Wireless gilt heute meist als chic
Muss es aber in diesen Debatten bei näherer Betrachtung nicht auch um gern verschwiegene biologische Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung gehen? Und zwar gerade dann, wenn es sich um den Umgang mit Kindern dreht? Es handelt sich um den allzu gern vernachlässigten Umstand, dass die sich etablierende Technokratie vielerorts – oder besser gesagt: um nicht ortsgebunden, sondern mobil zu sein – mit Funk und entsprechender gepulster Strahlung verknüpft ist. Deshalb haben beispielsweise in Island Eltern einen Kongress organisiert und den Reykjavik-Appell 2017 gegen WLAN an Schulen initiiert, der inzwischen weltweit Beachtung gefunden hat. Er fordert dazu auf, dass sich
Schulbehörden in allen Ländern über die potenziellen Risiken hochfrequenter Strahlung für Kinder informieren und für kabelgebundene Technologien in Schulen einsetzen.
Problematisch ist etwa die Mikrowellenstrahlung bei Tablets und Smart-phones. Gewiss gilt wireless heute meist als chic. Und so werden die potenziellen gesundheitlichen Kurz- und Langzeitschädigungen durch entsprechende Technologien gern verdrängt – wegen deren Faszinationskraft einerseits und wirtschaftlicher Profitinteressen andererseits.
Die Ergebnisse internationaler Forschungen sind widersprüchlich: Manche bagatellisieren die Problematik, andere verdeutlichen die Brisanz des Smartphone- und WLAN-Hypes, besonders wenn in Zukunft in Schulklassen online mit Tablets gelernt werden soll: „Dort werden dann 30 Schüler und ihr Lehrer, die Online arbeiten, einem Strahlengewitter ausgesetzt sein, wie Messungen verschiedener Institute belegen.“ So hieß es schon 2014 in einem Offenen Brief des Ärztearbeitskreises Digitale Medien Stuttgart, dem 20 Medizinerinnen und Mediziner angehörten.
Das hier auftauchende Wort „Gewitter“ ist ein geeignetes Bild, weil entsprechende Wetterphänomene ebenfalls elektromagnetisch funktionieren. Und wie manche Menschen im Unterschied zu anderen wetterfühlig sind, so gibt es mitunter auch elektrosensible Schüler und Lehrer. Am 2. April zeigte das Zweite Deutsche Fernsehen in dem Film „Krankmacher Handy“ einen elektrosensiblen Universitätsdozenten, seines Zeichens Informatikprofessor, der allerdings für seine Lehrveranstaltungen WLAN im Saal ausschalten und sich verbitten konnte. Es kam aber auch eine Schülerin vor, deren Elektrosensibilität zunächst von ihrem eigenen Vater angezweifelt wurde, bis er durch heimlich durchgeführte Tests erkannte: Sie spürt WLAN wirklich! Kurz und gar nicht gut: Eine Minderheit würde unter künstlichen „Strahlengewittern“ in den Klassenzimmern körperlich zu leiden haben. Das könnte sich bei den Betroffenen auf die Dauer auch psychisch auswirken. Grenzen nicht die geplanten schulischen Wireless-Konzepte insofern in bestimmten Fällen an Körperverletzung? Dies noch ganz abgesehen von der viel diskutierten Frage, ob Mobil-funkstrahlung womöglich Krebs fördern könnte.
Zumal Kinder und Jugendliche heutzutage oft schon privat stundenlang digitale Endgeräte nutzen und sich damit permanent einem Schädigungspotenzial aussetzen, ist der Einsatz von funkgestütztem Lernmaterial und WLAN-Strahlung an Schulen kaum risikofrei zu nennen. Der übliche Verweis auf doch allemal eingehaltene Grenzwerte kann bei näherer Betrachtung keineswegs beruhigen. So wurde jetzt bekannt: Die britische Wissenschaftlerin Sarah J. Starkey hat den Bericht der Advisory Group On Non-Ionising Radiation (AGNIR) untersucht, der Grundlage amtlicher Empfehlungen zur Sicherheit hochfrequenter elektromagnetischer Felder in Großbritannien ist. Dessen Vergleich mit der internationalen Studienlage mündet in das besorgniserregende Resultat: Die Studienlage ist verfälscht. Damit bestätigt sich, was der emeritierte Medizinprofessor Karl Hecht bereits 2009 in Deutschland unter dem Titel erläutert hat: „Warum Grenzwerte schädigen, nicht schützen – aber aufrechterhalten werden: Beweise eines wissenschaftlichen und politischen Skandals“. Selbst eine deutliche Verringerung der viel zu hohen, baubiologische Erfahrungen ignorierenden Grenzwerte würde wenig nützen, weil wissenschaftliche Indizien inzwischen darauf hindeuten, dass schon sehr niedrige Strahlungswerte biologische Effekte zeitigen können.
Bei Kindern weiß eine russische Verlautbarung um funkbedingte Störungen des Herzens und des Immunsystems sowie um Kopfschmerzen, Tagesmüdigkeit, Reizbarkeit und Nervosität, Lern- und Verhaltensstörungen. Sogar der Chef des belgischen Mobilfunkbetreibers Belgacom hat noch vor wenigen Jahren Schülern geraten, kein WLAN zu nutzen. In diesem Sinn gab es auch WLAN-kritische Empfehlungen der deutschen Bundesregierung, des bayerischen Landtags und des Philologenverbands Baden-Württemberg.
