Wir veröffentlichen die Übersetzung eines „Klassikers“ der industriekritischen Literatur von 2005, den Artikel David Michaels & Celeste Monforton: Erzeugung von Ungewissheit: Umstrittene Wissenschaft und der Schutz von öffentlicher Gesundheit und Umwelt, der nichts an Aktualität verloren hat. Er analysiert die in den USA von der Kommunikationsagentur Hill & Knowlton (H&K) ausgearbeiteten knallharten Strategien der Vertuschung von Gesundheitsrisiken von Industrieprodukten. Es sind dieselben Muster, nach denen heute versucht wird, Forschungsergebnisse in Zweifel zu ziehen mit den Taktiken: anzweifeln, lächerlich machen, Scheinkontroversen inszenieren, Nebenkriegsschauplätze in die Diskussion werfen, Verharmlosungsgutachten publizieren, Entscheidungen verhindern mit der Forderung "Es muss noch weiter geforscht werden".
>>> Download des Artikels von Michaels & Monforton
Einige Zitate aus dem Artikel vom Michaels & Monforton zu den Haupttaktiken, die im Artikel mit Beispielen belegt werden:
Agenturen geben Kommunikationsstrategien vor: "Anzweifeln!"
Michaels & Monforton (ff. MM) schreiben über die Taktik des Anzweifelns:
- „Ungewissheit und Zweifel an wissenschaftlichen Beweisen zu produzieren ist allgegenwärtig in der organisierten Opposition gegen die Versuche der Regierung, Gesundheitsrisiken zu regulieren.“(MM, S.3)
- „Die Kriterien für die Veröffentlichung von Artikeln in dieser Zeitschrift waren klar und deutlich: "Das wichtigste ist eine Geschichte, die Zweifel an der Ursache-Wirkungs-Theorie von Krankheit und Rauchen aufwirft." Um sicherzustellen, dass die Botschaft klar vermittelt wird, riet die PR-Firma, dass Schlagzeilen "den Punkt deutlich herausstellen sollten-Kontroverse! Widersprüchlichkeit! Andere Faktoren! Unbekanntes!““ (MM, S.3)
In Deutschland hat diese Rolle u.a. derzeit bei der 5G-Werbung der Bundesregierung die Werbeagentur Scholz & Friends. Teil der Kommunikationsstrategie ist ein Basic-Talk nach Trumpschem Muster, einfach eine Behauptung aufstellen. Zu den Grenzwerten behauptet die Bundesregierung:
- „Bisher konnte keine der behaupteten nichtthermischen Wirkungen nachgewiesen werden. Aus diesem Grund bleibt die thermische Wirkung die einzige nachgewiesene Wirkung des Mobilfunks unterhalb der Grenzwerte. Vor gesundheitsrelevanten Temperaturerhöhungen schützen die geltenden Grenzwerte." [1]
Nicht nur, dass inzwischen hunderte Forschungsergebnisse nicht-thermische Wirkungen nachweisen, selbst das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) bestätigt sie. Sowohl die STOA-Studie, herausgegeben vom Technikfolgenausschuss des EU-Parlaments als auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts-und Sozialausschusses (EWSA), veröffentlicht im Amtsblatt der EU, fordern neue Grenzwerte, die nicht-thermische Wirkungen in die Risikoabschätzung einbeziehen. Zur NTP-Studie behauptet die Bundesregierung:
- „Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat das Ergebnis der US-Mobilfunk-Studie bereits 2019 kommentiert. Die Studie liefert demnach keine aussagekräftigen Belege, dass Mobilfunknutzung unterhalb der Grenzwerte das Krebsrisiko beim Menschen erhöht.“ (s.o)
Alle an der Studie beteiligten Wissenschaftler und die Peer-Reviewer der NTP-Studie weisen diese Fehlinterpretation zurück. Dazu haben wir mehrere Analysen veröffentlicht.
Kausalität gegen das Vorsorgeprinzip
Zu taktischen Forderung der Industrie, dass erst gehandelt werden kann, wenn ein kausaler Beweis (Ursache-Wirkung) vorliege, schreiben Michaels & Monforton:
- „Auf den Rat der Experten von Hill & Knowlton hin betonte die Tabakindustrie drei grundlegende Punkte: "Dass Ursache-Wirkung Beziehungen nicht nachgewiesen sind, dass statistische Daten keine Antworten liefern und dass viel mehr Forschung erforderlich ist. " (MM, S.2)
- „Die Humandaten sind nicht repräsentativ, die Tierdaten seien nicht relevant, oder die Expositionsdaten seien unvollständig oder nicht zuverlässig. Diese Behauptungen wurden oft begleitet von der Erklärung, dass mehr Forschung erforderlich ist, bevor Schutzmaßnahmen gerechtfertigt sind.“ (MM, S.4)
- „Sie engagieren Wissenschaftler, die zwar nicht leugnen, dass ein Zusammenhang zwischen der Exposition und der Krankheit besteht, aber so argumentieren, dass "die Beweise nicht schlüssig sind". Infolgedessen ist ein lukratives Geschäft mit Wissenschaft auf Bestellung entstanden.“ (MM, S.6)
Wie das sogenannte „Kausalitätsprinzip“ vorgeschoben wird, um Nichtstun zu begründen, das behandeln wir im Brennpunkt „Der Kausalitätsbetrug“.