Leitmedien verbreiten die frohe Kunde - kritische Leserbriefe werden ignoriert
In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung zur entwarnenden dpa-Meldung bringt es ein diagnose:funk Mitglied auf den Punkt:
„Was ist von einer Studie zu halten, die aussagt, dass die Handynutzung „unter normalen Bedingungen das Risiko für einen Hirntumor nicht erhöht“; diese Aussage aber auf einer unrealistischen Nutzungsdauer der Teilnehmer beruht und Kinder und Jugendliche darin nicht erfasst wurden? So nutzten 82 Prozent der Teilnehmer an dieser Studie ihr Handy weniger als 30 Minuten pro Woche (!). Ist das normal? Es ist allgemein bekannt, dass eine derartige Nutzungsdauer heute wirklichkeitsfremd ist, was sowohl Zweifel an diesem Studienergebnis als auch am Titel des SZ-Artikels aufkommen lässt. Tatsächlich sprechen Studien von einer Handynutzung von über 40 Stunden pro Woche.
Zumal die wissenschaftliche Datenlage inzwischen eindeutig ist: Mobilfunkstrahlung ist gesundheitsschädlich. Das steht unter anderem in einem Briefing des wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments, das steht auch in einer Studie des beratenden wissenschaftlichen Gremiums der Schweizer Regierung (BERENIS), und das steht im neuesten Review, den der Ausschuss für Technikfolgenabschätzung des Europaparlaments (STOA) herausgegeben hat.“ (März 2022)
Die Süddeutsche Zeitung sah keinen Anlass, diesen Leserbrief abzudrucken.
Die UK Million Women Studie: Risikoentsorgung mit Folgen
Sagen wir es deutlich: Die UK Million Women Studie könnte man als Junk-Science bezeichnen mit dem Ziel, eine „Paralyse durch Analyse“ herzustellen, um Verwirrung zu stiften. Diese Taktik stammt von der Tabakindustrie, die in eigenen Laboren Entwarnungsstudien produzieren ließ nach der Methode: Wir haben regelmäßige Raucher untersucht und konnten beweisen, dass sie keinen Lungenkrebs bekommen. Die Untersuchungspersonen rauchten täglich eine Zigarette, Kettenraucher wurden nicht untersucht (typisiertes Beispiel). In der ARTE-Sendung vom 05.07.2022 über Neonicotinoide, das sind Pestizide, die zum Insektensterben führen, schilderte ein französischer Wissenschaftler eine weitere Methode. Die Industrie präsentiert Studien, die infizierte Tiere 24-Stunden lang beobachten, mit einem Nullergebnis. Bekannt ist aber, dass mindestens 3 Tage untersucht werden muss, um bei diesen Stoffen ein Ergebnis festzustellen.[4]
Die UK Million Women Studie reiht sich ein in Risikoentsorgungsstudien, die absatzfördernd sind. Angesichtes der vielen konsistenten Hinweise auf das Krebsrisiko, aktuell dokumentiert durch die vom Technikfolgenausschuss des EU-Parlaments herausgegebene STOA-Studie, tragen die UK Million Women Studie und die Pressemeldungen zur sorglosen Handynutzung und damit zur Gesundheitsschädigung bei.
Lesen Sie zur aktuellen Studienlage den neuen >> Impulsvortrag zum Stand der Forschung von diagnose:funk.
Dass Joachim Schüz, der leitende Autor der UK Million Women Studie, der auch dem ICNIRP-Kartell zuzuordnen ist, nun auch Mitarbeiter der IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation in Lyon/Frankreich) wurde, ist mehr als bedenklich.[5] Und ebenso bedenklich ist, dass das kritische Potential deutscher Journalisten wohl deshalb versagt, weil solche Meldungen ihr Wunschdenken bestätigen, dass doch der eigene Handygebrauch problemlos ist. Und viele Handy-Junkies saugen solche frohe Botschaften in sich hinein. Die UK Million Women Studie hat tatsächlich viel mit Millionen zu tun, sie trägt dazu bei, dass die Kassen der IT-Konzerne klingeln. Insofern hat ihr Titel einen Realitätsbezug.
UK Million Women Studie in der Tradition der Dänischen Kohortenstudie
Joachim Schüz hatte sich schon mit der Dänischen Kohortenstudie von 2006 (Update 2011) wissenschaftlich disqualifiziert.[6] Auch diese Studie ging weltweit durch die Presse mit der Botschaft: Kein erhöhtes Tumorrisiko. Das Leitportal Microwave News schrieb dazu 2011:
- „Die jüngste Aktualisierung der dänischen Handy-Krebs-Studie wird als die größte und beste aller Zeiten angepriesen. Sie zeigt "keinen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und [Gehirn-]Tumoren", heißt es in der Presseerklärung.
- Glauben Sie kein Wort davon.