Derlei Warnungen aber hört man weniger gern als die Entwarnung durch die Strahlenschutzkommission von 2011: „Die bislang durchgeführten Studien stützen nicht die Annahme einer postulierten erhöhten Empfindlichkeit von Kindern und Jugendlichen.“
2012 indessen erklärten die Professoren Karl Richter und Klaus Buchner in der Broschüre „Gesundheitsgefahren durch Mobilfunk: Warum wir zum Schutz der Kinder tätig werden müssen“: „Die Ausführungen zeigen, wie viel an vorliegender Forschung für eine besondere Verletzbarkeit der Kinder durch elektromagnetische Strahlung spricht.“
In der Schweiz warnte 2015 Yvonne Gilli, Mitglied der Arbeitsgruppe Elektrosmog der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, immer wieder würden Menschen plausibel über WLAN-Unver-träglichkeit berichten. Symptome seien etwa Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder übermäßige Müdigkeit: „Diese Beschwerden sind just für die Leistungsfähigkeit in der Schule relevant.“ Das Bundesamt für Gesundheit in ihrem Land hält in seinen Richtlinien zum Umgang mit WLAN fest, die Langzeitauswirkungen seien ungenügend erforscht, weshalb es sich empfehle, Sender bei Nichtgebrauch auszuschalten.
Gestörte Ameisen
Doch inzwischen geht man in etlichen Ländern daran, immer mehr Schulen systematisch mit WLAN auszustatten. Dabei hieß es noch 2013 in einer Presseinformation des deutschen Umweltbundesamtes: „WLAN-Access-Points, WLAN-Router und Basisstationen von Schnurlostelefonen kommen am besten in den Flur oder einen anderen Raum, in dem man sich nicht dauernd aufhält.“
Die Verbraucherorganisation Diagnose-Funk zählt mittlerweile Dutzende Studien zu WLAN auf, die dessen Risikopotenzial nachweisen. Hinzu kamen Anfang 2017 Forschungsresultate der Biologin Marie Claire Cammaerts von der Universität Brüssel: Als ein WLAN-Router eingeschaltet wurde, zeigten Ameisen schon nach Sekunden gestörtes Verhalten, das nach 30 Minuten noch stärker war als nach fünf Minuten. Es dauerte Stunden, bis sie wieder zu normaler Futtersuche zurückfanden. Angesichts eines Notebooks reagierten die Insekten rasch verstört und wirkten krank, sobald sie die WLAN-Strahlung traf.
Auch die international zusammengesetzte Wissenschaftler-Vereinigung BioInitiative Working Group warnt vor dem Einsatz drahtloser Technologie an Schulen: „Grundsätzlich handelt es sich um ein nicht reguliertes Experiment an der Gesundheit und dem Lernverhalten von Kindern. Mikrowellen von Wireless-Technologie unterbrechen Denkvorgänge – was könnte für das Lernen schlimmer sein?“ Technologie lasse sich auf eine sicherere Art und Weise über drahtgebundene Geräte einsetzen. Der kanadische Strahlenexperte Darius Leszczynski hält fest: „Wir können mit Recht darüber besorgt sein, was mit Kindern geschehen könnte, die sehr jung sind und sieben bis acht Stunden kontinuierlich der Wi-Fi-Strahlung ausgesetzt sind. Es ist eine verantwortungsvolle Vorsichtsmaßnahme, den Wi-Fi-Betrieb in den Schulen zu verbieten.“ Eine digitalisierte E-Smog-Didaktik sollte sich nicht als pädagogische Alternativlosigkeit mit Zwang für alle Beteiligten etablieren dürfen.
Bildungspolitik muss ganzheitlich verstanden werden. Die Kirchen könnten und sollten – namentlich über die ihnen verbundene Religionslehrerschaft – dazu beitragen, dass die Freiheit im Umgang mit digitalen Geräten gewährleistet bleibt. Dazu gehört auch die negative Freiheit, sie wegen ihrer bedenklichen Eigenschaften nach Möglichkeit zu meiden oder allenfalls sehr begrenzt zu verwenden. Wenn nicht von den Kirchen her, von woher sonst würden technologiekritische Einwände gegenüber der alles überrollenden High-Tech-Revolution unserer Tage effektiv zur Sprache gebracht? In Schulen sollten weder Heranwachsende noch die Lehrerschaft zur Akzeptanz einer gesundheitlich umstrittenen Technologie gezwungen werden.
Wie schon vor 70 Jahren der Philosoph Max Scheler betont hat, ist der Gedanke der Bildung nicht von der Idee der Humanisierung zu trennen. Beim Prinzip der Menschlichkeit muss es aus christlicher Sicht namentlich auch auf dem Bildungssektor bleiben – auch gegen die Interessen des digitalisierungsfanatischen Posthumanismus unserer Tage.
Theologie und Kirche sollten die Zeichen der Zeit erkennen und sich für den Erhalt einer analogen Bildungskultur neben der digitalen eintreten. Gerade sie müssen darauf achten, dass das Vorsorge-Prinzip nicht unethisch digitalen Geschäftskonzepten und einem fragwürdig gewordenen Fortschrittsbegriff geopfert wird. Und sie sollten sich mit denen solidarisch erklären, die unter den Zwängen der immer brutaler voranschreitenden Digitalisierung zu leiden haben – insbesondere im Falle junger Menschen. Wäre nicht alles Andere Verrat an der Botschaft vom auferstandenen Gekreuzigten?