Review: Mobilfunkstrahlung belastet Insekten

Pressemitteilung von diagnose:funk und NABU Baden-Württemberg, 17.9.2020
Negativer Einfluss auf Orientierung, Fortpflanzung und Nahrungssuche
Johannes Enssle (NABU) und Peter Hensinger (diagnose:funk) präsentieren der Öffentlichkeit die Mobilfunk-Insekten-StudieBild: diagnose:funk

Stuttgart – Ein neuer Review über „Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten“ durch Hochspannung, Mobilfunk und WLAN kommt zu dem Ergebnis, dass neben Pestiziden und dem Verlust von Lebensräumen auch Mobilfunkstrahlung negative Effekte auf Insekten hat und damit ein weiterer Faktor für die Schwächung der Insektenwelt sein dürfte. Für die Studienanalyse wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, die insgesamt 190 wissenschaftliche Veröffentlichungen erbrachte. Davon wurden 83 Studien identifiziert, die für die Fragestellung als relevant und von ausreichender wissenschaftlicher Qualität erachtet wurden. Auf diese Studien stützt sich das Review. Dieser Review wurde von dem Biologen und Umweltwissenschaftler Alain Thill im Auftrag der Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose:funk, des NABU Baden-Württemberg und der Luxemburger Umweltorganisation AKUT erstellt.

Der Autor des Reviews hat 190 wissenschaftliche Publikationen gesichtet, die sich mit dem Thema Insekten und elektromagnetische Felder beschäftigen. Nach Auswertung der Studien steht fest: Insbesondere Mobilfunk- und WLAN-Strahlung sorgen dafür, dass die Calciumkanäle der Zellen geöffnet werden, sodass Calciumionen vermehrt einfließen. Calcium ist ein wichtiger Botenstoff, der eine biochemische Kettenreaktion auslöst, die bei Insekten zu oxidativem Zellstress führt. In dessen Folge wird der Orientierungssinn eingeschränkt und die Reproduktionsfähigkeit nimmt ab. Außerdem wird die Tag-Nacht-Rhythmik gestört und das Immunsystem fehlaktiviert. Studien aus Griechenland zeigen auch, dass Mobilfunkstrahlung deutlich schädlicher ist als das 50-Hertz-Magnetfeld einer Hochspannungsleitung.

Wirkung von Mobilfunkstrahlung häufig unterschätzt
„Der Review zeigt auf, dass wir bei der Ursachenanalyse für den dramatischen Insektenschwund unsere Augen in alle Richtungen offen halten müssen. Möglichweise spielen neben dem Verlust von Lebensräumen, der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Eintrag von Pestiziden und Luftschadstoffen in die Umwelt weitere Faktoren, wie eben auch hochfrequente elektromagnetische Strahlung, eine Rolle. Die vorliegende Studie zeigt, dass die Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf die Umwelt häufig unterschätzt wird“, sagt der NABU-Landesvorsitzende, Johannes Enssle. Über die negative Wirkung von Mobilfunk- und WLAN-Strahlung auf Zellen sei in der Wissenschaft inzwischen schon viel bekannt. In der Öffentlichkeit würde dies jedoch bislang kaum debattiert, stellt Enssle fest. „Das Thema ist für viele von uns unbequem, greift es doch tief in unsere alltäglichen Gewohnheiten ein und hinter der Mobilfunktechnik stehen natürlich auch mächtige wirtschaftliche Interessen.“

Forderung nach weniger Strahlenbelastung in der Umwelt
Peter Hensinger, zweiter Vorsitzender von diagnose:funk und Leiter des Fachbereichs Wissenschaft, fordert: „Es ist beunruhigend, dass bereits geringe Strahlenbelastungen weit unterhalb der Grenzwerte Insekten schädigen.“ Hensinger fordert daher einen Diskurs über die Ergebnisse: „Mit diesen Hinweisen auf insektenschädliche Wirkungen darf der Mobilfunkausbau keinesfalls flächendeckend unbeirrt weitergehen, wie von Politik und Mobilfunkbetreibern gewünscht. Die Umweltbehörden in Deutschland, allen voran Bundesumweltministerin Svenja Schulze, müssen jetzt aus den Ergebnissen dieser Studie Konsequenzen ziehen: Die Lebensräume von Insekten müssen vor Mobilfunkstrahlung geschützt werden! Anstelle der zunehmenden elektromagnetischen Überfrachtung unserer Umwelt muss die bereits vorhandene Strahlenbelastung flächendeckend gesenkt werden – zum Schutz von Mensch und Tier.“

Die Ergebnisse des Reviews sind für Wissenschaftler wie den Biologen Dr. Ulrich Warnke keinesfalls überraschend und stehen im Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung, die bisher Effekte elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder auf Flora und Fauna negiert oder verharmlost hat. Der Biologe Prof. Herbert Zucchi von der Hochschule Osnabrück, einer der führenden Experten auf dem Gebiet Insekten und elektromagnetische Felder, bewertet den Review als sehr gründliche Arbeit, die Insektenforschern einen guten Überblick über den aktuellen Kenntnisstand bietet.

