Die Beschlüsse des Gipfels erfüllen 1:1 die Wunschliste der Mobilfunkbetreiber. Die Bundesregierung strickte den Mobilfunkbetreibern ein Instrumentarium, mit dem sie ihre Geschäftsmodelle für den digitalen Umbau der Gesellschaft durchzusetzen können:[1]
- Der Bund gründet eine Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG), besetzt mit 97 Stellen, die den beschleunigten Ausbau v.a. der LTE- und 5G-Infrastruktur durchsetzen soll.
- Auf 5000 Standorten, die die Mobilfunkbetreiber wegen Unwirtschaftlichkeit nicht bauen, errichtet der Staat Sendeanlagen und stellt dafür 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit wird die vertragliche Verpflichtung aus den Frequenzversteigerungen, dass die Betreiber bis 2020 99% der Haushalte versorgen müssen, aufgehoben.[2]
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Im Koalitionsausschuss wurde bereits am 03.06.2020 beschlossen: "Das Programm „Smart City“ setzen wir fort und stocken es um 500 Mio. Euro auf." Das Smart City Programm bekam bereits 2018 den Big Brother Award für den Weg in die überwachte Stadt.
- Die Kommunen sollen den Betreibern Liegenschaften für Senderstandorte bereitstellen, die Genehmigungsverfahren sollen auf drei Monate begrenzt und bis September 2020 Vollzugshinweise erlassen werden.
- Diese Beschleunigungsverfahren sollen dazu dienen, zeitraubende Alternativvorschläge von Gemeinderäten zu unterbinden und den Widerstand von Bürgerinitiativen zu brechen. Dies soll durch den direkten Zugriff der MIG geschehen. Die MIG wird direkt die Kommunen unter Druck setzen: "Die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft des Bundes wird eine zentrale Scharnierfuktion übernehmen" (siehe (1)). "Dialog zur Beschleunigung kommunaler Genehmigungsprozesse." "Vorbereitung der notwendigen Genehmigungen und Anzeigen durch die MIG."[3]
- Flankiert wird dies durch eine Kommunikationsinitiative, um Bedenken zu gesundheitlich negativen Auswirkungen zu entkräften. Den Auftrag dafür erhielt die Werbeagentur Scholz & Friends.[4]
Die Bundesregierung mutiert zur politischen Organisationszentrale der Mobilfunkbetreiber. Die mobile Infrastruktur von LTE und 5G dient v.a. dem autonomen Fahren (oder genauer: dem Online-Entertainment im Auto), dem Internet der Dinge und dem Ausbau der militärischen Infrastruktur. diagnose:funk fordert dagegen seit 10 Jahren, auch zur Vermeidung der Elektrosmogbelastung, den lückenlosen Ausbau der digitalen Infrastruktur über Glasfaser / Breitband. "Breitband in kommunaler Hand", als Eigenwirtschaftsbetrieb der Kommunen, Glasfaser für jeden Schwarzwaldhof ist heute Teil der Daseinsvorsorge. Diese digitale Grundversorgung, die jedem Bürger zur Verfügung gestellt werden muss, wird nicht staatlich gewährleistet, sondern an Monopole ausverkauft. Das kritisieren wir scharf.
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"Wirtschaft und Politik sehen in der Digitalisierung in erster Linie einen neuen Wachstumsmotor. Allein vom Internet der Dinge erwartet man in den nächsten zehn Jahren in Deutschland 30 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne für die Industrie und ein Prozent Wachstum pro Jahr. Aus ökologischer Sicht ist das fatal. Mehr Wachstum bedeutet, dass mehr produziert und verbraucht wird", schreibt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Tilmann Santarius in dem Artikel "Der Stromhunger wächst", DIE ZEIT, 6/2018, S.35.
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Im Fadenkreuz: die Kommunen und Bürgerinitiativen
Im Eckpunktepapier des Mobilfunkgipfels heißt es:
- "Den Kommunen kommt eine zentrale Rolle bei der Identifikation und Genehmigung geeigneter Standorte zu. Ergänzend sollen sie im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern für Akzeptanz werben und Bedenken adressieren."
