Prof. Hecht im Interview zur Mobilfunkforschung

"Nichts gesucht - Nichts gefunden"
Auf besorgte Fragen werden offiziell nur beruhigende Antworten gegeben. Existieren heute tatsächlich keine Hinweise darauf, dass diese spezielle Art der Umweltverschmutzung uns doch noch zum Verhängnis werden könnte? PROVOkant will es genauer wissen.

Panikmache oder gebotene Vorsorge?

Internationale Langzeitstudien weisen längst Spätschäden durch Mobilfunkstrahlung nach. Entwarnung ist verantwortungslos.

Für unsere vorige Ausgabe befragten wir den Biochemiker Prof. Franz Adlkofer („Eine falsche Fälschung?“) zu einer üblen Anschuldigung. In der Presse war die Behauptung verbreitet worden, an der Wiener Medizinischen Universität durchgeführte Studien, die eine Zellschädigung durch Mobilfunk nachwiesen, seien gefälscht. Die Auseinandersetzungen um die Gefahren des Elektrosmogs werden also offenbar zunehmend härter geführt. Adlkofer rückte die Tatsachen zurecht, wies aber darauf hin, dass es auf diesem Gebiet selbst unter Experten noch immer mehr Fragen als Antworten gibt. Er bezeichnete dabei unseren Handy-Alltag als einen seit 10 Jahren laufenden „Feldversuch“, von dem man gegenwärtig keine Ahnung habe, wie er eines Tages ausgeht. Sind wir in diesem Versuch die „Kaninchen“, denen es derzeit scheinbar noch recht gut damit geht? Was wird nach weiteren 10 Jahren sein? Wenn wir das ungebremste Überhandnehmen der künstlichen elektromagnetischen Felder um uns herum sehen, riechen oder tasten könnten, würden wir es mit der Angst zu tun bekommen. Auf besorgte Fragen werden jedoch offiziell nur beruhigende Antworten gegeben. Existieren heute tatsächlich keine Hinweise darauf, dass diese spezielle Art der Umweltverschmutzung uns doch noch zum Verhängnis werden könnte?

Wir sprachen darüber mit dem Arzt, Wissenschaftler und Buchautor Prof. Dr. med. Karl Hecht, Berlin

„PROVOkant“: Herr Prof. Hecht, anerkannte Einrichtungen wie das Informationszentrum Mobilfunk (izmf) geben auf Anfragen besorgter Bürger zu den Gefahren von Mobilfunkstrahlung totale Entwarnung. Einer unserer Leserinnen versicherte man, es gebe keinen Beleg für einen Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Beschwerden von Elektrosensiblen und den Wirkungen des Mobilfunks. Prof. Adlkofer, der selbst zu diesem Problem forscht, spricht sich in unserer letzten Ausgabe jedoch eindeutig gegen eine Entwarnung aus. Wer hat denn nun Recht?

Prof. Karl Hecht:
Ich muss Franz Adlkofer völlig zustimmen. Eine Entwarnung auf diesem Gebiet ist nicht nur fehl am Platze, sondern verantwortungslos. In bestimmtem, nämlich täuschendem Sinne haben Industrie- und industrienahe Forschung allerdings Recht. Sie selbst fanden ganz sicher keine Belege für die gesundheitsschädliche Wirkung von Mobilfunkstrahlung. Weil sie eben nicht danach gesucht haben! Unter ihren praxisfernen, irrealen Studienbedingungen konnten solche Schädigungen (noch!) gar nicht entstehen.

Wie erklären Sie sich das?

Erstens hat man sich bisher bewusst auf Effekte einer kurzzeitigen Erwärmung konzentriert, die durch Mobilfunkstrahlung prinzipiell entstehen kann. Und da die Grenzwerte für deren Energie in diesem Rahmen ohne Zeitbezug gehalten werden, so dass thermische Wirkungen kaum entstehen, gibt es halt einen solchen Effekt nicht. Man zieht daraus aber den falschen Schluss, Schädigungen seien mithin nicht zu erwarten. Aber, wohlgemerkt, lediglich solche, die von einer kurzzeitigen Erwärmung ausgehen könnten!

