaltsräumen, um die Belastung durch elektromagnetische Felder so gering wie möglich zu halten."

Vor dem Schädigungspotential der nicht-ionisierenden Strahlung warnen EU-Gremien wie der Technikfolgenausschuss STOA in der Studie "Health Impact of 5G" und der Europäische Wirtschafts- und Sozialauschuss (EWSA). Sie fordern Aufklärung und eine Vorsorgepolitik.

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Bücher für eine humane Pädagogik

Eine pädagogische Wende ist überfällig

„Die Menschheit wird dümmer“, stellt Prof. Klaus Zierer (Augsburg) in seiner aktuellen Streitschrift „Der Sokratische Eid“ (2022) fest, die eine Wende in der Pädagogik hin zur Ausbildung motivierter Lehrpersonen fordert, denn Digitalisierung „ist keine Alternative zur humanistisch angeleiteten pädagogischen Praxis.“ [1] In seiner Metaanalyse „Zwischen Dichtung und Wahrheit: Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien im Bildungssystem“ schreibt er:

  • “Je länger sich Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit mit ihren Smartphones beschäftigen und je mehr Zeit sie in sozialen Medien verbringen, desto geringer ist die schulische Lernleistung.“ [2]

Das kann nun keiner mehr angesichts der aktuellen Studien als Behauptung für ein angebliches zurück in die „Kreidezeit“ abtun. Aber: Kinder sind offen für die Welt, sie wollen lernen. Eltern wollen, dass ihre Kinder gesund aufwachsen. Die verfehlte Bildungspolitik der letzten 20 Jahre und der lobbyistische Einfluss der IT-Branche auf sie verhindern dies. Das deutsche Bildungssystem war einmal in der „Kreidezeit“ vorbildlich, heute ist es abgestürzt und siecht im Digi-Tal dahin. In der pädagogischen Wissenschaft, von Erziehenden, Psychologen und Neurobiologen wird längst ein Umsteuern gefordert. Die Konzepte für eine Bildungspolitik, die allen Kindern die Chance bietet, ihre Fähigkeiten zu entfalten, liegen vor.

Quellen

[1] Klaus Zierer: Der Sokratische Eid, 2022, Münster

[2] Klaus Zierer: „Zwischen Dichtung und Wahrheit: Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien im Bildungssystem“ , Pädagogische Rundschau, 4/2021, S. 377 ff

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Molly Wright: How every child can thrive by five | TED

7 Minuten Live-Performance der 7-jährigen Molly: Was ist wirklich wichtig für die Gehirnentwicklung von Kleinkindern und was bedeutet es, wenn Eltern vor dem Kind mit dem Tablet ´rumspielen`.

Publikation zum Thema

umg 1/2020
Heft 1/2020Format: A4Seitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 10.12.2022 Sprache: DeutschHerausgeber: umwelt-medizin-gesellschaft

WLAN an Kindertagesstätten und Schulen: Ein Hype verdeckt die Risiken


Autor:
Peter Hensinger
Inhalt:
Die geplante „Digitale Bildung“ fußt auf der Infrastruktur von Smartphones, Tablets und WLAN (Wireless Local Area Network). WLAN ist dabei das Herzstück der mobilen Datenübertragung. WLAN gilt inzwischen als Statussymbol für eine moderne Schule. Zur WLAN-Mikrowellen-Frequenz von 2.450 MHz und seiner Taktung mit 10 Hz gibt es Untersuchungen, die erhebliche Risiken für die Gesundheit nachweisen. Eine Zusammenschau der Erkenntnisse aus der Hirnforschung über die Wirkung des durch digitale Medien beschleunigten Überflusses an Informationen, der Reizüberflutung und der Ergebnisse der Forschung zu Risiken der Strahlungseinwirkungen auf den Gehirnstoffwechsel führt zu einem tieferen Verständnis des Schädigungspotenzials. Insbesondere das reifende Gehirn von Kindern ist gefährdet. Eine Diskussion darüber wird von den zuständigen Ministerien und Kultusbehörden nicht geführt, sondern es wird versucht, besorgte Eltern mit Fortschrittserzählungen und Textbausteinen zu beruhigen.
Sonderbeilage in Ausgabe 1-2018 / ISSN 1437-2606 / 31. JahrgangFormat: A4Seitenanzahl: 32 Veröffentlicht am: 19.02.2018 Sprache: DeutschHerausgeber: umwelt • medizin • gesellschaft

Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten

Review veröffentlicht in umwelt • medizin • gesellschaft
Autor:
Isabel Wilke
Inhalt:
Dieser Artikel ist ein systematischer Review von Studien zu den Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung in der Mikrowellen (MW)-Frequenz 2,45 GHz (2.450 MHz), die hauptsächlich für WLAN / WiFi-Anwendungen (Wireless Local Area Network) und den Mikrowellenherd genutzt wird.
Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
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