WLAN an Schulen: In Strahlgewittern

Zunehmende WLAN-Dichte gefährdet die Gesundheit
Der Hype um die Digitalisierung hält unvermindert an. Das ist fatal, denn abgesehen von der bildungspolitischen Fragwürdigkeit der digitalen Revolution, werden die gesundheitlichen Risiken von WLAN und Elektrosmog chronisch unterschätzt, sagt Werner Thiede, der an der Universität Erlangen-Nürnberg Systematische Theologie lehrt.
Symbolbild: © pixabay.com

Der Philosoph Hans Blumenberg hat in seinem Buch „Lebenszeit und Weltzeit“ (1986) bemerkt, es sei „eine der mehr oder weniger unerwarteten, quälenden bis leidvollen Erfahrungen unserer modernen Welt, dass deren schönste Errungenschaften eine Schlep­pe von allerlei Missliebigkeiten mitzie­hen, die wir ‚Nebenfolgen‘ zu benennen gelernt haben.“ Damit machte er auf die Ambivalenz des technischen Fortschritts aufmerksam.

In unseren Tagen zeigt sich dessen Doppelgesichtigkeit in Gestalt der Di­gitalisierung immer deutlicher – nicht zuletzt auf dem Sektor des Bildungssy­stems. Einerseits setzt man hier mit aller Kraft darauf, dass die digitale Revolution bald das gesamte Schulwesen umgekrem­pelt. So will Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) für digitales Ler­nen und Arbeiten in deutschen Schulen erreichen, dass der Bund binnen fünf Jahren fünf Milliarden Euro investiert. Und Österreichs Bundeskanzler Chri­stian Kern möchte Gratis-Laptops für Schülerinnen und Schüler sowie WLAN in alle Klassenzimmer bringen.

Ande­rerseits warnen manche Forscher vor der radikalen Digitalisierung des Lernens. Unter dem Titel „Trojaner aus Berlin: Digitalpakt#D“ formulierten im Herbst 2016 immerhin 37 Wissenschaftler als Erstunterzeichner ihre inhaltliche Kritik an dem von Ministerin Wanka initiierten „Digitalpakt“ (darunter der Hirnforscher Manfred Spitzer und der Verfasser die­ses Textes). Über 1.600 Unterschriften verzeichnet diese Online-Petition inzwi­schen. Der „Digitalpakt“ sei ein direkter und massiver Eingriff in die Lehr- und Methodenfreiheit jeder einzelnen Leh­rerin oder jedes einzelnen Lehrers, ja Teil einer Neudefinition von Schule und Unterricht auf dem Weg zu einer zunehmend vollautomatisierten, digi­tal gesteuerten ‚Lernfabrik 4.0‘: „Diese Konzepte kommen nicht aus der Pädago­gik, sondern aus der Kybernetik und dem Behaviorismus.“

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, warnt von einer „totalen Computerisie­rung des Klassenzimmers“: Sie fördere Flüchtigkeit und Konzentrationsmangel und verringere das Durchhaltevermögen. Der schöne Umstand, dass E-Books den Schulranzen leichter machten, wiege die offenkundigen Nachteile der digitalen Revolution gerade auch auf pädago­gischem Gebiet keineswegs auf.

Wireless gilt heute meist als chic

Muss es aber in diesen Debatten bei näherer Betrachtung nicht auch um gern verschwiegene biologische Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung gehen? Und zwar gerade dann, wenn es sich um den Umgang mit Kindern dreht? Es handelt sich um den allzu gern ver­nachlässigten Umstand, dass die sich etablierende Technokratie vielerorts – oder besser gesagt: um nicht ortsgebun­den, sondern mobil zu sein – mit Funk und entsprechender gepulster Strahlung verknüpft ist. Deshalb haben beispiels­weise in Island Eltern einen Kongress organisiert und den Reykjavik-Appell 2017 gegen WLAN an Schulen initiiert, der inzwischen weltweit Beachtung ge­funden hat. Er fordert dazu auf, dass sich

Schulbehörden in allen Ländern über die potenziellen Risiken hochfrequenter Strahlung für Kinder informieren und für kabelgebundene Technologien in Schulen einsetzen.

Problematisch ist etwa die Mikro­wellenstrahlung bei Tablets und Smart-phones. Gewiss gilt wireless heute meist als chic. Und so werden die potenziellen gesundheitlichen Kurz- und Langzeit­schädigungen durch entsprechende Tech­nologien gern verdrängt – wegen deren Faszinationskraft einerseits und wirt­schaftlicher Profitinteressen andererseits.

