Vorsicht, irreführend: Swisscom vergleicht Äpfel und Birnen

Nachhaltiges Mobilfunknetz & NIS Monitoring - Endgeräte versus Sendeanlagen
Das Schweizer BAKOM (Bundesamt für Kommunikation) und BAFU (Bundesamt für Umwelt) legten zwei Berichte vor und die Swisscom, der größte Mobilfunkbetreiber der Schweiz, veröffentlichte ein Video, in dem die Realität zur Mobilfunk-Strahlenbelastung sehr verzerrt wird. Die Kernaussage im Swisscom Video: "Dort wo es keine Sendeanlagen hat, gibt es die höhere Strahlung". Hier finden Sie ein paar Erläuterungen zu dieser Behauptung. Äpfel und Birnen sind zwar Obst, aber doch nicht das Gleiche.
diagnose:funk Schweiz

In den beiden behördlichen Veröffentlichungen geht es um die Belastung durch Mobilfunkstrahlung. Das BAKOM legt einen Schwerpunkt auf die Belastung der Handy-Benutzer und das BAFU ermittelt die allgemeine Belastung durch Mobilfunk, also diejenige Strahlenbelastung, der wir ständig ausgesetzt sind, Tag und Nacht, auch wenn das eigene Endgerät gerade nicht benutzt wird.

Es geht um zwei Fragestellungen:

1. Welche Strahlenbelastung haben die Handy-Benutzer?

2. Welcher Strahlenbelastung sind wir allgemein ausgesetzt?

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1. BAKOM Bericht «Nachhaltiges Mobilfunknetz»

Der Schweizer Bundesrat hat seinen Bericht zum Postulat (Prüfauftrag) von Ständerätin Brigitte Häberli-Koller «Nachhaltiges Mobilfunknetz» im April 2022 vorgelegt. In dem Antrag ging es um die Prüfung "wie ein nachhaltiges Mobilfunknetz aussehen kann, um einerseits einen optimalen Strahlenschutz zu erreichen und andererseits die Einführung von 5G sicherzustellen. Dabei sollen auch die Vor- und Nachteile eines einheitlichen Mobilfunknetzes ... dargestellt werden." Zu finden ist dieser Bericht auf der Webseite des BAKOM oder im Download >>>.

Einer der «grundsätzlichen Erkenntnisse» dieses Berichts lautet auf Seite 20:

  • Endgeräte sind Haupttreiber der Strahlenexposition
    «Die Studie zeigt, dass die Strahlungsexposition der Menschen durch körpernahe Endgeräte während der Nutzung deutlich höher ist als die Exposition, welche durch das Netz verursacht wird. In allen simulierten Szenarien ist die Exposition durch das Mobiltelefon durchschnittlich mindestens zehn Mal höher als diejenige, die durch das Netz hervorgerufen wird. Das Endgerät hat also eine viel höhere Strahlenexposition der Nutzenden zur Folge als diejenige der Mobilfunkantennen. Damit werden auch die Erkenntnisse aus dem Bericht «Mobilfunk und Strahlung» bestätigt

Es geht hier um die aktiven Handynutzer. Die Erkenntnis, dass das Endgerät am Körper genutzt, die Quelle der höchsten Strahlenbelastung ist, der wir uns aussetzen können, ist banales Wissen. Was dabei untergeht ist die Tatsache, dass die Endgerätenutzer diese Belastung buchstäblich selber in der Hand haben. In dem Bericht werden keine Aussagen dazu gemacht, wie die aktiven Nutzer diese Belastung reduzieren können. Ein verändertes Nutzerverhalten ist auch keine Fragestellung zur Berichterstattung gewesen.

Welche riesigen Spielräume hier bestehen, dazu hat diagnose:funk bereits viel veröffentlicht und auch das Deutsche Bundesamt für Strahlenschutz gibt hierzu einige wichtige Tipps >>>. Unsere ausführlichen Empfehlungen finden Sie hier online >>> und in kompakter Form in unserem Flyer «Mach mal Pause», hier zum Download >>> 

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2. BAFU Bericht «NIS Monitoring»

Das BAFU hingegen hat einen Bericht zu Expositionsmessungen nichtionisierender Strahlung (NIS) veröffentlicht.

Die Messtechniker haben an verschiedenen Orten die Strahlung der wichtigsten Quellen hochfrequenter Strahlung gemessen und dabei ihr eigenes Handy in den Flugmodus gestellt. Klar zu erkennen ist, dass der Downlink (die Strahlung von den Mobilfunkantennen) i.d.R. die mit Abstand grösste Belastung darstellt (grün dargestellt).

Die grösste Belastung wird klar durch Mobilfunkantennen (Downlink) erzeugt, teilweise über 80% (grün dargestellt).

