diagnose:funk: Was Sie sagen, gilt doch wohl auch mit Blick auf die Förderung der Internetnutzung durch das Godspot-Programm in Kirchengebäuden? Das haben Sie sich ja schon voriges Jahr in unserem Kompakt und heuer in Ihrem neuesten Buch "Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass?" kritisiert.
Thiede: Ja, gerade bei kirchlichen Gebäuden halte ich die Installation von WLAN für abwegig. Kirchen sind eben selber keineswegs eine Art Marktplatz. Nicht von ungefähr hat der Verein Deutsche Sprache wegen der Begriffsschöpfung "Godspot" die evangelische Kirche zum "Sprachpanscher des Jahres 2017" gekürt.
diagnose:funk: Dem hat nun aber im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern, dessen Chefredakteur Sie ja einmal waren, Inge Wollschläger entgegengehalten: Der Reformator wäre der Erste gewesen, der für kostenloses Wlan in Kirchen geworben und sich also für "Godspot" ausgesprochen hätte!
Thiede: Mit Verlaub, als langjähriges Mitglied der Luther-Gesellschaft und als Autor einschlägiger Bücher kann ich diese Ansicht nicht teilen. Luther wäre wohl eher der Letzte gewesen, der sich so geäußert hätte. Ihm wäre theologisch klar gewesen, dass die Sakralität von Kirchen die systematische Installation einer auch ärztlich nicht unumstrittenen Technologie höchst fragwürdig erscheinen lässt.
diagnose:funk: Frau Wollschläger hat sich in ihrem Kommentar obendrein zu Gunsten der Segnung durch einen Computer ausgesprochen. Ein solcher Roboter namens Bless U-2 ist immerhin Teil der aktuellen Weltausstellung der Reformation in Wittenberg!
Thiede: Eine derartige Konstruktion soll dort die vorbei laufenden Nutzer nachdenklich stimmen. Indem ich hierüber nachdenke, komme ich zu der Überzeugung, der Reformator hätte kopfschüttelnd gesagt: "Wenn da ein Apparat ‚Ich segne dich‘ spricht, welch ein Ich redet und handelt denn da? Augen auf und den Verstand eingeschaltet, lieber Christenmensch!" Wer sich segnen lassen will, soll zu einem Geistlichen oder einem getauften Mitchristen gehen, aber nicht zu einer Maschine.
diagnose:funk: Wie steht es im digitalen Zeitalter um das Beichtgeheimnis in der Kirche? Facebook, Twitter und WLAN, aber auch z.B. funkende Wasserzähler drohen die Privatsphäre immer mehr aufzuheben, Big Data ist der neue allwissende Gott in Gestalt der Industrie und Konzerne. Was hätte Luther zu dieser Entwicklung zum gläsernen Bürger gesagt?
Thiede: In der Tat kommt es in unserer durchdigitalisierten Kultur zu einer zunehmenden Erosion der Privatsphäre. Diese Entwicklung wird von mancher Seite sogar begrüßt und von den Bürgerinnen und Bürgern in erstaunlichem Maße hingenommen. Bislang anhaltende Bemühungen um die Aufrechterhaltung von Datenschutz und Privatsphäre werden nicht zuletzt durch das oft marginalisierte Hacker-Problem torpediert. Bekanntlich ist der Schutz der Privatsphäre in der Universellen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 genauso verbrieft wie in der Europäischen Konvention der Menschenrechte. Die Kirchen haben allen Anlass, auf den Erhalt dieser Rechte zu drängen – nicht nur im Blick aufs Beichtgeheimnis! Luther würde sie daran erinnern, wenn sie es vergäßen. Aber nach meiner Wahrnehmung haben sie das Thema Datenschutz sozusagen auf dem Bildschirm, während das beim Thema Strahlenschutz in Sachen Funk und Radar leider bisher kaum der Fall ist. Das ist bedauerlich und sollte sich aus ethischen Gründen in Zeiten weiter steigender Strahlenbelastung unbedingt ändern.