Um Reibungsverluste mit kritischen Gemeinderäten und Bürgerinitiativen auszuschalten, wird eine Doppeltaktik von Zuckerbrot und Peitsche geplant. Aus den breiten Protesten und vielen Auseinandersetzungen um Standorte für Sendeanlagen wird geschlussfolgert: die Schwachstelle ist die Kommune. Diese Rechte der Kommunen auf Mitsprache bei der Planung nach dem §7a der 26. Bundesimmissionsschutzverordung und der bisherigen Rechtssprechung für alle Sendeanlagen werden durch den Mobilfunkgipfel zwar nicht aufgehoben. Doch über die MIG soll direkter Beratungsdruck auf Verwaltungen und Bürgermeister ausgeübt werden, flankiert durch eine Propagandaoffensive, dass bei einer Einhaltung der Grenzwerte keine Gesundheitsrisiken bestehen würden. Beansprucht der Gemeinderat weiter seine Rechte, soll mit dem Druck durch die MIG und die Propagandaoffensive wohl erreicht werden, dass die Kommunen auf diese Rechte verzichten und Bürgerinitiativen ausgebootet werden. Man versucht, das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung zu unterlaufen.
Die Tatsachen, kritische Gemeinderäte und Bürgerinitiativen als Achillesverse
Das bemerkenswerteste an dem Papier: es enthält explizit eine Strategie gegen die Bürgerinitiativen. Ihre Bedeutung wird so hoch eingeschätzt, dass sie nunmehr durch zwei Behörden paralysiert werden sollen, die Außenstelle des Bundesamtes für Strahlenschutz in Cottbus, die eigens dafür gegründet wurde, und nun die ebenfalls neue Behörde mit der vielsagenden Abkürzung MIG, die bisher dem legendären sowjetischen Jagdflugzeug MIG-15 vorbehalten war. Die Bürgerinitiativen sollen mit dem Grenzwertargument ausgebremst werden:
- "Bei Teilen der Bevölkerung besteht die Sorge, dass der Ausbau des Mobilfunknetzes und insbesondere des 5G-Netzes Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte. Die Unterzeichner machen den Nutzen neuer Anwendungen sichtbar und greifen zugleich mögliche Bedenken über gesundheitliche Auswirkungen auf. Zur Gewährleistung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes für den neuen Mobilfunkstandard 5G einschließlich der für spätere Ausbauschritte vorgesehenen neuen Frequenzbereiche sind die bestehenden Grenzwerte das Maß des Handelns. Bei Einhaltung dieser Grenzwerte, die durch das Standortbescheinigungsverfahren bei der Bundesnetzagentur sichergestellt werden, gelten Funkanlagen nach den national und international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen als gesundheitlich unbedenklich"(siehe (1)).
Gemeinderäte, die den Gesundheitsschutz ernst nehmen, und auch die Bürgerinitiativen werden diese Taktik schnell durchschauen. Weder die Grenzwerte schützen vor den Risiken der Dauerbestrahlung noch gibt die internationale Wissenschaft Entwarnung. Im Gegenteil!
Grenzwerte schützen nicht die Menschen, sondern den Antennenwildwuchs
Natürlich wird in dem Papier wieder damit beruhigt, die Grenzwerte würden die Bevölkerung schützen. Die Grenzwerte erfassen nur eine Exposition von 6 Minuten, keine Langzeitwirkungen, sie berücksichtigen keine Kinder, keine Schwangeren, keine alten Menschen und keine Kranken.[5] Die Grenzwerte enthalten nach Auskunft der Bundesregierung keine Vorsorgekomponente.[6] Die Erklärung, dass bei Einhaltung der Grenzwerte die Menschen geschützt seien, entbehrt jeder Grundlage. Die neuen Grenzwertrichtlinien der ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) von 2020, die die Bundesregierung wiederum als Grundlage ihrer Arbeit akzeptiert, sind abzulehnen. Prof. Dr. Hans-Peter Hutter (Wien) begründet dies:
- „Seit langem bestimmt eine sehr kleine Anzahl von Personen eines Vereins, der seine Mitglieder selbst bestimmt, die internationale Grenzwertsetzung. Indem die Beobachtungen von Effekten im Niedrigdosisbereich als nicht gesundheitlich relevant bezeichnet beziehungsweise abgetan werden und nur thermische Effekte als einzig relevant dargestellt werden, werden automatisch höhere Grenzwerte abgeleitet als in irgendeinem anderen Gebiet der Umweltmedizin. Diese werden, durch die Mobilfunklobby gestützt, der Politik als ausreichend vermittelt, die das auch zufrieden zur Kenntnis nimmt, weil sie selbst davon durch den Verkauf der Frequenzen und die hohe Steuerleistung der Mobilfunkindustrie profitiert ... Die vorliegende Arbeit (die ICNIRP-Richtlinien 2020, d:f) sollte bestenfalls ignoriert, aber keinesfalls für internationale Grenzwert-Festlegungen herangezogen werden.“[7]