Interview* mit Prof. Dr.-Ing. Wilfried Kühling
5G / Mobilfunk: „Wille zur Mitgestaltung“ in der kommunalen Praxis möglich
Der 5G / Mobilfunk – Ausbau schreitet rasant voran. Industrie und Staat sind euphorisch. Skepsis und Kritik sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Gesellschaft nehmen zu, weil die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt z. T. noch ungenügend erforscht und daher oft noch nicht abschätzbar sind. In seiner neuen Publikation 5G / Mobilfunk durch Gesamträumliche Planung steuern zeigt Wilfried Kühling auf, welch bedeutende Rolle und Verantwortung den Städten und Gemeinden zukommt.
Im Gespräch erläutert der Autor Anliegen und Perspektiven seiner Hilfestellung für die kommunale Praxis.
Wilfried, wie schätzt Du die mobilfunkpolitische Lage im Moment ein? Fortschritt durch 5G scheint von Seiten der Industrie und des Staates einerseits geradezu heilsversprechend und andererseits ebenso alternativlos zu sein.
Das ist genau der wunde Punkt. Wir stecken in einer immer schnell-lebigeren Technikentwicklung, die uns – auch aus Gründen der vermeintlich notwendigen wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit – quasi aufgezwungen wird. Dies bedeutet ein Mitlaufen, ohne dass die zukünftigen Folgen ausreichend beleuchtet werden. Obwohl beim Bundestag ein Büro für Technikfolgenabschätzung eingerichtet ist, werden die wichtigen und vielfach offenen Fragen zu dieser Technik nicht untersucht. Denn längst zeichnen sich technisch einfache Lösungen zur Reduzierung der Strahlenbelastung beim Gebrauch dieser Technik ab, gibt es ebenso leistungsfähige Alternativen über die Lichttechnik oder auch die leitungsgebundene Breitbandversorgung in die Häuser hinein. Alles Entwicklungen, die nach einem klaren, gezielten Konzept geradezu schreien. Aber hier wie bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit manch vermeintlicher Innovation versagt unsere politische Führung auf der ganzen Linie.
Skepsis und Kritik innerhalb und außerhalb der Wissenschaft nehmen zu. Sind sie begründet?
Auf jeden Fall, denn in den letzten Jahren gab es deutliche Erkenntnisgewinne. So wie die amerikanischen und italienischen Tier-Studien, die verschiedene Tumore durch Mobilfunkstrahlung aufgezeigt haben. Das konnte ein namhafter schwedischer Wissenschaftler mit den gleichen Beobachtungen in der Bevölkerung dort bestätigen und stellt fest, dass die WHO eigentlich die Mobilfunkstrahlung in die höchste Stufe der Krebsgefährdung einordnen muss. D. h. also, es kommt auf die vernünftige Bewertung der Forschungsergebnisse an (Link zur IARC-Diskusssion über eine Höhergruppierung), und da ist die offizielle Einschätzung in Deutschland im Vergleich zur Beurteilung weltweiter Organisationen und Einrichtungen im absoluten Abseits, wie eine neue österreichische Studie zur Abschätzung der 5G-Technikfolgen zeigt. Auch ein neues Gerichtsurteil aus Holland zeigt, dass bereits bei zigfacher Unterschreitung der vermeintlich hier schützenden Grenzwerte begründete und berechtigte Sorgen bestehen.
Ist nicht auch in unserer Gesellschaft das Gefühl von Ohnmacht und Resignation weit verbreitet, den Fortschritt vor Ort ohnehin nicht mitgestalten und mitsteuern zu können?
