Editorial umg 2/2019
Neuerung ohne Steuerung-cui bono?
Diese umg-Ausgabe stößt in eine aktuelle Debatte. Die Frequenzversteigerung der fünften Generation des Mobilfunks 5G hat eine bundesweite Protestwelle ausgelöst. Beschleunigt hat sie die Presse selbst. Fast alle Leitmedien und auch TV-Sender berichteten ausführlich über Gesundheitsrisiken, v.a. über die Ergebnisse der NTP- und Ramazzini-Studie, die ein Krebspotential nachweisen. Und fast unisono endeten die Artikel mit einer Entwarnung. Die Studien seien gut gemacht, die Ergebnisse besorgniserregend, aber nicht auf den Menschen übertragbar. Das macht Leser hellhörig. Nach Glyphosat, Dieselskandalen, AKW-Unfällen fragen sich viele: Für welche Ziele wird hier Entwarnung gegeben?
Die digitale Transformation aller Lebensbereiche hat hohe Priorität in der Politik der deutschen Bundesregierung. Sie soll optimale Voraussetzungen für Überwachung, Werbung, Industrie 4.0, das Internet der Dinge und autonomes Fahren schaffen. 5G ist die Hauptschlagader der digitalen Infrastruktur. Auch die Bundeswehr will 5G für das in Echtzeit vernetzte Schlachtfeld. Der zuständige Staatssekretär forderte auf einer Bundeswehrtagung: "Die Anforderungen der Sicherheitsbehörden müssen bei der anstehenden Vergabe weiterer Frequenzbänder ihre Umsetzung finden. Die Frequenzen sind die Macht der Zukunft [1]".
Über diese Hintergründe und Folgen findet allerdings so gut wie keine gesellschaftliche Debatte statt. Deshalb hat sich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) mit einer besorgten Stellungnahme zu Wort gemeldet: "Eine große technische Revolution ist im Gang. Wie wird sie das Zusammenleben der Menschheit auf diesem Planeten verändern?...Wie kann sie genutzt werden, um die großen Menschheitsherausforderungen zu lösen?" Seine Antwort ist alarmierend: "Die Digitalisierung entfaltet ihre disruptive Kraft mit großer Geschwindigkeit und globaler Reichweite, während ihre Regulierung größtenteils nacheilend erfolgt." und: "Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen."
Neuerung ohne Steuerung - man gibt der Industrie wieder einmal alle Freiheiten. Das geht so weit, dass die EU für die zugegebene wachsende Elektrosmogbelastung durch 5G das Vorsorgeprinzip für überholt erklärt. Cui bono?
Der WBGU fordert eine gesellschaftliche Debatte. Dazu sind die umg Artikel ein Beitrag. Prof. Werner Thiede stellt kenntnisreich dar, wie Grundsätze der Ethik und Gesundheitsvorsorge über Bord geworfen werden, um 5G ohne Technikfolgenabschätzung durchzusetzen. Und Dr. Klaus Scheler setzt sich mit den Argumenten auseinander, die von Industrie und Politik lanciert werden, um scheinwissenschaftlich Gesundheitsrisiken zu verharmlosen. Besorgniserregend, dass solche Textbausteine selbst angesehene wissenschaftliche Magazine ungeprüft übernehmen. Dr. Cornelia Waldmann-Selsams Fallbericht weist nach, wie fundiert die Kenntnisse über pathologische Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung sind und was es für elektrosensible Menschen bedeutet, wenn durch 5G jeder Winkel ausgestrahlt wird. Neuerung ohne Steuerung, auch die Digitale Bildung wird ohne Beachtung der Erkenntnisse der Neurobiologie über die Wirkung der Bildschirmmedien auf die Gehirnentwicklung durchgesetzt. Auch hier geht es um ein Milliardengeschäft, um einen Feldversuch an unseren Kindern, dessen Folgen Prof. Gertraud Teuchert-Noodt im Interview drastisch prognostiziert. Bereits beobachtbare psycho-soziale Auswirkungen digitaler Sozialisation analysiere ich in meinem Artikel zum „digitalen Autismus“.
Es geht also wieder einmal um den Umbau der Gesellschaft für Profit- und Machtinteressen. Da spielt Gesundheit keine Rolle. Wir werden in verstrahlten, krankmachenden Städten leben, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt und Alternativen durchgesetzt werden. Die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz, Dr. Inge Paulini, sagte am 25.2.2019 in der 3sat-Sendung nano: „Die Personengruppen, die wir besonders im Fokus haben, die besonders schützenswert sind – sind Kinder, Säuglinge, Kranke, alte Menschen. Der Ausbau der 5G-Netze sollte auf jeden Fall so erfolgen, dass sensible Orte, Orte, wo diese Menschen sich aufhalten - Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser – dass die erst mal ausgenommen werden.“
Wenn Dr. Paulini also fordert, dass sensible Personengruppen nicht der 5G-Strahlung ausgesetzt werden dürfen, dann muss sie für diesen Schutz auch eine konsequente Umsetzung einfordern. Es gibt Städte wie Genf, Brüssel oder Florenz, die die Risiken ernst nehmen und einen vorläufigen Ausbaustopp für 5G verfügt haben.
Möge diese umg-Ausgabe dazu beitragen, dass diese Entwicklung problematisiert und gestoppt wird. Über aktuelle Entwicklungen in Bürgerbewegung, Politik und Forschung informieren Sie die Internetseiten von diagnose:funk und dem Bündnis für humane Bildung, auch mit vielen Fachartikeln:
Aktuelle Politik: www.diagnose-funk.org
Forschung: www.EMFData.org
Medienerziehung und Bildungspolitik: www.diagnose-media.org, www.aufwach-s-en.de
Ihr
Peter Hensinger M.A.