Von welchen Effekten geht denn die Gefahr aus?

Von den so genannten athermischen Effekten. Das sind jene Wirkungen, die elektromagnetische Wellen bzw. Felder auf biologische Systeme haben. Diese Effekte sind nachgewiesen, und zwar zweifelsfrei, schon seit Jahrzehnten! Ganz gleich zunächst, nach welcher Zeit und bei wem diese Wirkungen die Gesundheit beeinträchtigen.

Gerade das aber interessiert doch die Leute. Krankmachende Folgen des Rauchens z. B. treffen auch nicht jeden, und sie treten so gut wie nie in den ersten Jahren auf.

Selbstverständlich. Und da sind wir beim zweiten Schwachpunkt der Mobilfunkforschung, wie sie bei uns von der Industrie und den von ihr mitfinanzierten Instituten betrieben wird. Sie untersucht biologische Effekte - wenn überhaupt - dann nur oder fast nur über kurze Einwirkungszeiten hinweg. Weit über 60 Prozent all dieser Studien berücksichtigen höchstens drei Tage Wirkungsdauer. Das erinnert an den Betrunkenen, der seinen Schlüssel im Dunkeln verloren hat und ihn nur deshalb unter der Laterne sucht, weil es da heller ist. Ein Großteil der Bevölkerung ist diesen Strahlen rund um die Uhr schon geraume Zeit ausgesetzt und wird das noch viele Jahre sein, zudem immer intensiver. Kurzzeitstudien sind deshalb im Grunde hinausgeworfenes Geld, zwar nicht für die Mobilfunkindustrie, aber für den Gesundheitsschutz. Denn sie können zwar bestätigen, dass es biologische Effekte gibt - meistens fragt man selbst noch nicht einmal danach! -, aber Aussagen über die gesundheitsschädigenden Wirkungen ermöglichen sie eben nicht! Mitunter räumen manche Forscher wenigstens ein, dass man über mögliche Langzeitfolgen bei Erwachsenen wenig und bei Kindern sogar überhaupt nichts weiß.

Kinder gehören aber heutzutage sicherlich mit zu den eifrigsten Handynutzern.

Ja. In Deutschland besitzen heute rund 80 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen ein Handy. Unter den Jungen sind das gewiss nicht viel weniger. Und der Trend, es gleichsam schon in die Schultüte zu legen, hält an. Aber es ist ja nicht das Handy allein. DECT-Telefone, Mikrowellenherde, Sendeanlagen wirken auf die Menschen und eben auch auf die Kinder ein.

Diese sehr jungen Menschen haben zudem noch eine besonders lange Zeit vor sich, in der sie solcher Strahlung ausgesetzt sein werden. Heute schon sind sie es meistens täglich und oft über Stunden hinweg. Weshalb treten dann bei ihnen keine Schädigungen auf?

Sagen wir es lieber genauer: noch keine! Normalerweise kann der gesunde Mensch kurzzeitige Einwirkungen von elektromagnetischen Feldern mit seinem selbstorganisierend vernetzten Regelkreissystem durchaus bewältigen. Gewöhnlich werden solche Umweltimpulse vom Gehirn mit einem regulierenden Einschwingvorgang beantwortet.

Könnte man sagen, diese kurzen „Hiebe“ von außen werden vom Organismus quasi „elegant pariert“?

Zumindest bei Gesunden ist das so. Bei Kranken oder Elektrosensiblen, aber eben nachweislich auch bei Kindern und alten Menschen ist diese Abwehr weit weniger „elegant“. Sie vertragen die Störungen schlechter. Bei Kindern ist die Strahlenwirkung besonders stark. Die genannten Gruppen können schon bei kurzzeitiger Einwirkung sehr empfindlich reagieren und darunter schwer leiden. Immerhin sind etwa 5 Prozent der Bevölkerung Elektrosensible, ...