Die Fülle aufbrechender Initiativen und Gruppen vor Ort gegen die Fortentwicklung des Mobilfunks/5G zeigt, dass es in unserer Gesellschaft viele wache Kräfte gibt, ob in Freiburg oder im Wendland. Immer wieder gibt es Anfragen zu Vorträgen, Interviews in Medien etc. und die Fragen werden immer differenzierter. Der Wille zur Mitgestaltung und Fortentwicklung ist meines Erachtens auch dadurch getragen, dass laut Umfragen fast die Hälfte der Bevölkerung Ängste in Sachen Mobilfunk entwickelt. Und ich habe in unserer Gesellschaft eigentlich noch nicht erlebt, dass wir den Kopf in den Sand stecken. Wenn der Problemdruck groß genug ist, suchen wir nach Lösungen und Fortentwicklungen. Zurzeit formiert sich sogar eine gesamteuropäische Bürgerinitiative gegen 5G. Und in etlichen Kommunen wurde ja bereits den Mobilfunkinteressen Paroli geboten und Einfluss genommen.
Welche Möglichkeiten und Chancen hat gerade die kommunale Praxis?
Aus den jahrzehntelangen Erfahrungen beim Umgang mit den Belastungsfaktoren Luftverschmutzung und Lärm in Forschung, kommunaler Praxis und vor Gericht ist klar, dass Kommunen eine eigene Planungshoheit genießen, die durch die Verfassung geschützt ist. Auf der Grundlage sehr weitgehender gesetzlicher Vorgaben zur Umwelt- und Gesundheitsqualität in den Gemeinden, z. B. nach dem Baugesetzbuch, sind diese bei der rechtlich verbindlichen Festlegung von Schutz- und Vorsorgeanforderungen für bestimmte Gebiete nicht an fachgesetzliche Vorgaben gehalten. So ist es üblich, strengeren Lärmschutz für empfindliche Wohngebiete vorzuschreiben, als es die die Verkehrslärmschutzverordnung benennt. Und genauso können sie bei der – ebenfalls zu den schädlichen Umwelteinwirkungen zählenden – Mobilfunkstrahlung bestimmte schutzwürdige Gebiete mit einem höheren Schutz versehen, als es die Fachverordnung zu elektromagnetischen Feldern (26. BImSchV) benennt. Da gibt es verschiedene Planungsinstrumente, um das verbindlich umzusetzen, sicherlich bevorzugt eignet sich der Flächennutzungsplan.
Wie könnte oder sollte deiner Einschätzung nach moderne kommunale Praxis aussehen und welche Perspektiven hat sie?
Das für die Kommunen gemachte Bauplanungsrecht will eine geordnete städtebauliche Entwicklung erreichen, von der verträglichen baulichen Gestaltung über die Zuordnung sich nicht gegenseitig störender Nutzungen bis zu dem sehr weitgehenden Planungsziel einer Sicherung der „menschenwürdigen Umwelt, einschließlich der menschlichen Gesundheit“. Der Bund hat letztlich diese Aufgaben den Kommunen überlassen. Das bedeutet konkret, dass eine Kommune nicht abwarten darf und kann, bis Betreiber von Sendeanlagen die aus deren Sicht optimale Infrastruktur einrichten, sondern sie muss ihrem Gestaltungsauftrag entsprechend mit Vorgaben diese Versorgung steuern. Dazu dienen die von mir aufgestellten Planungsrichtwerte zum Schutz beispielsweise empfindlicher Wohngebiete, die Vorgaben für die technische Ausführung der Mobilfunk-Infrastruktur darstellen können. Generell müsste sich die örtliche Verwaltung um eine ordentliche leitungsgebundene Breitbandversorgung einsetzen und ein Mobilfunk-Konzept der Outdoor-Versorgung entwickeln, was also eine bisher übliche Durchstrahlung der Innenräume begrenzt oder verhindert. Ziel muss die darauf aufbauende, technisch individuell gestaltbare Innenraumversorgung sein, z.B. über Repeater, kabelgebunden, über Lichttechnik, auch hinsichtlich eines ausreichenden Schutzes von Nachbarn vor Fremdeinstrahlung. Das ist sicherlich noch ein gewisser Weg, aber die heutige Situation erlaubt kein weiteres Zuwarten.
* Interview: Peter Ludwig, Kompetenzinitiative e.V., die Hyperlinks sind von diagnose:funk gesetzt.
Interview mit Wilfried Kühling, 14. Januar 2021, als PDF >>>
Pressemitteilung, 24. Januar 2021, als PDF >>>