- Am 20. Oktober veröffentlichte das British Medical Journal den dritten Teil der Kohortenstudie der dänischen Krebsgesellschaft, die seit den 1980er Jahren rund 400.000 Mobiltelefonteilnehmer beobachtet ... Von Anfang an wurde das dänische Projekt dafür kritisiert, dass mehr als 200.000 Firmenkunden, ein Drittel der tatsächlichen Zahl der dänischen Handynutzer, der vorgesehenen Studienpopulation, ausgeschlossen wurden. Die Forscher hatten kaum eine andere Wahl: Sie kannten die Namen der Personen nicht, die von ihren Arbeitgebern bezahlte Handys benutzen, und hatten daher keine Möglichkeit, die Personen in den Mobiltelefonteilnehmerlisten mit denen in den Tumorregistern abzugleichen. Alle sind sich einig, dass diejenigen, die ausgeschlossen wurden, die stärksten Nutzer waren. Im Zeitraum des dänischen Projekts - von 1987 bis 1995 - waren Mobiltelefone teuer, und es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass diejenigen, die ihre Rechnungen nicht selbst bezahlen mussten, die meiste Gesprächszeit aufbrachten.“[7]
Auch die WHO bezeichnet Schüz´ Kohortenstudie als eine „ohne Aussagekraft“
Wegen dieser Verschleierung der Nutzungszeiten und - gewohnheiten wurde diese Studie selbst in der konservativ verfassten WHO Monographie 102 im Kapitel Cohort study and early case–control studies als nicht aussagekräftig kritisiert: [8]
- „Eine große Kohortenstudie an der gesamten Bevölkerung Dänemarks umfasste Mobiltelefon-Abonnenten mit einem Median von 8 Jahren Vertragsdauer. Die Studie zeigte kein erhöhtes Risiko für Gliome, basierend auf 257 exponierten Fällen. Wegen der Abhängigkeit/Beschränktheit auf das Abonnement bei einem Mobilfunkanbieter als Ersatz für die Nutzung von Mobiltelefonen, hat diese Studie eine erhebliche Fehlklassifizierung bei der Bewertung. Mehrere Fall-Kontroll-Studien wurden in einem Zeitfenster durchgeführt, das relativ früh imZeitraum der zunehmenden Nutzung durchgeführt ist. Drei dieser Studien stützten sich auf Selbstauskünfte über den Verlauf der Mobiltelefon-Nutzung, und eine finnische Studie stellte eine Verbindung zu Mobiltelefon Aufzeichnungen über Handy-Abonnements. Die Effekt-Schätzungen aus diesen Studien waren im Allgemeinen zu ungenau, um aussagekräftig zu sein.“(S. 408)
Es war klar, die Dänische Kohortenstudie scheint eine Gefälligkeitsstudie zu sein. Auf Microwave News werden diese Zusammenhänge dargestellt und die Kritik verschiedener Wissenschaftler zitiert, u.a. aus der Medizinischen Universität Wien:
- „Michael Kundi von der Medizinischen Universität Wien geht noch viel weiter. Die dänische Studie ist "die am stärksten verzerrte Studie unter allen bisher veröffentlichten Studien", sagte er uns. Kundi erklärte, er habe Berechnungen angestellt, um die dänische Studie aus dem Jahr 2006 um die "Kontamination" zu korrigieren, die dadurch entstanden sei, dass so viele Langzeitkonsumenten unter den Kontrollpersonen waren, und er habe einen "hochsignifikanten Anstieg des Gliomrisikos" festgestellt. Er sagte voraus, dass bei einer ähnlichen Korrektur der neuesten Daten das Risiko "noch ausgeprägter sein würde".“[9]
Quellen
[1] Schüz J, Pirie K, Reeves GK, Floud S, Beral V, for the Million Women Study Collaborators. Cellular telephone use and the risk of brain tumors: update of the UK Million Women Study. J Natl Cancer Inst. 2022; djac042, https://doi.org/10.1093/jnci/djac042.
[2] Joel M. Moskowitz (2022): Cellular Telephone Use and the Risk of Brain Tumors: Update of the UK Million Women Study, Oxford University Press, JNCI J Natl Cancer Inst (2022) 00(0): djac109,Link zum Volltext: https://www.emf-portal.org/de/article/47697
[3] Carlberg M, Hardell L (2017): Evaluation of Mobile Phone and Cordless Phone Use and Glioma Risk Using the Bradford Hill Viewpoints from 1965 on Association or Causation, BioMed Research International Volume 2017, Article ID 9218486, https://doi.org/10.1155/2017/9218486 https://www.emf-portal.org/de/article/31674, erschienen auf Deutsch als diagnose:funk Brennpunkt
[4] Insektenkiller. Wie Chemieriesen unser Ökosystem zerstören, https://www.arte.tv/de/videos/098073-000-A/insektenkiller/, 5.07.2022
[5] https://www.iarc.who.int/staff_member/joachim-schuz/, https://www.europeancancer.org/212-joachim-schuz.html
[6] Frei P elt al. (2011): Use of mobile phones and risk of brain tumours: update of Danish cohort study BMJ 2011; 343: d6387doi: https://doi.org/10.1136/bmj.d6387
[7] Slesin, L (2011): The Danish Cohort Study: The Politics and Economics of Bias, https://microwavenews.com/DanishCohort.html
[8] WHO Monograph 102: Non-ionizing Radiation, Part 2: Radiofrequency Electromagnetic Fields, IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans Volume 102, 2011, S. 408
[9] https://microwavenews.com/DanishCohort.html (2011):The Danish Cohort Study:
The Politics and Economics of Bias
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Stellungnahme von Joel M. Moskowitz PhD, Univ. Berkeley zur UK Million Women Studie