Schweiz: Gemeinde Turbenthal gewann Gerichts-Prozess gegen Salt, Sunrise und Swisscom

Antennen in Wohngebieten können untersagt werden
Immer mehr Schweizer Gemeinden setzen sich gegen den Bau von 5G-Mobilfunkantennen zur Wehr. 2019 gab ein Bundesgerichtsentscheid der Gemeinde Turbenthal Recht, in der Bau- und Zonenordnung (BZO) einschränkende Bestimmungen zu Antennenanlagen festzuhalten.
Wappen der Gemeinde TurbenthalQuelle: als.wikipedia.org

Quelle & Text: Schweizer Initiative Schutz vor Strahlung

Eine Kernaussage des Gerichts:

  • Die Begrenzung von Mobilfunkantennen in Wohngebieten erscheine daher grundsätzlich als geeignetes Mittel, Charakter und Attraktivität der Wohnzonen zu wahren, weshalb es sich rechtfertigen könne, in Zonen, die in erster Linie für das gesunde und ruhige Wohnen bestimmt seien, die Errichtung von Betrieben und Anlagen, die ideelle Immissionen verursachen können, von einem funktionalen Zusammenhang zur jeweiligen Zone abhängig zu machen.


 

Der vorliegende Ordnungstext kann für andere Gemeinden als Vorbild dienen.

Die Stimmberechtigten der Gemeinde Turbenthal genehmigten an der Gemeindeversammlung im Februar 2014 den Artikel 39 «Antennenanlagen» in der Bau- und Zonenordnung (BZO). Dieser legt unter anderem fest, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck, eine Antenne wo aufgestellt werden darf. So soll beispielsweise das Stadt- bzw. Dorfbild nicht zerstört werden, auch nicht Natur- und Heimatschutzobjekte, aber dennoch die Quartierversorgung gewährleistet werden können. Die drei großen Schweizer Mobilfunkanbieter Salt, Sunrise und Swisscom wehrten sich bis vor Bundesgericht dagegen, mussten im Januar 2019 jedoch dessen Entscheid respektieren, dass der Artikel 39 legitim und rechtens ist.

Bau- und Zonenordnung kann auf jede Gemeinde übertragen werden

Das Urteil zeigt auf, welche Möglichkeiten bestehen, um den Bau von Mobilfunkanlagen auf kommunaler Ebene aktiv mitzubestimmen oder sinvoll einzuschränken. Der politischen Gemeinde Turbenthal ist der Spagat zwischen Schutz und Versorgung also gelungen. Heute kämpfen weitere Gemeinden um ihr Recht, so auch z.B. die Gemeinde Feuerthalen. Der Ordnungsartikel «Antennenanlagen» der Gemeinde Turbenthal kann als Vorbild für viele andere Gemeinden in der Schweiz genutzt werden. Grundsätzlich festzuhalten ist, dass es im Hinblick auf die Antennen-Verdichtung jeder stimmberechtigten Person möglich ist, auf die Gemeinde zuzugehen und einen Vorstoß in der Bau- und Zonenordnung zu initialisieren.

Art. 39, «Antennenanlagen» aus der BZO der Gemeinde Turbenthal

Mobilfunkanlagen haben grundsätzlich der Quartierversorgung zu dienen. In den Gewerbezonen sind überdies auch Anlagen für die kommunale Versorgung zulässig. Visuell als solche erkennbare Mobilfunkanlagen sind nur in folgenden Zonen und gemäss folgenden Prioritäten zulässig:

  • 1. Gewerbezonen
  • 2. Zentrumszonen und andere Bauzonen, in denen mässig störende Betriebe zulässig sind
  • 3. Kernzonen sowie Zonen für öffentliche Bauten, in denen nur nicht störende Betriebe zulässig sind.

Erbringt der Betreiber den Nachweis, dass aufgrund von funktechnischen Bedingungen ein Standort außerhalb der zulässigen Zonen erforderlich ist, ist eine Mobilfunkanlage auch in den übrigen Wohnzonen zulässig.

Baugesuche für visuell als solche wahrnehmbare Mobilfunkanlagen im Bereich von Natur- und Heimatschutzobjekten sind bezüglich der Einordnung von einer externen Fachperson zu begutachten.

Ausschnitte aus dem Urteil vom 8. Januar 2019 (zusammengefasst)

Die Mobilfunkbetreiberinnen focht die Bestimmungen mit einem Rekurs an, so dass die Formulierung angepasst werden musste: «In den Gewerbezonen sind überdies auch Anlagen für die kommunale und überkommunale Versorgung zulässig». Im Übrigen wies das Baurekursgericht den Rekurs ab (B, S.1).

Die Beschwerdeführerinnen reklamierten ausserdem, dass die vorgesehene grundsätzliche Beschränkung auf Mobilfunkanlagen für die Quartierversorgung höchstens in Wohnzonen zulässig sei. Das Bundesgericht führte diesbezüglich zusammengefasst aus, dass der Anblick von Mobilfunkanlagen bei Anwohnern zum Teil als Bedrohung bzw. als Beeinträchtigung der Wohnqualität empfunden werde, weshalb die Errichtung solcher Anlagen in einer Wohnzone die Attraktivität des Gebietes zum Wohnen beinträchtigen könne. Die Begrenzung von Mobilfunkantennen in Wohngebieten erscheine daher grundsätzlich als geeignetes Mittel, Charakter und Attraktivität der Wohnzonen zu wahren, weshalb es sich rechtfertigen könne, in Zonen, die in erster Linie für das gesunde und ruhige Wohnen bestimmt seien, die Errichtung von Betrieben und Anlagen, die ideelle Immissionen verursachen können, von einem funktionalen Zusammenhang zur jeweiligen Zone abhängig zu machen. Dabei verwies das Bundesgericht auf einen Aufsatz von BERNHARD WALDMANN (Der Schutz vor ideellen Immissionen in Wohngebieten - eine kritische Würdigung, Baurecht 1995 S. 162) (Seite 2, 2.3).

Ausserdem monierten die Mobilfunkbetreiberinnen, dass sie durch die angefochtene Regelung bei der Wahl von Standorten für Mobilfunkantennen eingeschränkt werden, wodurch in erster Linie Ihre Wirtschaftsfreiheit berührt werde und dadurch zudem die Versorgung nicht mehr gewährleistet werden könne. Die Vorinstanz konnte diese Behauptung anhand der Zoneneinteilung glaubhaft widerlegen (S.5, 6.2.-6.4.)

Artikel veröffentlicht:
15.07.2020
Autor:
Schutz vor Strahlung.CH

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