Nein zum gläsernen Bürger!
Die Fraktion der GRÜNEN hat bei ihrem vorletzten Jahresempfang den Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar, bekannt aus der Sendung Quarks, zu genau diesem Thema eingeladen. Ich zitiere aus seinem Buch:
- „Bald werden unsere Städte und Häuser mit intelligenten Augen ausgestattet sein, und überall werden Sensoren unseren Alltag prägen und in unsere privatesten Bereiche vordringen. Wir sollten uns darüber klar sein, dass sich dann ein wesentliches Prinzip umkehrt: Nicht mehr wir machen die Bilder, sondern wir werden von Bildern erfasst und gedeutet. Wenn dieser Strom aus visuellen Datenanalysen seinen Fokus auf uns richtet, werden es diese Bilder sein, die über uns bestimmen oder uns richten“(Nächste Ausfahrt Zukunft, S. 284).
Vor diesem Weg in den digitalen Totalitarismus warnt der Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag (TAB), Prof. Armin Grunwald:
- "Aus dieser Infrastruktur, die um uns herum entstanden ist, noch einmal rauszukommen, noch umzusteuern, das wird schwer. Und noch eins: Zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte hat es derart gute Bedingungen für eine totalitäre Diktatur gegeben wie heute. Was Hitler an Propaganda-Möglichkeiten, was die Stasi an Überwachungsapparat hatte, ist Kinderkram gegen das, was heute möglich ist"(BAUCHMÜLLER 2018). [7]
Für diese totalitäre Planung bekam die Smart City von Digitalcourage e.V. den BigBrother Award 2018. In der Laudatio heißt es:
- » Eine ›Smart City‹ ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells ›1984‹ und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys ›Schöne Neue Welt‹. Der Begriff ›Smart City‹ ist eine schillernd-bunte Wundertüte – er verspricht allen das, was sie hören wollen: Innovation und modernes Stadtmarketing, effziente Verwaltung und Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Sicherheit und Bequemlichkeit, für Autos grüne Welle und immer einen freier Parkplatz. […] Als große Errungenschaft für eine ›Smart City‹ wird zum Beispiel ein neuer Typ Straßenlaterne angepriesen. Die leuchtet nicht nur, sondern enthält auch gleich Videoüberwachung, Fußgänger-Erkennung, Kfz-Kennzeichenleser, Umweltsensoren, ein Mikrophon mit Schuss-Detektor und einen Location- Beacon zum Erfassen der Position. Stellen wir uns dies noch kombiniert mit WLAN vor, mit dem die Position von Smartphones ermittelt werden kann, Gesichtserkennung und Bewegungsanalyse, dann ist klar: Wenn diese Technik in unsere Stadt kommt, werden wir keinen Schritt mehr unbeobachtet tun.«[8]
Heribert Prantl, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, analysiert die psycho-sozialen Folgen treffend in der Le Monde diplomatique:
- "Diese Überwachung wird den freiheitlichen Geist der früher sogenannten freien Welt zerfressen, weil die Überwachung es verhindert, schöpferisch zu sein. Kreativität verlangt, dass man sich abweichendes Verhalten erlauben kann, dass man Fehler machen darf. Wer überwacht wird, verhält sich konform. Das ist die eigentliche Gefahr der Massenüberwachung. Sie erzieht zur Konformität. Sie kultiviert vorauseilenden Gehorsam. Sie züchtet Selbstzensur. Die Dynamik der Selbstzensur entwickelt sich unabhängig davon, ob wirklich konkret im Einzelfall überwacht wird. Es reicht die abstrakt-konkrete Möglichkeit, überwacht zu werden. Damit verschwindet nämlich die Gewissheit, dass man in Ruhe und Frieden gelassen wird. Und damit verschwindet die Privatheit; und mit ihr verschwindet die Unbefangenheit. Der Verlust der Unbefangenheit ist eine Form der Gefangenschaft; sie ist ein Verlust der Freiheit. Die Überwachungsmacht veranlasst die Menschen, sich selbst in Gefangenschaft zu nehmen (PRANTL 2015)."
5 G - eine Technik ohne Technikfolgenabschätzung
Der BUND, Attac Schorndorf, KUS (Klima- und Umweltbündnis Stuttgart) und die Bürgerinitiative Mobilfunk haben letztes Jahr eine Unterschriftensammlung gegen 5G gemacht und 4000 Unterschriften an die Regionalversammlung übergeben mit der Forderung:
- "Der Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur mit der 5G-Technologie darf nicht ohne Prüfung der Gesundheitsverträglichkeit und ohne Technikfolgenabschätzung erfolgen. Der momentan anlaufende Ausbau ohne eine solche Abschätzung widerspricht dem Vorsorgeprinzip. Deshalb fordere ich einen Ausbaustopp für 5G, bis die gesundheitlichen Folgen geklärt sind!"
