Bad Wiessee setzt Zeichen:

Kommunen können Mobilfunkausbau regulieren
In einem Brief begründet der Bürgermeister von Bad Wiessee (Bayern), Peter Höß, warum die Kommune den Aufbau von 5G ablehnt (s. Downloads). Der diagnose:funk Pressespiegel dokumentiert eine erstaunliche Entwicklung: nahezu täglich findet man dort Meldungen über neue Bürgerinitiativen gegen Funkmasten, oder Initiativen und Petitionen gegen 5G. Es ist inzwischen eine große Widerstandsbewegung. In vielen Städten gibt es Petitionen. Und erstaunliche Erfolge werden gemeldet: Städte und Schweizer Kantone lehnen 5G ab, auch erste Gemeinderäte wie in Bad Wiessee, Wielenbach, Weilheim, Hohenpeißenberg, Rottach-Egern, Murnau und in Südtirol in Eppan, Mals und Neumarkt.

Welche Rechte haben die Kommunen, um den Ausbau zu regulieren? Dazu haben wir für unser Magazin kompakt Jörn Gutbier befragt. Er ist Vorsitzender von diagnose:funk und Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN in Herrenberg.

Kompakt: Jörn, Du selbst bist Stadtrat in Herrenberg. In Bad Wiessee hat der Gemeinderat den Aufbau von 5G abgelehnt. Der Bürgermeister erklärt, dass solange die Risiken nicht geklärt sind, gelte das Vorsorgeprinzip, und die Bewohner hätten "ein Anrecht darauf, dass wir als Gemeindevertreter eine Gewährleistung der Unbedenklichkeit für Leib und Leben fordern". Ist das nicht vorbildlich!?

Jörn Gutbier: Ja, genau das ist es. Es ist ein politisches Signal für alle Gemeinden. Einen klaren Beschluss hat auch der Gemeinderat in Eppan in Südtirol gefällt.[1] Wir als Kommunalpolitiker tragen zusammen mit unserer Verwaltung eine große Verantwortung, wenn die Bundes- und Landespolitik sich verweigert, diese zu übernehmen und eine ungeprüfte Technik in den Markt gedrückt werden soll – weil die Industrie und einige Politiker es so wollen.

Kompakt: Es ist ein politisches Signal. Aber hat eine Kommune das Recht, den Aufbau zu stoppen?

Jörn Gutbier: Es geht zunächst nicht um das Recht, sondern um Gesundheitsschutz, Vorsorge und unsere Verantwortung als gewählte Politiker. Diese haben die Kollegen in Bad Wiessee wahrgenommen. Aber: wir sehen aktuell keine Rechtsgrundlage auf der kommunalen Ebene, die z. B. eine Aufrüstung von 5G an einem bestehenden Mobilfunksenderstandort verhindern könnte. Interessant wird es allerdings werden, ob ein Mobilfunkbetreiber es sich traut, an einem bestehenden Makrozellen-Standort in Bad Wiessee eine 5G-Aufrüstung, die keiner gesonderten Genehmigung bedarf, auch gegen den vorab erklärten Willen der ganzen Gemeinde einfach umzusetzen. Der politische Skandal, den die Bundespolitik mit den Ländern im Schulterschluss mit den Betreibern mit den Zielvereinbarungen im Mobilfunkpakt von 2018 genau verhindern wollte, wäre da und öffentlich sichtbar. Da ist die Rechtslage erstmal nebensächlich.

Kompakt: Welche Rechte oder Möglichkeiten haben die Kommunen dann, können die Gemeinderäte die Mobilfunkplanung steuern?

Jörn Gutbier: Diese Rechte haben die Kommunen, vor allem, wenn es um neue Standorte geht. Es ist höchstrichterlich seit 2012 die Möglichkeit gesichert, für jede von den Mobilfunkbetreibern geplante Versorgung die immissionsärmste Lösung vorzuschreiben. Es liegt nicht mehr in den Händen der Betreiber, darüber zu bestimmen, wo eine Sendeanlage konkret gebaut wird, wenn die Kommune dieses Recht aktiv aufgreift. Dazu bedient sich die Gemeinde des sogenannten Dialogverfahrens, das auch im Paragraph 7a der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung im Jahr 2013 explizit aufgenommen wurde. Es bestünde darüber hinaus die Möglichkeit über die maximal zulässige Abstrahlleitung, die Ausrichtung und die Auswahl der Dienste mit den Betreibern immissionsminimierende Vereinbarungen zu treffen. Dies würde dann in Vermietungsverträgen festgelegt und damit losgelöst vom Bundesrecht.