Die Ergebnisse internationaler For­schungen sind widersprüchlich: Manche bagatellisieren die Problematik, andere verdeutlichen die Brisanz des Smartphone- und WLAN-Hypes, besonders wenn in Zukunft in Schulklassen online mit Tablets gelernt werden soll: „Dort werden dann 30 Schüler und ihr Lehrer, die Online arbeiten, einem Strahlenge­witter ausgesetzt sein, wie Messungen verschiedener Institute belegen.“ So hieß es schon 2014 in einem Offenen Brief des Ärztearbeitskreises Digitale Medien Stuttgart, dem 20 Medizinerinnen und Mediziner angehörten.

Das hier auftauchende Wort „Ge­witter“ ist ein geeignetes Bild, weil ent­sprechende Wetterphänomene ebenfalls elektromagnetisch funktionieren. Und wie manche Menschen im Unterschied zu anderen wetterfühlig sind, so gibt es mitunter auch elektrosensible Schüler und Lehrer. Am 2. April zeigte das Zweite Deutsche Fernsehen in dem Film „Krankmacher Handy“ einen elektrosensiblen Universitätsdozenten, seines Zeichens Informatikprofessor, der allerdings für seine Lehrveranstaltungen WLAN im Saal ausschalten und sich verbitten konn­te. Es kam aber auch eine Schülerin vor, deren Elektrosensibilität zunächst von ihrem eigenen Vater angezweifelt wur­de, bis er durch heimlich durchgeführte Tests erkannte: Sie spürt WLAN wirklich! Kurz und gar nicht gut: Eine Minderheit würde unter künstlichen „Strahlengewit­tern“ in den Klassenzimmern körperlich zu leiden haben. Das könnte sich bei den Betroffenen auf die Dauer auch psychisch auswirken. Grenzen nicht die geplanten schulischen Wireless-Konzepte insofern in bestimmten Fällen an Körperverlet­zung? Dies noch ganz abgesehen von der viel diskutierten Frage, ob Mobil-funkstrahlung womöglich Krebs fördern könnte.

Zumal Kinder und Jugendliche heut­zutage oft schon privat stundenlang di­gitale Endgeräte nutzen und sich damit permanent einem Schädigungspotenzial aussetzen, ist der Einsatz von funkge­stütztem Lernmaterial und WLAN-Strahlung an Schulen kaum risikofrei zu nen­nen. Der übliche Verweis auf doch allemal eingehaltene Grenzwerte kann bei nähe­rer Betrachtung keineswegs beruhigen. So wurde jetzt bekannt: Die britische Wissenschaftlerin Sarah J. Starkey hat den Bericht der Advisory Group On Non-Ionising Radiation (AGNIR) untersucht, der Grundlage amtlicher Empfehlungen zur Sicherheit hochfrequenter elektroma­gnetischer Felder in Großbritannien ist. Dessen Vergleich mit der internationalen Studienlage mündet in das besorgnis­erregende Resultat: Die Studienlage ist verfälscht. Damit bestätigt sich, was der emeritierte Medizinprofessor Karl Hecht bereits 2009 in Deutschland unter dem Titel erläutert hat: „Warum Grenzwerte schädigen, nicht schützen – aber aufrecht­erhalten werden: Beweise eines wissen­schaftlichen und politischen Skandals“. Selbst eine deutliche Verringerung der viel zu hohen, baubiologische Erfahrungen ignorierenden Grenzwerte würde wenig nützen, weil wissenschaftliche Indizien inzwischen darauf hindeuten, dass schon sehr niedrige Strahlungswerte biologische Effekte zeitigen können.

Bei Kindern weiß eine russische Ver­lautbarung um funkbedingte Störungen des Herzens und des Immunsystems so­wie um Kopfschmerzen, Tagesmüdigkeit, Reizbarkeit und Nervosität, Lern- und Verhaltensstörungen. Sogar der Chef des belgischen Mobilfunkbetreibers Belgacom hat noch vor wenigen Jahren Schülern geraten, kein WLAN zu nut­zen. In diesem Sinn gab es auch WLAN-kritische Empfehlungen der deutschen Bundesregierung, des bayerischen Land­tags und des Philologenverbands Baden-Württemberg.

