Ohne Funknetze wird aber kein Handy funktionieren. Und ohne das, kann ich beispielsweise als Unfallopfer in den Bergen auch keine Hilfe anfordern. Wie wollen Sie das Problem lösen?
Die Handy-Technologie mit gepulster Mikrowellenstrahlung ist noch nicht alt. Erst Mitte der 1990er-Jahre wurden Handys zum Massenphänomen. 2007 – also gerade mal vor zehn Jahren – wurde das erste iPhone vorgestellt und leitete den Übergang zu den Smartphones ein. Die Forschung ist sich der Risiken bewusst und arbeitet an immer neuen Ideen zur Datenübertragung. Visible Light Communications (VLC) ist eine neue Variante, bei der Daten mit Hilfe des Lichts übertragen werden. Das Fraunhofer-Institut Berlin arbeitet daran. In Baden-Württemberg laufen bereits Pilotprojekte. Wichtig ist, dass wir an allen möglichen Alternativen forschen und diese Forschung als Gesellschaft auch unterstützen und fördern. Übrigens: Das Rettungsargument ist zweischneidig: Verkehrsunfälle durch Handys am Steuer nehmen rasant zu, Bergtouristen begeben sich leichtfertig in Gefahr, man kann ja notfalls anrufen.
Dann kann ich in Zukunft immer noch bei Amazon im Internet bestellen oder muss ich mir Sorgen machen, dass ich ein soziales Monster werde?
Bei den Online-Produkten selbst müssen Sie sich keine Sorgen machen, eher der schrumpfende Einzelhandel vor Ort. Es gibt da jedoch ein ganz großes „Aber“. Ihre Online-Daten werden gesammelt und ausgewertet. Es ist ein leichtes, aus Ihrem Surf- und Bestell-Verhalten über Ihren Charakter und Ihr Privatleben detaillierte Rückschlüsse zu ziehen. Wir sind inzwischen alle gläserne Bürger. Wollen wir das?
Wo ist das Problem? Ich verhalte mich nicht außergewöhnlich auffällig.
Das meinen Sie. Aber vielleicht bestellen Sie öfter psychologische Ratgeberliteratur. Das könnte auf eine gewisse mentale Instabilität hinweisen – vielleicht entscheiden sich Unternehmen, bei denen Sie sich bewerben, anhand Ihres digitalen Zwillings, dieses Risiko nicht einzugehen. Möglicherweise lesen Sie zusätzlich Bücher über den Weltkrieg, weil das für Ihre Familie ein einschneidendes Thema war. Nun könnten eine Verknüpfung der Daten einen psychopathischen Waffennarren ergeben. Und viel weniger kompliziert: Wie groß sind die Chancen für einen über seine Amazon Bestellungen erkennbaren Homosexuellen bei der katholischen Caritas eingestellt zu werden? Wir reden hier vom größten privatrechtlichen Arbeitgeber Deutschlands.
Die meisten Unternehmen werden nicht das Geld ausgeben, um einen gewöhnlichen Bewerber zu durchleuchten...
Wunschdenken. Da wäre ich mir nicht sicher, schon gar nicht für die Zukunft. Laut Branchenverband Bit- Com wurden mit dem Datenhandel zwischen 2011 und 2016 etwa 23,6 Milliarden Euro umgesetzt, Tendenz rasant steigend. Da ist ganz sicher nicht nur eine Handvoll Unternehmen beteiligt.
Wie schaut es bei sozialen Netzwerken aus? Ich halte damit Kontakt zu Menschen, die weit entfernt wohnen und die ich in früheren Zeiten schlicht aus den Augen verloren hätte – was ich als bedauerlich empfinden würde.
Die sozialen Netzwerke erfüllen in diesem Sinne einen Traum. Aber leider wird dieser Traum ausgenutzt, die Daten werden permanent ausgewertet. Das Smartphone ist eine Superwanze. Nichts wird vergessen, auch nicht nach vielen Jahren. Erwachsene sind mit den Fotos und Texten, die sie posten, vorsichtiger. Kinder und Jugendliche stellen einfach alles ins Netz. Sie können negative Konsequenzen nicht abschätzen. Deshalb müssen Kinder zur Medienmündigkeit erzogen werden. Wie das gelingen kann, das möchten wir besonders in dem Workshop besprechen.
Sehen Sie jetzt schon negative Auswirkungen?
Wenn die Kommunikation nur noch virtuell im Internet abläuft, kommt es nachweislich zu einer Verrohung. Von Angesicht zu Angesicht wird ganz anders argumentiert und viel weniger brutal verletzt. Bei Jugendlichen, die ihre sozialen Kontakte fast nur noch per Smartphone pflegen, ist ein Verlust an Empathiefähigkeit von 40 Prozent nachgewiesen worden. Übersetzt heißt das, dass diese Jugendlichen viel weniger Mitgefühl oder Mitleid haben. Das ist ein ernstes Problem für den einzelnen Jugendlichen und zunehmend für die gesamte Gesellschaft.
Nun wird man normalen Jugendlichen nicht das Smartphone verbieten können. Was ist die Lösung?
Es gibt keine Rezepte. Mit den Eltern wollen wir Erfahrungen diskutieren, denn da ist zuerst die Familie, aber auch die Kommune gefordert. Es müssen Angebote für Aktivitäten in der richtigen Welt gemacht werden. Wandern, Schwimmverein, Musikgruppe – da gibt es tausend Möglichkeiten. Unsere Kinder sind ja nicht dumm und sie werden feststellen, dass ein gemeinsames Erlebnis mit Freunden viel mehr wert ist als ein Klick im Internet. Allerdings muss man ihnen dabei helfen und für die Angebote sorgen. Eltern, aber auch motivierende Erzieher sind da Vorbilder. Es ist auch gar nicht so kompliziert. In Suhl muss man ja im Winter nur vor die Tür und kann Skifahren – das langt schon.
Sie wollen also weder den Onlinehandel, noch das Smartphone und auch nicht soziale Netzwerke verbieten?
Wie sollte das gehen? Nein, wir müssen neue Technologien finden, wenn die aktuellen sich als Gefahr für unsere physische und psychische Gesundheit erweisen. Gegen die Datensammelwut einer „smarten Diktatur“ müssen wir uns als Gesellschaft wehren. Und nicht zuletzt: Wir müssen uns digital kompetent machen. Darum soll es vor allem in der Suhler Veranstaltung am Freitag und Sonnabend gehen.