Es gibt immer noch keine Technikfolgenabschätzung zu den Folgen der 5G-Strahlung, aber Berichte des wissenschaftliches Dienstes des Europaparlaments, ein Bericht zur Technikfolgenabschätzung für das Österreichische Parlament, die auf Grund der Studienlage vor der 5G-Einführung warnen, dutzende Städte, auch Großstädte in der Schweiz, Frankreich und Belgien, haben deshalb 5G-Moratorien beschlossen.[9] Die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz, Dr. Inge Paulini, sagte am 25.2.2019 in der 3sat-Sendung nano:
- „Die Personengruppen, die wir besonders im Fokus haben, die besonders schützenswert sind – sind Kinder, Säuglinge, Kranke, alte Menschen. Der Ausbau der 5G-Netze sollte auf jeden Fall so erfolgen, dass sensible Orte, Orte, wo diese Menschen sich aufhalten - Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser – dass die erst mal ausgenommen werden.“ (siehe 3sat-Video ab Minute 2:20)[10]
Ich erinnere Sie, dass Sie mit den Stimmen der CDU, GRÜNEN und SÖSLinkePluS im vorletzten Haushalt ein Pilotprojekt zu einer strahlenminimierten Mobilfunkversorgung beschlossen haben, das nie umgesetzt und vom Baubürgermeister regelrecht blockiert wurde.
Angesichts potentieller Risiken müssen die BürgerInnen beteiligt werden
Wir brauchen also zunächst eine gründliche Diskussion im Gemeinderat und mit den BürgerInnen über die digitale Transformation und die Smart City. Ich erinnere Sie: im vorletzten Jahr gab es dazu zwei Protestversammlungen im Hospitalhof mit jeweils 400 Besuchern. Sie alle waren vom Forum 3 eingeladen, keiner ging hin, außer Hannes Rockenbauch. Lassen Sie mich nochmals aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU) zitieren:
- "Was Erkenntnisse zu unabdingbaren Erfordernissen bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft und Menschheit im Digitalen Zeitalter betrifft, machen die (nach)erzählten Visionen gewisse „Leitplanken“ deutlich, die von der Digitalgesellschaft keinesfalls überschritten werden dürfen. Es gibt technologische Vorstöße und Entwicklungslinien, die vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsverständnisses des WBGU nicht toleriert werden dürfen und unbedingt zu vermeiden sind. Dies betrifft vor allem Risiken der autokratischen, kleptokratischen Totalüberwachung aller Individuen durch digital aufgerüstete staatliche Institutionen (im Sinne von „Orwell 2084“), die vollständige Machtübernahme über Konsumbedarfe durch wenige Konzerne und den Ersatz menschlicher Wesen durch digital konstruierte und operierende technisierte Geschöpfe. In so mancher Hinsicht ist zu hoffen, dass die entworfene Dystopie nie Realität wird. Doch muss sie gerade deshalb jetzt erzählt werden, um ihre Verwirklichung rechtzeitig zu verhindern und eine konstruktive Nutzung der Digitalisierung für eine nachhaltige Zukunft möglich zu machen."[11]
Und zum Schluss lassen Sie mich nochmals aus der Laudatio zum BigBrother Award zitieren:
- "Doch wir wollen ja gar nicht so negativ sein. Denn eigentlich mögen wir Technik. Wir nehmen jetzt einfach mal an, dass die Hack-Sicherheit der vernetzten Systeme kein Problem wäre. Dass der Staat mit der Komplett-Überwachung ausschließlich unser Wohl im Auge hätte. Und dass die Tech-Firmen nur Gutes mit unseren Daten tun würden. Und jetzt stellen wir uns diese freundliche „Smart City“ vor, deren Sensoren uns ständig begleiten, die uns sagen, was wir als Nächstes tun sollen und deren Algorithmen aus unserem Profil in Echtzeit unsere Wünsche errechnen, bevor wir sie selber kennen. Immer grüne Welle, immer sofort einen Parkplatz finden und stets die aktuellen Stickoxid-Werte der Umgebung auf meinem Handy – klingt das nicht verlockend? Im Märchen vom Schlaraffenland fliegen den Menschen die gebratenen Gänse essfertig in den Mund. Aber: Das Schlaraffenland ist nicht das Paradies. Es macht satt, aber nicht glücklich. Bequemlichkeit macht träge und dumm. Wir brauchen das Beinahe-Stolpern, um unseren Gleichgewichtssinn zu trainieren. Wir brauchen die Anstrengung, um uns über das aus eigener Kraft Erreichte zu freuen. Wir brauchen den Zufall, das Andere, das Unbekannte, die Überraschung, die Herausforderung, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Wir müssen uns als Menschen frei entscheiden können und es muss uns möglich sein, Fehler zu machen. Wie anders sollten wir unseren „Moral-Muskel“ trainieren?
