Wir brauchen eine neue Funktechnik

Zeitungsinterview mit Diagnose-Funk zu TETRA
Die 'Gelnhäuser Neue Zeitung' hat den Diagnose-Funk Vorstand Jörn Gutbier zu TETRA/Behördenfunk interviewt. Anmerkung: Das Interview ist datiert vom 6. März 2013. Veröffentlicht wurde es am 5. April in leicht gekürzter Form in der Printausgabe der GNZ auf Seite 17. Ein Satz in der Antwort 5 wurde weggelassen, da er nicht mehr aktuell ist.

Herr Gutbier, Diagnose-Funk hat im vergangenen Jahr ein bundesweites TETRA-Moratorium gefordert, um das Projekt nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Wie bewerten Sie die Entwicklung (in Hessen) seitdem?

Jörn Gutbier: Die Entwicklung in Hessen ist aufgrund einer speziellen Förderung und einer stringenten „Nicht-Informationspolitik“ des Innenministeriums sehr schleppend. Viele Anwender bekommen bei der Vorstellung des Projektes immer noch die „Eierlegendewollmilchsau“ versprochen und sollen nachher ein „Kuckucksei“ kaufen. Seit der Festlegung auf Tetra-Digital-Funk ist kein Cent in die bestehende, bis dahin funktionierende analoge Technik investiert worden. Der Frust ist somit groß, zumindest dort, wo offen über das Projekt diskutiert wird. Unser Moratoriums-Aufruf ist in Hessen bis jetzt nur in Höchst im Odenwald mit einem Beschluss der Gemeindevertretung in Kraft. Weitere Gemeinden, bei denen Aufklärung stattgefunden hat, haben die finanziellen Mittel aus dem Haushalt herausgenommen oder mit einem Sperrvermerk versehen und warten die Entwicklung ab.

Sie lehnen die Einführung des neuen digitalen Behördenfunks gleich aus mehreren Gründen ab. Ist die Technik aus den 80er-Jahren schon ein Auslaufmodell, ehe der Betrieb flächendeckend angelaufen ist?

Jörn Gutbier:
Der Funk für Polizei und Rettungskräfte ist der wichtigste Funk überhaupt. Wir fordern, dass Profis wie Ehrenamtliche in einem Hightech-Land wie Deutschland die beste und sicherste Technik bekommen sollten. Die veraltete TETRA-Technik gehört definitiv nicht dazu. International ist die Ablösung von TETRA bereits beschlossene Sache, so hat der „TETRA World Congress“ auch schon seinen Namen geändert in „Critical Communications World“ und man setzt dort auf LTE. In Deutschland ist die Situation geradezu absurd: In Hamburg spricht der Projektverantwortliche Herr Krebs von einer Ablösung des TETRA Funks im Jahr 2020, während das Innenministerium in Hessen eine TETRA-Fertigstellung erst für 2022 in Aussicht gestellt hat. Und das Bundesinnenministerium verbietet intern, eine Diskussion über die Ablösung von TETRA zu führen.

Welche grundlegenden Funktions- und Technikmängel beinhaltet TETRA im Einsatz?

Jörn Gutbier:
Die wenigsten wissen z.B., dass TETRA nicht mit dem sog. TETRAPOL-Funksystem der Bundeswehr kompatibel ist. Bei Großschadenslagen, wo Rettungskräfte und auch die Bundeswehr zusammentreffen – siehe Oderhochwasser – gibt es mit der Einführung von TETRA und der Abschaffung des Analogfunks keine gemeinsame Kommunikationsplattform mehr. Mit TETRAPOL arbeiten im Übrigen auch die Nachbarländer Belgien, Frankreich, Tschechien, Spanien, Slowakei und die Schweiz. Das versprochene grenzübergreifende Funksystem ist somit eine Chimäre. TETRA hat zudem einige ungelöste Grundsatzprobleme: So kann z.B. die flächendeckende Versorgung mit der geplanten Anzahl Funkmasten nicht sichergestellt werden und wegen der Reichweitenschwäche droht dem Steuerzahler ein „Fass ohne Boden“. Wo die Vorort-Versorgung über mobile Einsatzwagen oder die direkte Verbindung von Handgerät zu Handgerät sichergestellt wird, ist die Funktion nicht immer gewährleistet. In Holland hat dies bereits drei Feuerwehrleute das Leben gekostet. Auch in Niedernhausen hat man erst vor kurzem mit dem plötzlichen Verbindungsabriss ohne Vorwarnung einen Vorgeschmack auf die neue Technik bekommen. Irritierend ist nun, dass einige Politiker dies ausschließlich auf Handhabungsfehler zurückführen wollen. Dazu kommt die mangelnde Katastrophentauglichkeit bei Stromausfall, die auch der Bundestag in seiner Drucksache 17/9877 beklagt. Diese kann man sicherlich herstellen, aber das kostet zusätzliches Geld, was aber bis jetzt nicht in den Kostenkalkulationen auftaucht.

Werden die gesundheitlichen Risiken des BOS-Funks, besonders der Handgeräte (für Einsatzkräfte) und Antennen (für Anwohner), unterschätzt?

