Leitlinie zur Elektrohypersensibilität

Interview mit Dr. Gerd Oberfeld
Die Europäische Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM-European Academy for Environmental Medicine e.V.) hat die "EMF-Leitlinie zur Vorsorge, Diagnostik und Behandlung von Gesundheitsproblemen verursacht durch Elektromagnetische Felder" veröffentlicht (1), verfasst von einem internationalen Team von Wissenschaftlern und Ärzten. Die Leitlinie stellt den aktuellen Stand der Forschung zu den Risiken der niederfrequenten und hochfrequenten elektromagnetischen Felder (EMF) dar, den bisherigen Stand der Forschung zur Elektro-Hyper-Sensitivität (EHS) und gibt Empfehlungen, wie Ärzte EHS diagnostizieren und behandeln können. Über Nutzen und Ziele der Leitlinien sprachen wir mit Dr. Gerd Oberfeld.
Dr. Gerd Oberfeld

Sehr geehrter Herr Dr. Oberfeld, eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen, der Europäischen Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM), hat eine Leitlinie zur Behandlung EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten veröffentlicht. Was ist die EMF-Leitlinie 2016?

Die Leitlinie bildet den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaften zu den Risiken der niederfrequenten und hochfrequenten elektromagnetischen Felder – kurz EMF für den Menschen ab. Sie behandelt gesundheitliche Risiken, inklusive der elektromagnetischen Hypersensitivität (EHS) und gibt Empfehlungen, wie Ärzte/-innen EHS diagnostizieren, behandeln und vorbeugen können.

Wie erklärt die EMF-Leitlinie Wirkungen von EMF auf den Menschen?

Auch wenn sich die physikalischen Eigenschaften von elektrischen und magnetischen Feldern im Niederfrequenzbereich und der elektromagnetischen Strahlung im Hochfrequenzbereich deutlich unterscheiden, zeigen sich bei den biologischen Effekten auf Zell- und Organebene bzw. im Gesamtorganismus sehr viele Ähnlichkeiten. Diese beinhalten etwa die Bildung freier Radikale, von oxidativem und nitrosativem Stress mit entsprechenden Folgewirkungen.

Um welche Krankheitsbilder handelt es sich hier?

Bedingt durch die erwähnten biochemischen Mechanismen, unterschiedlichen Expositionszeiten, Intensitäten und exponierten Organe können vielfältige Krankheitsbilder auftreten. Diese beinhalten etwa Symptombilder wie Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafprobleme, Depressionen, Energiemangel, und Erschöpfung, die soweit sie durch EMF bedingt sind, als elektromagnetische Hypersensitivität (EHS) diagnostiziert werden können. Weiter kann bei entsprechender Exposition ein erhöhtes Risiko für eine reduzierte Fruchtbarkeit, Alzheimer, Leukämie und Hirntumoren resultieren.

diagnose:funk und besonders der Verein für Elektrosensible in München, VEM e.V. sind mit vielen Anrufen von verzweifelten Menschen konfrontiert, die oftmals keinen Arzt finden, der sie behandelt, wenn vermutet wird, dass EMF die Ursache ihrer Beschwerden ist. Was bedeuten die Leitlinien für Ärzte/-innen?

Mit Hilfe der EMF-Leitlinie erhalten Ärzte/-innen nun Anhaltspunkte für die Abklärung, Behandlung und Prävention EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten. Dafür sind Kenntnisse aus dem Bereich der klinischen Umweltmedizin und Kenntnisse zu typischen technischen Feldern und deren Quellen erforderlich.

Woher nehmen Sie den Optimismus, dass Ärzte/-innen die Leitlinie akzeptieren, wenn zuständige Ministerien, ob nun in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz behaupten, es gäbe keine relevanten gesundheitlichen Auswirkungen durch elektromagnetische Felder, solange die bestehenden Grenzwerte nicht überschritten würden. Kann die Leitlinie an diesem Dogma etwas ändern? 

Ärzte/-innen sind es gewohnt, Entscheidungen auf Basis ihres Wissens und ihrer Erfahrungen zu treffen. Politische Meinungen und Dogmen können dieses Prinzip zwar stören, aber nicht umstoßen.

Die Leitlinie macht Vorschläge für medizinische Vorsorgewerte, die teils millionenfach unterhalb der verordnungsrechtlichen Grenzwerte liegen, die z.B. in Deutschland gelten. Wie kommt es überhaupt zu diesen extremen Unterschieden in der Bewertung?

Die etwa in Deutschland geltenden gesetzlichen Grenzwerte bei EMF stellen nur auf den Schutz vor bestimmten akuten Wirkungen, wie etwa Muskel- und Nervenreizungen oder zu starker Erwärmung ab. Die EMF-Leitlinie berücksichtigt die vorsorgliche Vermeidung gesundheitlicher Wirkungen bei langzeitiger Exposition.