... die eigentlich auch geschützt werden müssten!

Natürlich. Aber anstatt sie zu schützen, werden sie als psychisch krank deklariert und in die Psychiatrie eingewiesen. Das ist menschenverachtend. Langzeiteinwirkungen aber, und vor allem um die geht es, führen nicht nur bei diesen Risikogruppen, sondern auch bei den meisten Gesunden zu erheblichen Störungen der bioelektromagnetischen Regulation.

Womit hängt eine solche Empfindlichkeit zusammen?

Der Mensch ist ein elektromagnetisches Wesen. Alle unsere Körpervorgänge, aber auch unsere psychischen Funktionen werden nicht nur chemisch, sondern vor allem elektrisch gesteuert. Diese Steuerung ist sehr komplex und höchstempfindlich. In jedem Flugzeug müssen Handys ausgeschaltet bleiben, weil die Bordelektronik nicht beeinträchtigt werden darf. Auf unsere körpereigene „Bordelektronik“ hingegen nehmen wir so gut wie keine Rücksicht. Es muss doch jedem einleuchten, dass die elektromagnetischen Vorgänge in unserem Gehirn und unserem Körper durch die unnatürlichen, technischen Felder gestört werden. Besonders gefährdet ist unser Zentralnervensystem. Es stünde schlecht um uns, wenn wir - um Ihr Bild zu gebrauchen - diese kurzen „Hiebe“ nicht parieren könnten. Der eine vermag das besser und für länger, vielleicht sogar lebenslang, der andere aber nur schlecht und nur für kürzere Zeit und muss manchmal schon etliche „Blessuren“ einstecken.

Lassen sich diese Vorgänge objektiv feststellen?

Ja. Zum Beispiel das EEG, also die Aufzeichnung der Gehirnströme, kann uns objektiv zeigen, wie sich deren Frequenz und Amplitude unter elektromagnetischer Strahlung verändern, akut und auch chronisch. Ich selbst habe derartige Untersuchungen durchgeführt. Und wenn unsere Bioelektrizität dauerhaft gestört ist, erkranken wir.

Doch nicht sofort und auch nicht in jedem Falle?

Nein. Kurzzeitstudien als Nachweis einer Unschädlichkeit zu „verkaufen“, grenzt deshalb schon an Betrug. Die Folgen können katastrophal sein. Ich sage das so deutlich, weil ich Belege dafür habe. Auch wenn man mich und all jene Wissenschaftler, die schon seit längerem Alarm schlagen, deswegen als Panikmacher diskriminiert. Als Arzt habe ich schon bei Vorliegen eines Verdachts auf Schädigung die Pflicht, zu warnen und etwas dagegen zu unternehmen. Inzwischen handelt es sich aber längst nicht mehr nur um einen Verdacht.

Exakte Forschungsergebnisse aber scheinen aus den von Ihnen genannten Gründen noch nicht vorzuliegen.

Nein, das stimmt nicht. Nur ignoriert man sie bei uns. Entsprechende Warnungen gibt es in den USA schon seit 1955, in Deutschland noch weit früher. Das „Mikrowellensyndrom der Funkfrequenzkrankheit“, so nannte man es, wurde u. a. schon 1932, 1934, 1938 und 1952 beschrieben. Mit der Lüge, die athermischen Wirkungen nicht ionisierender Strahlung seien ungenügend erforscht, muss endlich Schluss gemacht werden. Auf internationalem Parkett erscheinen gegenwärtig immer mehr Publikationen, welche die längst festgestellten Schädigungen nachweisen. Ich selbst habe mich 1996/97 zusammen mit meinem Kollegen Hans-Ullrich Balzer intensiv mit einem in der Welt geradezu einmaligen Fundus an Ergebnissen der Mikrowellenforschung befassen müssen. Das geschah im Auftrage des Bundesamtes für Telekommunikation, also einer staatlichen Behörde - der heutigen Regulierungsbehörde. Wir durchforsteten über 1500 wissenschaftliche Arbeiten der russischsprachigen Literatur dazu - flächendeckende Langzeituntersuchungen, die in Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion zu diesem Thema über Jahrzehnte durchgeführt wurden.