Derlei Warnungen aber hört man weniger gern als die Entwarnung durch die Strahlenschutzkommission von 2011: „Die bislang durchgeführten Studien stützen nicht die Annahme einer postu­lierten erhöhten Empfindlichkeit von Kindern und Jugendlichen.“

2012 indessen erklärten die Profes­soren Karl Richter und Klaus Buchner in der Broschüre „Gesundheitsgefahren durch Mobilfunk: Warum wir zum Schutz der Kinder tätig werden müssen“: „Die Ausführungen zeigen, wie viel an vorliegender Forschung für eine besondere Verletzbarkeit der Kinder durch elektromagnetische Strahlung spricht.“

In der Schweiz warnte 2015 Yvonne Gilli, Mitglied der Arbeitsgruppe Elek­trosmog der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, immer wieder würden Menschen plausibel über WLAN-Unver-träglichkeit berichten. Symptome seien etwa Kopfschmerzen, Konzentrations­störungen oder übermäßige Müdigkeit: „Diese Beschwerden sind just für die Leistungsfähigkeit in der Schule rele­vant.“ Das Bundesamt für Gesundheit in ihrem Land hält in seinen Richtlinien zum Umgang mit WLAN fest, die Lang­zeitauswirkungen seien ungenügend er­forscht, weshalb es sich empfehle, Sender bei Nichtgebrauch auszuschalten.

Gestörte Ameisen

Doch inzwischen geht man in etli­chen Ländern daran, immer mehr Schu­len systematisch mit WLAN auszustatten. Dabei hieß es noch 2013 in einer Pres­seinformation des deutschen Umwelt­bundesamtes: „WLAN-Access-Points, WLAN-Router und Basisstationen von Schnurlostelefonen kommen am besten in den Flur oder einen anderen Raum, in dem man sich nicht dauernd aufhält.“

Die Verbraucherorganisation Dia­gnose-Funk zählt mittlerweile Dutzende Studien zu WLAN auf, die dessen Risi­kopotenzial nachweisen. Hinzu kamen Anfang 2017 Forschungsresultate der Bi­ologin Marie Claire Cammaerts von der Universität Brüssel: Als ein WLAN-Router eingeschaltet wurde, zeigten Ameisen schon nach Sekunden gestörtes Verhal­ten, das nach 30 Minuten noch stärker war als nach fünf Minuten. Es dauerte Stunden, bis sie wieder zu normaler Fut­tersuche zurückfanden. Angesichts eines Notebooks reagierten die Insekten rasch verstört und wirkten krank, sobald sie die WLAN-Strahlung traf.

Auch die international zusammen­gesetzte Wissenschaftler-Vereinigung BioInitiative Working Group warnt vor dem Einsatz drahtloser Technologie an Schulen: „Grundsätzlich handelt es sich um ein nicht reguliertes Experiment an der Gesundheit und dem Lernverhalten von Kindern. Mikrowellen von Wireless-Technologie unterbrechen Denkvorgänge – was könnte für das Lernen schlimmer sein?“ Technologie lasse sich auf eine si­cherere Art und Weise über drahtgebun­dene Geräte einsetzen. Der kanadische Strahlenexperte Darius Leszczynski hält fest: „Wir können mit Recht darüber be­sorgt sein, was mit Kindern geschehen könnte, die sehr jung sind und sieben bis acht Stunden kontinuierlich der Wi-Fi-Strahlung ausgesetzt sind. Es ist eine ver­antwortungsvolle Vorsichtsmaßnahme, den Wi-Fi-Betrieb in den Schulen zu verbieten.“ Eine digitalisierte E-Smog-Didaktik sollte sich nicht als pädago­gische Alternativlosigkeit mit Zwang für alle Beteiligten etablieren dürfen.

Bildungspolitik muss ganzheitlich verstanden werden. Die Kirchen könnten und sollten – namentlich über die ihnen verbundene Religionslehrerschaft – dazu beitragen, dass die Freiheit im Umgang mit digitalen Geräten gewährleistet bleibt. Dazu gehört auch die negative Freiheit, sie wegen ihrer bedenklichen Eigenschaften nach Möglichkeit zu meiden oder allenfalls sehr begrenzt zu verwenden. Wenn nicht von den Kirchen her, von woher sonst würden technolo­giekritische Einwände gegenüber der alles überrollenden High-Tech-Revolution unserer Tage effektiv zur Sprache gebracht? In Schulen sollten weder Heranwachsende noch die Lehrerschaft zur Akzeptanz einer gesundheitlich umstrit­tenen Technologie gezwungen werden.

