2.4 Studienüberblick zu Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung

Biologische Wirkungen von Mobilfunkstrahlung unterhalb der Grenzwerte – oft als athermische Wirkungen [24] bezeichnet – sind in der wissenschaftlichen Literatur schon seit langem nachgewiesen und anerkannt (vgl. Kapitel 2.2). Die absorbierte Strahlung führt hierbei nicht primär zu einer Körpererwärmung (thermische Wirkung), sondern zu Störungen der elektrischen Vorgänge auf Zell-, Nerven- und Organebene. Diese können für die Gesundheit sehr belastend sein und sich im Laufe der Zeit zu verschiedenen Gesundheitsschädigungen entwickeln. Welche Entwicklung in welcher Zeitspanne stattfindet, hängt von vielen weiteren, u. a. individuellen Faktoren ab.

Nach mehr als 20 Jahren intensiver Forschung ist jedoch klar erkennbar, dass Strahlenbelastungen unterhalb der Grenzwerte erhebliche Risiken für die Gesundheit der Menschen, sowie für Tiere und Pflanzen bedeuten können. Die Strahlenbelastung durch WLAN ist davon nicht ausgenommen. Es ist mittlerweile auch von den Behörden anerkannt, dass Dauerbestrahlung unterhalb der Grenzwerte eine Hauptquelle für Gesundheitsrisiken ist. Dies wird indirekt z. B. durch die Empfehlungen des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) bestätigt.

* Aufstellung von Kundi, Med-Uni-Wien 2015, Vortrag Landtag Südtirol [42]
** Studienreport 2015 und 2016 von diagnose:funk [43]
*** Belyaev et al: EUROPAEM, EMF-Guidelines 2016 [44]; Belpomme et al, Belgien 2015 [45]; Kundi 2015 [42]

Abb. 3: Wissenschaftliche Evidenz für gesundheitliche Auswirkungen und biologische Effekte durch HF-Strahlung sowie Wertebereiche, in denen diese Wirkung festgestellt wurde (nach Neitzke 2006, Ecolog-Institut, EMF-Handbuch 2-12, Abb. 2.2 [41]; vgl. e+s rück 2006, Risiken durch elektromagnetische Felder. S. 71 [46], Abb. 3.2)

Studienüberblick zu Risiken von HF-Feldern (alle)

Bereits 2000 wurde vom ECOLOG-Institut in Hannover im Auftrag von T-Mobile eine Sichtung der in der Literatur bekannten Risiken aller Mobilfunkstrahlungsarten durchgeführt. Sie liegt auf S. 30 in einer durch diagnose:funk ergänzten Fassung (inkl. WLAN) von 2018 vor.

Die Abb. 3 zeigt einerseits die Vielfalt der biologischen Wirkungen, die unter Mobilfunkbestrahlung (meist bei Dauerbestrahlung oder wiederholt auftretender Bestrahlung) auftreten können, und andererseits, in welchen Intensitätsbereichen unterhalb der Grenzwerte die verschiedenen Wirkungen in den Studien beobachtet wurden. Bereits 2006 wurden für diese Grafik weit über 100 Studien vom Ecolog-Institut ausgewertet. Die Aktualisierung auf den heutigen Kenntnisstand berücksichtigt über 350 Studien (vgl. www.emfdata.org). Die farbigen Flächen im Hintergrund geben die Intensitätsbereiche der verschiedenen Endgeräte ab einem typischen Abstand (z. B. > 0,5 m) an.

Besondere Risiken bei Unterricht mit WLAN (Überblick)

Der dunkelgelbe vertikale Streifen in der Abb. 3 markiert den Bereich der maximalen mittleren Strahlungsintensitäten (4.000 – 27.000 µW/m²) bei der Nutzung von WLAN-aktiven Endgeräten (Laptop, Tablet, Smartphone) in Schulen mit WLAN. Die Überlappung dieses Streifens mit den farbigen Balken zeigt, dass - wie bereits in Kapitel 2.1 beschrieben - folgende biologischen Wirkungen unter der Einwirkung von Mobilfunkstrahlung auftreten können:

  • Befindlichkeitsstörungen (Kopfschmerzen, Nervosität u. a.),

  • Störungen des Zentralen Nervensystems (bzgl. Wahrnehmung,

  • Verhalten u. a.),

  • Stressreaktionen auf zellulärer Ebene (bzgl. Lernen, Gedächtnis,

  • Konzentration u. a.),

  • Verstärkte Zellteilung/Zellwachstum (bewirkt u. a. schnellere Alterung),

  • negative Auswirkungen auf die Spermien und den Fötus.