Mobilfunk flächendeckend in der früheren Sowjetunion?

Handys spielten natürlich noch keine Rolle. Sich nur auf das Handy konzentrieren zu wollen, wäre übrigens zu eng gedacht. Es ging und geht aber um die im Grunde gleichen elektromagnetischen Strahlen bzw. Felder. Einbezogen in die Forschungen waren u. a. Werktätige der Elektro- und Elektronikindustrie, der Elektrizitätswerke, von Funk- und Radarstationen sowie das Flughafenpersonal. Alle diese Menschen standen quasi täglich unter der Einwirkung von technischen, also künstlichen elektromagnetischen Feldern und hatten sich deshalb jedes Jahr einer strengen arbeitsmedizinischen Kontrolle zu unterziehen. Sie mussten bei der Einstellung völlig gesund sein und wurden bei entsprechenden Symptomen sofort in anderen Bereichen eingesetzt, die frei von solcher Strahlung waren. Die Fluktuation dieser Arbeitnehmer war mit ca. 10 Prozent relativ gering. Deshalb hat die Mehrzahl von ihnen viele Dienstjahre, meist Jahrzehnte, unter solchen Bedingungen gearbeitet. So konnte man tatsächlich von Langzeituntersuchungen sprechen.

Und zu welchen Ergebnissen ist man dabei gekommen?

In einem Beitrag zu dem Sammelband „Mobilfunk, Gesundheit und die Politik“1 habe ich darüber ausführlich geschrieben. Das im Detail wiederzugeben, würde hier zu weit führen. Wesentlich aber waren folgende Erkenntnisse: Diese Langzeituntersuchungen an Tausenden von Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, belegen erstens, dass diese Felder in signifikant vielen Fällen zur Entwicklung von Symptomen des „Mikrowellen-Syndroms“ führten, also ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko sind. Zweitens zeigen die Untersuchungen, dass die Felder bzw. Strahlen im menschlichen Organismus wie Stressoren wirken und dies in drei aufeinander folgenden Stressphasen, wie sie von dem ungarisch-kanadischen Wissenschaftler Hans Selye beschrieben werden: Alarm, Resistenz (also Gegenwehr des Körpers) und Erschöpfung, d. h. Krankheitsausbruch. Und schließlich: Nicht alle, die diesem Stress ausgesetzt sind, erkranken. Auch bei langjähriger Exposition nicht.

Was muss man sich unter der Phase „Alarm“ vorstellen und wie lange dauert sie?

Hier haben wir es mit einem eigenartigen Phänomen zu tun. In der ersten Zeit der Einwirkung technischer Felder wirken diese auf den Organismus durchaus noch nicht schädigend, sondern nicht selten sogar stimulierend. Das lässt sich recht gut mit der regulierenden „Einschwingung“ erklären, die, wie ich schon erwähnte, gestörte Prozesse wieder ins Gleichgewicht bringt. Diese anregende Wirkung hält nach den russischen wissenschaftlichen Ergebnissen - natürlich individuell unterschiedlich - die ersten anderthalb bis etwa drei, maximal 5 Jahre an.

Könnte dies vielleicht auch ein Grund dafür sein, dass sich sehr viele Nutzer von Handys immer noch - pardon - „mopsfidel“ fühlen?