„Ergebnisse der neuen Insektenstudie zeichnen sich schon lange ab.“
Interview mit dem renommierten Insektenforscher Dr. Ulrich Warnke. Er war Dozent an der Universität Saarbrücken und erforschte seit den 1970er Jahren den Einfluss von Radar und elektromagnetischen Feldern auf Bienen. Seine Artikel gehören zur Standardliteratur.

Anmerkung vom 12.10.2020: Ursprünglich wurde die Studie in dieser Pressemitteilung als "Metastudie" bezeichnet. Korrekt ist jedoch die Bezeichnung "Review". Die Pressemitteilung wurde entsprechend korrigiert.

Publikation zum Thema

umwelt-medizin-gesellschaft 3/2020Format: A4Seitenanzahl: 28 Veröffentlicht am: 14.09.2020 Sprache: DeutschHerausgeber: AKUT Luxemburg

Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten

Beilage in umwelt-medizin-gesellschaft 3-2020
Autor:
Alain Thill
Inhalt:
Weltweit nehmen die Insekten mit alarmierender Geschwindigkeit ab. Es ist bekannt, dass hierbei, neben anderen Ursachen insbesondere die Verwendung von Pestiziden und die moderne landwirtschaftliche Praxis eine große Rolle spielen. Dieses systematische Review wertet die Studienlage zu den toxischen Wirkungen elektromagnetischer Felder (EMF) auf Insekten aus. 72 der 83 analysierten Studien fanden einen Effekt. Als negative Wirkungen wurden in Studien beschrieben: Einschränkungen des Orientierungssinns, reduzierte Fortpflanzungsfähigkeit und Fruchtbarkeit, Lethargie, Veränderungen der Flugdynamik, Misserfolg in der Nahrungssuche, reduzierte Reaktionsgeschwindigkeiten, Fluchtverhalten, Störung der circadianen Rhythmik, Blockierung der Atmungskette und Schädigung der Mitochondrien, Fehlaktivierungen im Immunsystem, erhöhte Anzahl von DNA-Strangbrüchen. Im Ergebnis zeigt sich, dass EMF einen ernstzunehmenden Einfluss auf die Vitalität von Insektenpopulationen haben könnten. Festgestellt wurde in einigen Experimenten, dass trotz geringen Belastungen durch Sendeanlagen nach mehreren Monaten schädliche Auswirkungen eintraten. Feldstärken bereits 100-fach unterhalb der ICNIRP-Grenzwerte könnten schon Auswirkungen haben. Bei der Planung des Mobilfunkausbaus müssen jetzt schon Lebensräume der Insekten vor EMF-Belastung geschützt werden.
umwelt-medizin-gesellschaft 3/2020Format: A4Seitenanzahl: 28 Veröffentlicht am: 07.09.2020

Biological effects of electromagnetic fields on insects

Beilage in umwelt-medizin-gesellschaft 3-2020
Autor:
Alain Thill
Inhalt:
Worldwide, the number of insects is decreasing at an alarming rate. It is known that among other causes, the use of pesticides and modern agricultural practices play a particularly important role. This systematic review evaluates the state of knowledge regarding the toxic effects of electromagnetic fields (EMF) on insects. 72 of 83 analyzed studies found an effect. Negative effects that were described in studies include: disturbance of the sense of orientation, reduced reproductive ability and fertility, lethargy, changes in flight dynamics, failure to find food, reduced reaction speeds, escape behavior, disturbance of the circadian rhythm, blocking of the respiratory chain and damage to the mitochondria, misactivation of the immune system, increased number of DNA strand breaks. The results show that EMF could have a serious impact on the vitality of insect populations. In some experiments it was found that despite low levels of exposure to transmitters, harmful effects occurred after several months. Field strengths 100 times below the ICNIRP limits could already have effects. When planning the expansion of mobile networks, insect habitats should be protected from high-intensity EMF exposure already now.
Format: DIN A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 27.11.2020 Bestellnr.: 242Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Heftige Debatte um die Insektenstudie

Klarstellung zum Review "Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten"
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Dieser Brennpunkt nimmt Stellung zu den vielen Reaktionen zu dem Review „Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten“ (2020) von Alain Thill vor. Darin wird die weltweite Studienlage zur Wirkung elektromagnetischer Felder (EMF) auf Insekten dargestellt. Der Review kommt zu dem Ergebnis, „dass elektromagnetische Felder einen ernstzunehmenden Einfluss auf die Vitalität von Insektenpopulationen haben könnten“. Der Review wurde von der Luxemburger Umweltorganisation AKUT herausgegeben und in der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft veröffentlicht. Über die Studie wurde nicht nur deutschlandweit, sondern auch darüber hinaus berichtet. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sowie die österreichischen und deutschen Mobilfunkbetreiber kritisierten in Stellungnahmen den Review als unwissenschaftlich, seine Schlussfolgerungen seien nicht durch die Studienlage gedeckt. Dass von politisch hoher Stelle, also dem Bundesamt für Strahlenschutz, Stellung bezogen wird, bestätigt die Bedeutung dieses Reviews. Auch einige Journalisten kritisierten den Review. Doch sind die Kritiken berechtigt? Auf all diese Reaktionen gehen wir ausführlich in diesem Brennpunkt ein.
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