- Auch deshalb müssen wir uns wehren gegen die Bevormundung durch Technik und Technik-Paternalismus.
- Eine Stadt ist nicht „smart“ – klug sind die Menschen, die darin leben.
- Wir haben die Wahl: Wollen wir in einer post-demokratischen Konsumwelt leben, in der andere für uns entscheiden und die einzig mögliche Antwort „ok“ ist? Oder wählen wir die Freiheit?
- Albus Dumbledore sagt in Harry Potter Band 4:
- „Es wird die Zeit kommen, da ihr euch entscheiden müsst zwischen dem, was richtig ist und dem, was bequem ist.“
- Die Zeit ist jetzt."[12]
Verwirklichen wir die Bürgerbeteiligung, wir haben beim KUS, BUND, in seinem AK Digitalisierung, bei der Bürgerinitiative Mobilfunk Stuttgart eine große Bürgerkompetenz. Wir schlagen Ihnen vor, jetzt keine Beschlüsse zur Smart City zu fassen, sondern die Einrichtung einer Arbeitsgruppe "Smart City" mit Experten aus Wissenschaft und Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und BürgerInnen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Für die Bürgerinitiative www.Mobilfunk-Stuttgart.de
Peter Hensinger
Quellen
[1] Informationsstelle Militarisierung: Das Militär als Triebkraft des 5G-Ausbaus: https://www.diagnose-funk.org/1596
[2] https://www.wbgu.de/de/service/presseerklaerung/digitalisierung-in-den-dienst-nachhaltiger-entwicklung-stellen
[3] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/energie-ressourceneffizienz-digitaler; Zusammenfassung auf: https://www.diagnose-funk.org/1642
[4] Kontextwochenzeitung (2017), Jürgen Merks: Digital First, Planet Second. https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/411/digital-first-planet-second-5716.html
Jörn Gutbier / Peter Hensinger (2020): Fortschritt 5G? Mythen für den Profit, pad-Verlag Bergkamen.
[5]Digitalisierungsstrategie der Landesregierung Baden-Württemberg (2017),
https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Digitalisierungsstrategie-BW.pdf
[6] Sekretariat WBGU Göpel / Pilardeaux (2019): Ganz und gar nicht smart. Ethische und nachhaltige Ziele spielen bei der Gestaltung des digitalen Wandels kaum eine Rolle. Das muss sich ändern. Die soziale und ökologische Bilanz der Digitalisierung lässt bisher zu wünschen übrig https://www.ipg-journal.de/rubriken/nachhaltigkeit-energie-und-klimapolitik/artikel/ganz-und-garnicht-smart-3776/
[7] BAUCHMÜLLER, M / BRAUN, S: Die Leute merken nicht mehr, wie fragil das System ist; Interview mit dem Leiter des TAB des Bundestages Armin Grunwald; Süddeutsche Zeitung, 29.01.2018 ; siehe auch in "Der unterlegene Mensch" S. 187
[8] https://bigbrotherawards.de/2018/pr-marketing-smart-city . Ein mögliches Szenario angestrebter digitaler Herrschaftsausübung wird auch in der Broschüre "SmartCity Charta" der Bundesregierung in einem Beitrag eines finnischen Teilnehmers beschrieben: "Post-voting society. Da wir genau wissen, was Leute tun und möchten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen"(BMUB 2017:43).[8]
[9] EU-Briefing: "Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen könnte!" https://www.diagnose-funk.org/1530
EPRS | European Parliamentary Research Service. Autor: Miroslava Karaboytcheva Members' Research Service PE 646.172, February 2020: "Briefing. Effects of 5G wireless communication on human health".
Blackman C, Forge S. 5G Deployment: State of Play in Europe, USA, and Asia. Study for the Committee on Industry, Research and Energy, Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies, European Parliament, Luxembourg, 2019: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1388
Österreich: Parlamentsbericht "5G-Mobilfunk und Gesundheit" warnt vor Risiken https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1532
[10] Mediathek: https://www.3sat.de/wissen/nano/gefahr-fuer-die-gesundheit-100.html?mode=play&obj=79212
[11] Wissenschaftlicher Beirat Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU),Gutachten "Unsere digitale Zukunft", 2019, S. 305
[12] https://bigbrotherawards.de/2018/pr-marketing-smart-city, Laudatio von Rena Tangens
Bildnachweise: Big Brother Award-Heiko Sakurai, Digitalcourage. H. Prantl: Wikipedia. Unterschriftenübergabe: diagnose:funk.