Das ist naheliegend. Aber wir sollten dabei auch an die Faktoren denken, die hier das Maß setzen. Ich nenne mal die individuelle Gehirnreaktion. Das Gehirn ist äußerst empfindlich gegen elektromagnetische Felder. Diesbezüglich gibt es in Westeuropa und den USA nur wenige Untersuchungen. Sehr wichtig ist aber, wie oft und wie lange man sich täglich diesen Feldern aussetzt oder aussetzen muss. Ein Notanruf bei einem Unfall oder bei einem verpassten Termin hat selbstverständlich geringere Effekte, als wenn man dienstlich oder leider auch privat stundenlang das Handy am Ohr hat. Wie sehr beispielsweise ältere Menschen, die oft kaum mehr ihre Wohnung verlassen, den technischen Feldern der vielleicht nur 300 Meter entfernten UMTS-Antenne ausgesetzt sind, muss man sich nicht erst ausmalen. Und dann hängt die Reaktionsmöglichkeit unseres Körpers auch immer davon ab, wie vielen unterschiedlichen Störfaktoren er ausgesetzt ist. Muss er zusätzlich noch Lärm über sich ergehen lassen? Welche Schadstoffe in der Atemluft, im Trinkwasser und in der Nahrung muss er verkraften? Treiben ihn Hektik und Existenzsorgen, und was tut er sich selbst an ungesunder Lebensweise so alles an? Hierbei geht es nicht nur um das Quantum, sondern auch um die verschiedenen Interaktionen. Die russischen Forschungen besagen jedenfalls, dass „im Schnitt“ nach fünf Jahren eine elektromagnetische Belastung beginnt, krank zu machen. Nach zehn Jahren ist das schon sehr auffällig. Man darf dabei auf keinen Fall noch folgenden Umstand vergessen: In die an sich schon sehr vorsorglich festgelegten Grenzwerte für elektromagnetische Strahlungen ging und geht dort immer auch die Einwirkungsdauer ein. Je höher diese ist, umso niedriger sind jene. Im Ergebnis waren bereits in der Sowjetunion, aber sind auch noch im heutigen Russland und anderen osteuropäischen Ländern die Grenzwerte mindestens tausendmal niedriger als bei uns im Westen!

Offizielle Stellen behaupten aber immer wieder, es gebe keine Belege für einen eindeutigen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und Krankheiten.

Die Leute, die so etwas sagen, müssten jedoch eingestehen: Wir finden bisher keine Belege, weil wir gar nicht erst danach suchen. Das russische medizinwissenschaftliche Material und viele andere internationale Forschungsergebnisse liefern aber sehr wohl eindeutige Beweise. Und angesichts der Tatsache, dass in unseren inzwischen übervollen Arztpraxen immer häufiger Krankheitsbilder diagnostiziert werden, über deren Ursache man sich angeblich im Unklaren ist, kann ich es nur einen gesundheitspolitischen Skandal nennen, wenn den Vermutungen nicht nachgegangen wird und die vor allem im Ausland nachgewiesenen Zusammenhänge einfach nicht zur Kenntnis genommen werden.

Welche Krankheitsbilder konnte man denn in den russischen bzw. sowjetischen Studien glaubhaft mit der Einwirkung elektromagnetischer Felder in Verbindung bringen?

Die Liste ist ziemlich lang. Sie reicht von objektiv erhobenen Befunden neurologischer und neurotischer Symptome, chronischer Müdigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen und Depression, aber auch von Bluthochdruck, Tinnitus und erhöhter Infektanfälligkeit bis zu subjektiven, aber deshalb nicht weniger wirklichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche sowie Schwindel. Dabei traten sowohl nur eines der Symptome, oft aber auch mehrere und in manchen Fällen nahezu alle auf. Ihre Häufigkeit und Schwere nahmen mit den Dienstjahren, also mit der Dauer der Einwirkung zu. Auf einen Nenner gebracht, handelte es sich um Krankheitsbilder, die auf übermäßigen und dauerhaften Stress schließen lassen.

Der könnte aber, worauf Sie gerade selbst hingewiesen haben, auch durch andere Faktoren hervorgerufen werden, beispielsweise durch Lärm oder Hektik.

Ohne Frage. Aber der gewichtige krankmachende Anteil, den die Mikrowellenstrahlung daran hatte, wurde in den russischen Langzeitstudien durchaus dingfest gemacht. Betroffene hat man nämlich bei Krankheitsausbruch sofort in ein anderes Arbeitsumfeld umgesetzt, wo es keine solchen Felder gab. Das Resultat: Sie konnten in den meisten Fällen wieder genesen.