Und beim Thema Kleinzellen, die, sofern mit kleiner 10 W Abstrahlleistung betrieben, erstmal genehmigungsfrei nach Bau- und Immissionsrecht sind, braucht es zwingend einen Gestattungsvertrag durch die Gemeinde. Nicht ohne Grund wurde mit dem Mobilfunkpakt 2018 versucht, auch die kommunalen Spitzenverbände mit ins Boot zu holen, um genau in diesem Feld durch „Mustermietverträge“, „Verfahrensbeschleunigungen“ und „unbürokratische Anmeldeverfahren" den Mobilfunkbetreibern den Weg für einen beschleunigten 5G Mobilfunkausbau zu ermöglichen. Denn: Hier macht der Betreiber im öffentlichen Raum nichts, ohne die Zustimmung der Gemeinde.

Kompakt: D.h. also, die Rechte der Kommunen sind bei der laufenden 4G-Aufrüstung mit tausenden neuen Sendemasten-Standorten und dem geplanten 5G-Ausbau mit den angekündigten 500.000 neue Kleinzellen gar nicht so sehr beschränkt?

Jörn Gutbier: So ist es. Weiterhin gilt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht Leipzig von August 2012. Aber dort, wo das bestehende Recht keine Handlungsoptionen lässt – zum Beispiel an Bestandsstandorten, braucht es politische Statements, wie sie Bürgermeister Peter Höß von Bad Wiessee formuliert hat. Dieser Protest hat das Ziel, die Strahlenbelastung gering zu halten. Wir fordern zudem, die Immissionen auch radikal zu minimieren – also überall dort, wo die von den Umweltmedizinern vorgeschlagenen Vorsorgewerte nicht eingehalten werden können.

Hierzu haben wir von diagnose:funk 8 Forderungen aufgestellt, an denen sich Kommunalpolitiker orientieren können:

  1. Breitbandnetze (Glasfaser) als Eigenwirtschaftsbetrieb müssen als Teil der Daseinsvorsorge von den Kommunen betrieben werden. Keine Vergabe von Infrastrukturprojekten an ein Monopol. Glasfasernetze sind die Grundlage zur Umsetzung einer strahlungsarmen Mobilfunkversorgung.
  2. Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung zum Schutz der Wohnung vor Strahlung muss Grundlage jeder Mobilfunkplanung sein. Neue Technik muss nachweisbar zu weniger Elektrosmog führen. Kleinzellennetze sind nur dann sinnvoll, wenn sie zu einer deutlichen Senkung der Strahlenbelastung führen.
  3. Ein Netz für alle: Es braucht nur ein Mobilfunknetz für alle Betreiber und Nutzer, wie bei Strom, Gas und im Straßenbau. Verpflichtendes Roaming für alle Mobilfunkbetreiber muss umgesetzt werden.
  4. Unabhängige Technikfolgenabschätzung ist Pflicht. Sie muss durch eine industrie- und regierungsunabhängige Kommission unter Beteiligung bürgerschaftlicher Interessenverbände erfolgen. Ohne Bewertung der Forschungsergebnisse über die Wirkungen der 5G-Frequenzen auf Mensch, Tier und Natur darf 5G nicht eingeführt werden.
  5. Beweislastumkehr: Industrie & Staat müssen die Gesundheitsverträglichkeit der Mikrowellenstrahlung belegen.
  6. Umweltschutz ist Pflicht, die Kommune muss über den Netzausbau (zur SmartCity) ein Gutachten zum ökologischen Fußabdruck vorlegen.
  7. Das Recht, analog leben zu können, ohne digitale Überwachung ist ein Grundrecht. Die Datenerfassung darf nur mit ausdrücklicher Zustimmung jedes Bürgers erfolgen. Von Jugendlichen unter 16 Jahren dürfen keine Daten erfasst werden.
  8. Erhalt und Schaffung von funkfreien Gebieten für elektrohypersensible Menschen.

[1] siehe https://www.gemeinde.eppan.bz.it/de/Gemeinderatssitzung_vom_19_Dezember_2019
Tagesordnungspunkte 3, 4 und 5 als gemeinsamer mp3-Audio-Mitschnitt

  • Beschlussantrag des Ratsmitgliedes Ing. Bruno Gotter (Südtiroler Volkspartei) betreffend den Ausbau des 5G-Netzes
    Abstimmungsergebnis: ja: 25 / Enthaltung: 1 / nein: 0
  • Beschlussantrag der Ratsmitglieder Greta Klotz und RA Felix von Wohlgemuth (Pro Eppan - Appiano) betreffend 5G die neue Generation der Mobilfunktechnik - erst nach Unbedenklichkeits-garantien
    Abstimmungsergebnis: ja: 22 / Enthaltung: 2 / nein: 2
  • Beschlussantrag des Ratsmitgliedes Walter Oberhauser (Süd-Tiroler Freiheit) betreffend 5G -Mobilfunknetz - Ausbaustop bis zuverlässige und industrieunabhängige Studien Unbedenklichkeit belegen
    Abstimmungsergebnis: ja: 20 / Enthaltung: 4 / nein: 2
Artikel veröffentlicht:
02.01.2020
Artikel aktualisiert:
03.03.2020
Autor:
diagnose:funk

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