Grafik: Jahresberichts 2021 S.38, Peak-WerteBAFU Schweiz

Erläuterungen zur Grafik: Untere X-Achse: Anteil der verschiedenen EMF Quellen an der Gesamt-HF-EMF, gemittelt über alle Messpunkte pro Messumgebungstyp: B) Peak-Werte. “ME“ gibt die Anzahl der Messumgebungen mit mindestens 5 Minuten Messdauer an. Obere X-Achse: elektrische Feldstärke. Der Mittelwert entspricht dem Mittelwert der Gesamt-HF-EMF aus den Quellen pro Messumgebungstyp.

Nur im Zug und in der Metro liefern die Uplinks (die Strahlungen der Endgeräte Dritter) den höchsten Anteil an der Spitzenwertbelastung in der Bestrahlungsstärke (blau dargestellt). Grund ist, man sitzt im Zug eng nebeneinander und der aktive Gebrauch der Handys im fahrenden Zug ist sehr verbreitet. Die Geräte nutzen einerseits das häufig installierte in der Leistung ungeregelte WLAN (apricot dargestellt) und brauchen zusätzlich viel Strahlungsenergie, um sich während der Fahrt ständig mit den vorbeiziehenden Sendeanlagen im Außenbereich entlang der Fahrstrecke zu verbinden (soweit kein Repeater im Zug installiert ist).

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Swisscom hat dazu ein Video ´ver`dreht mit dem Titel ´Wo strahlts wie stark`

Darin geht die Moderatorin Elsa der Frage nach Zitat: «Haben wir hier weniger Strahlung wegen dem Wegfall der Antenne?» Es werden anschliessend in Riehen und in Basel Datenpakete auf das Endgerät von Elsa hochgeladen und die Messdaten auf dem Handy geloggt. Riehen wurde gewählt, weil die Swisscom da eine 5G-Mobilfunkantenne ausser Betrieb nehmen musste.

Der Swisscom Experte Peter Fritschi wertet anschliessend die Daten aus und sagt, bei der fehlenden Antenne in Riehen sei Elsa 31x mal mehr Strahlung ausgesetzt als in Basel-Stadt.

Am Schluss fasst Elsa als Fazit zusammen:

  • «unglaublich, aber wahr, obwohl es in Riehen keine Antenne hat, haben sie dort eine stärkere Strahlung»

Diese Aussage ist klar irreführend. Sie bezieht sich einzig auf die Belastung direkt am benutzten Handy und hat mit der Gesamtbelastung nichts zu tun!

Die ganze Wahrheit sieht anders aus

Mitglieder vom diagnose:funk Schweiz waren vor Ort und haben einfache Messungen gemacht. Hierbei wurde die Gesamtbelastung der Mobilfunkstrahlung gemessen und nicht nur die Zeit am Handy, in der aktiv Daten verschickt werden.

Diese Messungen decken sich mit dem BAFU-Bericht zum «NIS Monitoring». Dort, wo es viele Mobilfunksendeanlagen hat und/oder die Distanz zu diesen gering ist, ist die andauernde Strahlenbelastung extrem viel höher als an den Orten, wo wenige Antennen stehen und/oder diese weit außerhalb der Siedlungsbereiche oder an sehr hohen Standorten montiert sind.

Im Bericht der BAFU heißt es somit auch:

  • «Für die Mehrheit der Messumgebungen ist die Hauptexpositionsquelle der «Downlink» (Mobilfunkantennen)

Das Video von diagnose:funk Schweiz finden Sie hier >>>

Übrigens:

Dank der exakten Aufzeichnungen der Übertragungsdauer und Sendeleistung von Peter Fritschi können wir festhalten, dass sich Elsa bei der Übertragung des definierten Datenpakets in Riehen für 64 Sekunden der Strahlung ihres Endgeräts ausgesetzt hat. Dieses hatte dabei eine mittlere Sendeleistung von 162 mW.

Da Elsa vorbildhaft (vgl. nachstehend) das Gerät dabei entfernt von Kopf und Körper gehalten hat und grob geschätzt max. 30 % der genutzten Leistung in ihre Richtung abgestrahlt wurde (die Antennen sind in den Geräten bestenfalls so montiert, das die Strahlung möglichst weg vom Körper/der Bildschirmseite geht), können wir davon ausgehen, dass Elsa über den Abstand von i.M 35 cm (vgl. Video min. 1:48) mit ca. 30.000 µW/m² für 64 Sekunden bestrahlt wurde.