Eines der Argumente, die eine krankmachende Wirkung des Mobilfunks in Zweifel ziehen sollen, besagt, der Energiegehalt dieser Strahlung reiche gar nicht aus, um beispielsweise eine chemische Substanz im Körper aufzubrechen. Mithin könne gar kein gentoxischer Effekt eintreten.

Diese Logik ist viel zu mechanistisch. Der Weg der Pathogenese ist hier ein indirekter. Er führt über die stressbedingte übermäßige Kortisolüberflutung des Gewebes und den oxidativen Stress, das heißt über die verstärkte Bildung von freien Radikalen, mit denen unser Körper fertig wird oder eben auch nicht.

Es ist nun schon ein Jahrzehnt her, dass Sie in staatlichem Auftrag die russisch/sowjetischen Forschungsergebnisse zur Gefährlichkeit von Mikrowellen für uns aufbereitet haben. Fanden Ihre Schlussfolgerungen bei den Auftraggebern das entsprechende Interesse, vor allem aber bei denen, die laut Verfassung dazu verpflichtet sind, die Bevölkerung vor Schädigungen und Gefahren zu schützen?

Leider nein. Unsere Literaturrecherche verschwand sofort im Archiv. Bis heute hat sich kaum eine offizielle Stelle dafür interessiert, noch nicht einmal zu Zeiten der rot-grünen Regierung. Die Industrie und ihre Forschungseinrichtungen erst recht nicht.

Auch nicht anlässlich der Einführung des neuen UMTS-Standards? Hätten dafür nicht solche Warnsignale aus internationalen Forschungsergebnissen einfließen müssen?

Leider ist das nicht der Fall gewesen. Auch hierbei hat der Staat seine Vorsorgepflicht sträflichst verletzt. Ich glaube nicht, dass dies mit den damaligen Lizenz-Einnahmen von rund 100 Milliarden D-Mark zu entschuldigen ist. Im Grunde wurde damit potenziell ein großes Stück Gesundheit unserer Bevölkerung verkauft.

War die UMTS-Technik nicht ein Fortschritt gegenüber dem früheren GSM-Standard?

Technisch und finanziell vielleicht. (Ich bin kein Techniker, sondern Arzt.) Im Hinblick auf die Aggressivität der Strahlung aber keinesfalls. Für den Laien mag es dabei sicher erstaunlich sein, dass diese höhere Aggressivität vor allem von schwachen Feldern ausging. Nach Untersuchungen der Professoren Rüdiger und Adlkofer aus dem Jahre 2006 ist die UMTS-Strahlung - sehr wahrscheinlich vor allem wegen ihrer speziellen Signalcharakteristik, der Pulsung - bereits bei einer zehnmal niedrigeren Intensität so gentoxisch wie die bisherige GSM-Strahlung. Deshalb müssten Pulsung, aber auch die Frequenz und die Einwirkungsdauer mit in den Grenzwert eingehen. Die Feldstärke als Maß für die Grenzwertbestimmung ist meines Erachtens ein falscher Ansatz der Physiker und Techniker.

Hätte man so etwas nicht vor ihrer Einführung abklären können?

Aber sicher. Leider ist es üblich geworden, neue Funktechniken einzuführen, bevor man ihre Gesundheitsverträglichkeit hinreichend erforscht hat. Das mag vielleicht noch angehen, wenn wenige Menschen von einer Neuerung betroffen sind (obwohl ich auch das ablehne). Aber in unserem Falle ist ja inzwischen fast die gesamte Bevölkerung diesem Risiko ausgesetzt. Man nimmt nur an, dass es wohl gut gehen wird. Und obwohl immer mehr dagegen spricht, bleibt man hartnäckig dabei. Es scheint so, als habe es die bitteren Erfahrungen nicht gegeben, die wir mit der Röntgenstrahlung machen mussten.