Jörn Gutbier:
Unterschätzt wäre geschmeichelt. Hier wird wider besseres Wissen bewusst getrickst und getäuscht. Die zuständigen Länderministerien werden genauso gezielt desinformiert, wie ganz aktuell die Abgeordneten des deutschen Bundestages. Hierzu hat Diagnose-Funk e.V. eine umfassende Analyse herausgebracht mit dem Titel „Deutsche Strahlenschutzgremien versuchen Abgeordnete zu manipulieren“.

Dass gerade die TETRA-Technologie, und hier insbesondere die Strahlung der Mobilfunkgeräte, ein hohes Schadenspotenzial für die Nutzer aufweisen, ist seit den Forschungen der 70er Jahre bekannt. Was Diagnose-Funk wissenschaftsbasiert vorliegt, ist auch bereits in Deutschland Realität. So z.B. in der JVA in Straubing, wo mehrere Beamte über Kopfschmerzen und Schwindel seit Installation der dauerstrahlenden TETRA-Anlagen klagen. Oder in Herrischried, wo viele Anwohner nach Einschaltung der TETRA-Sender mit den bekannten Symptomen Nasenbluten und Schlafstörungen reagierten.

Die WHO hat im Mai 2011 Mobilfunkstrahlung als potenziell krebserregend eingestuft. Hauptbetroffene sind die sogenannten Vieltelefonierer. Jeder Polizist fällt unter diese Kategorie. Der Verwaltungsrichter a.D. Bernd Budzinski hat dieses Dilemma aktuell in seinem wissenschaftlichen Aufsatz „TETRA – Funk ohne Rettung?“ hervorragend analysiert. Hier heißt es u.a.“...Erstmals wird es folglich eine Berufsgruppe geben, die nicht nur faktisch, sondern (dienst-)rechtlich verbindlich gezwungen sein wird, entgegen der Warnung der WHO ständig ein „Handy am Ohr“ zu haben und auch unter ungünstigsten Sendebedingungen zu telefonieren...“.

Auch die Finanzierung ist zuletzt in die Kritik geraten. Ist Steuergeld aus Ihrer Sicht verschwendet worden?

Jörn Gutbier:
Wir stecken mitten drin im Verschwenden von Steuergeldern! Grundlage der Entscheidung für das TETRA-System waren im Jahr 2002 errechnete Gesamtkosten von 2,75 Mrd. Euro. Stand 2010 waren wir laut Bundesrechnungshof bereits bei mindestens 10 Mrd. Euro. Das TETRA-Projekt reiht sich somit ein in die laufenden Skandale, wie den Flughafen Berlin und S21 in Stuttgart – nur dass hier keinerlei unabhängige Kontrolle stattfindet. Es wurde der treffende Satz kreiert, das es sich bei der TETRA-Technik für den Behördenfunk um „eine gut bezahlte Abwrackprämie für eine veraltete Funktechnik” handelt.

Welche Alternativen zu TETRA gibt es schon heute, welche wird es zukünftig geben?

Jörn Gutbier:
Genau das soll ein unabhängiges Kontrollgremium mit Funkexperten, Medizinwissenschaftlern und Nutzern klären. Daher haben in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg bereits über 30 Kommunalparlamente ein Moratorium verabschiedet. D.h. sie lehnen das System ab, solange Kosten, Sicherheit und Tauglichkeit nicht verständlich aufgezeigt werden können. Wir brauchen eine neue Funktechnik ohne die biologisch besonders kritische Pulsstruktur in den Signalen. Eine Technik, die nur bei Bedarf funkt und mit so geringer Leistung wie irgend möglich arbeitet. Ein System also, das bezahlbar und zukunftsfähig ist, redundant betrieben werden kann und hält, was seit langem versprochen wird.
Interessant wird es dort, wo Studenten der Darmstädter TU auf der Cebit ein App für Smartphone vorstellen, womit das Problem mit der Alarmierung der Einsatzkräfte gelöst wird. Gerade an der Alarmierung haben sich die TETRA-Projektgruppen bis jetzt die Zähne ausgebissen und es bis dato nicht in Funktion bringen können. Deshalb scheren gerade in diesem Bereich viele Bundesländer aus und installieren für ihre Rettungsdienste zusätzlich ein millionenschweres Parallelsystem (PROSAC) nur zur Alarmierung. Studenten lösen das Problem für Centbeträge mit den bereits bestehenden Systemen.
Laut einem Artikel zur cebit ist Tetra offensichtlich nur eine ´Brückentechnologie` für LTE. Am Ende finanziert der Steuerzahler vodafone & Co. die Senderstandorte bis hinein in die Naturschutzgebiete, die man ohne BOS-Privilegierung dort sehr wahrscheinlich nicht so einfach erhielte. Denn die über 5000 neuen Behördenfunk-Sendemasten könnten jederzeit auch mit Mobilfunk bestückt werden.
Ein Moratorium halten wir nach wie vor für das Mittel der Wahl, diesen TETRA-Unsinn zu stoppen.

Das Interview führte Michael Lohbusch, Gelnhäuser Neue Zeitung

Artikel veröffentlicht:
05.04.2013
Quelle:
Gelnhäuser Neue Zeitung vom 05.04.2013

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