Oberverwaltungsgericht NRW stoppt vorläufig Einbauverpflichtung für vernetzte Stromzähler

BSI darf gesetzliche Vorgaben nicht abschwächen
Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG NRW) in Münster hat den verpflichtenden Einbau vernetzter Stromzähler vorerst gestoppt. Nach Ansicht des OVG ist eine entsprechende Verfügung (PDF) des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vom Februar 2020 "voraussichtlich rechtswidrig". Daher bleibe der Vollzug der Verfügung ausgesetzt, teilte das Gericht am Freitag mit. Der Beschluss in dem Eilverfahren ist unanfechtbar (Az. 21 B 1162/20). Das Hauptsacheverfahren läuft noch vor dem Verwaltungsgericht Köln (Az. 9 L 663/20).
Bild: diagnose:funk

Pressemitteilung des OVG:

Das Oberverwaltungsgericht hat mit heute bekannt gegebenem Eilbeschluss vom 4. März 2021 die Vollziehung einer Allgemeinverfügung des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit Sitz in Bonn ausgesetzt. Mit dieser Allgemeinverfügung hat das BSI festgestellt, dass es technisch möglich ist, Messstellen für Stromverbrauch und -erzeugung mit intelligenten Messsystemen (Smart-Meter-Gateways) auszurüsten. Diese Feststellung beruht auf der Annahme, dass inzwischen auf dem Markt bestimmte, von verschiedenen Herstellern entwickelte intelligente Messsysteme verfügbar sind, die den gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf Sicherheit und Interoperabilität (Funktionalität) genügen. Die Feststellung der technischen Möglichkeit löste bundesweit zum einen für Messstellenbetreiber (insbesondere Stadtwerke) die Pflicht aus, ihre Messstellen innerhalb gewisser Zeiträume mit diesen intelligenten Messsystemen auszurüsten. Zum anderen bewirkte die Feststellung faktisch ein Verwendungsverbot für andere Messsysteme.

Nunmehr hat das Oberverwaltungsgericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf die Beschwerde eines privaten Unternehmens aus Aachen, das auch andere Messsysteme vertreibt, die Vollziehung der Allgemeinverfügung ausgesetzt. Das hat zur Folge, dass nun vorläufig weiterhin andere Messsysteme eingebaut werden dürfen. Bereits - möglicherweise auch in Privathaushalten - verbaute intelligente Messsysteme müssen nicht ausgetauscht werden.

Verfügbare Zähler genügen den gesetzlichen Anforderungen nicht

Zur Begründung hat der 21. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Allgemeinverfügung mit der Feststellung der technischen Möglichkeit der Ausrüstung von Messstellen mit intelligenten Messsystemen sei voraussichtlich rechtswidrig. Die am Markt verfügbaren intelligenten Messsysteme genügten nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie seien hinsichtlich der Erfüllung der im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) und in Technischen Richtlinien normierten Interoperabilitätsanforderungen nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, zertifiziert. Diese Messsysteme könnten auch nicht zertifiziert werden, weil sie die Interoperabilitätsanforderungen nicht erfüllten. Dass sie den Anforderungen der Anlage VII der Technischen Richtlinie TR-03109-1 des BSI genügten, reiche nicht. Die Anlage VII sei nicht formell ordnungsgemäß zustande gekommen, weil die vorgeschriebene Anhörung des Ausschusses für Gateway-Standardisierung nicht erfolgt sei. Die Anlage VII sei auch materiell rechtswidrig, weil sie hinsichtlich der Interoperabilitätsanforderungen hinter den gesetzlich normierten Mindestanforderungen zurückbleibe. Bestimmte Funktionalitäten, die intelligente Messsysteme nach dem Messstellenbetriebsgesetz zwingend erfüllen müssten, sehe die Anlage VII nicht vor. Dies habe unter anderem zur Konsequenz, dass Betreiber von Stromerzeugungsanlagen, die nach dem Gesetz mit intelligenten Messsystemen auszurüsten seien, nicht ausgestattet werden könnten.

BSI darf Gesetzesvorgaben nicht unterschreiten

Die dem BSI zustehende Kompetenz, Technische Richtlinien entsprechend dem technischen Fortschritt abzuändern, gehe nicht so weit, dadurch gesetzlich festgelegte Mindestanforderungen zu unterschreiten. Seien die dortigen Mindestanforderungen nicht erfüllbar, müsse der Gesetzgeber tätig werden.

Hauptsacheverfahren steht aus -  50 gleich gelagerte Beschwerdeverfahren anhängig

Der Beschluss des 21. Senats ist unanfechtbar. Das Hauptsacheverfahren (Klage gegen die Allgemeinverfügung) ist noch beim Verwaltungsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 9 K 3784/20 anhängig. Zudem sind beim 21. Senat noch etwa 50 gleich gelagerte Beschwerdeverfahren von Messstellenbetreibern (insbesondere Stadtwerken) anhängig, in denen der Senat in Kürze entscheiden wird.

Aktenzeichen: 21 B 1162/20 (I. Instanz: VG Köln 9 L 663/20)

https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/18_210305/index.php

Berichterstattung auf dem Internetportal golem:
https://www.golem.de/news/smart-meter-gericht-stoppt-zwangs-rollout-der-vernetzten-stromzaehler-2103-154733.html

Ausführlicher Bericht dem Internetportal der Deutschen Gesellschaft für Sonnenerergie e.V.:
www.dgs.de/news/en-detail/120321-smart-meter-stopp-des-rollouts/

Ergänzung:

Seit Mai 2022 kann der Weiterbetrieb vorhandener und das Ausrollen zusätzlicher Gateways aber auf Basis einer BSI-Verwaltungsanordnung fortgesetzt werden berichtet heise.de in seinem Artikel vom 21.10.2022 über Wirtschaftsminister Habecks Pläne für ein "Smart-Meter-Aufbruchgesetz".

Artikel veröffentlicht:
05.03.2021
Artikel aktualisiert:
21.10.2022
Autor:
Pressemitteilung Oberverwaltungsgericht NRW
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