Für Kinder und Jugendliche muss noch mit einem erhöhten Risikofaktor – d. h. mit einer erhöhten Sensibilität und schneller einsetzenden Wirkung – gerechnet werden, wie im Kapitel 2.6 genauer begründet wird.

Beweise, konsistente Hinweise und das Vorsorgeprinzip

Jeder farbige horizontale Balken repräsentiert mehrere Studien zum gleichen genannten Endpunkt. Einen wissenschaftlichen Nachweis (Beweis) für Gesundheitsgefahren gibt es bisher nur für genügend starke Erwärmungen (Schädigungen) des Gewebes (thermische Wirkungen, hellroter Bereich rechts). Nur diese Wirkungen von genügend intensiver Mobilfunkstrahlung werden derzeit von den Behörden als gesundheitsschädlich anerkannt. Und (nur) hiervor schützen die derzeit geltenden Grenzwerte.

Für den wissenschaftlichen Beweis für Gesundheitsgefahren unterhalb der Grenzwerte muss ein wissenschaftlich begründeter und anerkannter Wirkmechanismus oder Kausalzusammenhang von der Einwirkung durch Mobilfunkfelder, über alle Zwischenstufen hinweg (z. B. veränderte Zellprozesse und deren Folgewirkungen) bis hin zum funktionellen Gesundheitsschaden (z. B. Krebs) vorliegen. In den letzten 15 Jahren ist zwar ein Hauptwirkungsmechanismus identifiziert worden (Pall [47] u. a.), über den es bereits zahlreiche Erkenntnisse gibt und der weiter erforscht wird (vgl. Kapitel 2.5). Aber dieser Hauptwirkungsmechanismus wird vom Umweltministerium in Deutschland und nachgeordneten Behörden als nicht gesundheitsrelevant bzw. als nicht bedeutsam anerkannt und daher wird die Gesundheitsschädlichkeit von Mobilfunkstrahlung in Intensitätsbereichen unterhalb der Grenzwerte nach wie vor als „wissenschaftlich nicht bewiesen“ angesehen.

Die Forderung nach einem vollständig erforschten und anerkannten Wirkungsmechanismus stellt jedoch eine Maximalforderung dar, die (nur) aus wissenschaftlicher Sicht wünschenswert und gerechtfertigt sein mag, da dann absolute Gewissheit besteht. Aus Sicht eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes ist eine Maximalforderung für einen Nachweis äußerst problematisch, da „ggf. dringliche Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung von möglichen gesundheitlichen Schäden davon abhängig gemacht werden, ob die Wissenschaft einen kausalen Zusammenhang kennt und überprüfen kann“ (Ecolog 2006, S. 2-1 [41]). Bei vielen derzeit anerkannt schädlichen Stoffen ist der Wirkungsmechanismus bis heute nicht restlos bekannt: Zum Beispiel ist bis heute nicht streng bewiesen, aber wissenschaftlich anerkannt, dass Sonnenstrahlung Hautkrebs hervorrufen kann. Auch hier gibt es in der Kausalkette noch Lücken, so dass ein wissenschaftlich begründeter Kausalzusammenhang nicht vollständig vorliegt. Bei vielen bekannten gesundheitsschädlichen Stoffen (z. B. Asbest, PCB) wurde der kausale Ursache-Wirkung-Zusammenhang in der Regel erst viel später aufgedeckt, nachdem die gesundheitliche Schädlichkeit bereits offensichtlich und sogar wissenschaftlich anerkannt (aber noch nicht nachgewiesen) war.

Das Hauptziel bei der Frage nach der Gefährlichkeit von Mobilfunkfeldern sollte daher darin bestehen, rechtzeitig(!) erkennen zu können, wann die Menschen zu schützen sind, also vorsorgende Gesundheitsmaßnahmen angesagt sind. Die absolute wissenschaftliche Sicherheit mit (vollständiger) Kenntnis eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs ist dafür nicht brauchbar. Wenn der Staat prinzipiell wartet, bis Beweise vorliegen, um vorsorgend tätig zu werden, kann dies die Volksgesundheit gravierend in Gefahr bringen und bei den vorliegenden konsistenten Hinweisen nur als unverantwortlich bezeichnet werden.