Martin Zahnt hingegen stand in Basel allein für die 160 Sekunden Dauer des Videos vor der dauerstrahlenden Sendeanlage und war einer Bestrahlungsstärke von bis zu 12,8 V/m ausgesetzt. Gehen wir hier von i.M. 7 V/m aus, wären das ca. 130.000 µW/m². Mehr als das Vierfache an Leistung als die, die Elsa in Riehen von Ihrem Endgerät abbekommen hat, und dann auch noch für ein Vielfaches der Zeit.

Und so geht es allen Menschen in Basel in diesem Bereich, wenn sie z.B. an der gegenüberliegenden Ampel oder an der Tramhaltestelle stehen und warten müssen. Volle Breitseite, auch ohne dass ein Endgerät genutzt wird! Wird dieses benutzt, kommt diese Belastung noch dazu.

Die Swisscom hat sich mit diesem Video freiwillig für den diesjährigen "Apfel-Award" in der Kategorie "Verfaultes Obst" klassifiziert. Glückwunsch!

 

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Eine kleine Ergänzung am Schluss:

Je näher der Sendemast - desto geringer die Belastung?

Was ist dran an dieser Behauptung der Mobilfunkbetreiber und Bundesämter.

Die Unterschiede der Strahlenbelastung von Endgeräten und Sendeanlagen und die möglichen Minimierungsfaktorendiagnose:funk

Die Folie zeigt Folgendes:

  • Die Qualität der Funkverbindung und damit die Sendeleistung des Handys wird nicht nur durch die Entfernung zwischen Basisstation und Handy bestimmt, sondern dadurch, ob und welche Hindernisse sich zwischen Basisstation und Endgerät befinden und welche Dienste zur Übertragung zur Verfügung stehen/genutzt werden.

  • Für die persönliche Exposition ist entscheidend, wie das Endgerät genutzt wird.

Wenn die Handynutzer nicht mehr dazu gezwungen werden, die alte extrem strahlungsintensive 90er Jahre Technik GSM (2G) zu nutzen und würde das Endgerät während der aktiven Nutzung nicht mehr an den Kopf bzw. direkt an den Körper gehalten, löste sich das oben wiedergegebene Zitat aus dem BAKOM-Bericht in Luft auf.

Mehr als 10-fach höhere Bestrahlungs-Dosis durch die Endgerätenutzung als durch die Umgebungsstrahlung (Sendeanlagen/WLAN ...) wäre damit Geschichte!

ERGO: Endgerät gegen Sendeanlagen auszuspielen ist der völlig falsche Weg, um in Zukunft mit weniger und zumeist unnötigen Immissionen auszukommen.

 

Lesen Sie dazu unseren Artikel Nr. X unter: https://diagnose-funk.org/1650 aus der Reihe Behauptungen & Scheinargumente. Alle Artikel hier: https://www.diagnose-funk.org/1446

 

 

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: Din langSeitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 12.08.2022 Bestellnr.: 318Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Mobilfunk, Sendeanlagen, Netzausbau. Kommunale Rechte zur Gesundheitsvorsorge wahrnehmen!


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Überarbeitet Januar 2021Format: DIN langSeitenanzahl: 6 Veröffentlicht am: 20.01.2021 Bestellnr.: 312Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Mach mal Pause

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5. Auflage November 2020Format: A5Seitenanzahl: 60 Veröffentlicht am: 01.11.2020 Bestellnr.: 101Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: Drobot Dean stock.adobe.com

Elektrostress im Alltag

Anregungen zur Minimierung - Was jeder selbst tun kann
Autor:
Dr. G. Oberfeld (Land Salzburg), Dipl.-Ing. J. Gutbier (diagnose:funk)
Inhalt:
Seit September 2018 ist der vollständig überarbeitete Ratgeber "Elektrosmog im Alltag" mit dem veränderten Titel "Elektrostress im Alltag" erhältlich. Die nun vorliegende 5. Auflage wurde von 56 auf 60 Seiten erweitert. Wieder mit dabei ist die Landessanitätsdirektion Salzburg, auf deren „Informationsmappe Elektrosmog“ von 2008 diese Broschüre aufbaut. Mit einfacher Sprache, kurzen Texten, über 150 Bildern, Grafiken und Tabellen sowie einfache Icons für jede Empfehlung wird versucht, das komplexe Thema der Elektromagnetischen Felder (EMF) für Laien verständlich zu erläutern. Hilfestellung zur Selbsthilfe durch Prävention ist das Anliegen der Autoren. Wir danken Dr. Martin Virnich, Dr. Dietrich Moldan, Dirk Herberg und Dipl. Ing. Dietrich Ruoff für ihre Unterstützung bei der Erstellung.
Artikel veröffentlicht:
20.12.2022
Artikel aktualisiert:
22.12.2022
Autor:
diagnose:funk
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