Können Sie bereits physiologische Nachweisverfahren einer elektromagnetischen Hypersensitivität benennen?

Die Beurteilung sollte in der Gesamtschau aller medizinischen und messtechnischen Befunde erfolgen. Auf der Laborseite können es z.B. Parameter zur Quantifizierung des oxidativen / nitrosativen Stress wie etwa Nitrotyrosin und Malondialdehyd-LDL, der Mitochondrienfunktion durch intrazelluläres ATP, Entzündungsparameter wie TNF alpha, IFN-gamma-inducible protein 10 und der Melatoninstatus sein.

Was kann jemand tun, um einer möglichen elektromagnetischen Hypersensitivität vorzubeugen?

Zentral ist dabei die Expositionshöhe und Expositionsdauer gegenüber elektrischen und magnetischen Feldern und elektromagnetischen Wellen gering zu halten. Das betrifft insbesondere den Schlafplatz und Daueraufenthaltsplätze am Tag, egal ob am Arbeitsplatz oder zu Hause.  Beispiele sind etwa die Messung elektrischer Felder ausgehend von elektrischen Leitungen, Lampen und Geräteanschlusskabeln und erforderlichenfalls der Einsatz geschirmter Leitungen, Lampen und Kabel sowie von Netzabkopplern. Erhöhte magnetische Wechselfelder können durch sogenannte Differenzströme in Gebäuden entstehen und durch eine regelrechte Elektroinstallation – Stichwort Vermeidung von Brücken zwischen Neutralleiter und Erde – saniert werden. Die Verwendung von DECT-Sendern (Telefon, Babyphone), WLAN, Net-Cubes etc. sollte vermieden werden. Zu hohe Funkeinstrahlungen von außen können durch bestimmte Baustoffe und Anstriche reduziert werden. Mobiltelefone und Smartphones sollten nicht direkt am Körper getragen, alle nicht unbedingt erforderlichen Apps deaktiviert werden und Telefonate über Freisprechen oder Headset, wenn möglich im 3G oder 4G Netz, geführt werden. Das sind nur ein paar Hinweise, die EMF-Leitlinie gibt dazu weitere Beispiele.

In welchen Bereichen sehen Sie Anwendungsmöglichkeiten der EMF-Leitlinie?

Neben der individuellen Diagnose und Behandlung, sind dies Gutachten im Bereich Umwelt- und Arbeitsmedizin, sowie für Verwaltungsbehörden, Versicherungen und Gerichte. Im Bereich Sanierung und Prävention gibt es nun erstmals umweltmedizinische Richtwerte für Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Kindergärten, Unternehmen, Büros und Haushalte.

Und wer sollte Ihrer Meinung nach hier jetzt politisch aktiv werden?

Die EMF-Leitlinie der Europäischen Akademie für Umweltmedizin richtet sich primär an Ärzte/-innen, Gesundheitsbehörden und Gesundheitsverwaltungen. Eine Unterstützung auf gesundheitspolitischer Ebene durch Regierungen und Gemeinden ist nicht nur zielführend sondern nicht zuletzt zum Wohl der Gesellschaft dringend erforderlich.

Herr Dr. Oberfeld, wir danken Ihnen für das Interview und der EUROPAEM für die Erarbeitung der EMF - Leitlinie!

1) Igor Belyaev, Amy Dean, Horst Eger, Gerhard Hubmann, Reinhold Jandrisovits, Markus Kern, Michael Kundi, Hanns Moshammer, Piero Lercher, Kurt Muller, Gerd Oberfeld, Peter Ohnsorge, Peter Pelzmann, Claus Scheingraber and Roby Thill: EUROPAEM EMF Guideline 2016 for the prevention, diagnosis and treatment of EMF-related health problems and illnesses; Rev Environ Health 2016; DOI 10.1515/reveh-2016-0011

https://www.spreadshirt.de
»

Mal was Positives:

War neulich in einer bisher mir unbekannten Dermatologen- und Allergologenpraxis zur Hautkrebsvorsorgeuntersuchung. Habe bei Anmeldung um Termin mit wenig Wartezeit gebeten, weil ich elektrosensibel bin.

Musste am Tag X gar nicht erst ins Wartezimmer, sondern wurde sofort ins Behandlungszimmer geschickt. Doc betrat den Raum mit den Worten "Gut, dass Sie das mit der EHS gesagt haben. Schwieriges Krankheitsbild, weil es so vielschichtig ist. Kann ich noch irgendwas ausschalten?".

Warum geht das nicht überall????

«
D.B. 2019: Elektrosensibler

Downloads

Ja, ich möchte etwas spenden!