Die offizielle „Entwarnung“ für alle gesundheitlichen Risiken unterhalb der Grenzwerte basiert auf überzogenen Anforderungen der Strahlenschutzkommission (SSK) an die Bewertungssicherheit. Die Missachtung von vorliegenden konsistenten Hinweisen auf gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Mobilfunkstrahlung stellt daher einen hoch riskanten Umgang mit diesen Risiken dar und entspricht eindeutig nicht dem Vorsorgeprinzip.

Denn die Anwendung des Vorsorgeprinzips setzt wissenschaftliche Sicherheit bzw. einen Beweis gerade nicht voraus (s. o.)! Hierfür reichen geringere Anforderungen an den Schädlichkeitsnachweis aus (Europäische Umweltagentur 2004, 2013) [48]. Nach einem Vorschlag des Ecolog-Instituts (Ecolog 2006 [41], S. 2-3) sollte im Sinne eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes gehandelt werden, wenn „konsistente Hinweise“ vorliegen, d. h. wenn unterschiedliche, weitgehend identische Untersuchungen mit gleichem Endpunkt zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Sie belegen einen wiederholt gefundenen Zusammenhang (signifikante Korrelation) zwischen bestimmten Intensitätsbereichen der Bestrahlung und dem untersuchten Endpunkt. Konsistente Hinweise für biologische Wirkungen – bis hin zu Gesundheitsschädigungen – durch Mobilfunkstrahlung unterhalb der Grenzwerte liegen mittlerweile für äußerst viele Endpunkte vor (Reviews z. B. von Hensinger, Wilke 2016) [1]. Sie werden in Abb. 3 durch die dunkelblauen Balken repräsentiert.

Bereits 2006 hat das Ecolog-Institut (Ecolog 2006, S. 2-4) [41] für folgende gesundheitlichen Auswirkungen konsistente Hinweise ab einer bestimmter Intensität (Leistungsflussdichte) der HF-Felder festgestellt:

  • Zelluläre Stressreaktion (oxidativer und nitrosativer Stress)

  • (lt. Yakymenko (2015) [49] ab 1.000 µW/m²)

  • Gentoxizität (ab 400.000 µW/m²)

  • Störungen des Zentralen Nervensystems (ab 10.000 µW/m²)

  • Kanzerogenität (ab 100.000 µW/m², krebserzeugend: NTP (2018) [18],

  • krebspromovierend: Lerchl [50] (2015, 2018))

Nach neueren Studien liegen konsistente Hinweise auch für folgende Endpunkte vor:

  • Befindlichkeitsstörungen (Kopfschmerzen, Schlafstörungen u. a.; lt. Leitfaden Senderbau (LSB 2014) [40] ab 1.270 µW/m², lt. Hutter, Kundi (2013) [51] ab ca. 100 µW/m²)

  • Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, Fehlbildungen (lt. 130 Studien

  • ab 1.000 µW/m² (Diagnose-Funk [52] 2015, 2016))

  • Erhöhte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke (ab 60.000 µW/m²;

  • Sirav et al 2016 [53])

Die Wissenschaft ist sich hier also sehr sicher, nur der Wirkungsmechanismus ist noch nicht vollständig bekannt. Konsistente Hinweise stellen damit „wissenschaftlich anerkannte Zusammenhänge“ dar. Das Vorliegen dieser zahlreichen konsistenten Hinweise erfordert eigentlich eine Vorsorgepolitik zum Schutz der Gesundheit der Menschen. Aber es fehlt derzeit am politischen Willen, die Vielzahl der Erkenntnisse zu beachten. Die gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung werden unnachgiebig hinter die wirtschaftlichen Interessen von Mobilfunkindustrie und Staat gestellt.

Bei starken Hinweisen – hellblaue Bereiche in Abb. 3 – liegen übereinstimmende Ergebnisse aus unterschiedlichen (nicht notwendig identischen) Untersuchungsansätzen mit gleichem Endpunkt vor. Die Charakterisierungen zu „Hinweise“ stehen im EMF-Handbuch des ECOLOG-Instituts [41].

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Wenn der Staat prinzipiell wartet, bis Beweise vorliegen, um vorsorgend tätig zu werden, kann dies die Volksgesundheit gravierend in Gefahr bringen und bei den bisher vorliegenden Erkenntnissen nur als unverantwortlich bezeichnet werden.

 

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