Sie wollen doch sicherlich nicht den unterschiedlichen Gefahrengrad von Röntgen- und Mobilfunkstrahlung auf eine Stufe stellen.

Natürlich nicht. Mir geht es generell um die Art unseres Umgangs mit potenziellen Gefährdungen durch ionisierende und nicht ionisierende Strahlung. Wir wissen noch nicht, was in den nächsten Jahrzehnten auf die Menschen zukommt. Verharmlosung ist deshalb verantwortungslos. Zumal es längst genügend warnende Hinweise und Nachweise gibt. Die Wirkung, die von Mobilfunksendeanlagen, von Handys, schnurlosen Telefonen, aber auch von anderen Mikrowellengeräten ausgeht, kann bereits in einem Jahrzehnt verheerende Folgen für die Gesundheit größerer Bevölkerungsgruppen haben. Zu denken geben müsste, dass bereits 1971 in einem offiziellen Regierungsreport der USA vor den Gefahren dieser Art von Umweltverseuchung gewarnt wurde.

Sehen Sie eine Chance, ein solches Szenario zu vermeiden?

Wenn wir uns mit dem bisherigen Mechanismus, wie in Wirtschaft und Staat die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden, abfinden, dann sehe ich allerdings keine Chance. Hoffnung machen aber die vielen Aktivitäten, die inzwischen von unseren zivilgesellschaftlichen Strukturen ausgehen. Damit meine ich nicht nur die vielen Bürgerinitiativen und Vereinigungen von Elektrosensiblen und -geschädigten. Ich bin auch froh, dass immer mehr unabhängige Wissenschaftler die Zivilcourage besitzen, sich aufgrund ihrer Erkenntnisse öffentlich gegen Entscheidungen zu wenden, die allzu sehr von kurzsichtigen wirtschaftlichen Interessen bestimmt sind. Dazu gehört auch die Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie, in der ich selbst mitwirke. Die wahrscheinlich einzige Möglichkeit, die derzeitige Unsicherheit und Sorglosigkeit im Hinblick auf die gesundheitlichen Gefahren des Mobilfunks zu überwinden, sehen ich und andere Aktivisten dieses Vereins in einer unermüdlichen Aufklärung und der Brechung des Forschungsmonopols von Wirtschaft und Staat. Und das nach Möglichkeit nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern weltweit.

Dabei können wir Ihnen nur Kraft und allen Erfolg wünschen. Herr Professor Hecht, danke für das interessante Gespräch!




Martin Runge, Frank Sommer, Gerd Oberfeld (Hg.): Mobilfunk, Gesundheit und die Politik. Streitschrift und Ratgeber, agenda Verlag Münster 2006


Biographisches
Prof. em. Prof. Dr. med. Karl Hecht, Jahrgang 1924, studierte Medizin an der Humboldt-Universität Berlin. Er promovierte 1957 zu einem neurophysiologischen und habilitierte 1970 zu einem chronobiologischen Thema. Lange Jahre wirkte er als Professor der Sektion Neurophysiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR sowie seit 1977 auch als Professor für experimentelle und klinische Pathophysiologie - der Lehre von den Funktionen der Krankheitsentwicklungen. Noch immer wissenschaftlich aktiv, beschäftigt er sich derzeit speziell mit Stress-, Schlaf-, Umwelt- und Weltraummedizin sowie mit der Wirkung von Naturmineralien. Der Arzt und Wissenschaftler Karl Hecht ist Autor von über 800 wissenschaftlichen Publikationen, 45 Fach- und Sachbüchern sowie Inhaber von 28 Patenten. Er ist Mitglied bzw. Ehrenmitglied einer Vielzahl internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien, darunter in Paris, Moskau, London Prag und Havanna.

Artikel veröffentlicht:
05.08.2009
Autor:
Veröffentlicht auf diagnose-funk mit freundlicher Genehmigung von PROVOkant.

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