Wie schon vor 70 Jahren der Phi­losoph Max Scheler betont hat, ist der Gedanke der Bildung nicht von der Idee der Humanisierung zu trennen. Beim Prinzip der Menschlichkeit muss es aus christlicher Sicht namentlich auch auf dem Bildungssektor bleiben – auch ge­gen die Interessen des digitalisierungsfanatischen Posthumanismus unserer Tage.

Theologie und Kirche sollten die Zeichen der Zeit erkennen und sich für den Erhalt einer analogen Bildungskul­tur neben der digitalen eintreten. Gerade sie müssen darauf achten, dass das Vor­sorge-Prinzip nicht unethisch digitalen Geschäftskonzepten und einem fragwür­dig gewordenen Fortschrittsbegriff ge­opfert wird. Und sie sollten sich mit de­nen solidarisch erklären, die unter den Zwängen der immer brutaler voran­schreitenden Digitalisierung zu leiden haben – insbesondere im Falle junger Menschen. Wäre nicht alles Andere Ver­rat an der Botschaft vom auferstandenen Gekreuzigten?

Publikation zum Thema

12. Februar 2015Format: 14,9 x 1,7 x 21,1Seitenanzahl: 238 Veröffentlicht am: 12.02.2015 ISBN-10: 3865817270ISBN-13: 978-3865817273

Digitaler Turmbau zu Babel

Der Technikwahn und seine Folgen
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
Unsere Gesellschaft hat im Zeichen der digitalen Revolution einen riskanten Weg eingeschlagen. Begeistert von den geradezu magisch anmutenden Chancen und Möglichkeiten des Digitalen meinen viele, die damit verbundenen Risiken verrechnen, kleinreden oder gar in Abrede stellen zu können. Prof. Werner Thiede plädiert indessen für eine ganzheitliche Wahrnehmung der Risiken des vorherrschenden Technizismus. Er macht deutlich, dass es bei der digitalen Revolution nicht nur um technische, sondern auch um kulturelle Veränderungen geht, deren Folgen zum Teil gravierende ethische Fragen aufwerfen. Trägt das globale Programm totaler Vernetzung Potentiale des Totalitären in sich? Thiede beschließt das Buch mit 95 Thesen, die zu einem Umdenken in Gesellschaft und Kirche auffordern.
2., aktualisierte Auflage, veröffentlicht 2014Format: 14,4 x 2 x 21,1 cmSeitenanzahl: 258 Veröffentlicht am: 30.10.2013 ISBN-10: 3643124015ISBN-13: 978-3643124012Sprache: Deutsch

Die digitalisierte Freiheit

Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
Aus einer Besprechung in der Zeitschrift 'Umwelt-Medizin-Gesellschaft': "Thiede beschreibt eindringlich vier Freiheitsfallen, nämlich die politische, die ökologische, die lebenspraktische und die spirituelle Freiheitsfalle. Der Autor macht deutlich, dass es sich beim Internet der Dinge nicht um die ferne Zukunft handelt, sondern um die nächsten zehn Jahre. Umso leidenschaftlicher sein Appell zum ‚lebenspraktischen‘ Widerstand: ‚Dem zunehmenden Digitalisierungsdruck mutigen Freiheitswillen entgegenzustellen, statt freiheitsgewohnter Bequemlichkeit alle Wachsamkeit und Achtsamkeit zu opfern, ist heute erste Bürgerpflicht."
04.10.2012Format: 14,9 x 2 x 21,1 cm Seitenanzahl: 302 Veröffentlicht am: 04.10.2012 ISBN-10: 3865814042ISBN-13: 978-3865814043Sprache: Deutsch

Mythos Mobilfunk

Kritik der strahlenden Vernunft
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
In der Auseinandersetzung mit der zunehmenden Luftverschmutzung unserer Lebenswelt durch elektromagnetische Felder markiert die perspektivenreiche Publikation einen neuen Meilenstein. Sie zeigt die trügerische Faszination, die von den Funk-Techniken ausgeht, aber auch das Maß an verdeckter Lüge und Gewalt, das sie in die Gesellschaft eingeführt haben und immer mehr Menschen zumuten – auf Kosten ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Der erkennbaren Korrumpierbarkeit der menschlichen Vernunft und der Ethik-Vergessenheit von Politik und Industrie stellt Thiede eine theologisch und philosophisch fundierte Enttabuisierung des ‚Mythos’ entgegen, die der menschlichen Vernunft ihre Möglichkeiten und Rechte zurückgeben möchte.
Ja, ich möchte etwas spenden!